Transkript
BERICHT
Aktuelle Entwicklungen in der Hepatologie
State of the Art, offene Fragen und künftige therapeutische Optionen
Die erfolgreiche Therapie bei Hepatitis C gilt als einer der grössten Fortschritte in der Hepatologie, gleichzeitig stellen sich aber auch neue Fragen zur antiviralen Therapie. Angesichts alarmierend hoher Prävalenzraten der nicht alkoholischen Fettleber sind neue therapeutische Konzepte gefragt. Darf man auch auf eine ähnliche Erfolgsgeschichte wie bei der Hepatitis C hoffen? Eine Bestandsaufnahme und einen Ausblick auf künftige Entwicklungen wagte man an der United European Gastroenterology Week in Wien.
Reno Barth
Die Hepatitis C ist in den vergangenen Jahren zu einer heilbaren Erkrankung geworden. «Es gibt allerdings noch offene Fragen zum weiteren Monitoring der Patienten nach einer erfolgreichen Therapie, und natürlich haben wir ein gesellschaftliches Problem, was den
muss leider zugeben, dass das auch in England beim Genotyp 3 der Fall ist», sagte Agarwal. Nach wie vor werden neue Substanzen eingeführt, die auch in besonderen Patientenpopulationen ausgezeichnete Therapieergebnisse bringen. So wurde
«Ich war sehr erstaunt, dass in der Schweiz bei manchen Patienten nach wie vor Interferon zum Einsatz kommt.»
waren. Nach antiviraler Therapie mit komplettem Ansprechen hatten diese Patienten eine höhere Rezidivrate als Patienten ohne antivirale Therapie (2). Dies widerspreche allerdings den Erfahrungen aus bisher untersuchten Kohorten, die generell nach Therapie und komplettem Ansprechen auch in Hochrisikogruppen eine Reduktion des Karzinomrisikos, weniger Dekompensation und weniger Mortalität zeigen (3). Auch ergab eine Auswertung der Daten dreier grösserer Kohorten kein erhöhtes Rezidivrisiko hepatozellulärer Karzinome nach antiviraler Therapie (4). «Ich persönlich denke, dass jene Studie, die keine Risikoerhöhung fand, die methodisch beste mit den meisten Patienten ist. Aber selbstverständlich benötigen wir mehr Daten und müssen die Effekte der interferonfreien Therapien bei Patienten nach Resektion oder Ablation eines Leberkarzinoms im Auge behalten», so Agarwal.
Zugang zu den teuren Medikamenten angeht», sagte Dr. Kosh Agarwal vom Kings College Hospital in London. Auch stelle sich die Frage, inwieweit es gelingen kann, Patienten mit bereits weit geschädigter Leber so weit zu kurieren, dass sie von der Transplantationsliste genommen werden können.
Interferon ist «out»
Angesichts der zahlreichen verfügbaren antiviralen Substanzen wird Interferon nicht mehr empfohlen. «Mit den heute gebräuchlichen interferonfreien Kombinationen werden bei einer Therapiedauer von 8 Wochen Heilungsraten zwischen 92 und 99 Prozent erreicht. Ich war sehr erstaunt, auf diesem Kongress zu hören, dass in einem so wohlhabenden Land wie der Schweiz bei manchen Patienten nach wie vor Interferon zum Einsatz kommt, und ich
die Kombination von Grazoprevir und Elbasvir bei Patienten mit fortgeschrittener Nierenerkrankung untersucht. Auch hier wurden (je nach Analyse) Erfolgsraten zwischen 92 und 99 Prozent bei exzellenter Verträglichkeit erreicht (1). Neue Kombinationen versprechen ein anhaltendes virologisches Ansprechen zwischen 95 und 100 Prozent in allen untersuchten Patientengruppen.
Leberkarzinomrisiko nach erfolg-
reicher antiviraler Therapie?
