Transkript
FORTBILDUNG
Von der Hoffnung bei einer Krebserkrankung
Eine besondere Ressource und wie man sie nutzen kann
Hoffnung gilt als eine besondere Ressource im Umgang mit einer Krebserkrankung. Deshalb ist es für Behandelnde wichtig, gemeinsam mit den Patienten Hoffnung zu generieren und diese realistisch einzuschätzen.
Corinne Urech
Hoffnung wird definiert als zuversichtliche innerliche Ausrichtung oder positive Erwartungshaltung, dass etwas Wünschenswertes in der Zukunft eintritt, ohne Gewissheit darüber zu haben. In der Psychologie wird Hoffnung mit einer Art Urvertrauen assoziiert. Sie ist von Geburt an vorhanden und wird durch Erfahrungen und die Umwelt beeinflussbar. Hoffnung ist zudem ein meist multidimensionales und höchst individuelles Geschehen, welches durch einen Prozess entsteht und einer fortwährenden Anpassung unterliegt. Dieser Prozess kann begleitet sein von der Angst und der Sorge, dass das Erwünschte nicht eintritt.
Krebs und Hoffnung Die Diagnose Krebs stürzt die meisten Betroffenen in eine existenzielle Krise und geht mit einer Vielzahl an Belastungen und Beeinträchtigungen einher. Hoffnung stellt im Umgang mit der Krebserkrankung (wie auch generell bei chronischen Erkrankungen) eine wichtige Ressource und effektive Copingstrategie dar (1). Sie bietet adaptive Möglichkeiten, wodurch die Krankheit besser akzeptiert werden kann und das Definieren von Zielen ermöglicht wird (2). Forscher konnten
MERKSÄTZE
O Hoffnung ist eine der wichtigsten Ressourcen im Umgang mit einer Krebserkrankung.
O Behandelnde sollen Hoffnung mit einer Kombination von Wahrhaftigkeit, Realismus und Hoffnungsspielraum wecken.
O Wenn eine Hoffnung schwindet, sollen neue, realistische Hoffnungen generiert werden.
O Hoffnung ist die Gewissheit, dass etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht.
auch zeigen, dass realistische Hoffnungen einen positiven Einfluss auf das emotionale Wohlbefinden haben und dass die Lebensqualität als besser empfunden wird (2, 3). Worauf gehofft wird, kann sich aber stark unterscheiden. Hoffnung auf Heilung scheint bei vielen Patienten nicht im Zentrum zu stehen. Vielmehr hoffen Patienten – unabhängig von kurativer oder palliativer Situation – auf den Erhalt der Lebensqualität, Schmerzkontrolle, Unabhängigkeit (z.B. keine künstliche Ernährung) und vor allem, dass der Familienzusammenhalt und wichtige Beziehungen bestehen oder vertieft werden können. Hoffnung ist erstaunlich stabil, auch wenn die Hoffnung auf Heilung schwindet (4).
Hoffnungsfördernde Strategien
Religiosität und Spiritualität sind starke Prädiktoren für eine effektives Coping bei einer Krebserkrankung (5). Daneben wird auch der Sinnfindung (individuelle Erklärungs- und Sinnmuster) in der Erkrankung eine bedeutende Verbindung zur Hoffnung zugeschrieben (6). Weitere hoffnungsfördernde Strategien für Patienten sind: Leben im Hier und Jetzt, Schritt für Schritt zu gehen, ein Gefühl der Kontrolle (über Situationen oder Symptome) zu haben, hilfreiche Gedanken zu denken, schöne Erinnerungen hervorzuholen, Beziehungen (Umfeld/Familie) zu aktivieren und zu fördern und hilfreiche Gespräche zu führen.
