Transkript
Hypertonie bei Diabetikern
Als Gefässschutz besser zu RAAS-Hemmern greifen
FORTBILDUNG
RAAS-Hemmer haben bei hypertensiven Diabetikern Vorteile gegenüber anderen Antihypertensiva in der Prävention von Gefässkomplikationen. In Metaanalysen kam man zum Schluss, dass RAAS-Hemmer anderen Antihypertensiva in dieser Hinsicht nicht generell überlegen seien. Genau betrachtet, sprechen die Daten jedoch bei Diabetikern mit KHK, Herzinsuffizienzrisiko und diabetischer Nephropathie tendenziell eher für RAAS-Hemmer in der Erstlinientherapie.
2014 zu dem Schluss kommen, dass RAAS-Hemmer in ihrer präventiven Potenz anderen Gruppen von Antihypertensiva nicht grundsätzlich überlegen sind (3). Zwei neuere Publikationen (4, 5) unterstützen den Trend der europäischen Leitlinien. Ein systematischer Review der Cochrane Database von 2015 (4) untersuchte die Vor- und Nachteile einer Erstlinientherapie mit RAAS-Hemmern im Vergleich mit anderen Antihypertensiva bei Hypertonikern generell. S. Bangalore et al. aus New York (5) veröffentlichten kürzlich einen systematischen Review mit Metaanalyse zum gleichen Thema, aber beschränkt auf Diabetiker mit Hypertonie.
Der Arzneimittelbrief
Hemmer des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAASHemmer), das heisst ACE-Hemmer und Angiotensin-II-Rezeptor-Blocker (Sartane), gelten seit Langem als Antihypertensiva der ersten Wahl bei hypertensiven Diabetikern, um kardiovaskuläre und renale Ereignisse zu vermindern. Die Evidenz für eine Überlegenheit der ACE-Hemmer gegenüber anderen Antihypertensiva war deutlicher als die der Angiotensin-II-Rezeptor-Blocker. Möglicherweise ist dies darin begründet, dass die ACE-Hemmer zeitlich früher zur Verfügung standen und dass in späteren randomisierten, kontrollierten Studien (RCT) die Patienten in den Vergleichsgruppen schon effektiver therapiert wurden als in den früheren RCT mit ACE-Hemmern (1). Die Therapierichtlinien der American Diabetes Association von 2015 empfehlen weiterhin RAAS-Hemmer als erstes zu wählendes Therapieprinzip bei hypertensiven Diabetikern (2), während die European Society of Cardiology und die European Society of Hypertension in ihren Leitlinien von
MERKSÄTZE
O RAAS-Hemmer sind bei Diabetikern mit koronarer Herzkrankheit, Risiko für Herzinsuffizienz und möglicherweise auch bei diabetischer Nephropathie tendenziell anderen Antihypertensiva in der Erstlinientherapie vorzuziehen.
O Die meisten hypertensiven Diabetiker bedürfen ohnehin einer Therapie mit mehreren Blutdrucksenkern.
