Transkript
FORTBILDUNG
Höheres kardiovaskuläres Risiko bei Frauen mit Diabetes
Geschlechtsspezifische Unterschiede nicht vernachlässigen!
Kardiovaskuläre Erkrankungen sind die häufigste Todes-
ursache bei Frauen weltweit. Frauen mit Typ-2-Diabetes
mellitus haben ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-
Erkrankungen als Nichtdiabetikerinnen. Im Vergleich zu
Männern werden diabetische Frauen oftmals nur unzurei-
chend behandelt, obwohl bei ihnen die Komplikationsrate
für Nachfolgeerkrankungen höher ist.
E-Journal of Cardiology Practice
Die Framingham-Studie wies nach, dass Diabetes mellitus (DM) mit einem erhöhten Risiko für koronare Herzkrankheit (KHK) sowie für eine kardiale Mortalität einhergeht. Insbesondere zeigte sich: O Das relative Risiko für eine KHK, insbesondere für eine fa-
tale KHK, ist bei weiblichen Diabetikern höher als bei männlichen. O Mit Diabetes einhergehende Risikofaktoren sind hierbei von Bedeutung. O Eine Insulinbehandlung kann mit schlechten Herz-Kreislauf-Werten einhergehen.
Ein DM kann sich über Jahrzehnte entwickeln. Bei Frauen dauert das prädiabetische Stadium durchschnittlich mehr als 10 Jahre, während es bei Männern nur 8 Jahre anhält. Bei Frauen verschlechtern sich das metabolische und das vaskuläre Risikofaktorprofil in höherem Ausmass als bei Männern, bevor das diabetische Stadium erreicht ist. Die Nurses Health Study, eine 1976 begonnene Beobachtungsstudie mit
117 000 Krankenschwestern, ergab, dass das kardiovaskuläre Risikoprofil sich bei Frauen über einen Zeitraum von mindestens 15 Jahren vor Ausbruch eines DM verschlechtert. Entsprechend der Framingham-Studie ist das Risiko für einen akuten Myokardinfarkt (MI) bei Diabetikerinnen um 150 Prozent höher als bei Nichtdiabetikerinnen, aber bei diabetischen Männern nur um 50 Prozent höher als bei nicht diabetischen Männern. Mehrere Studien ergaben, dass Hyperglykämien im prädiabetischen Stadium für Frauen gefährlicher sind als für Männer. Seit 1984 ist die jährliche Herz-Kreislauf-Mortalität bei Frauen höher als bei Männern. Trotz Verbesserungen der Herz-Kreislauf-Mortalität in den letzten zwei Jahrzehnten ist die KHK bei Frauen zu wenig erforscht, und sie wird zu selten diagnostiziert und unzureichend behandelt. Eine aktuelle gepoolte Analyse von 64 Kohorten mit fast 900 000 Personen und 28 000 durch KHK bedingten Ereignissen zeigte, dass ein DM das Risiko für ein durch eine KHK hervorgerufenes Ereignis bei Frauen fast verdreifacht, während das Risiko bei Männern lediglich doppelt so hoch ist. Eine gepoolte Analyse von 750 000 Personen und mehr als 12 000 Schlaganfallereignissen ergab, dass Frauen mit DM ein um 27 Prozent höheres Risiko für einen Schlaganfall haben als Männer. Das gepoolte relative Risiko für einen Schlaganfall bei DM betrug 2,28 (95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,93–2,69) bei Frauen und 1,83 (95%-KI: 1,60–2,0) bei Männern. Viele Frauen verbringen ein Drittel ihres Lebens in einem östrogenfreien Zustand. Der abrupte Anstieg der Herz-Kreislauf-Mortalität bei postmenopausalen Frauen mit Diabetes wird auf das höhere Risiko von Herzerkrankungen bei Diabetikerinnen insbesondere in dieser Lebensphase zurückgeführt.
MERKSÄTZE
O Die geschlechtsabhängigen Unterschiede des Diabetes mellitus erfordern einen mehrdimensionalen Ansatz.
O Diagnostik und Behandlung müssen geschlechtsabhängig angepasst werden.
O Forscher sollten speziell Daten von Frauen auswerten; nur so kann festgelegt werden, wie sich Diagnose, Behandlung und Prognose von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Diabetikerinnen optimieren lassen.
Kardiovaskuläre Risikofaktoren
Studien zeigten, dass es in Abhängigkeit vom Geschlecht signifikante Unterschiede gibt, wie DM sich auf das Risiko einer kardiovaskulären Erkrankung (cardiovascular disease, CVD) auswirkt. Verhaltens- und biologische geschlechtsspezifische Unterschiede können das erhöhte Risiko für CVD bei Diabetikerinnen verstärken. Frauen vor der Menopause haben in der Regel ein geringeres Risiko für eine CVD als gleichaltrige Männer und Frauen nach der Menopause. Sobald eine Frau Diabetikerin wird, schwindet dieser Vorteil. Die endotheliale Funktion wird in höherem Ausmass bei Diabetikerinnen als bei Männern mit Typ-2-DM beeinträchtigt. Diabetikerinnen haben im Vergleich zu Diabetikern oftmals
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vermehrt Risikofaktoren, welche sich in Änderungen von Gerinnungsmarkern, Fibrinolyse, Lipiden und Blutdruck bemerkbar machen. Zudem ist die Versorgung bei Frauen oftmals schlechter als bei Männern. Bei Diabetikerinnen tritt häufiger eine abdominale Fettleibigkeit auf, die Inzidenz eines Bluthochdrucks ist erhöht, das Lipidprofil schlechter (geringe Mengen an HDL-[highdensity lipoprotein-]Cholesterin, geringe Menge LDL-[lowdensity lipoprotein-]Cholesterin und hohe Triglyzeridspiegel), und es bestehen häufiger eine endotheliale Dysfunktion und auch eine erhöhte Prävalenz von Hypoglykämien im Vergleich zu männlichen Diabetikern. Frauen haben spezifische Risikoprofile wie eine Hypoöstrogenämie und langwierige Stoffwechselentgleisungen, die eine Entzündungsreaktionen fördern können.
