Transkript
FORTBILDUNG
Serie: E-Health – Digitalisierung im Gesundheitswesen
Telemedizinische Unterstützung für Krankenstation in Tansania
Internetärzte des USZ stehen afrikanischen Kollegen bei Problemfällen zur Seite
E-Health bietet weitreichende Möglichkeiten, wie das Beispiel des Africa Amini Health Center am Fusse des Mount Meru und Kilimandjaro zeigt. Die Ärzte vor Ort werden bei der Behandlung ihrer Patienten trotz der abgelegenen Lage telemedizinisch von Experten des Zürcher UniversitätsSpitals unterstützt.
Cornelia Wallner-Frisee
Mai 2010 … In einer entlegenen Gegend am Fusse des Mount Meru auf einer Hochebene im Norden Tansanias versammeln sich Hunderte von Menschen, um mit meiner Mutter DDr. Christine Wallner und mir eine kleine Krankenstation für Meru- und Maasai-Frauen und -Kinder zu eröffnen. «We need medical help, we have no place for our children to be born safely.» So traten sie an meine Mutter heran, die daraufhin die Organisation Africa Amini Alama ins Leben rief.
Von der Krankenstation zum Health Center
September 2016 … Wir leben mittlerweile über sechs Jahre als Ärztinnen hier vor Ort, und aus der kleinen Krankenstation wurde ein Health Center. Manch offizielle Stellen sprechen mittlerweile schon von einem Hospital. Mehr als 150 Patienten werden täglich behandelt, und neben dem laufenden Ambulanzbetrieb gibt es ein Labor, eine Röntgen- und Ultraschalleinheit, einen Zahnarzt, eine Mutter-Kind-Einheit mit Geburten, eine Gyn-Ambulanz und seit Kurzem auch eine Operationseinheit mit anschliessender Bettenstation. Viele Patienten suchen Rat, Hilfe und medizinische Versorgung bei chronischen und akuten Erkrankungen. Vor allem Frauen sind uns als benachteiligte Bevölkerungsschicht ein grosses Anliegen. So starteten wir in diesem Jahr ein spezielles Vorsorgeprogramm, um eine gynäkologische Vorsorgeuntersuchung mittels Essigsäuretest und wenn notwendig Pap-Abstrich zu ermöglichen. Ein Pilotprojekt hier im Norden Tansanias, welches die Inzidenz an Zervixkarzinomen reduzieren und viele Patientinnen vor dieser hier sehr häufigen Todesursache bewahren soll.
Im Health Center am Fusse des Kilimandscharo werden bis zu 35 000 Patienten im Jahr behandelt. Auch Gäste können untergebracht werden, um Urlaub hier zu machen oder sich ein wenig einzubringen ...
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Auf solch einer Begegnung basiert die telemedizinische Kooperation mit dem Universitätsspital Zürich; Cornelia Wallner-Frisee (li.) zusammen mit Christiane Brockes.
Die Mitarbeiter des Health Centers unterstützen bei Geburten ...
Doch auch unser naturheilkundliches Zentrum, welches Hand in Hand mit dem schulmedizinisch ausgerichteten Health Center arbeitet, hilft uns, Medikamente einzusparen, unterstützt bei chronischen Erkrankungen und eröffnet neue Behandlungswege. Diese werden von den Patienten vor Ort gut angenommen. Vitalfeldtherapie, Akupunkturtechniken, homöopathische Mittel sowie traditionelle afrikanische Pflanzenmedizin und psychotherapeutische Interventionen sollen sich ergänzen und einen ganzheitlichen Therapieansatz ermöglichen.
Eine Herausforderung? Nicht nur eine …
Täglich kommen wir mit Schicksalen in Kontakt, für die auch wir hier keine Lösung finden. Nicht immer ist es möglich, Menschen von ihrem Leid zu befreien. Doch allein sich ihrer anzunehmen, sie in ihren Anliegen ernst zu nehmen, zuzuhören und ihnen beratend zur Seite zu stehen, hilft ihnen, ihr Leid besser zu ertragen. So erhalten sie beispielsweise hier Auskünfte, die ihnen an vielen anderen Orten vorenthalten blieben.
Expertenwissen vor Ort dank Telemedizin
Ein wichtiger Beitrag kommt aus der Schweiz: Dank der Unterstützung der Klinischen Telemedizin am Universitätsspital Zürich können wir bei fraglichen Befunden fachgerechte Auskünfte des Internetärzteteams, die wir via Online-Anfragen erhalten haben, an unsere Patienten weitergeben. Dies betrifft medizinische Themen querbeet: ob bei den beiliegenden Blutuntersuchungsergebnissen von Patienten mit chronischer Leukämie eine Chemotherapie sinnvoll und kurativ erfolgreich eingesetzt werden kann, welche antihypertensive Therapie bei einem Patienten mit AV-Block und Schrittmacherindikation geeignet ist, was am ehesten bei einem Kollodiumbaby im Rahmen einer Ichthyose zu tun ist oder welche Behandlung bei einem jungen Patienten mit einer akuten Augenverletzung und bestehendem Katarakt indiziert ist. Die Internetärzte werden dabei von den Spezialisten aus den diversen Kliniken und Institutionen im Universitätsspital unterstützt. Da nicht genau bekannt ist, welche Optionen vor
... kümmern sich um kleine Patienten ...
... und um grosse: Ihre Behandlung war offensichtlich erfolgreich, sie kann wieder
gehen.
