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FORTBILDUNG
ANCA-assoziierte Vaskulitiden
Zur Behandlung von mit antineutrophilen zytoplasmatischen Antikörpern (ANCA) assoziierten Vaskulitiden sind starke Immunsuppressiva erforderlich, die oft mit schweren Nebenwirkungen verbunden sind. Ein internationales Expertenteam der European League Against Rheumatism (EULAR), der European Renal Association (ERA) und der European Vasculitis Society (EUVAS) hat nun aktualisierte Empfehlungen zum Management dieser Erkrankungen herausgegeben.
Annals of the Rheumatic Diseases
Zu den ANCA-assoziierten Vaskulitiden (AAV) gehören die Granulomatose mit Polyangiitis (GPA, Wegener-Granulomatose), die mikroskopische Polyangiitis (MPA) und die eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA). Im Jahr 2009 veröffentlichte die EULAR bereits Empfehlungen zum Management der primären Vaskulitis kleiner und grosser Gefässe. Im Jahr 2015 wurden diese Empfehlungen von Experten der EULAR, der ERA und der EUVAS unter Fokussie-
MERKSÄTZE
O Eine positive Biopsie gilt als Goldstandard zum Nachweis einer AAV.
O Ein negativer ANCA-Test schliesst eine AAV nicht aus.
O Bei organ- oder lebensbedrohlicher Erkrankung erfolgt die Remissionsinduktion mit einem Glukokortikoid und Cyclophosphamid oder Rituximab (RTX).
O Bei nicht organ- oder lebensbedrohlicher AAV wird die Remissionsinduktion mit einem Glukokortikoid und Methotrexat (MTX) oder Mycophenolat-Mofetil (MMF) empfohlen.
O Nach Eintritt einer Remission sollte über mindestens 24 Monate eine Erhaltungstherapie durchgeführt werden.
O Zur Remissionserhaltung dient eine Kombination aus niedrig dosierten Glukokortikoiden und Azathioprin oder RTX oder MTX oder MMF.
rung auf die AAV überarbeitet. Ergänzend erstellten die Wissenschaftler einen Algorithmus zum Management dieser Erkrankungen (Abbildung). Als übergeordnetes Prinzip formulieren die Experten, dass alle therapeutischen Entscheidungen von den Patienten und den behandelnden Spezialisten gemeinsam getroffen werden sollten. Da es sich bei den ANCA-assoziierten Vaskulitiden um seltene Erkrankungen handelt, raten sie zu einer Versorgung in spezialisierten Zentren oder in enger Zusammenarbeit mit diesen Zentren. Im Rahmen der Erstdiagnose einer AAV und beim Verdacht auf ein Rezidiv sollten Biopsien angefertigt werden. Der histopathologische Nachweis einer Vaskulitis wie der PauciImmun-Glomerulonephritis oder einer nekrotisierenden Vaskulitis gilt als Goldstandard zum Nachweis einer AAV. Die Aussagekraft der Biopsie variiert jedoch mit dem betroffenen Organ. Bei einer GPA mit Beteiligung der Nieren kann die diagnostische Genauigkeit bis zu 91,5 Prozent betragen.
Remissionsinduktion und Rezidive
Bei neu aufgetretener organ- oder lebensbedrohlicher AAV wird zur Remissionsinduktion eine Kombination aus Glukokortikoiden und Cyclophosphamid (Endoxan®) oder Rituximab (RTX; MabThera®, Ristova®) empfohlen. Die Prednisolondosis (1 mg/kg/Tag; Maximaldosis 80 mg) sollte innerhalb von 3 Monaten schrittweise auf 7,5 bis 10 mg/Tag reduziert werden. In der Praxis wird diese Zieldosis jedoch häufig erst nach 5 Monaten erreicht. Bei der Anwendung von Cyclophosphamid ist zu berücksichtigen, dass die Metaboliten dieser Substanz kurzfristig eine hämorrhagische Zystitis und langfristig Urothelkarzinome verursachen können. Um die Konzentration der Abbauprodukte im Urin zu verdünnen, sollten die Patienten viel trinken oder intravenös Flüssigkeit erhalten. Statt einer kontinuierlichen Behandlung mit Cyclophosphamid wird häufig eine gepulste Therapie bevorzugt, da diese mit einer geringeren