Transkript
Chronische Herzinsuffizienz: Neuer Wirkstoff empfohlen
Update der ESC-Leitlinie 2016
FORTBILDUNG
Das Update der Leitlinie zur Herzinsuffizienz hat die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) im Mai 2016 vorgelegt. Für Allgemeinmediziner besonders relevant: der neue Diagnostikalgorithmus, der es erlaubt, anhand der natriuretischen Peptide eine Herzinsuffizienz sicher auszuschliessen, sowie die Einführung einer neuen Substanzklasse in die therapeutische Palette.
Florian Höpfner und Stefan Frantz
Die neue, vor wenigen Monaten vorgelegte Leitlinie zur Behandlung der Herzinsuffizienz wurde letztmals vor vier Jahren von der ESC aktualisiert (6). Als wichtigste Neuerung für Allgemeinmediziner und nicht kardiologisch tätige Ärzte ist sie nun um einen Algorithmus für die Diagnostik der chronischen Herzinsuffizienz ergänzt worden (Abbildung 1). Dieser Algorithmus definiert klar, wann eine Herzinsuffizienz ausgeschlossen werden kann und wann sich eine weiterführende Diagnostik anschliessen sollte. So kann anhand klinischer Untersuchungen, EKG und laborchemischer Bestimmung von natriuretischen Peptiden eine Herzinsuffizienz nahezu ausgeschlossen werden.
Das Lebenszeitrisiko, an einer Herzinsuffizienz zu erkranken, beträgt bei 55-jährigen Männern 33 Prozent, bei gleichaltrigen Frauen 28 Prozent. 7 Prozent der stabilen, ambulant behandelten Patienten mit Herzinsuffizienz versterben innerhalb eines Jahres an plötzlichem Herztod oder an einer Verschlechterung der Herzinsuffizienz. Diese lebensbedrohliche Erkrankung wird heute vielfach medikamentös behandelt – mit ACE-(angiotensin-converting-enzyme-)Hemmern/Angiotensinrezeptorblockern, Mineralokortikoidrezeptorantagonisten, Diuretika und Betablockern sowie Devicetherapien (kardiale Resynchronisationstherapie [CRT], Kunstherz). In besonders schweren Fällen ist eine Herztransplantation erforderlich.
MERKSÄTZE
O Die überarbeitete ESC-Leitlinie zur Herzinsuffizienz empfiehlt einen neuen Diagnostikpfad für den ambulanten Bereich (Klinik/EKG/natriuretische Peptide).
O Die neue Wirkstoffklasse der Neprilysininhibitoren ergänzt die bisherige Standardtherapie.
O Eine CRT-Implantation ist erst ab einer QRS-Dauer von 130 ms sinnvoll.
O Eine adaptive Servoventilation ist bei zentralem Schlafapnoe-Syndrom und LVEF ≤ 40 Prozent kontraindiziert.
O Empagliflozin zeigt eine Verbesserung des Outcome bezüglich Herzinsuffizienz.
O Die Therapie der HFpEF und der HFmrEF ist derzeit nur symptomatisch mittels Diuretika gesichert.
Neues Medikament: der Neprilysininhibitor
In die medikamentöse Therapie der Herzinsuffizienz wurde – aufgrund der Ergebnisse der PARADIGM-HF-Studie bei Überlegenheit der Therapie mittels Sacubitril/Valsartan im Vergleich zu Enalapril mit einer Mortalitätsreduktion von etwa 20 Prozent – eine neue Wirkstoffkombination in die Leitlinie (4) aufgenommen: der Neprilysininhibitor. Allerdings gilt die Empfehlung für die Gabe dieser Wirkstoffklasse nicht ausnahmslos für alle Patienten mit Herzinsuffizienz, sondern nur für diejenigen, die dem Studienkollektiv der PARADIGM-HF-Studie entsprechen. Hierzu zählen Patienten mit erhöhtem Plasmaspiegel der natriuretischen Peptide (BNP [brain natriuretic peptide] ≥ 150 pg/ml bzw. NT-pro-BNP [N-terminales Propeptid BNP] ≥ 600 pg/ml oder bei Hospitalisierung innerhalb der letzten 12 Monate in Bezug auf Herzinsuffizienz BNP ≥ 100 pg/ml bzw. NT-pro-BNP ≥ 400 pg/ ml), bei denen – falls nicht kontraindiziert – bereits eine Herzinsuffizienzmedikation mit ACE-Hemmer beziehungsweise Angiotensinrezeptorantagonist, Betablocker und Mineralokortikoidrezeptorantagonist erfolgt ist. Darüber hinaus müssen diese Herzpatienten die ACE-Hemmer beziehungsweise Angiotensinrezeptorantagonisten auch vertragen (zum schematischen Vorgehen vgl. Abbildung 2).
