Transkript
POLITFORUM
Xundheit in Bärn
INTERPELLATION vom 15.6.2016
Fokussierung der Prävention auf die Gesundheit im Alter und auf die psychische Gesundheit
Christian Lohr Nationalrat CVP Kanton Thurgau
Der Stellenwert der Gesundheitsprävention wird heute angesichts der alternden Gesellschaft allgemein anerkannt. Trotzdem wurde im Rahmen der Vernehmlassung über die Verordnungsänderungen zur Festsetzung des Beitrags für die allgemeine Krankheitsverhütung Kritik laut. Diese richtet sich allerdings weniger gegen die Absicht des Bundesrats, die Beiträge zu erhöhen (geplant ist eine Verdopplung). Viel-
mehr zielt sie auf die Entwicklung der Stiftung Gesundheitsförderung in den letzten zehn Jahren. Die Stiftung sei zunehmend vom ursprünglichen Auftrag, Projekte zur Prävention zu vergeben und zu monitoren, abgewichen. Stattdessen habe sie ihren Verwaltungsapparat aufgebläht und eigene Produkte forciert in Bereichen, wo der Markt bereits vielfältige Angebote mache (z.B. BGM). Dafür sei auch die Governance ungenügend, weil die Stiftung ihre eigenen Projekte auch gleich selber auf Wirkung hin überprüfe. Inhaltlich besteht aber in der Vernehmlassung weitgehend Einigkeit: Mit den zusätzlichen Mitteln soll auf die Gesundheit im Alter sowie die psychische Gesundheit fokussiert werden.
Ich bitte den Bundesrat um Beantwortung folgender Fragen: 1. Teilt er die Auffassung, wonach
der Fokus für den Mitteleinsatz künftig konsequent auf die Gesundheit im Alter und die psychische Gesundheit gerichtet werden soll? Wie will er diese Kurskorrektur bei der Stiftung Gesundheitsförderung einleiten? 2. Wie beurteilt er die Wirkung der Arbeit (interne und externe Projekte) und die Angemessenheit der Governance der Stiftung? Plant er eine diesbezügliche Evaluation? 3. Wie soll die Wirkung des steigenden Mitteleinsatzes künftig regelmässig überprüft werden?
4. Trifft es zu, dass sich in den letzten zehn Jahren der Personalaufwand von Gesundheitsförderung Schweiz massiv (auf rund 40% des Gesamtbudgets von gut 18 Mio. Fr.) erhöht und die Anzahl Stellen sich dadurch auf rund 60 nahezu verdoppelt hat? Wie beurteilt er diese Entwicklung?
5. Es ist bekannt, dass mehr finanzielle Mittel nicht automatisch zu einer besseren Wirkung führen. Wie will er künftig für innovative Ideen durch Projektwettbewerb anstelle eines überbordenden Verwaltungsausbaus sorgen?
Der Bundesrat nimmt dazu am 16.9.2016 wie folgt Stellung (gekürzt)
1. Mit der Verordnung des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) wird der KVG-Prämienzuschlag in den nächsten zwei Jahren in zwei Schritten von heute Fr. 2.40 auf Fr. 4.80 pro versicherte Person und Jahr erhöht. 40 Prozent der zusätzlichen Mittel werden in Massnahmen zur Prävention und Früherkennung von psychischen Erkrankungen fliessen. 30 Prozent der zusätzlichen Mittel werden für die Weiterentwicklung und die Verstärkung der kantonalen Programme im Bereich Prävention und Gesundheitsförderung im Alter eingesetzt werden. Die verbleibenden 30 Prozent werden zur Finanzierung von innovativen Projekten im Bereich der Prävention in der Gesundheitsversorgung verwendet werden. Auch mit diesen Projekten wird ein Beitrag an die Prävention psychischer Er-
krankungen sowie an die Prävention der Pflegebedürftigkeit im Alter geleistet werden. 2. Bereits heute lässt die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz alle grösseren Programme und Projekte auf der Grundlage von wissenschaftlichen Wirkungsmodellen von unabhängigen Evaluationsinstituten bewerten. Im Rahmen der Umsetzung der «Nationalen Strategie Prävention nichtübertragbarer Krankheiten 2017–2024», sind zudem die Formulierung von Qualitätsstandards sowie von Projekten «guter Praxis» und mittelfristig auch eine Evaluation der Massnahmenpakete geplant. Die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz trägt die Entwicklung und Umsetzung der Strategie mit. Somit werden bei der Evaluation der NCD-Strategie auch Massnahmen der Stiftung Gesundheitsför-