kumulativen Gesamtdosis verbunden ist. Bei gepulster Therapie oder kontinuierlicher oraler Cyclophosphamidbehandlung kann adjuvantes 2-MercaptoethansulfonatNatrium (Mesna) appliziert werden. Diese Substanz bindet an den toxischen Metaboliten Acrolein und überführt ihn in eine nicht toxische Form. Ausserdem verzögert Mesna den Abbau von 4-Hydroxymetaboliten und reduziert so die Anzahl toxischer Acroleinderivate noch weiter. Bei intravenöser Applikation von Cyclophosphamid sollte routinemässig eine antiemetische Behandlung erfolgen. Des Weiteren empfehlen die Experten für alle Patienten, die
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Nicht organbedrohende Erkrankung
Methotrexat oder Mycophenolat-Mofetil
plus Glukokortikoid
Neue Diagnose einer AAV
Organ- oder lebensbedrohende Erkrankung
Cyclophosphamid oder Rituximab plus Glukokortikoid
Rasch fortschreitendes Nierenversagen oder pulmonale Blutungen
Plasmatausch erwägen
Remission
Azathioprin oder Methotrexat oder Rituximab; weiteres Reduzieren der
Glukokortikoiddosis
Refraktäre Erkrankung O Experten hinzuziehen O Diagnose reevaluieren O Behandlung optimieren O andere Medikamente
erwägen
Rezidiv (siehe Text)
Nach zwei Jahren Azathioprin oder Methotrexat reduzieren;
Rituximab beenden
Abbildung: Algorithmus zum Management der ANCA-assoziierten Vaskulitiden (AAV; gestrichelte Linien weisen auf alternative oder ergänzende Massnahmen hin)
Cyclophosphamid erhalten, eine Prophylaxe gegen Infektionen mit Pneumocystis jirivecii mit Trimetoprim/Sulfamethoxazol (Bactrim® und Generika). Bei Unverträglichkeiten oder Kontraindikationen sind Pentamidin (Pentacarinat®; monatliche Inhalationen), Dapson (Dapson Fatol®) oder Atovaquon (Wellvone® und Generika) geeignete Alternativen. RTX hat sich in Studien als nicht unterlegen im Vergleich zu Cyclophosphamid erwiesen, wird jedoch bis anhin weniger häufig angewendet. Bei Patienten, die ihre Fortpflanzungsfähigkeit erhalten möchten, ist RTX vorzuziehen, denn Cyclophosphamid ist auch mit einer verminderten ovariellen Reserve, ovariellem Versagen und männlicher Infertilität verbunden. Bei nicht organbedrohender AAV empfehlen die Experten zur Remissionsinduktion eine Kombination aus Glukokortikoiden und Methotrexat (MTX) oder Mycophenolat-Mofetil (MMF, CellCept® und Generika). Sie weisen jedoch ausdrücklich darauf hin, dass MTX oder MMF bei einer Beteiligung des Gehirns, bei retroorbitaler Erkrankung, bei Involvierung des Herzens oder des Mesenteriums sowie bei
akut einsetzender Mononeuritis multiplex und pulmonalen Blutungen nicht zur Remissionsinduktion angewendet werden sollte. Bei MPA sollte MTX vermieden werden, da diese Form der AAV häufig die Nierenfunktion beeinträchtigt. Patienten mit organ- oder lebensbedrohlichen Rezidiven sollten – wie neu erkrankte Personen – zur Remissionsinduktion eine Kombination aus Glukokortikoiden und Cyclophosphamid oder RTX erhalten. Aufgrund der geringeren Toxizität sollte RTX bei diesen Patienten bevorzugt werden. Bei weniger schweren Rezidiven kann die Remission meist auch mit einer vorübergehenden Erhöhung der Glukokortikoiddosis wiederhergestellt werden. Allerdings kommt es dabei oft in relativ kurzer Zeit zu erneuten Rezidiven. Daher empfehlen die Experten eher eine Intensivierung oder eine Modifizierung des immunsuppressiven Erhaltungsregimes. Bei AAV-Patienten, deren Serumkreatininspiegel aufgrund einer rasch progredienten Glomerulonephritis auf ≥ 500 µmol/l angestiegen ist, kann ein Plasmaaustausch vorgenommen werden. Zur Behandlung schwerer pulmonaler Blutungen kann ebenfalls ein Plasmaaustausch erwogen werden.
