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FORTBILDUNG
Hypothyreose: Levothyroxin bleibt Standardtherapie
Europäische und amerikanische Guidelines unterscheiden sich nur in Nuancen
Die aktuellen Leitlinien geben Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie bei manifester oder subklinischer Hypothyreose. Bei der biochemischen Diagnostik und der Feinabstimmung der Substitutionstherapie steht der Serumspiegel des thyreoideastimulierenden Hormons (TSH) im Zentrum. Die Schilddrüsenfachgremien empfehlen im Regelfall nur Levothyroxin zur Therapie und raten von Alternativen ab.
Clinical Endocrinology
Die American Thyroid Association (ATA) und die European Thyroid Association (ETA) haben Guidelines zu Diagnose und Management der Hypothyreose veröffentlicht. Ein Positionspapier der British Thyroid Association (BTA) fasst die Kernpunkte dieser Guidelines zusammen und gibt seinerseits auf Basis der verfügbaren Evidenz Empfehlungen ab (1). Diese Erklärung wird auch von der Association of Clinical Biochemistry (ACB), der British Thyroid Foundation (BTF), dem Royal College of Physicians (RCP) sowie der Society for Endocrinology (SFE) unterstützt.
Was, wenn Levothyroxin die Symptome nicht beseitigt? Die Guidelines von ATA und ETA sind sich einig, dass Levothyroxin (T4) bei Hypothyreose die Therapie der Wahl ist.
MERKSÄTZE
O Levothyroxin (T4) ist bei Hypothyreose die Therapie der Wahl.
O Die adäquate Wirkung der Levothyroxintherapie soll durch klinische wie auch biochemische Parameter beurteilt werden.
O Ein Teil der Patienten unter Levothyroxinbehandlung zeigt trotz normalisierter Serum-TSH-Spiegel persistierende Symptome; diese Symptome müssen berücksichtigt und alternative Ätiologien abgeklärt werden.
O Eine prospektive Kohortenstudie konnte nachweisen, dass die schilddrüsenbezogene und die allgemeine Lebensqualität sich unter Levothyroxintherapie rasch bessern, aber gewisse Defizite weiterbestehen.
Ziele der Behandlung sind die Wiederherstellung des körperlichen und psychischen Wohlbefindens sowie die Normalisierung des TSH-Spiegels. Die adäquate Wirkung der Levothyroxintherapie soll durch klinische wie auch biochemische Parameter beurteilt werden. Sowohl eine Über- als auch eine Unterbehandlung sind zu vermeiden, da sie beide schädliche Auswirkungen haben. Für die Überwachung der Serum-T3Spiegel als therapeutisches Ziel bei Hypothyreose gibt es nur ungenügende Evidenz. Ein Teil der Patienten unter Levothyroxinbehandlung zeigt trotz normalisierter Serum-TSH-Spiegel persistierende Symptome. Diese Symptome müssen berücksichtigt und alternative Ätiologien abgeklärt werden. Es gibt nur ungenügende Evidenz für eine Überlegenheit einer Kombinationstherapie mit T4 und T3 gegenüber der Levothyroxin-Monotherapie. Die ETA äussert sich zu diesem Punkt wie folgt: «Bei Patienten, deren Hypothyreose bei guter Compliance mit Levothyroxin behandelt ist, die aber trotz TSH-Werten im Referenzbereich über anhaltende Beschwerden klagen, kann eine T3/T4-Kombinationstherapie als ‹experimentelles Vorgehen› eingesetzt werden. Voraussetzungen sind jedoch eine gute Langzeitbetreuung und der Ausschluss von Autoimmunerkrankungen.» Die ATA lehnt die Kombinationsbehandlung ab, ausser im Rahmen formeller klinischer Studien oder von «n = 1»-Studien. Eine Schilddrüsenhormonbehandlung wird nicht empfohlen bei euthyreoten Individuen mit lediglich auf Hypothyreose verdächtigen Symptomen, bei Fettsucht, Depression oder Urtikaria. Vom Routineeinsatz von Schilddrüsenextrakten, T3-Monopräparaten, gemischten Thyroxin- sowie Jodpräparaten, Supplementen und funktionellen Nahrungsmitteln sowie frei erhältlichen Medikamenten wird ausdrücklich abgeraten. Die genetische Charakterisierung eines DeiodinaseGenpolymorphismus als Verlaufsparameter für eine Thyroxinbehandlung bei Hypothyreose wird nicht empfohlen. Schliesslich werden Ärzte an ihre ethische Pflicht erinnert, bei Hypothyreosepatienten potenziell schädliche Therapien zu meiden.