Wenn die Hoffnung schwindet
Wenn beispielsweise eine Behandlung nicht wie erwartet wirkt und die Hoffnung auf Heilung schwindet, bedeutet dies einen körperlichen und geistigen Ausnahmezustand. Im Körper entsteht eine Stressreaktionen, Gefühle wie Angst, Unsicherheit, Enttäuschung und belastende Gedanken («Wie geht es nun weiter?» etc.) entstehen. In einer solchen Situation kann es helfen, wenn sich Patienten folgende Fragen stellen: O Welche Hoffnung ist es, die schwindet? O Welche Hoffnung bleibt bestehen? O Gibt es etwas, worauf ich (noch) hoffen kann? O Welche Ängste und Sorgen stehen im Vordergrund? O Was ist anders als vorher, was ist gleich? O Was kann ich jetzt tun?
Es geht also darum, eine neue Hoffnung zu generieren. Dieser Aufbau einer neuen Hoffnung braucht Zeit. Der Inhalt der neuen Hoffnung ist wiederum hoch individuell und wird mit dem Verlauf der Erkrankung oftmals differenzierter und vielseitiger. Hinzu kommt oft das Bewusstsein, dass das Erhoffte möglicherweise nicht eintritt.
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FORTBILDUNG
Wie können wir unterstützen?
Es gilt, als Behandelnde Hoffnung zu wecken. Wichtig dabei ist aber, keine falschen Hoffnungen zu wecken, sondern die Patienten mit einer Kombination von Wahrhaftigkeit, Realismus und Hoffnungsspielraum zu unterstützen. Eine offene Aufklärung schliesst hoffnungsvolle Aufklärung nicht aus. Ehrliche Antworten können die Hoffnung aufrechterhalten und sie sogar fördern. So konnte eine australische Untersuchung zeigen (7), dass offene Gespräche mit realistischen Aussagen und der Möglichkeit, Fragen zu stellen, von den Patienten geschätzt wurden. Vor allem die Art und Weise, wie der Arzt das Gespräch führt (z.B. ruhig, klar, kompetent wirkend), wurde von den Patienten als äusserst wichtig angegeben.
Wenn Hoffnung auf Heilung nicht mehr möglich ist
Hoffnung ist nicht Optimismus, ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht. Wenn Hoffnung auf Heilung nicht mehr besteht, kann es wichtig sein, sich seinen eigenen inneren Werten zuzuwenden und sich durch folgende Fragen zu vergegenwärtigen, was dem aktuellen Leben Sinn gibt oder gab: O Was ist in meinem tiefsten Inneren wichtig für mich? O Was gab und gibt meinem Leben Sinn? O Was soll mein Lebensinhalt sein? O Welche Art Mensch möchte ich sein? O Worauf möchte ich meine Energie und meine Zeit richten?
O Was wäre anders, wenn ich noch länger leben dürfte? O Welche Träume möchte ich mir erfüllen?
Ganz nach dem Zitat von Viktor Frankl (1905–1997):
Wer um einen Sinn seines Lebens weiss, dem verhilft dieses
Bewusstsein mehr als alles andere dazu, äussere Schwierig-
keiten und innere Beschwerden zu überwinden.
O
Dr. phil. Corinne Urech
Universitätsspital Basel
Frauenklinik
Spitalstrasse 21,
3031 Basel
E-Mail: corinne.urech@usb.ch
Interessenkonflikte: keine
Literatur 1. McClement SE, Chochinov HM: Hope in advanced cancer patients. Eur J Cancer 2008;
44: 1169–1174. 2. Chi GCHL: The role of hope in patients with cancer. Oncol Nurs Forum 2007; 34(2):
415–424. 3. Lin HR, Bauer-Wu SM: Psycho-spiritual well-being in advanced cancer patients: an
integrative review. J Adv Nurs 2003; 44(1): 69–80. 4. Sanatani M et al.: Level and direction of hope in cancer patients: an exploratory
longitudinal study. Support Cancer Care 2008; 16: 493–499. 5. Jim HSL et al.: Religion, spirituality, and physical health in cancer patients: a meta-
analysis. Cancer 2015; 121(21): 3760–3768. 6. Chochinov HM et al.: Dignity therapy: a novel psychotherapeutic intervention for
patients near the end of life. J Clin Oncol 2005; 23: 5520–5525. 7. Hagerty RG et al.: Communicating with realism and hope: incurable cancer patients’
views on the disclosure of prognosis. J Clin Oncol 2005; 23(3): 1278–1288.
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