Transkript
FORTBILDUNG
Therapie sexueller Funktionsstörungen des Mannes
Was können traditionelle Heilpflanzen leisten?
Ethnobotanische Untersuchungen verweisen auf eine grosse Anzahl von Heilpflanzen, die in verschiedenen Kulturen im Rahmen einer traditionellen Medizin als Aphrodisiaka angewendet werden. In einer Übersichtsarbeit haben indische Wissenschaftler eine Auswahl medizinischer Pflanzen zusammengestellt, deren Wirksamkeit auch in Studien belegt werden konnte.
Andrologia
Auf der Suche nach sanfteren Alternativen wurde in letzter Zeit die Erforschung pflanzlicher Wirkstoffe intensiviert. Dabei geht es zum einen um die Identifizierung neuer Wirkstoffe. Zum anderen können aber auch Erfahrungswerte genutzt werden, denn im indischen Ayurveda und in anderen traditionellen Heilsystemen werden bereits seit Hunderten von Jahren bestimmte Pflanzen zur Stärkung der Sexualfunktion verwendet. In einer Übersichtsarbeit stellen Neelesh Malviya vom Simriti College of Pharmaceutical Education in Indore (Indien) und ihre Arbeitsgruppe traditionelle Heilpflanzen aus aller Welt vor, deren Wirksamkeit zur Verbesserung der Sexualfunktion in Studien – meist an Ratten – belegt werden konnte.
Bei Männern kann es aufgrund vielfältiger körperlicher und psychischer Ursachen zu sexuellen Funktionsstörungen kommen. Zu den häufigsten Auslösern gehören Stress, Umweltschadstoffe, Medikamente, Nahrungsmitteltoxine, ungesunde Ernährung und zu wenig Bewegung. Sexuelle Funktionsstörungen können die Libido, die Erektion, die Ejakulation, den Orgasmus oder die Detumeszenz betreffen. Seit einigen Jahren stehen allopathische Medikamente wie Sildenafil (Viagra® und Generika), Alprostadil (Caverject®, Muse®, Prostin®), Cyproheptadin (in der Schweiz nicht mehr im Handel) oder Buspiron (in der Schweiz nicht mehr im Handel) zur Behandlung zur Verfügung. Allerdings können diese Substanzen mit Nebenwirkungen wie allergischen Reaktionen, schmerzhaften oder sehr lang anhaltenden Erektionen, Krämpfen, Schwindel und Hörverlust sowie mit einer plötzlichen Verminderung oder dem Verlust der Sehkraft verbunden sein.
MERKSÄTZE
O Bei Männern kann es aufgrund vielfältiger Ursachen zu sexuellen Funktionsstörungen kommen.
O Allopathische Medikamente können mit schweren unerwünschten Wirkungen verbunden sein.
O In traditionellen Heilsystemen werden Pflanzen zur Stärkung der sexuellen Leistungsfähigkeit genutzt.
O Einige traditionelle Heilpflanzen fördern die männliche Fruchtbarkeit.
Alpinia calcarata Roscoe
Das Ingwergewächs Alpinia calcarata Roscoe wird in der traditionellen Medizin in Sri Lanka als Aphrodisiakum angewendet. In einer Studie aus dem Jahr 2006 bewirkte ein Heisswasserextrakt des Rhizoms bei männlichen Ratten eine signifikante Verkürzung der Zeit bis zur Paarung. Zudem verlängerte der Extrakt die Zeit bis zur Ejakulation und bewirkte eine Aufrechterhaltung der Libido, der Erektion und der sexuellen Leistungsfähigkeit.
Anacyclus pyrethrum DC
Anacyclus pyrethrum DC (Spanische Kamille, Mehrjähriger Bertram) ist auch als «Akarkara» bekannt und wird im Rahmen des Ayurveda zur Verbesserung der Sexualfunktion angewendet. In einer Studie aus dem Jahr 2010 wurde nach Applikation des Wurzelextrakts bei männlichen Ratten eine Zunahme der Libido, eine Verkürzung der Zeit bis zur Paarung und eine vierfach erhöhte Paarungshäufigkeit beobachtet. In einer Studie von 2013 bewirkte ein ethanolischer Wurzelextrakt von Anacyclus pyrethrum in verschiedenen Dosierungen bei Ratten eine signifikante Zunahme des Körpergewichts, der Spermienzahl und der Spermienmotilität sowie einen Anstieg des Serumtestosterons. Die Histoarchitektur der Hoden wies auf eine erhöhte Spermienproduktion hin. Aus diesen Beobachtungen schlossen die Studienautoren, dass der Wurzelextrakt eine androgene Wirkung aufweist und die männliche Fruchtbarkeit durch Anregung der Spermatogenese verbessern kann.
Arctium lappa L.