Rolle der Glukose Die bei DM auftretende Hyperglykämie ist Folge eines Insulinmangels oder einer Insulinresistenz. Klinische Studien haben gezeigt, dass eine schlechte glykämische Kontrolle die arterielle Gefässsteifigkeit und die Intima-Media-Dicke erhöht. Dies deutet darauf hin, dass DM direkt die Gefässwand schädigt. Das Risiko für eine Gefässwandschädigung ist 8,5-fach höher bei Diabetikerinnern mit schlechter Blutzuckerkontrolle, während bei Männern kein Zusammenhang gefunden wurde.
Endotheliale Dysfunktion Geschlechtsspezifische Unterschiede in der endothelialen Funktion können unterschiedliche Wirkungen auf einen DM ausüben. Der NO-(Stickstoffmonoxid-)abhängige vaskuläre Tonus und die endothelabhängige Vasodilatation werden verstärkt bei nicht diabetischen Frauen vor der Menopause im Vergleich zu Männern beobachtet. Im Gegensatz zu übergewichtigen Männern haben übergewichtige Frauen mit DM eine beeinträchtigte endothelabhängige Vasodilatation. Diabetes und Prädiabetes stellen bei Frauen ein höheres Risiko für eine endotheliale Dysfunktion dar als bei Männern. Eine Studie zeigte, dass Frauen mit Prädiabetes deutlich höhere Biomarkerkonzentrationen der endothelialen Dysfunktion (E-Selectin und lösliches intrazelluläres Adhäsionsmolekül) und der Fibrinolyse (Plasminogenaktivator-Inhibitor, Von-Willebrand-Faktor [VWF] und gewebespezifischer Plasminogenaktivator [t-PA]) hatten als Frauen ohne Prädiabetes, während die Männer mit und ohne Prädiabetes ähnliche Biomarkerkonzentrationen aufwiesen. Es wurde gezeigt, dass diese Biomarker zur Prognose einer KHK genutzt werden können.
Herzinsuffizienz Die häufigste Ursache der Herzinsuffizienz bei Männern und Frauen ist eine KHK. Allerdings ist die Progression der KHK zur Herzinsuffizienz bei Männern und Frauen unterschiedlich. Es gibt Risikofaktoren in der Postmenopause, und zwar DM, Vorhofflimmern, MI, Niereninsuffizienz, Hypertonie, Adipositas, Rauchen, Linksschenkelblock und linksventrikuläre Hypertrophie, wobei DM als stärkster Risikofaktor identifiziert wurde.
Klinische Symptomatik
Das klinische Bild einer CVD ist bei Frauen anders als bei Männern, was für die Früherkennung von Bedeutung ist. Atypische Schmerzen in der Brust treten häufiger bei Frauen und bei Personen mit Diabetes auf. Der plötzliche Tod infolge eines MI tritt bei Frauen häufiger auf als bei Männern. Schmerzen im Kiefer-, Hals- oder Schulterbereich mit Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit oder Atemnot sind zusätzlich zu den traditionellen substernalen Schmerzen in der Brust bei Frauen häufig.
Therapie
Auch geschlechtsabhängige Behandlungsunterschiede konn-
ten nachgewiesen werden. Studien ergaben, dass Männer mit
Diabetes oder CVD eher Acetylsalicylsäure, Statine oder An-
tihypertensiva erhalten als Frauen. Das oft höhere kardio-
vaskuläre Risiko, das bei Frauen mit Diabetes nachgewiesen
wurde, belegt die Notwendigkeit einer intensiveren Behand-
lung und eines optimierten Managements von kardiovasku-
lären Risikofaktoren bei diabetischen und prädiabetischen
Frauen.
O
Claudia Borchard-Tuch
Interessenlage: Die Autorin der referierten Originalpublikation gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Quelle: de Castro ML: Third in a series on diabetes and the heart. Diabetic heart disease in women: prevalence as compared to men? Implications for treatment? E-Journal of Cardiologic Practice, 06.10.2016, http://www.escardio.org/Journals/E-Journal-ofCardiology-Practice/Volume-14/third-in-a-series-on-diabetes-and-the-heart-diabeticheart-disease-in-women-pr
Linksventrikuläre Hypertrophie und Fettleibigkeit Das Ausmass des Einflusses eines DM auf die linksventrikuläre Herzstruktur ist geschlechtsabhängig. Es gibt Unterschiede in der linksventrikulären Masse und der Geometrie bei prädiabetischen und Typ-2-Diabetes-Patienten. Die Insulinresistenz stimuliert das Wachstum der linken Ventrikelmasse. In der Framingham-Studie zeigte sich, dass bei Frauen ein deutlich stärkerer Zusammenhang zwischen der linksventrikulären Masse besteht als bei Männern. Auch der Zusammenhang zwischen Fettleibigkeit und linksventrikulärer Geometrie ist bei Frauen ausgeprägter als bei Männern.
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