Transkript
FORTBILDUNG
Auf Darmkrebs screenen – egal wie
US-Empfehlung: Besser Screening nach Wunsch als gar keines
Mit ihren neuen Empfehlungen zum Darmkrebsscreening
geht die US Preventive Services Task Force neue Wege.
Künftig könnte das Ziel derartiger Empfehlungen weniger
die Suche nach der zuverlässigsten Screeningmethode
gemäss Sensitivität, Spezifität und Prognose sein als
vielmehr die Frage, wie man möglichst viele Personen
motivieren kann, sich überhaupt screenen zu lassen.
JAMA
In ihren aktualisierten Empfehlungen formuliert die US Preventive Services Task Force (USPSTF) ihre Vorgaben offener als früher. Früher hiess es klipp und klar: «Die USPSTF empfiehlt Darmkrebsscreening für Erwachsene im Alter von 50 bis 75 Jahren, und zwar mittels Test auf okkultes Blut im Stuhl, Sigmoidoskopie oder Kolonoskopie.» In den neuen Empfehlungen heisst es nun nur noch: «Die USPSTF empfiehlt Darmkrebsscreening für Erwachsene im Alter von 50 bis 75 Jahren.» Des Weiteren werden zwar sieben Verfahren näher erläutert, eine verbindliche Empfehlung im Stil von «tue dies und unterlasse jenes» wird jedoch nicht mehr gegeben. Vielmehr schreiben die Autoren, dass Darmkrebsscreening in dieser Altersgruppe zwar einen grossen präventiven Nutzen habe, über die Wahl zwischen den verschiedenen diagnostischen Optionen jedoch Arzt und Betroffener gemeinsam entscheiden sollten (1). Man verabschiedet sich damit von der Absicht, erstens eine möglichst exakte Methode zu empfehlen, um zweitens die Zielgruppe der 50- bis 75-Jährigen für die Anwendung dieser Methode gezielt zu motivieren. Das mag manchem als wissenschaftlich fragwürdig erscheinen, in einem begleitenden Kommentar wird die neue Strategie jedoch als Fortschritt begrüsst, der «eine neue Ära der
MERKSÄTZE
O In den neuen Guidelines der US Preventive Services Task Force (USPSTF) werden sieben Strategien zur Darmkrebsvorsorge empfohlen.
O Welche im individuellen Fall die beste ist, sollen Ärzte und Betroffene gemeinsam entscheiden.
Krebsscreening-Guidelines» einläuten könnte (2). Die Hoffnung: Wenn die Betroffenen das Verfahren selbst wählen dürfen, steigt vielleicht auch die Beteiligung am Darmkrebsscreening.
Um welche Methoden geht es?
In den neuen Empfehlungen der USPSTF geht es primär um folgende Methoden: O gFOBT: der altbekannte Guaiac-Stuhltest auf okkultes
Blut im Stuhl O FIT (fecal immunochemical testing): Immunchemischer
Test auf menschliches Hämoglobin im Stuhl, bei dem, anders als beim gFOBT, nicht auf die Ernährung geachtet werden muss; weniger anfällig für falschpositive Befunde als gFOBT. O FIT-DNA: Immunchemischer Test auf bestimmte DNAFragmente, die vom Tumor stammen. O Kolonoskopie O CT-Kolonografie O flexible Sigmoidoskopie O Sigmoidoskopie mit FIT
Die Empfehlungen beruhen unter anderem auf dem Resultat aufwendiger statistischer Modellrechnungen mit dem Ziel einer Nutzen-Schaden-Bilanz dieser Verfahren. Die Berechnungen erfolgten anhand einer hypothetischen Standardpopulation ungescreenter, symptomfreier Personen in den USA und unter der Voraussetzung einer 100-prozentigen (!) Adhärenz im weiteren Verlauf des Lebens (3). Mit dieser Betrachtungsweise liegt die Zahl der verhinderten Darmkrebstodesfälle für alle oben genannten Verfahren in der gleichen Grössenordnung, wobei bestimmte, je nach Methode unterschiedliche Screeningintervalle vorausgesetzt werden (s. Tabelle). So errechnete man beispielsweise, dass ein jährlich durchgeführter hoch sensitiver gFOBT schätzungsweise 22 Darmkrebstodesfälle verhüten würde, während es bei einer Kolonoskopie alle zehn Jahre 24 Fälle wären. Wohlgemerkt: Diese Zahlen beziehen sich auf die gesamte Lebenszeit einer hypothetischen Standardbevölkerung, die ab einem Alter von 50 Jahren mit dem Screening beginnt und sich strikt daran hält. Eine solche für Präventionsmediziner «beste aller Welten» gibt es in der Realität natürlich nicht. Die Berechnungen dienten den USPSTF-Autoren nur als Modell, um sich einen Überblick über den potenziellen Nutzen verschiedener Verfahren zu verschaffen, was sie offenbar letztlich zu der Konklusion führte, dass man keine bestimmte Methode favorisieren müsse.
