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FORTBILDUNG
Eisensubstitution bei Herzinsuffizienz
Viele herzinsuffiziente Patienten leiden unter Eisenmangel. Das Eisendefizit trägt massgeblich zur Leistungsintoleranz bei und wirkt sich ungünstig auf die Prognose aus. In einem Review haben türkische Wissenschaftler den aktuellen Wissensstand zur Diagnose und zur Behandlung von Eisenmangel bei Patienten mit Herzinsuffizienz zusammengefasst.
ESC E-Journal of Cardiology Practice
Bei Patienten mit Herzinsuffizienz (HF) ist Eisenmangel eine bedeutende, aber häufig vernachlässigte Komorbidität. Ein absoluter oder funktioneller Eisenmangel ist bei HF-Patienten ein unabhängiger Prädiktor für die Prognose und trägt massgeblich zur Leistungsintoleranz bei – auch wenn keine Anämie vorliegt. Studien belegen die hohe Prävalenz des Eisenmangels bei HF-Patienten. In einer Kohortenstudie mit 1506 herzinsuffizienten Patienten wurde bei 50 Prozent ein Eisenmangel diagnostiziert. Von den Teilnehmern ohne Anämie litten hier 45,6 Prozent unter einem Eisendefizit. Bei Patienten, die wegen einer HF-Dekompensation ins Krankenhaus kamen, und bei Personen mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz wurden in anderen Studien noch höhere Eisenmangelraten beobachtet.
Wie kommt es zum Eisenmangel bei Herzinsuffizienz? Zu den Ursachen des Eisenmangels bei Herzinsuffizienz gehören gastrointestinale oder urogenitale Blutverluste im
MERKSÄTZE
Zusammenhang mit Thrombozytenaggregationshemmern oder Antikoagulanzien. Eine unzureichende Eisenversorgung über die Nahrung und eine Eisenmalabsorption aufgrund der HF-bedingten erhöhten Hepcidinproduktion tragen ebenfalls zum Eisendefizit bei. Zu den weiteren Ursachen gehört eine verminderte zellinterne Aufnahme des Eisens, die aus einer reduzierten Transferrinrezeptor-1-(TfR1-)Expression in den Kardiomyozyten resultiert.
Wie wird die Diagnose gestellt?
Da das Eisendefizit mit unspezifischen Symptomen verbunden ist, kann die Diagnose nur mithilfe biologischer Parameter gestellt werden. Die üblichen «Cut-off»-Werte sind bei HF-Patienten zur Diagnose des Eisenmangels allerdings nicht geeignet. Allgemein reicht der Normbereich des Serumferritins von 30 bis 300 mg/l, und bei Werten < 30 ml/l liegt ein Eisenmangel vor. Bei Erkrankungen in Verbindung mit Entzündungsprozessen oder oxidativem Stress – wozu auch die Herzinsuffizienz gehört – kommt es jedoch zu erhöhten Ferritinkonzentrationen im Serum. Die Knochenmarkaspiration mit spezieller Färbung von Eisen gilt als Goldstandard zum Nachweis von Eisenmangel. Dieses Verfahren wird jedoch nicht häufig angewendet, weil es sich um eine invasive Massnahme handelt, bei der zudem Erfahrung notwendig ist. In der Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) zur Diagnose und Behandlung der Herzinsuffizienz von 2016 wird bei vermutetem Eisenmangel und im Rahmen des anschliessenden Monitorings eine systematische Erhebung der Serumparameter Ferritin und Transferrinsättigung (TSAT) empfohlen. In dieser Leitlinie wird der Eisenmangel wie folgt definiert: O Serumferritin < 100 mg/l: absoluter Eisenmangel O Serumferritin 100–299 mg/l: funktioneller Eisenmangel O TSAT < 20 Prozent: funktioneller Eisenmangel.
O Viele Herzinsuffizienz-(HF-)Patienten leiden unter Eisenmangel.
O Eisenmangel trägt bei HF massgeblich zur Leistungsintoleranz bei, auch wenn keine Anämie vorliegt.
O Zur Substitution stehen orale Eisensalze und intravenöse Eisen-IV-Komplexe zur Verfügung.
O Bei funktionellem Eisenmangel ist immer eine intravenöse Behandlung mit Eisen-IV-Komplexen erforderlich.
Die Kombination von Ferritin und löslichem Transferrinrezeptor in der Berechnung des Transferrinrezeptor-FerritinIndexes (Serum TfR/log Ferritin) hat sich als genaueste Methode zur nicht invasiven Evaluierung des Eisenmangels erwiesen.