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Remissionserhalt
Zur Aufrechterhaltung der Remission empfiehlt das Expertenteam eine Kombination aus niedrig dosierten Glukokortikoiden und Azathioprin (Imurek® und Generika) oder RTX oder MTX (z.B. Methotrexat Pfizer) oder MMF. Cyclophosphamid ist aufgrund der Toxizität eine weniger geeignete Alternative. Azathioprin ist sicherer als Cyclophosphamid, zur Verhinderung eines Rezidivs aber ebenso effektiv. Leflunomid (Arava® und Generika) ist bezüglich der Remissionserhaltung wirksamer als MTX, jedoch mit mehr Nebenwirkungen verbunden. Deshalb wird Leflunomid als SecondLine-Medikament bei Unverträglichkeit von Azathioprin, MTX, MMF oder RTX empfohlen. Nach Eintritt der Remission sollte über mindestens 24 Monate eine Erhaltungstherapie durchgeführt werden, denn eine frühzeitige Beendigung der Behandlung ist mit einem erhöhten Rezidivrisiko verbunden. Vor dem Absetzen des Immunsuppressivums sollte die Glukokortikoiddosis reduziert werden.
Therapierefraktäre Erkrankung
Für behandlungsrefraktäre Patienten empfehlen die Experten einen Wechsel von Cyclophosphamid zu RTX oder umgekehrt. Zudem raten sie zu einer erneuten Evaluierung der AAV-Primärdiagnose und zu einer Überprüfung, ob das Behandlungsregime hinsichtlich der Zieldosierungen optimiert wurde. Auch sollte geklärt werden, ob die Krankheitsaktivität auch auf eine Infektion, Komorbiditäten oder Malignitäten zurückgeführt werden könnte. Bei Patienten mit geringer Krankheitsaktivität, die keine Remission erreicht haben, kann manchmal mit adjuvantem intravenösem Immunglobulin (IVIG) eine Remission induziert werden. Zuvor müssen jedoch die Immunglobulinserumspiegel bestimmt werden, da Patienten mit selektivem IgA-Defizit eine anaphylaktische Reaktion erleiden könnten oder sich aus einer Hyperglobulinämie ein Hyperviskositätssyndrom entwickeln kann.
Monitoring und Betreuung
Im Rahmen therapeutischer Entscheidungen raten die Experten eher zu einer strukturierten klinischen Evaluierung als zu
einem ANCA-Test, denn ein negatives Ergebnis schliesst eine
AAV nicht zuverlässig aus. Dazu können verlässliche Instru-
mente wie der Birmingham-Vasculitis-Activity-Score (BVAS),
der Vaskulitis-Damage-Index, die BVAS/Wegener-Granulo-
matose (WG), der Disease-Extent-Index oder der Five-Factor-
Score herangezogen werden. Die klinische Evaluierung sollte
in regelmässigen Abständen vorgenommen werden, um die
Entwicklung weiterer Organbeteiligungen frühzeitig erfassen
zu können. Zudem empfehlen die Experten eine Urinanalyse
und ein vollständiges Blutbild sowie eine Kontrolle der Ent-
zündungsmarker, der Nieren- und der Leberfunktion. Bei
akuter Verminderung der weissen Zellen kann eine Redu-
zierung der Dosis oder ein Absetzen der Immunsuppressiva
erforderlich sein.
Bei Patienten, die in der Vergangenheit Cyclophosphamid er-
halten haben, sollten persistierende Hämaturien abgeklärt
werden, da sich Übergangszellkarzinome innerhalb von
Monaten nach Behandlungsbeginn entwickeln oder auch
viele Jahre nach Absetzen von Cyclophosphamid auftreten
können. Raucher sind besonders gefährdet. Bei ihnen kommt
es häufig bereits bei geringeren Dosierungen und frühzeitiger
als bei Nichtrauchern zu einer Krebserkrankung.
Da im Zusammenhang mit RTX und Cyclophosphamid
Hypoimmunglobulinämien beobachtet wurden, raten die
Experten vor jedem Behandlungszyklus und bei Patienten
mit rezidivierenden Infektionen zu einer Bestimmung der
Serumimmunglobulinwerte. Bei Hypoimmunglobulinämien
sollte ein Immunologe hinzugezogen werden.
Des Weiteren empfehlen die Experten, das kardiovaskuläre
Risiko der AAV-Patienten regelmässig zu evaluieren und die
Patienten über ihre Erkrankung, die Behandlungsoptionen
und die Prognose aufzuklären. In der Remissionsphase sollte
eine gezielte Evaluierung der AAV-assoziierten Komorbiditä-
ten vorgenommen werden.
O
Petra Stölting
Quelle: Yates M et al.: EULAR/ERA-EDTA recommendations for the management of ANCAassociated vasculitis. Ann Rheum Dis 2016, published online first: June 23, 10.1136/ annrheumdis-2016-209133.
Interessenkonflikte: 1 der 22 Autoren der referierten Studie hat Gelder von Roche/ Genentec erhalten.
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