Arctium lappa L. (Grosse Klette) wird seit Jahrhunderten in China, Europa, Nordamerika und Asien als Potenzmittel
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angewendet. In einer Studie aus dem Jahr 2012 resultierte die orale Applikation des wässrigen Wurzelextrakts bei männlichen Ratten in einer signifikanten Zunahme der Paarungs-, Penetrations- und Erektionshäufigkeit sowie in einer Verlängerung der Ejakulationslatenz. Zudem erhöhte der Extrakt die Serumtestosteronwerte. Die libidofördernden Effekte sind vermutlich auf den Gehalt an Flavonoiden, Saponinen, Ligninen und Alkaloiden in der Klettenwurzel zurückzuführen.
Chione venosa Sw. Das Aphrodisiakum «Bois Bandé» wird aus der Stammrinde und den Wurzeln von Chione venosa Sw. gewonnen. Dieser Baum wächst im Regenwald der Karibikinsel Grenada. Rinde und Wurzeln enthalten Acetophenone, Iridoide und Triterpene. In einer Studie von 2012 erhöhte der Inhaltsstoff Beta-Sitosterin bei Ratten signifikant die Paarungshäufigkeit und die Erektionshäufigkeit und verlängerte die Ejakulationslatenz.
Chlorophytum borivilianum L. Die traditionelle indische Heilpflanze Chlorophytum borivilianum L. wird auch als pflanzliches Viagra bezeichnet und ist zudem als «Safed Musli» bekannt. In einer Studie (2008) wurde die lustfördernde und spermienbildende Wirkung des wässrigen Extrakts der getrockneten Wurzel bei Ratten in zwei Dosierungen untersucht. Bei einer Dosis von 125 mg/kg wurde eine deutliche Zunahme der Libido und der sexuellen Leistungsfähigkeit beobachtet. Bei der höheren Dosis von 250 mg zeigte sich bezüglich aller sexuellen Parameter eine weitere Verbesserung, innerhalb von 14 Tagen kam es jedoch zu einem Sättigungseffekt. Nach 60 Behandlungstagen hatte sich die Spermienanzahl in beiden Gruppen in Abhängigkeit von der Dosis signifikant erhöht. Die Studienautoren schlossen daraus, dass Chlorophytum borivilianum L. zur Behandlung von vorzeitiger Ejakulation und Oligospermie von Nutzen sein könnte.
Cinnamomum cassia Cinnamomum cassia (Zimtkassie) gehört zu den ältesten und am häufigsten angewendeten Potenzmitteln der Menschheit und ist auch Bestandteil vieler ayurvedischer Arzneimittel. In einer Studie aus dem Jahr 2014 hemmte ein Rindenextrakt der Zimtkassie bei jungen männlichen Ratten die Arginaseaktivität in vitro, entspannte die aus Ratten isolierte glatte Schwellkörpermuskulatur und verbesserte signifikant die Sexualfunktion. Des Weiteren erhöhte der Extrakt den Anteil der glatten Muskulatur und verminderte den Kollagenanteil im Penisgewebe der Ratten.
Crocus sativus Crocus sativus (Safran) wird in Indien, in Griechenland und in Iran kultiviert. In einer Studie (2008) wurden die aphrodisierenden Effekte des wässrigen Extrakts sowie der Inhaltsstoffe Safranal und Crocin im Vergleich zum aktiven Wirkstoff Sildenafil bei Ratten untersucht. Crocin und der wässrige Extrakt erhöhten die Paarungs- und die Penetrationshäufigkeit, während sich die Ejakulationslatenz verlängerte. Der Inhaltsstoff Safranal wies keine aphrodisierende Wirkung auf.
In einer Pilotstudie wurde im Jahr 2009 bei Patienten mit erektiler Dysfunktion nach einer 10-tägigen Einnahme von Safran eine erhöhte Anzahl von Erektionen und eine längere Erektionsdauer beobachtet. In einer anderen offenen, randomisierten «Cross-over»-Studie (2010) zeigte sich dagegen bei Männern mit erektiler Dysfunktion unter einer Safranfixdosis keine sexualfördernde Wirkung.
Cydonia oblonga Miller
Cydonia oblonga Miller (Quitte) wird in Südafrika, Zentraleuropa und im Mittleren Osten geerntet. In einer Studie aus dem Jahr 2014 wurde bei Ratten nach einer 28-tägigen Einnahme des wässrigen alkoholischen Extrakts der Früchte eine signifikante Erhöhung der Libido, der Paarungshäufigkeit und der sexuellen Leistungsfähigkeit im Vergleich zu unbehandelten Ratten beobachtet.
Cyperus esculentes
Cyperus esculentes (Tigernuss) wird im Sanskrit als «bhadramuste» bezeichnet und wird im Ayurveda als Aphrodisiakum angewendet. In einer Studie aus dem Jahr 2015 untersuchten Wissenschaftler die aphrodisierenden Eigenschaften bei sexuell hochaktiven und weniger aktiven Ratten. Dazu evaluierten sie das Paarungsverhalten und die Serumhormonspiegel nach 30 Tagen. Die Behandlung reduzierte die Paarungs- und Penetrationslatenz in beiden Gruppen. Bei den sexuell weniger aktiven Ratten erhöhte sich zudem die Penetrationshäufigkeit. In beiden Gruppen stiegen die Testosteronkonzentrationen im Serum signifikant an.