Resultate aus Metaanalysen
Die Ergebnisse von (4) lassen sich folgendermassen zusammenfassen: Eine qualitativ mässige Evidenz spricht gegen bedeutende Unterschiede hinsichtlich der allgemeinen Letalität in Abhängigkeit von der Erstlinientherapie mit RAAS-Hemmern, Diuretika, Kalziumantagonisten oder Betablockern, wobei die Daten zu Betablockern spärlich sind. Thiaziddiuretika als Erstlinientherapie waren im Vergleich mit RAASHemmern mit weniger Herzinsuffizienz und weniger Schlaganfällen assoziiert. Verglichen mit Kalziumantagonisten als Erstlinientherapie waren RAAS-Hemmer mit weniger Herzinsuffizienz, aber mehr Schlaganfällen assoziiert. Kleine Unterschiede beim mittleren Blutdruck nach Erstlinientherapie mit den verschiedenen Therapieprinzipien sind vermutlich nicht die Ursache für die ermittelten Unterschiede in den Endpunkten. Alle Aussagen relativieren sich durch die Tatsache, dass die meisten Hypertoniker, meist schon früh nach Therapiebeginn, mit zwei bis drei verschiedenen Wirkprinzipien behandelt werden. Die Studie von Bangalore et al. (5) berücksichtigte 19 RCT mit 25 414 hypertensiven Diabetikern und einer Nachbeobachtung von 95 910 Patientenjahren. Die von uns mehrfach referierten ALLHAT-Studien (6, 7) mit über 9000 Patienten beeinflussen die Gewichtung der meisten Vergleiche besonders stark. Wie in der Cochrane-Analyse war auch bei Diabetikern die Gesamtletalität bei primär mit RAAS-Hemmern Behandelten nicht verschieden von der bei primär anders Behandelten (relatives Risiko [RR]: 0,99). Das Gleiche trifft auch auf die kardiovaskuläre Letalität (RR: 1,02) und auf Schlaganfälle (RR: 1,04) zu. Tendenziell, aber nicht signifikant günstiger, waren RAAS-Hemmer hinsichtlich Prävention von Herzinfarkten (RR: 0,87; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,64–1,18), Angina pectoris (RR: 0,80; KI: 0,58–1,11) und Herzinsuffizienz (RR: 0,90; KI: 0,76–1,07).
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FORTBILDUNG
Im direkten Vergleich der einzelnen Therapieprinzipien hinsichtlich Herzinsuffizienz waren RAAS-Hemmer den Kalziumantagonisten mit einem relativen Risiko von 0,78 (KI: 0,70–0,88) signifikant überlegen, während Diuretika als Komparator den RAAS-Hemmern mit einem relativen Risiko von 1,09 (KI: 0,96–1,24) nicht signifikant überlegen waren. RAAS-Hemmer waren Betablockern als Primärtherapie grenzwertig signifikant überlegen (RR: 0,92; KI: 0,84–1,00), bei den kleinen Vergleichszahlen aber mit geringer Evidenz. Hinsichtlich der bei Diabetikern besonders wichtigen renalen Endpunkte ist es enttäuschend, dass ausschliesslich das Eintreten in das Endstadium der Niereninsuffizienz (ERD: end stage renal disease) zum Vergleich herangezogen wurde. Ein Kommentator dieses Artikels im «BMJ» (1) weist kritisch darauf hin, dass die Verfasser der Metaanalyse die Autoren der einzelnen ausgewerteten Studien zu der wichtigen Messgrösse «Verdopplung der Serum-Kreatinin-Konzentration» hätten befragen und sie somit hätten auswerten können. RAAS-Hemmer verhinderten im Vergleich mit Kalziumantagonisten ein ERD fast signifikant effektiver (RR: 0,84; KI: 0,69–1,02), während Diuretika als Erstlinientherapie den RAAS-Hemmern fast signifikant überlegen waren (RR: 1,18; KI: 0,93–1,50). Bei den wiederum sehr kleinen Vergleichszahlen zwischen RAAS-Hemmern und Betablockern ergab sich für keine Seite ein erkennbarer Vorteil. Vergleiche zur Dynamik der Proteinurie wurden nicht durchgeführt. Die Autoren diskutieren dieses Thema jedoch ausführlich und kommen zum Schluss, dass die Verminderung der Proteinurie bei Diabetikern durch RAAS-Hemmer, die sich in plazebokontrollierten Studien gezeigt hat, vermutlich auf die Blutdrucksenkung