Transkript
STUDIE REFERIERT
Statintherapie zur Prävention von Herzinfarkt und Schlaganfall
Neue Daten zu Wirksamkeit und Sicherheit
In einem Review ging aus randomisierten Studien hervor, dass Statine das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse deutlich senken. In seltenen Fällen wurden Myopathien, neue Diabeteserkrankungen und hämorrhagische Schlaganfälle beobachtet. Andere Aussagen zur Art und Häufigkeit statinbedingter Nebenwirkungen basieren auf Beobachtungs- oder Fallstudien. Nach Ansicht der Reviewautoren wird deren Aussagekraft bezüglich der Zuordnung unerwünschter Ereignisse oft überschätzt.
The Lancet
Der kardiovaskuläre Nutzen und die Risiken von Statinen werden seit langer Zeit kontrovers diskutiert. Deshalb werteten Rory Collins von der Universität Oxford (Grossbritannien) und seine Arbeitsgruppe randomisierte Studien und Beobachtungsstudien zur Wirksamkeit und Sicherheit von Statinen zur Prävention von Herzinfarkten und Schlaganfällen aus. Des Weiteren diskutierten die Wissenschaftler Stärken und Limitationen der unterschiedlichen Studientypen zur Beurteilung der Statineffekte. Die Ergebnisse wurden in einem Review zusammengefasst. Aus der umfangreichen Datenbasis randomisierter Studien geht hervor, dass Statine nach dem ersten Behandlungsjahr das Risiko für schwere vaskuläre Ereignisse wie Herzinfarkt, Schlaganfall, koronare Revaskularisierung und einen kardiovaskulär bedingten Tod bei jeder Senkung des LDL(«low density lipoprotein»-)Choleste-
MERKSÄTZE
O Statine senken das primäre und das sekundäre Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse.
O Als seltene schwere Nebenwirkungen wurden Myopathien, neue Diabeteserkrankungen und hämorrhagische Schlaganfälle beobachtet.
O Myopathien bilden sich nach Absetzen der Statine meist rasch wieder zurück.
rins um 1 mmol/l pro Jahr um etwa ein Viertel reduzieren. Der absolute Nutzen der Statintherapie steht mit dem individuellen Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und mit der Senkung des LDL-Cholesterins in Zusammenhang. Dazu erstellten die Autoren eine Beispielrechnung: Wenn bei 10 000 Personen das LDL-Cholesterin 5 Jahre lang mit einem gängigen Statinregime wie Atorvastatin (Sortis® und Generika; 40 mg/Tag) um 2 mmol/l gesenkt wird, können bei Patienten mit kardiovaskulärer Erkrankung 1000 schwere vaskuläre Ereignisse verhindert werden (Sekundärprävention). Bei Personen mit erhöhtem kardiovaskulären Risiko können 500 Ereignisse verhindert werden (Primärprävention). Aus den randomisierten Studien geht zudem hervor, dass das kardiovaskuläre Risiko unter Statinen mit jedem Behandlungsjahr weiter sinkt und der absolute Nutzen somit langfristig kumulativ zunimmt. Des Weiteren zeigte sich, dass die positive Wirkung über einen langen Zeitraum persistiert. Als einzige schwere unerwünschte Ereignisse wurden Myopathien (Muskelschmerzen in Verbindung mit einer starken Erhöhung der Kreatinkinasekonzentration im Blut), neu auftretender Diabetes mellitus und, vermutlich, hämorrhagische Schlaganfälle im Zusammenhang mit Statinen beobachtet. Unter der oben aufgeführten 5-jährigen Behandlung mit Atorvastatin (40 mg/ Tag) käme es bei den 10 000 Patienten zu 5 Myopathien (von denen 1 ohne Beendigung der Behandlung zur Rhabdo-
myolyse fortschreiten würde), zu 50 bis
100 neuen Diabeteserkrankungen und
zu 5 bis 10 hämorrhagischen Schlagan-
fällen. Collins und seine Arbeitsgruppe
weisen darauf hin, dass diese Neben-
wirkungen bei ihren Schätzungen des
absoluten Nutzens der Statine bereits
berücksichtigt wurden.
Aufgrund der umfangreichen Evidenz
aus randomisierten Studien ist nach
Ansicht der Forscher nicht zu erwarten,
dass in der Zukunft weitere schwerwie-
gende unerwünschte Ereignisse zutage
treten. Daher werde sich das Verhältnis
von Nutzen und Risiken langfristig
nicht bedeutsam verändern.
Andere Aussagen wie die Behauptung,
dass es unter Statinen auch zu weiteren
unerwünschten Wirkungen wie Leber-
erkrankungen, erektiler Dysfunktion
oder Neuropathien kommen könnte
oder dass bei bis zu einem Fünftel der
Patienten Nebenwirkungen auftreten,
beruhen auf Beobachtungs- oder Fall-
studien und können nach der Kenntnis
der Autoren durch die Evidenz aus
randomisierten Studien nicht bestätigt
werden. In diesem Zusammenhang
weisen die Wissenschaftler darauf hin,
dass die Limitation von Beobachtungs-
studien bezüglich der Zuordnung uner-
wünschter Ereignisse oft unterschätzt
wird.
Aufgrund der Ergebnisse ihres Reviews
halten es die Wissenschaftler für be-
denklich, dass übertriebene Behaup-
tungen bezüglich der Nebenwirkungs-
raten bei vielen Personen mit einem
erhöhten kardiovaskulären Risiko zu
einer unzureichenden Statinanwendung
führen. Abschliessend weisen sie da-
rauf hin, dass Myopathien und andere
Nebenwirkungen bei Absetzen der
Statine meist wieder abklingen, Herz-
infarkte oder Schlaganfälle, die bei un-
nötigem Absetzen eintreten, dagegen
mit schwerwiegenden Konsequenzen
verbunden sein können.
O
Petra Stölting
Quelle: Collins R et al.: Interpretation of the evidence for the efficacy and safety of statin therapy. Lancet 2016, published online September 8, http://dx.doi.org/10.1016/ S0140-6736(16)31357-5.
Interessenlage: 5 der 28 Autoren der referierten Studie erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen. Die anderen 23 sind an der Entwicklung von Statinregimen beteiligt oder haben Gelder von Pharmaunternehmen erhalten, die Statinpräparate herstellen.
984
ARS MEDICI 21 I 2016