Subklinische Hypothyreosen
sind in der Allgemeinbevölkerung häufig
Das Statement der eingangs erwähnten Fachgremien greift einige weitere Punkte auf. So erhebt es die Forderung nach unvoreingenommener, evidenzbasierter Information hoher Qualität über die Hypothyreose für Patienten und die Öffentlichkeit. Sodann wird daran erinnert, dass die Diagnose einer primären Hypothyreose auf den Symptomen einer
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FORTBILDUNG
Tabelle:
Einige mögliche Ursachen für Symptome bei euthyreoten Patienten unter Levothyroxin
Endokrin/autoimmun: O Diabetes mellitus O Nebenniereninsuffizienz O Hypophysenunterfunktion O Zöliakie O perniziöse Anämie
Hämatologisch: O Anämie O multiples Myelom
Endorganschäden: O chronische Nieren-
erkrankung O chronische Lebererkrankung O kongestive Herzinsuffizienz
Ernährungsbedingt: O Vitamin-B12-Mangel O Folsäuremangel O Vitamin-D-Mangel O Eisenmangel
Metabolisch: O Adipositas O Hyperkalzämie O Elektrolytdysbalance
Medikamente: O Betablocker O Statine O Opiate
Lebensstil: O Stressereignisse O schlechtes Schlafmuster O arbeitsbedingte Erschöpfung O Alkoholexzesse
Andere: O obstruktive Schlafapnoe O virale und postvirale
Syndrome O chronisches Erschöpfungs-
syndrom O Kohlenmonoxidvergiftung O Depression und Angst O Polymyalgia rheumatica O Fibromyalgie
Schilddrüsenunterfunktion sowie biochemischer Evidenz, nämlich dem Vorliegen eines erhöhten TSH zusammen mit einem tiefen freien T4 (manifeste Hypothyreose) oder einem normalen freien T4 (subklinische Hypothyreose), beruht. Eine primäre Hypothyreose sollte bei Menschen mit normalem Serum-TSH und sonst intakter Hypophysenfunktion nicht diagnostiziert werden. Die Evidenz für einen engeren Serum-TSH-Normbereich erachtet die Erklärung als nicht überzeugend, zumal eine grosse Zahl gesunder Personen zusätzlich abgeklärt werden müsste. In der Allgemeinbevölkerung gibt es eine nennenswerte Zahl gesunder Menschen, die eine asymptomatische chronische Autoimmunthyreoiditis aufweisen, und ein gewichtiger Anteil zeigt auch eine subklinische Hypothyreose. Bei subklinischer Hypothyreose sind spontane Normalisierungen bekannt. Diese treten eher ein bei negativen Schilddrüsenantikörpern, TSH-Spiegeln < 10 mU/l sowie innert der ersten beiden Jahre nach Diagnose. Je höher der TSH-Wert bei einer chronischen Autoimmunthyreoiditis ist, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit eines Übergangs von einer subklinischen in eine manifeste Hypothyreose. Levothyroxinanpassung anhand der TSH-Werte im Verlauf Nach Beginn einer Therapie mit synthetischem Levothyroxin sollte das TSH alle 6 bis 8 Wochen gemessen und die Behandlung angepasst werden, bis ein stabiler Wert erreicht ist. Lebensqualität steigt während der ersten sechs Monate unter Levothyroxinbehandlung Eine prospektive Kohortenstudie aus Dänemark hat den Einfluss einer Therapie mit Levothyroxin auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität bei Hypothyreose untersucht (2). In Dänemark ist die chronische Autoimmunthyreoiditis Hashimoto für 85 Prozent aller manifesten Hypothyreosen verantwortlich. Die Standardtherapie erfolgt mit Levothyroxin unter Dosisanpassung bis zum Erreichen des TSH-Normbereichs. Es gibt allerdings Hinweise, dass Levothyroxin nicht in allen Geweben gleichzeitig einen euthyreoten Zustand erzielen kann, und in Querschnittsuntersuchungen wurden bei euthyreoten Patienten unter Levothyroxin Beeinträchtigungen des psychologischen Wohlbefindens und der kognitiven Funktion beobachtet. In dieser Studie wurden zur Erfassung der Lebensqualität ein validiertes schilddrüsenspezifisches Befragungsinstrument mit 85 Punkten (ThyPRO) und ein allgemeiner Fragebogen zur Lebensqualität (SF-36) eingesetzt. Die Patienten (90% Frauen) mit Autoimmunthyreoditis wurden an zwei Ambulatorien von dänischen Universitätsspitälern rekrutiert. 