derung Schweiz zur Umsetzung der NCD-Strategie evaluiert. 3. Im Rahmen der Genehmigung des Budgets, der Rechnung und des Rechenschaftsberichtes der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz sowie auf der Basis eines regelmässig durchgeführten Monitorings werden das EDI und die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz die Einzelheiten der Mittelverwendung in einer Zusammenarbeitsvereinbarung festhalten und jährlich neu beurteilen. Damit wird sichergestellt, dass die Gelder in den Folgejahren optimal eingesetzt werden. Das EDI wird den zuständigen Kommissionen der eidgenössischen Räte jährlich über die Verwendung der Mittel Bericht erstatten. Zudem ist eine Prozess- und in den Jahren 2022/2023 eine Ergebnisevaluation der Aktivitäten der
Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz geplant. 4. Die Feststellung betreffend die Entwicklung des Personalaufwands der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz trifft zu. Das EDI hat die Stiftung bei der Prüfung des Berichts 2014 bereits darauf aufmerksam gemacht, dass der erreichte Personalbestand grundsätzlich nicht überschritten werden soll. 5. Die aus der Beitragserhöhung resultierenden Mittel sollen primär für die Umsetzung konkreter Projekte eingesetzt werden. Dabei sind die Verfahren der Mittelvergabe von der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz möglichst einfach und transparent auszugestalten (z.B. Projektwettbewerbe). Zudem wird sie auch zukünftig die Ergebnisse der Wirkungsanalysen und Evaluationen öffentlich zugänglich machen.
ARS MEDICI 1+2 I 2017
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POLITFORUM
INTERPELLATION vom 17.6.2016
Pirmin Bischoff Ständerat CVP Kanton Solothurn
Tarmed. Wie weiter?
Die Interpellation von Pirmin Bischoff haben wir in ARS MEDICI 18/16 vorgestellt.
Die Antwort des Bundesrats vom 31. August 2016
1. Der Bundesrat bedauert, dass es den Tarifpartnern nicht gelungen ist, einen Tarifvertrag mit einer gesamtschweizerisch einheitlichen Tarifstruktur zu vereinbaren. Er hat immer betont, dass es Sache der Tarifpartner ist, den Tarmed grundlegend zu revidieren. Die im Gesetz festgehaltene Tarifautonomie hat in diesem Fall leider nicht funktioniert. 2. Die Verhandlungen zwischen den Tarifpartnern haben innert der von ihnen kommunizierten und vom Bundesrat zur Kenntnis genommenen Frist bis zum 30. Juni 2016 nicht zu einer gemeinsam vereinbarten Tarifstruktur geführt. Bevor der Bundesrat die Kompetenz zur Anpassung von Tarifstrukturen bzw. die Kompetenz zur Festlegung einer Einzelleistungstarifstruktur anwenden kann, muss nach Artikel 43 Absätze 5 und 5bis des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung die Nichteinigung der Parteien festgestellt werden. Daher wurde den Tarifpartnern vom Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) mit Schreiben vom 1. Juli eine Frist bis Ende Oktober 2016 eingeräumt, innert deren sie sich doch noch auf die Einreichung eines gemeinsam unterzeichneten Tarifvertrages mit einer genehmigungsfähigen Tarifstruktur einigen oder zumindest gemeinsam oder individuell Vorschläge zur Anpassung der in der aktuellen Tarifstruktur übertarifierten Bereiche einreichen können. 3./4./8. Für den Fall, dass die Tarifpartner bis Ende Oktober 2016 keinen gemeinsamen Antrag auf