Offene Fragen bleiben allerdings im Hinblick auf das weitere Risiko der Patienten, die ein anhaltendes virologisches Ansprechen erreichen. «Eine spanische Publikation hat uns vor Kurzem alle alarmiert», sagte Agarwal. Man untersuchte 98 Patienten mit HCV-Infektion, die bereits wegen eines hepatozellulären Karzinoms behandelt worden
Nicht alkoholische Fettleber:
Gewichtsreduktion hilft
Bei Weitem mehr offene Fragen gibt es rund um das Thema nicht alkoholische Fettleber (NAFDL). Eine aktuelle Leitlinie zu dieser in den Industriestaaten sehr häufigen Erkrankung wurde kürzlich von der Europäischen Lebergesellschaft EASL gemeinsam mit den europäischen Diabetes- und Adipositasgesellschaften (EASD und EASO) publiziert (5). Grund für die fachübergreifende Zusammenarbeit ist, dass die NAFLD immer im Zusammenhang mit anderen Erkrankungen und Risikofaktoren wie Adipositas, Diabetes Typ 2 oder kardiovaskulärer Erkrankung gesehen werden muss, wie Prof. Dr. Elizabetta Bugianesi von der Universität Turin betonte. Die Leitlinie empfiehlt, bei Patienten mit Risikofaktoren wie Typ-2-Diabetes
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BERICHT
PERSPEKTIVEN
PD Dr. med. Philip Bruggmann Chefarzt Innere Medizin, Arud-Zentren für Suchtmedizin, Zürich
Hepatologie 2017
Im vergangenen Jahr haben mich die zahlreichen Hepatitis-C-Patienten, die seit Jahren unter ihrer Krankheit leiden und in der Schweiz keinen Zugang zur Therapie erhalten, besonders betroffen gemacht. Fast noch wichtiger als die Weiterentwicklungen der bereits sehr wirksamen Hepatitis-C-Medikamente wäre für die meisten Betroffenen deshalb die Aufhebung der Rationierung durch das BAG, einhergehend mit relevanten Senkungen der exorbitant hohen Preise. Bis es so weit ist, gibt es für Patienten, die nicht in die Limitatio fallen, nur den Weg, Lizenzprodukte dieser neuen HepatitisC-Medikamente aus Indien zu importieren. Das ist ein legaler und gut funktionierender Weg, um zu einer Behandlung zu kommen (http://www.hepatitis-schweiz.ch/ de/medikamente-online-kaufen). In meinen Augen ist es aber ein Armutszeugnis für das schweizerische Gesundheitswesen, dass Einwohner unseres Landes, die zum Teil erheblich unter der Krankheit leiden, einen solchen Weg gehen müssen.
Schweizerische Hepatitis-Strategie Im vergangenen Jahr wartete ich als Leiter der Schweizerischen Hepatitis-Strategie gespannt auf die Situationsanalyse zu Hepatitis B und C in der Schweiz. Das BAG gab diese Studie als Entscheidungsbasis in Auftrag, ob und in welchem Ausmass es mit unserer zivilgesellschaftlich initiierten Strategie zusammenarbeiten will. Die Studie bringt klar zum Ausdruck, dass wir es bei der Hepatitis C mit einer für die öffentliche Gesundheit relevanten und schwerwiegenden Infektionskrankheit zu tun haben. Dieselbe Erkenntnis hat uns vor drei Jahren dazu bewogen, die
Schweizerische Hepatitis-Strategie zu initiieren, daher wurden die Erwartungen erfüllt.
Neuzulassungen und weitere neue Medikamente in der Pipeline Ebenfalls 2016 bekamen in der Schweiz zwei neue Hepatitis-C-Medikamente die Zulassung: zum einen die Fixkombination Elbasvir plus Grazoprevir (Zepatier®) als erste interferonfreie Kombination mit Zulassung für den Genotyp 4 und als Erweiterung der Medikamentenpalette gegen den häufigsten Genotyp 1, zum anderen die erste sogenannte pangenotypisch, das heisst gegen alle Genotypen wirkende Fixkombination Sofosbuvir plus Velpatasvir (Epclusa®), die bei der Behandlung der Genotypen 2 und 3 nochmals bessere Resultate zeigt. Für 2017 dürfen wir gespannt sein auf Studienresultate zu einigen weiteren pangenotypischen Kombinationspräparaten. Glecaprevir plus Pibrentasvir wird eine nächste Fixkombination mit sehr hoher Wirksamkeit gegen alle Genotypen sein. Darüber hinaus erwarten wir bei der oben erwähnten, von Swissmedic bereits zugelassenen Kombination von Sofosbuvir plus Velpatasvir die Kassenzulässigkeit. Zudem wird weiter an einer Hepatitis-CImpfung geforscht, so auch in der Schweiz im Kantonsspital St. Gallen. Dies wird ein wichtiges Element zur Eliminierung der Epidemie sein. Mit Interesse erwarte ich auch Resultate weiterer Studien zum Ausmass der extrahepatischen Manifestationen von Hepatitis C wie Diabetes, der kardiovaskulären sowie neurologischen Folgen sowie deren Auswirkung auf die öffentliche Gesundheit.