78 konsekutive Patienten wurden in die Studie aufgenommen und füllten die Fragebögen zur Lebensqualität vor sowie 6 Wochen und 6 Monate nach Beginn der Levothyroxintherapie aus. Vor Behandlungsbeginn waren die ThyroPRO-Skalen im Vergleich zu einem Sample der Allgemeinbevölkerung signifikant betroffen (p < 0,0001). Dasselbe galt für den SF-36-Fragebogen, mit Ausnahme von körperlichen Schmerzen. Müdigkeit (im ThyPRO) und Vitalität (im SF-36) waren die am meisten betroffenen Bereiche. Nach 6 Wochen Levothyroxintherapie waren 9 von 13 ThyPro-Skalen signifikant verbessert. Die ThyPROVerbesserungen waren nach 6 Monaten konsistent, ebenso in 5 von 8 SF-36-Skalen. Defizite bestanden aber auch bei einigen Untergruppen der ThyPRO- und SF-36-Skalen auch noch nach 6 Monaten Therapie. Allerdings erreichten bis zu diesem Zeitpunkt relativ viele Patienten nicht den TSH-Normbereich. «So scheinen suboptimale Levothyroxindosierungen und schlechte Patientencompliance die Regel zu sein und keineswegs nur in unserer Studie vorzukommen», kommentieren die Autoren. Man könne spekulieren, dass das Erreichen einer Euthyreose zu ausgeprägteren Verbesserungen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität geführt hätte. In Regressionsanalysen war aber keine Assoziation zwischen Schilddrüsenfunktion und Lebensqualität nachweisbar. Dies steht im Einklang mit der Beobachtung, dass eine TSH-Normalisierung mit Levothyroxin nicht immer vor weiter bestehenden Beschwerden schützt. 1026 ARS MEDICI 22 I 2016 FORTBILDUNG Präparate zur Substitutionsbehandlung bei Hypothyreose in der Schweiz Präparat Levothyroxin (T4): Eltroxin® Euthyrox® Tirosint® Dosierungen 50 µg, 100 µg 25 µg, 50 µg, 75 µg, 100 µg, 125 µg, 150 µg, 175 µg, 200 µg 13 µg, 25 µg, 50 µg, 75 µg, 88 µg, 100 µg, 112 µg, 125 µg, 137 µg, 150 µg, 175 µg, 200 µg Liothyronin (T3) plus Levothyroxin (T4): Novothyral® Liothyronin: 20 µg plus Levothyroxin 100 µg Danach kann das TSH alle 4 bis 6 Monate, später im Jahresrhythmus überwacht werden. Die Erklärung bestätigt auch die Tatsache, dass ein Teil der Patienten unter Levothyroxin mit der Therapie nicht zufrieden ist und über weiter bestehende Beschwerden klagt, obwohl der TSH-Wert im Normbereich ist. In diesen Situationen ist auf die Symptome einzugehen, und es muss auch nach anderen potenziell beeinflussbaren Ursachen (Tabelle) gesucht werden. In einzelnen Fällen kann es auch notwendig sein, die ursprüngliche Diagnose einer Hypothyreose zu hinterfragen. Die Patienten benötigen zudem Hilfe im Umgang mit Symptomen und bei Fragen des Lebensstils; zusätzlich können Dosisanpassungen notwendig werden. Für einzelne Patienten kann eine Feinabstimmung des TSHSpiegels innerhalb des Normbereichs indiziert sein. Eine absichtliche Serum-TSH-Unterdrückung mit hohen Dosen von Schilddrüsenhormon (TSH < 0,1 mU/l) sollte jedoch vermieden werden, da sie das Risiko von Nebenwirkungen wie Herzrhythmusstörungen inklusive Vorhofflimmern, Hirnschlag, Osteoporose oder Knochenfrakturen birgt. Als Ausnahme von dieser Regel gelten Patienten mit der Anamnese eines Schilddrüsenkarzinoms, bei denen eine absichtliche TSH-Unterdrückung wegen eines signifikanten Rückfallrisikos angezeigt ist. Für die grosse Mehrheit der Patienten spielt es keine Rolle, welches Levothyroxinpräparat sie einnehmen. Selten ver- tragen aber Patienten nur ein bestimmtes Präparat und ein anderes nicht. Das Statement erinnert auch an die während der Schwanger- schaft veränderten Referenzbereiche für TSH. So beträgt der Normbereich im ersten Trimenon 0,4–2,5 mU/l und im zwei- ten und dritten Trimenon 0,4–3,0 mU/l. Diese Normbereiche sollten wenn möglich schon präkonzeptionell mit adäquaten Levothyroxindosen erreicht werden, vor allem aber im ersten Trimenon. In der Schwangerschaft wird eine T3/T4-Kombi- nationstherapie nicht empfohlen. O Halid Bas Quellen: 1. Okosieme O et al.: Management of primary hypothyroidism: statement by the British Thyroid Association Executive Committee. Clinical Endocrinology 2016; 84: 799–808. 2. Winther KH et al.: Disease-specific as well as generic quality of life is widely impac- ted in autoimmune hypothyroidism and improves during the first six months of levothyroxine therapy. PLoS One 2016; 11(6): e0156925. Interessenlage: Die Autoren der referierten Originalpublikation haben keine Interessenkonflikte deklariert. 1028 ARS MEDICI 22 I 2016