Genehmigung einer gesamt- oder zumindest teilrevidierten Tarifstruktur einreichen, ist das Bundesamt für Gesundheit als zuständiges Fachamt beauftragt, Anpassungen an der bis anhin gültigen Tarifstruktur vorzubereiten und dem Bundesrat zur Verabschiedung vorzulegen. Im Vordergrund stehen dabei medizinische Leistungen, die zurzeit als übertarifiert erachtet werden. Die von den Tarifpartnern eingereichten Vorschläge werden dabei geprüft und so weit möglich und mit Datengrundlagen gestützt berücksichtigt. Der Zeitpunkt der Inkraftsetzung von bundesrätlich verordneten Anpassungen hängt massgeblich davon ab, ob und wann die Tarifpartner Vorschläge für Anpassungen an der bestehenden Tarifstruktur einreichen. Der Bundesrat ist gewillt, rasch zu handeln. 5. Bei den Anpassungen des Tarmed durch den Bundesrat wird es sich nicht um eine hoheitliche Gesamtrevision der Tarifstruktur handeln. Der Bundesrat verfügt nicht über die nötigen Datengrundlagen zur Ausarbeitung einer totalrevidierten Tarifstruktur, ebenso wenig verfügt er über eine gesetzliche Grundlage, um die Lieferung der Datengrundlagen ausserhalb eines Genehmigungsverfahrens einfordern zu können. Im Sinne des Vorrangs der Tarifautonomie sollte zudem eine komplett neue, noch nie angewandte Tarifstruktur nicht vom Bundesrat festgelegt werden müssen. Der Bundesrat wird insbesondere die Anpassung übertarifierter Leistungen sowie die
Möglichkeit, Positionen zusammenzufassen, prüfen. Die gesetzlichen Kompetenzen ermöglichen es dem Bundesrat jedoch nicht, im ambulanten Bereich Fallpauschalen festzusetzen. 6. Bei der Einführung des Tarmed wurden dem Bundesrat die Kostenmodelle und die Daten, welche der Berechnung der Taxpunkte zugrunde liegen, nicht transparent gemacht. Der Bundesrat wird sich daher auf Daten aus dem Tarifpool und dem Datenpool der Sasis AG und auf selbst oder aus externen Mandaten gewonnene Informationen sowie auf Informationen, die er von den Tarifpartnern erhält, stützen. 7. Unabhängig davon, wer die bestehende Tarifstruktur revidieren wird (Tarifpartner oder Bundesrat), besteht bei einer Einzelleistungstarifstruktur grundsätzlich die Gefahr der Mengenausweitung bei deren tatsächlicher Anwendung durch die Leistungserbringer. Bei Anpassungen sollen daher Mengenausweitungen weitestgehend verhindert werden. Mit Qualitätsverschlechterungen in der Leistungserbringung ist aufgrund der Anpassungen durch den Bundesrat nicht zu rechnen. 9. Die Ergebnisse des Monitorings der Anpassungen aus der Verordnung vom 20. Juni 2014 über die Anpassung von Tarifstrukturen in der Krankenversicherung zeigen bei den Grundversorgern den erhofften Trend. Sie rechneten im Jahr nach der Inkraftsetzung der verordneten Anpassungen (viertes Quartal 2014 bis drittes Quartal 2015) 11,5 Prozent mehr Taxpunkte ab als im Jahr zuvor und sind somit dank den Anpassungen bessergestellt. Bei den Spitälern zeigen die Anpassungen ebenfalls
Wirkung. In den gekürzten Bereichen ist das Taxpunktvolumen um 2,2 Prozent zurückgegangen. Deshalb ist das Wachstum des Taxpunktvolumens im Bereich Spital ambulant insgesamt nur noch klein, es beträgt 1,6 Prozent. Bei den Spezialisten in freier Praxis steigen das Taxpunktvolumen und somit die Kosten um 4,7 Prozent weiterhin deutlich an. 10. Die Systeme in Zusammenhang mit der Tarifierung von ärztlichen Leistungen sind von Land zu Land sehr unterschiedlich gestaltet. In der Schweiz gewährt die Gesetzgebung den Tarifpartnern eine im internationalen Vergleich stark ausgeprägte Tarifautonomie. In einigen europäischen Ländern gibt es Globalbudgets oder degressiv aufgebaute Tarife. Die kassenärztliche Vereinigung eines Bundeslandes in Deutschland beispielsweise erhält vom Krankenversicherer eine Gesamtvergütung (eine Art Budget), mit welcher sämtliche Leistungen der Regelversorgung abgedeckt sind und welche sie dann auf die einzelnen Ärzte verteilen muss. 11. Angesichts der Tarifautonomie sind die Tarifpartner in der Pflicht, Tarife und Preise in Tarifverträgen zu vereinbaren. Die Erfahrung zeigt, dass dies derzeit beim Tarmed nicht funktioniert. Dies wohl auch, weil es hier Gewinner und Verlierer geben wird. Können sich die Tarifpartner in absehbarer Zeit nicht auf eine ganzheitliche Revision des Tarmed einigen, müssen gesetzliche Anpassungen – beispielsweise die Festlegung eines institutionellen Rahmens für die Tarifpflege auch im ambulanten Bereich – in Betracht gezogen werden.
10 ARS MEDICI 1+2 I 2017