aktiv nach NAFLD zu suchen, da diese Patienten ein erhöhtes Progressionsrisiko haben. Die Chancen, fündig zu werden, sind hoch. In der europäischen Gesamtbevölkerung leiden rund 25 bis 30 Prozent unter NAFLD, 3 bis 10 Pro-
zent unter einer nicht alkoholischen Steatohepatitis (NASH) und 2 bis 3 Prozent bereits unter einer Zirrhose. In Hochrisikopopulationen sind die Zahlen noch deutlich höher (6). «Bis zu 80 Prozent der Typ-2-Diabetiker haben
NASH. Als Hepatologen sehen wir nur die schweren Fälle – die Spitze des Eisbergs», sagte Bugianesi. Bei Patienten mit Zeichen einer Steatose im Ultraschall entscheidet sich das weitere Vorgehen anhand der Leberwerte. Bei erhöhten Aminotransferasen soll an einen Spezialisten überwiesen werden. Auffälligkeiten bei Fibroseparametern sollten ebenfalls zu einer Überweisung führen. Die fachärztliche Abklärung umfasst Fibrosediagnostik und unter Umständen eine Abklärung auf NASH, die allerdings nach wie vor eine Biopsie erfordert. Leider sind die therapeutischen Optionen bis Heute sehr begrenzt. «Man muss die Patienten informieren, dass sie ein erhöhtes Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko im Zusammenhang mit ihrer Leber haben und zusätzlich die Risiken durch Übergewicht und Diabetes hinzukommen», so Bugianesi. Empfohlen wird eine Lebensstilmodifikation mit dem Ziel einer Gewichtsreduktion um 5 bis 10 Prozent. Diabetiker sollen mit Pioglitazon (30–45 mg/ Tag) behandelt werden. Hinzu kommt Vitamin E in einer Dosierung von 800 U/Tag. Es gibt keine von der EMA oder der FDA zugelassene Therapie und keine Langzeitdaten zu den empfohlenen Interventionen. Allerdings gibt es eine gute Nachricht: Gewichtsreduktion wirkt. Bei einem Gewichtsverlust von nur 3 bis 5 Prozent sind die Chancen gut, dass sich eine Steatose der Leber zurückbildet. Wer mehr als 7 Prozent abnimmt, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar die Ausheilung einer NASH erreichen (7). Eine medikamentöse Therapie sollen nur NASH-Patienten erhalten, wobei es hier keine zugelassenen Optionen gibt. Die Leitlinie empfiehlt Pioglitazon (off label) sowie Vitamin E. Erstmals wird in der aktuellen Guideline auch auf die Möglichkeit der bariatrischen Chirurgie zur Gewichtsreduktion hingewiesen.
Fibrose und Zirrhose:
neue diagnostische Verfahren
Für die Diagnose einer Leberfibrose beziehungsweise -zirrhose stehen prinzipiell zwei Strategien zur Verfügung: der Nachweis von Biomarkern im Blut oder der direkte Nachweis von Veränderungen in der Struktur des Organs.
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BERICHT
Unter den untersuchten Biomarkern gibt es sowohl allgemein einsetzbare als auch krankheitsspezifische für die verschiedenen Formen der infektiösen Hepatitis. Zu den Vorteilen der Biomarker zählt, dass sie leicht anwendbar sind und gut reproduzierbare Ergebnisse liefern. Sofern es sich nicht um patentierte Tests handelt, sind auch die Kosten niedrig. Allerdings sind diese Tests nicht spezifisch, und ihre Aussagekraft bei Zirrhose ist fraglich. Demgegenüber haben Verfahren wie der FibroScan® (transiente Elastografie) den Vorteil, dass sie direkt die Leber bewerten und somit hochspezifisch für das Organ sind. Bei der Elastografie wird die mechanische Eigenschaft des Gewebes mittels Ultraschall gemessen. Zirrhotisches Gewebe ist steifer und weniger elastisch als normales Lebergewebe. Das steife Gewebe ist mittels Elastografie gut zu erkennen, und diese Verfahren sind leicht anzuwenden. Nachteile sind Gerätekosten und Verfügbarkeit sowie falschnegative Ergebnisse im Fall einer Entzündung (8). Für den Einsatz dieser nicht invasiven
fahrung des Untersuchers (10). Auch eine Entzündung muss durch Kontrolle der Aminotransferasen ausgeschlossen werden; sie dürfen nicht über dem Fünffachen des Normalwerts liegen. Während Inflammation zu falschnegativen Ergebnissen führen kann, bewirken ein Gilbert-Syndrom, Sepsis oder Hämolyse falschpositive Resultate. Daher sollten laut Guidelines Ergebnisse nicht invasiver Tests auf Fibrose oder Zirrhose immer von Spezialisten für Lebererkrankungen interpretiert werden. In einer Studie mit 1007 Patienten mit unterschiedlichen Lebererkrankungen und 165 Fällen mit bioptisch diagnostizierter Zirrhose betrug die Sensitivität der Elastografie 74 Prozent und die Spezifität 96 Prozent; per FibroScan® korrekt klassifiziert wurden in dieser Studie 92 Prozent der Patienten (11). Allerdings müsse, so Castera, in der Praxis auch die Vortestwahrscheinlichkeit, also Klinik und Grundkrankheiten des Patienten, in Betracht gezogen werden. Mit «Acoustic Radiation Force Impulse (ARFI) Imaging» und Shear-
Wer mehr als 7 Prozent abnimmt, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar die Ausheilung einer NASH erreichen.