durch RAAS-Hemmer zurückzuführen ist, während Vergleiche mit anderen Wirkstoffgruppen nicht schlüssig seien. Schliesslich wurde bei den verschiedenen Erstlinientherapien noch der wichtige Aspekt der Therapieabbrüche wegen Nebenwirkungen analysiert. Bei relativ geringen Vergleichszahlen waren RAAS-Hemmer den Kalziumantagonisten nicht signifikant (RR: 0,89; KI: 0,71–1,12), den Betablockern jedoch signifikant überlegen (RR: 0,77; KI: 0,65–0,92). Die Informationen zu Vergleichen mit Diuretika waren wegen geringer Zahlen unzureichend und somit nicht aussagekräftig. Aus unserer Sicht ist die Schlussfolgerung von Bangalore et al. (5), dass nämlich RAAS-Hemmer anderen Therapieprinzipien nicht überlegen sind, zu pauschal, denn es ergeben sich bei Patienten mit KHK und Risiko für Herzinsuffizienz sowie tendenziell hinsichtlich ERD für grosse Untergruppen von Diabetikern Vorteile beim primären Einsatz von RAASHemmern. Die relativ gute Verträglichkeit von Angiotensin-II-RezeptorBlockern ist ein Vorteil (vgl. [8]), während Kalziumantagonisten in der Erst- und Monotherapie wegen Entstehung von Ödemen oft früh zur Kombination mit einem Diuretikum zwingen. Betablocker sollten als Erstlinientherapie ohnehin auf junge Patienten mit hyperkinetischem Herzsyndrom und auf Patienten mit KHK beschränkt werden. Mit dem Kommentator R. Majumdar (1) stimmen wir überein, dass nach dieser Metaanalyse die bis anhin übliche antihypertensive Therapie bei Diabetikern nicht wesentlich geändert werden muss, zumal viele dieser Patienten ohne-
hin einer Kombinationstherapie mit verschiedenen Wirkprinzipien bedürfen, um einen systolischen Zielblutdruck von < 130 mmHg zu erreichen. Fazit Die Autoren einer Cochrane-Database-Analyse aus dem Jahr 2015 (4) kommen bei Beurteilung der antihypertensiven Therapie allgemein zu dem Schluss, dass Hemmer des Renin- Angiotensin-Systems als Erstlinientherapie anderen Antihyper- tensiva hinsichtlich Verhinderung harter klinischer Endpunkte nicht generell überlegen seien. Eine Metaanalyse zum glei- chen Thema – speziell von Vergleichsstudien bei hyperten- siven Diabetikern (5) – kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Aus unserer Sicht sind jedoch aufgrund dieser Ergebnisse RAAS-Hemmer bei Diabetikern mit koronarer Herzkrank- heit, Risiko für Herzinsuffizienz und möglicherweise auch mit diabetischer Nephropathie tendenziell anderen Anti- hypertensiva in der Erstlinientherapie vorzuziehen. Die meisten hypertensiven Diabetiker bedürfen ohnehin einer Therapie mit mehreren Blutdrucksenkern. Eine patienten- individuelle Entscheidung mit Berücksichtigung von Komor- biditäten empfiehlt auch R.C. Stanton in einer aktuellen und ausgewogenen Übersicht zu diesem Thema (9). O Literatur: 1. Majumdar SR: BMJ 2016; 352: i560. 2. Diabetes Care 2015; 38 (Suppl. 1): S4. 3. Weber MA et al.: J Hypertens 2014; 32: 3. 4. Xue H et al.: Cochrane Database Syst Rev 2015; 1: CD008170. doi:10.1002/14651858.CD008170.pub2. 5. Bangalore S et al.: BMJ 2016; 352: i438. 6. ALLHAT Officers and Coordinators: JAMA 2002; 288: 2981. Errata: JAMA 2004; 291: 2196. JAMA 2003; 289: 178. AMB 2003; 37: 12. 7. Barzilay JI et al.: (ALLHAT = Antihypertensive and Lipid-Lowering treatment to prevent Heart Attack Trial): Arch Intern Med 2006; 166: 2191. 8. Bangalore S et al.: Mayo Clin Proc 2016; 91: 51. 9. Stanton RC: Exp Clin Endocrinol Diabetes 2016; 124: 93. Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Arzneimittelbrief» Nr. 3, März 2016. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber D. von Herrath, W.-D. Ludwig und J. Schuler. Titel, Lead, Zwischentitel und Merksätze wurden von der Redaktion von ARS MEDICI eingefügt. 992 ARS MEDICI 21 I 2016