Neue Kategorie der Herzinsuffizienz (HFmrEF)
In subtilen Analysen von Studien zur diastolischen Herzinsuffizienz zeigte sich, dass Patienten mit einer linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF) zwischen 40 und 49 Prozent beziehungsweise mit einer LVEF ≥ 50 Prozent teilweise ein unterschiedliches Outcome haben. Die Herzinsuffizienz wird deshalb jetzt neu kategorisiert in drei Typen: O Herzinsuffizienz mit eingeschränkter systolischer linksven-
trikulärer (LV-)Funktion (LVEF: < 40%; heart failure with reduced ejection fraction, HFrEF)
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FORTBILDUNG
Klinischer Verdacht auf Herzinsuffizienz
(nicht akuter Beginn)
Wahrscheinlichkeit einer Herzinsuffizienz
1. Diagnose/Anamnese
koronare Herzkrankheit arterielle Hypertonie Exposition zu kardiotoxischen Stoffen/ Medikamenten oder Strahlung Diuretika in der Medikation Orthopnoe/paroxysmale nächtliche Dyspnoe
2. Körperliche Untersuchung Rasselgeräusche bilaterale Knöchelödeme Herzgeräusch dilatierte Jugularvenen verlagerter Herzspitzenstoss
3. EKG jedes pathologische EKG
Bestimmung von natriuretischen Peptiden nicht routinemässig möglich
≥1 zutreffend
Nichts zutreffend
Natriuretische Peptide
NT-pro-BNP
≥ 125 pg/ml BNP ≥ 35 pg/ml
Nein
Herzinsuffizienz unwahrscheinlich
Erwägung von Differenzialdiagnosen
Ja
Echokardiografie
Normalbefund
Wenn Herzinsuffizienz bestätigt
Ermittlung der Ätiologie Beginn einer geregelten Therapie
Abbildung 1: Algorithmus zur Diagnostik bei Verdacht auf Herzinsuffizienz (NT-pro-BNP = N-terminal pro brain natriuretic peptide)
O Herzinsuffizienz mit mittelgradig eingeschränkter Ejektionsfraktion (LVEF: 40–49%; heart failure with mid-range ejection fraction, HFmrEF)
O Herzinsuffizienz mit erhaltener LV-Funktion (LVEF ≥ 50%; heart failure with preserved ejection fraction, HFpEF).
Konkrete Therapieempfehlungen gibt es für Patienten mit HFmrEF allerdings noch nicht.
Indikationen für CRT-Devices
Im Vergleich zur alten Leitlinie von 2012 sind nun CRT-Implantationen bei einer QRS-Dauer zwischen 120 und 130 ms kontraindiziert, nachdem die EchoCRT-Studie eine erhöhte Mortalität bei CRT-Implantationen und einer QRS-Dauer < 130 ms gezeigt hat (7). So besteht nach der aktuellen Leitlinie jetzt eine klare Indikation zur CRT-Implantation bei einer LVEF ≤ 35 Prozent, Sinusrhythmus, einem kompletten Linksschenkelblock mit einer QRS-Dauer ≥ 130 ms unter optimaler medikamentöser Therapie oder bei Patienten mit einer LVEF ≤ 35 Prozent und (vor Schrittmacherimplantation erwartetem) hohem Anteil an rechtsventrikulärer Stimulation (z.B. bei höhergradigen AV-[Atrioventrikular-]Blöcken). Bei Patienten mit gleichen Kriterien ohne kompletten Linksschenkelblock kann eine CRT-Implantation erwogen werden.
Zentrale Schlafapnoe und systolische Herzinsuffizienz
Entgegen den Erwartungen zeigte die SERVE-HF-Studie eine Mortalitätserhöhung bei Patienten, die eine HFrEF sowie eine zentrale Schlafapnoe unter adaptiver Servoventilation (ASV) haben (2). Demnach ist diese Therapie nun kontraindiziert bei Patienten mit HFrEF und zentraler Schlafapnoe.