Welche Bedeutung hat Eisenmangel bei Herzinsuffizienz? Eisen ist Bestandteil des Hämoglobins und des Myoglobins. Eisen ist aber auch ein Kofaktor von oxidativen Enzymen und von Proteinen der Atmungskette in den Mitochondrien,
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die an zellulären Aktivitäten wie dem kardialen Muskelstoffwechsel beteiligt sind. Zudem wirkt Eisen als Kofaktor der löslichen Guanylatzyklase, einer Zielstruktur des Stickoxids in der vaskulären glatten Muskulatur, und beeinflusst auch die Neurotransmission sowie die Signalübertragung im Rahmen der angeborenen Immunabwehr, des Zellwachstums und des Entzündungsgeschehens. Eisenmangel steht im Zusammenhang mit der Schwere der Herzinsuffizienz entsprechend der Klassifizierung der NYHA (New York Heart Association) und den Serumwerten NT-proBNP (N-terminal pro brain natriuretic peptide). In Studien erwies sich Eisenmangel bei HF-Patienten als Prädiktor der kardiovaskulären Mortalität und der Gesamtsterblichkeit.
Orale Eisensubstitution
Aufgrund der unkomplizierten Handhabung wird oft eine orale Substitution mit Eisensalzen vorgenommen. Dabei kommt es jedoch häufig zu gastrointestinalen Nebenwirkungen und einer unzureichenden Compliance. Zudem kann die Eisenaufnahme aus dem Gastrointestinaltrakt durch Nahrungsmittel und Medikamente oder aufgrund von Ödemen der intestinalen Mukosa beeinträchtigt werden. Die erhöhte Hepcidinproduktion im Zusammenhang mit der Herzinsuffizienz schränkt die Aufnahme von Eisen aus der Nahrung ebenfalls ein. In einer retrospektiven Studie, an der 105 HF-Patienten mit reduzierter Ejektionsfraktion teilnahmen, wurde im Rahmen einer oralen Substitution eine signifikante Erhöhung der Eisenspeichermarker im Serum beobachtet.
Intravenöse Eisensubstitution
Zur intravenösen Eisensubstitution stehen Eisen-IV-Komplexe wie Eisencarboxymaltose (Ferinject®), Eisensaccharose (Venofer®), Eisengluconat (nicht im AK der Schweiz) und Eisendextran (nicht im AK der Schweiz) zur Verfügung. Zur relativen Wirksamkeit dieser Substanzen gibt es nur wenige Daten. Eisensaccharose und Eisengluconat wurden von der
US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) zur Anwendung bei Dialysepatienten zugelassen. Eisencarboxymaltose erhielt die FDA-Zulassung für nicht dialysepflichtige Patienten mit chronischer Nierenerkrankung. Die intravenöse Substitution bietet den Vorteil, dass nur wenige Applikationen erforderlich sind und sich die Serumeisenparameter rasch verbessern. Dadurch nimmt auch die Lebensqualität wieder zu, und es sind seltener Hospitalisierungen erforderlich. In einer Metaanalyse von 5 Studien (509 Patienten, 342 Kontrollpersonen) verringerte die Eisen-IV-Substitution bei Patienten mit systolischer HF und Eisenmangel das Risiko für den kombinierten Endpunkt aus Gesamtsterblichkeit und kardiovaskulär bedingten Hospitalisierungen sowie das Risiko für den kombinierten Endpunkt aus kardiovaskulärer Mortalität und der Hospitalisierung ambulanter Patienten aufgrund einer Verschlechterung der HF. Die Eisen-IV-Substitution bewirkte in den ausgewerteten Studien eine signifikante Verbesserung der NYHA-Klasse, eine Verlängerung der 6-Minuten-Gehstrecke und eine Zunahme der Lebensqualität.
Empfehlungen für die Praxis
Bei herzinsuffizienten Patienten sollte Eisenmangel – nach
Abklärung anderer Ursachen – immer behandelt werden. In
den ESC-Leitlinien von 2016 wird dazu ausschliesslich die in-
travenöse Substitution mit Eisen-IV-Komplexen empfohlen.
Im klinischen Alltag kann nach Ansicht der Review-Autoren
bei absolutem Eisenmangel zunächst über mindestens drei
Monate eine orale Substitution mit monatlicher Überprü-
fung der Wiederauffüllung der Eisenspeicher verschrieben
werden. Bei unzureichender Wirksamkeit der oralen Sub-
stitution oder bei Unverträglichkeit wird zur intravenösen
Eisensubstitution gewechselt.
Bei funktionellem Eisenmangel ist dagegen immer eine intra-
venöse Substitution erforderlich, weil die orale Applikation
hier nicht wirksam ist. Auch bei dieser Vorgehensweise wird
eine monatliche Kontrolle der Eisenparameter im Serum
empfohlen. Des Weiteren raten die Review-Autoren zu einer
Optimierung der medikamentösen und gerätebasierten Be-
handlung der Herzinsuffizienz, da die hierdurch erzielten
günstigen Effekte auch den Eisenstoffwechsel positiv beein-
flussen können.
O
Petra Stölting
Quelle: Kocyigit D, Gurses KM: Iron deficiency and its treatment in heart failure: indications and effect on prognosis. ESC E-Journal of Cardiology Practice 2016; 14, No. 30.
Interessenlage: Die Autoren der referierten Studie erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
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