1092 ARS MEDICI 23 I 2016
FORTBILDUNG
Tabelle:
Optionale Screeningverfahren gemäss US Preventive Services Task Force
Screeningverfahren gFOBT* FIT FIT-DNA CT-Kolonografie flexible Sigmoidoskopie flexible Sigmoidoskopie Kolonoskopie
Intervall jährlich jährlich jährlich alle 5 Jahre alle 5 Jahre alle 10 Jahre plus FIT jedes Jahr alle 10 Jahre
* In der im Text erwähnten Modellrechnung zum Nutzen der verschiedenen Methoden wurde nur der HSgFOBT genannt (high sensitivy gFOBT), ein Test auf okkultes Blut im Stuhl mit erhöhter Empfindlichkeit (z.B. Haemoccult SENSA), der von Laborfachleuten eher nicht für Screeningzwecke empfohlen wird; auf die Frage, ob die Empfehlung trotzdem auch für andere gFOBT gilt, wird in der Publikation nicht eingegangen.
Was gilt in der Schweiz?
Seit Juli 2013 übernimmt die obligatorische Krankenpflege-
versicherung bei Frauen und Männern zwischen 50 und
69 Jahren die Kosten für zwei Screeningverfahren, nämlich
den Nachweis von Blutspuren im Stuhl alle zwei Jahre sowie
eine Kolonoskopie alle zehn Jahre. Da es in der Schweiz kein
offizielles Screeningprogramm gibt, sind diese Untersuchun-
gen nicht von der Franchise befreit.
In einer Schweizer Studie, die in den Kantonen Glarus und
Uri durchgeführt wurde, zeigte sich ein deutlicher Nutzen der
Kolonoskopie (5). Der Verlauf bei 1912 gescreenten und
20 774 Kontrollpersonen wurde sechs Jahre lang hinsichtlich
der Darmkrebsinzidenz verfolgt. Diese war bei den gescreen-
ten Personen niedriger. Die Autoren dieser Studie folgern
aus ihren Daten, dass es zirka 150 Kolonoskopien braucht,
um einen Darmkrebstodesfall zu verhüten. Auch sei damit
zu rechnen, dass nach einem Kolonoskopiescreening von
1000 Männern statt 60 nur noch 19 und von 1000 Frauen
statt 37 nur noch 12 an einem Kolonkarzinom sterben
werden (6).
O
Renate Bonifer
Und der Bluttest?
Nicht näher geht man in den USPSTF-Empfehlungen auf Bluttests ein, die Tumor-DNA im Serum aufspüren. Dem seit 2009 in der Schweiz verfügbaren SEPT9-DNA-Test sind lediglich sechs Zeilen mit Bezug auf eine Studie gewidmet, in der eine Sensitivität von 48 Prozent festgestellt wurde (d.h., jeder zweite Tumor wurde entdeckt) sowie eine Spezifität von gut 90 Prozent (d.h. rund 10% falsch positive Befunde). In einem in der gleichen Ausgabe erschienenen Kommentar wird der Bluttest recht zurückhaltend bewertet (4). Da der Bluttest frühe Tumorstadien schlechter erkennt als späte und fortgeschrittene Adenome kaum zu entdecken vermag, sei sein Nutzen für ein Screening fraglich, argumentieren die Autoren des Kommentars. Auch befürchten sie, dass viele, die eigentlich bereit zu einer Kolonoskopie wären, doch zunächst den Bluttest wählen könnten, sodass wegen dessen geringer Sensitivität der Erfolg des Darmkrebsscreenings insgesamt vermindert werden könnte.
Literatur: 1. US Preventive Services Task Force: Screening for colorectal cancer. US Preventive
Preventive Services Task Force recommandation statement. JAMA 2016; 315(23): 2564–2575. 2. Ransohoff DF, Sox HC: Clinical practice guidelines for colorectal cancer screening. New recommandations and new challenges. JAMA 2016; 315(23): 2529–2531. 3. Knudsen AB et al.: Estimation of benefits, burden, and harms of colorectal cancer screening strategies. Modeling study for the US Preventive Services Task Force. JAMA 2016; 315(23): 2595–2609. 4. Parikh RB: Blood-based screening for colon cancer. A disruptive innovation or simply a disruption? JAMA 2016; 315(23): 2519–2520. 5. Manser CN et al.: Colonoscopy screening markedly reduces the occurrence of colon carcinomas and carcinoma-related death: a closed cohort study. Gastrointest Endosc 2012; 76(1): 110–117. 6. Marbet U, Gubler C: Aufruf zu transparenter Information bei Screening-Programmen. Replik. Schweiz Med Forum 2013;13(6):122–123.
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