Empfehlungen zur Prävention
Auch im Bereich der Prävention gibt es jetzt Empfehlungen, mit denen die Entstehung einer Herzinsuffizienz verhindert oder zumindest verzögert werden kann. Diese umfassen vor allem die Therapie der arteriellen Hypertonie, insbesondere vor dem Hintergrund der aktuell veröffentlichten SPRINTStudie (8). Die Untersuchung hat gezeigt, dass eine Senkung des systolischen Blutdrucks unter 120 mmHg auch bei älteren Patienten (≥ 75 Jahre) und Hochrisikopatienten das Auftreten von kardiovaskulären Erkrankungen, Tod und Herzinsuffizienzhospitalisierung verringert. Die Gabe von Statinen bei Patienten mit erhöhtem/hohem Risiko für eine koronare Herzerkrankung wird weiterhin empfohlen, da hier ebenfalls eine Verringerung der Inzidenz einer Herzinsuffizienz beobachtet wurde (1, 3). Die Therapie mit Empagliflozin (SGLT2 [sodium-dependent glucose cotransporter 2-]Inhibitor), dem derzeit einzigen
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FORTBILDUNG
Diuretika reduzieren Symptome und Stauungszeichen LVEF ≤ 35% trotz optimaler Therapie oder anamnestisch bestehende symptomatische VT/VF
bedarf einer ICD-Implantation
Initiale Behandlung mit einem Diuretikum
+
Gabe eines ACE-Hemmers (ACEI) oder Angiotensinrezeptorblockers (ARB), wenn ACE-Hemmer
nicht toleriert, sowie eines Betablockers
Symptomatisch und LVEF ≤ 35%? Ja
Zusätzlich Aldosteronantagonist
Symptomatisch und LVEF ≤ 35%? Ja
ACEI (oder ARB) durch Patient
toleriert
Sinusrhythmus und QRS-Dauer
≥ 130 ms
Sinusrhythmus Puls ≥ 70/min
ARB und Neprilysin-
inhibitor
Evaluation CRT
Ivabradin
Diese Behandlungen können bei Bedarf kombiniert werden
Persistierende Symptome Ja Nein
Erwägung von Digoxin oder H-ISDN
Erwägung LVAD oder Transplantation im Endstadium
Keine weiteren Massnahmen notwendig
Erwägung einer Reduzierung der Diuretikadosierung
ACEI = ACE-Hemmer ARB = Angiotensinrezeptorblocker CRT = cardiac resynchronisation therapy H-ISDN = Hydralazinisosorbiddinatrium ICD = implantierbarer Kardioverter/Defibrillator LVAD = left ventricular assist device LVEF = linksventrikuläre Ejektionsfraktion VF = ventricular fibrillation VT = ventricular tachycardia
Abbildung 2: Flussdiagramm des empfohlenen Vorgehens zur Therapie bei Herzinsuffizienz
Wirkstoff, mit dem die Mortalität reduziert und das Auftreten einer Herzinsuffizienz nachweislich verringert werden kann (9), bei Patienten mit Typ-2-Diabetes wird betont. Viele Studien haben Patienten mit «Mid-range»-Herzinsuffizienz (HFmrEF) in die Population von Patienten mit diastolischer Herzinsuffizienz (HFpEF) eingeschlossen, sodass derzeit nur Empfehlungen für beide Gruppen bestehen. Lebensqualität und Prognose basieren im Wesentlichen auf Komorbiditäten und weniger auf einer Exazerbation der Herzinsuffizienz. So empfiehlt die Leitlinie, den Fokus auf die Behandlung von Komorbiditäten zu setzen. Als einzige klare Empfehlung gilt weiterhin die Therapie mit Diuretika, mit denen sich die Symptome vermindern lassen. Eine nachgewiesene medikamentöse Therapie zur Reduktion der Mortalität besteht weiterhin nicht. Mineralokortikoidrezeptorantagonisten können allerdings die Hospitalisierungswahrscheinlichkeit senken (5). O
Korrespondenzadresse:
Florian Höpfner
Klinik und Poliklinik für Innere Medizin III
Universitätsklinikum Halle
Ernst-Grube-Strasse 40
D-06120 Halle
Interessenkonflikte: keine
Literatur: 1. Afilalo J et al.: Intensive statin therapy in acute coronary syndromes and stable coro-
nary heart disease: a comparative meta-analysis of randomised controlled trials. Heart 2007; 93(8): 914–921. 2. Cowie MR et al.: Adaptive servo-ventilation for central sleep apnea in systolic heart failure. N Engl J Med 2015; 373(12): 1095–1105. 3. Emberson JR et al.: N-terminal pro-B-type natriuretic peptide, vascular disease risk, and cholesterol reduction among 20,536 patients in the MRC/BHF heart protection study. J Am Coll Cardiol 2007; 49(3): 311–319. 4. McMurray JJ et al.: Angiotensin-neprilysin inhibition versus enalapril in heart failure. N Engl J Med 2014; 371(11): 993–1004. 5. Pitt B et al.: Spironolactone for heart failure with preserved ejection fraction. N Engl J Med 2014; 370(15): 1383–1392. 6. Ponikowski P et al.: 2016 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure: The Task Force for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure of the European Society of Cardiology (ESC). Developed with the special contribution of the Heart Failure Association (HFA) of the ESC. Eur Heart J 2016; 37(27):2129–2200. 7. Ruschitzka F et al.: Cardiac-resynchronization therapy in heart failure with a narrow QRS complex. N Engl J Med 2013; 369(15): 1395–1405. 8. SPRINT Research Group; Wright JT Jr et al.: A randomized trial of intensive versus standard blood-pressure control. N Engl J Med 2015; 373(22): 2103–2116. 9. Zinman B et al.: Empagliflozin, cardiovascular outcomes, and mortality in type 2 diabetes. N Engl J Med 2015; 373(22): 2117–2128.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 19/2016. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autoren.
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