Eurycoma longifolia Jack
Eurycoma longifolia Jack stammt aus Südostasien und ist auch als «Tongkat Ali» oder Malaysischer Ginseng bekannt. In einem systematischen Review mit Metaanalyse fanden Wissenschaftler im Jahr 2015 Hinweise, dass der Krautextrakt eine Verbesserung der erektilen Funktion bewirken könnte. In einer anderen Studie (2010) verbesserte Eurycoma longifolia Jack bei Ratten die testikuläre Funktion und hemmte die Effekte eines zu hohen Östrogenstatus. Somit könnte Eurycoma longifolia Jack als Ergänzung der Behandlung von Unfruchtbarkeit in Zusammenhang mit Testosteronmangel oder zu hohen Östrogenwerten von Nutzen sein.
Lepidium meyenii
Lepidium meyenii (Maca) wird in der Andenregion zur Förderung der männlichen Fruchtbarkeit angewendet. Inhaltsstoffe wie Campesterol, Stigmasterol und Beta-Sitosterol zeigten fruchtbarkeitsfördernde Effekte bei männlichen Ratten. In einer Studie (2001) erhöhte eine Behandlung mit Maca bei erwachsenen Männern das Spermienvolumen, die Spermienanzahl pro Ejakulat sowie die Anzahl motiler Spermien und verbesserte die Spermienbeweglichkeit. In einer weiteren Studie (2002) konnte gezeigt werden, dass Maca das sexuelle Interesse unabhängig von den Serumtestosteron- und den Östradiolspiegeln anregt. In einer Untersuchung aus dem Jahr 2006 konnte Maca eine bleiacetatinduzierte Schädigung der Spermatogenese ausgleichen. Insgesamt geht aus den Ergebnissen hervor, dass Maca die Spermienproduktion anregt und die Spermienqualität verbessert.
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Moringa olifeira Lam.
Bei Moringa olifeira Lam. handelt es sich um ein tropisches Getreide, das als Nahrungsmittel, als Arzneimittel und zur Ölgewinnung dient. Im Jahr 2015 wurden bei männlichen Ratten die Effekte eines hydroethanolischen Extrakts bezüglich verschiedener Sexualparameter untersucht. Während einer 7-tägigen Behandlung verbesserte der Extrakt die sexuelle Leistungsfähigkeit gestresster Ratten. Im Rahmen der Studie wurden eine Reduzierung der Penetrationslatenz und eine Zunahme der Penetrationsfrequenz sowie eine Reduzierung der Phosphodiesterase-Typ-5-(PDE-5-)Aktivität, eine Senkung des Kortikosteronspiegels und ein Anstieg des Serumtestosteronspiegels beobachtet. Zudem erhöhte sich die Anzahl der interstitiellen Leydig-Zellen und der Spermien.
Musa paradisiaca
Musa paradisiaca (Kochbanane) wird in Indien als Aphrodisiakum genutzt. In einer Studie aus dem Jahr 2013 erhöhte ein wässriger Wurzelextrakt bei männlichen Ratten signifikant das Gewicht der Hoden und die Konzentration des testikulären Testosterons. Die Serumkonzentrationen des luteinisierenden und des follikelstimulierenden Hormons wurden dagegen gesenkt. Die Studienautoren kamen zum Schluss, dass der wässrige Wurzelextrakt der Kochbanane die normale testikuläre Funktion anregt und zudem androgene und anabole Eigenschaften aufweist.
Phoenix dactylifera L.
Die Pollen der Dattelpalme (Phoenix dactylifera L.) werden in der traditionellen Medizin zur Behandlung männlicher Unfruchtbarkeit angewendet. Aus neueren Studien geht hervor, dass Dattelpalmenpollen die reproduktionstoxischen Effekte von Kadmium und Cyclophosphamid abschwächen können. In einer Studie (2006) erhöhte eine Suspension mit Dattelpalmenpollen bei männlichen Ratten die Anzahl der Spermien und verbesserte deren Motilität und Morphologie. Zudem wurde eine Verbesserung der DNA-Qualität beobachtet. Gleichzeitig nahm das Gewicht der Hoden und der Nebenhoden zu.
Ruta chalepensis
Ruta chalepensis (Weinraute) unterstützt die Spermatoge-
nese. Die Blätter und Triebe enthalten Alkaloide, Coumarine,
Flavonoide, Phenole, Aminosäuren, Fourocoumarine, Ste-
role, Triterpene und Saponine. In einer Studie aus dem Jahr
2005 erhöhte Ruta chalepensis bei männlichen Ratten die
Spermienzahl und den Anteil beweglicher und lebender Sper-
mien. Zugleich verringerte sich die Rate der Spermien-
anomalien. Ausserdem wurde ein signifikanter Anstieg der
Testosteronwerte und des follikelstimulierenden Hormons
beobachtet.
O
Petra Stölting
Quelle: Malviya N et al.: A review of the potential of medicinal plants in the management and treatment of male sexual dysfunction. Andrologia 2016; 48(8): 880–893.
Interessenlage: In der referierten Studie sind keine Angaben zu Interessenkonflikten vorhanden.
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