Verfahren gibt es mittlerweile eine Leitlinie (9). Sie sieht beispielsweise vor, dass bei HCV-positiven Patienten zwei nicht invasive Tests kombiniert und bei Diskordanz zunächst wiederholt werden sollen. Stimmen die Ergebnisse noch immer nicht überein, ist eine Biopsie indiziert. Dr. Laurent Castera vom Hôpital Beaujon in Clichy wies darauf hin, dass auch bei solchen Tests zahlreiche Störfaktoren die Ergebnisse beeinflussen können. Dazu gehören unter anderem Cholestase, Übergewicht, Nahrungsaufnahme oder schlicht mangelnde Er-
Wave™ Elastografie (SWE™) sind zwei neue Verfahren verfügbar, die sich auf regulären Ultraschallgeräten implementieren lassen und laut EASL-Leitlinie der transienten Elastografie ebenbürtig sind. Für den Einsatz all dieser Methoden im Screening auf hepatozelluläres Karzinom (HCC) besteht ausdrücklich keine Empfehlung in den Leitlinien. Zur Bewertung der Regression einer Zirrhose unter antiviraler Therapie sind nur wenig Daten verfügbar. Diese belegen eine zufriedenstellende Spezifität bei schlechter Sensitivität. Dementsprechend
betonen auch die Leitlinien, dass das
Screening auf HCC nicht beendet wer-
den darf, weil mit nicht invasiven Tests
eine günstige Entwicklung der Zirrhose
festgestellt wurde.
O
Reno Barth
Quelle: United European Gastroenterology Week 2016, Session: «What’s new in 2016», am 19. Oktober in Wien.
Literatur: 1. Roth D et al.: Grazoprevir plus elbasvir in treatment-
naive and treatment-experienced patients with hepatitis C virus genotype 1 infection and stage 4–5 chronic kidney disease (the C-SURFER study): a combination phase 3 study. Lancet 2015; 386: 1537–1545. 2. Reig M et al.: Unexpected high rate of early tumor recurrence in patients with HCV-related HCC undergoing interferon-free therapy. J Hepatol 2016; 65(4): 719–726. 3. Cheung MC et al.: Outcomes after successful directacting antiviral therapy for patients with chronic hepatitis C and decompensated cirrhosis. J Hepatol 2016; 65(4): 741–747. 4. ANRS collaborative study group on hepatocellular carcinoma (ANRS CO22 HEPATHER, CO12 CirVir and CO23 CUPILT cohorts): Lack of evidence of an effect of direct-acting antivirals on the recurrence of hepatocellular carcinoma: Data from three ANRS cohorts. J Hepatol 2016; 65(4): 734–740. 5. European Association for the Study of the Liver (EASL). European Association for the Study of Diabetes (EASD); European Association for the Study of Obesity (EASO): EASL-EASD-EASO Clinical Practice Guidelines for the management of non-alcoholic fatty liver disease. J Hepatol 2016; 64(6): 1388–1402. 6. Bhala N et al.: Epidemiology and natural history of patients with NAFLD. Curr Pharm Des 2013; 19(29): 5169–5176. 7. Vilar-Gomez E et al.: Weight loss through lifestyle modification significantly reduces features of nonalcoholic steatohepatitis. Gastroenterology 2015; 149(2): 367–378. 8. Castera L: Noninvasive methods to assess liver disease in patients with hepatitis B or C. Gastroenterology 2012; 142(6): 1293–1302. 9. European Association for Study of Liver, Associacion Latinoamericana para el Estudio del Higado: EASLALEH Clinical Practice Guidelines: Non-invasive tests for evaluation of liver disease severity and prognosis. J Hepatol 2015; 63(1): 237–264. 10. Poynard T et al.: Prospective analysis of discordant results between biochemical markers and biopsy in patients with chronic hepatitis C. Clin Chem 2004; 50(8): 1344–1355. 11. Ganne-Carrié N et al.: Accuracy of liver stiffness measurement for the diagnosis of cirrhosis in patients with chronic liver diseases. Hepatology 2006; 44(6): 1511–1517.
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