Ort umsetzbar sind, erhalten wir die gleichen Informationen, Überlegungen und Ratschläge wie Patienten mit gleichen Krankheitsbildern im Universitätsspital. Wenn notwendig und möglich, beinhalten die Antworten Kontaktadressen in Tansania, beispielsweise in Moshi, einem Ort, der nur eine Autostunde von Momella entfernt ist. Dort befindet sich eine dermatologische Klinik, die die Spezialisten im Hause kennen und empfehlen. Die Meinungen und Ratschläge aus Zürich sind den über 8000 km entfernten Ärzten in Tansania sehr hilfreich. «Pamoja», gemeinsam, mit vereinten Kräften können wir hier hilfesuchenden Patienten Auskunft nach «state of the art» geben – und lokale Ärzte lernen mit jedem Fall, wie wir in Europa behandeln würden. Wichtig war und ist, dass die tansanischen Ärzte den Ärztinnen und Ärzten in Zürich vertrauen und keine Scheu haben, Anfragen zu schicken. Durch den persönlichen Kontakt mit der Leiterin der Abteilung, PD Dr. med. Christiane Brockes, konnte diese Hemmschwelle eliminiert werden.
Wechselseitig voneinander lernen Es gibt diese Momente der Freude, wenn Patienten mit einem Strahlen in den Augen und einem Ausdruck des Glücks schmerzfrei von unserer Station entlassen werden können. Doch es gibt auch jene Fälle, wo wir offen und ehrlich die
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Africa Amini Health Center
Ein paar Zahlen verdeutlichen die Bedeutung des Health Centers für die Region: 7 Ärzte, ein Zahnarzt, 3 Laborassistenten, 1 Röntgenologe, und 11 Krankenschwestern betreuen rund 30 000 bis 35 000 Patienten pro Jahr. In insgesamt 8 Häusern finden sich Ambulanzen, eine Bettenstation mit 30 Betten, eine Mutter-Kind-Einheit, ein Zahnarzt, Labor, Röntgen, Ultraschall, eine Gyn-Einheit sowie das naturheilkundliche Zentrum. Die Patienten kommen nicht nur aus dem direkten Umkreis: Im näheren Einzugsgebiet (Ngare Nanuki Ward) leben 15 000 Einwohner, im weiteren Einzugsgebiet sind es 50 000 Menschen. Ihr Aufwand für den Weg ist dementsprechend, manche leben im Dorf, andere gehen 1 bis 2 Tage zu Fuss. Patienten aus Dar es Salam, Dodoma oder Tanger fahren 6 bis 7 Stunden mit dem Auto, um sich behandeln zu lassen. Mü
Bei Bedarf steht neu ein OP zur Verfügung. Der erste Eingriff wurde gerade erfolgreich durchgeführt.
Grenzen des Machbaren aufzeigen. Für mich immer wieder zutiefst berührend ist es, die dankbaren Augen selbst jener Patienten zu erleben: «Thank you, now we know what we have» – ein ehrliches ‹Danke› von einem Patienten, dem wir sagen mussten, dass sein Krebs wahrscheinlich unheilbar ist. Innerlich wusste er es schon, doch niemand hatte bisher gewagt, es ihm zu sagen. Und nun kann er in Ruhe die ihm noch bleibende Zeit mit seiner Familie verbringen, ohne von Spital zu Spital zu reisen um Antwort auf diese essenzielle Frage zu bekommen. Der Tod wird hier als Teil des Lebens mit grosser Demut hingenommen und viel weniger bekämpft als in westlichen Ländern. Es gibt noch einiges, was wir von den Menschen hier lernen dürfen.
Kollegen willkommen
Ob Healthcenter oder vielleicht sogar bald ein Hospital – auf jeden Fall schon jetzt ein Platz, an dem Ärzte aus Tansania und Europa Patienten mit Achtung begegnen und ihnen einen Schritt in Richtung Gesundung ermöglichen: Durch professionelle medizinische Beratung, gute Diagnostik, Medikamente sowie Naturheilkunde, aber vor allem durch ein aufrichtiges Sicheinlassen und einfühlsame Begegnung. Es ist ein Platz, an dem wir leben und neben den medizinischen Projekten auch Schulen, ein Waisenhaus und Frauengruppen betreuen. Ein Platz, der nur durch die Hilfe von vielen Spendern und freiwilligen Helfern in so kurzer Zeit wachsen und die jetzige Grösse annehmen konnte (siehe Kasten). Aber auch ein Platz, den jeder dank unserer Übernachtungsmöglichkeiten besuchen kann, um Urlaub zu machen oder sich selbst ein wenig einzubringen. Vom Wissen und Können folgender fachärztlicher Kollegen könnten wir derzeit besonders profitieren: Gynäkologen, Anästhesisten sowie chirurgisch tätige Fachärzte. Unsere Besucher finden hier nicht nur eine Krankenstation, sondern einen Kraftplatz mit vielen weiteren Projekten am Fusse des Mount Meru und Kilimandjaro.
Karibu sana, herzlich willkommen!
O
Kontakt: Dr. med. Cornelia Wallner-Frisee E-Mail: cornelia@africaaminialama.com Internet: www.africaaminilife.com
Auch medizinische Pflanzen aus eigenem Anbau kommen zum Einsatz.
Mehr Informationen online
Online finden Sie weiterführende Informationen zum Projekt unter: www.africaaminialama.com
Informationen zur Unterbringung gibt es unter: www.africaaminilife.com
Ab November 2016 wird Africa Amini Alama nicht nur in Österreich und Deutschland, sondern auch in der Schweiz einen eigenen Verein mit Spendenabsetzbarkeit zur Unterstützung der Projekte in Tansania betreuen. Kontakt unter der Mailadresse: schweiz@africaaminialama.com
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