Transkript
Rosenbergstrasse
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Gehört beziehungsweise gelesen: «Wir brechen die Verfassung nicht, wir setzen sie nur schwach um.» Es meinte ein politisch interessierter Kollege: «Künftig breche ich auch keine Gesetze mehr, ich halte mich einfach nur schwach daran.»
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Menschen mit Jahrgang 1940 bis 1960 sind in einer Schweiz mit 4 bis 5 Millionen Einwohnern aufgewachsen, haben freie Strassen und nie einen Stau, haben Felder und Äcker statt Autobahnzubringer und Wohnblocks, haben leere Züge erlebt, konnten Haus und Wohnung verlassen, ohne die Tür abzuschliessen, und grillen, ohne dass ein Nachbar wegen Rauchbelästigung die Polizei rief – warum also sich wundern, dass diese Menschen gegen Masseneinwanderung sind? Einwand einer Bekannten: Wir hatten damals ebenfalls Staus, nur auf weniger Strassen, die Züge waren damals schon voll, und Grillen war gar noch nicht üblich, höchstens das Cervelatbräteln. Recht mag sie haben, die Bekannte, aber erstens: Gegen gefühlte Einengung helfen Fakten wenig. Und zweitens: Vor allem dann nicht, wenn die Verdoppelung der Einwohnerzahl und die Verdreifachung des Raumbedürfnisses jedes Einzelnen auch Fakten sind.
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Die Eltern eines deutschen Schülers klagten auf Neubeurteilung eines Aufsatzes, der so grottenschlecht war, dass der Schüler die Aufnahmeprüfung ins Gymnasium nicht bestand. Der Richter fand den Aufsatz des Schülers durchaus akzeptabel und deshalb falsch benotet. Nun muss die Schule den Aufsatz nochmals beurteilen (lassen). Die frivole Gisela, mehrere Jahre als Lehrerin tätig, findet das super und freut sich darauf, dass im Gegenzug Lehrer sicher bald auch die Urteile von Richtern zur Neubeurteilung zurückweisen dürfen. Denn so gut wie Richter bei Aufsätzen
kennen sich Lehrer bei Vermögensdelikten auch aus. So wie man Gisela kennt, hat sie vermutlich nicht mal unrecht.
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WGs – Wohngemeinschaften – waren «unsere» Erfindung. Die 68er-Generation hat sie erfunden (oder vielleicht auch nur wiederentdeckt). Heute zieht’s dieselben Leute, 50 Jahre älter, wieder in WGs: etwas despektierlich AltersWGs genannt. Klar, die sehen nicht mehr so spartanisch (urban: «basic») aus wie seinerzeit. Statt einer grossen Wohnung wird heute ein ganzes Mehrfamilienhaus bewohnt, und statt eines Zimmers belegen die WGler eine kleine Wohnung. Auch der Gemeinschaftsraum ist etwas grösser. Nur die «Püffer» scheinen immer noch die gleichen: Der eine trennt den Abfall fein säuberlich, der andere schmeisst Alu in den schwarzen Sack. Die eine liebt’s vegan, die andre altersnymphoman. Das gibt Stress wie ehedem. Allerdings, heute leistet man sich statt wöchentlicher rauchgeschwängerter Aussprachen einen Mediator. Der löst die Probleme zwar auch nicht, kann aber gut davon leben. Speziell wenn er am Ende weise verkündet: Die Leute sind halt verschieden. Das ist doch mal eine Erkenntnis. Oder wie ein ehemaliger WG-erprobter Freund meinte: Tempora mutantur ... – aber offenbar nicht in jeder Beziehung.
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Eine amerikanische Freundin: Das wirkliche Problem bei den kommenden Präsidentschaftswahlen ist, dass einer der beiden Kandidaten gewinnen wird.
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Ein bei einer Jobvermittlung tätiger Bekannter: Wenn Sie kreative Leute suchen, suchen Sie bei den Faulen und den Dilettanten. Die müssen kreativ sein, um zu (über)leben. Wenn Sie aber einen Fleissigen suchen, suchen Sie
nicht unter den Kreativen – die haben Fleiss nicht nötig.
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Die Olympischen Spiele von Rio sind vorbei, die Paralympics ebenfalls. Erfolgreich hat man gedopte russische Paralympioniken mit einer Sperre daran gehindert, mutmasslich ebenfalls gedopten nicht russischen Paralympioniken Medaillen wegzuschnappen. Doping – ist das wirklich böse? Haben wir nicht schon als Kinder gelernt, dass Doping Erfolg bringt? Dass «die Guten» ohne Doping gar nicht überleben können? Dass es vor allem wichtig ist, das bessere Doping zu haben als der Gegner? Das gallische Dorf von Asterix und Obelix wäre jedenfalls ohne Miraculix’ Doping-Kesselgebräu nie selbstständig geblieben. Popeye hätte ohne Spinat aus der Dopingbüchse dauernd auf die Schnauze gekriegt. Und auch Harry Potter schluckt die Doping-Elixiere reihenweise. Nein, Doping, das lernen wir von Kindesbeinen an, ist unverzichtbar. Vor allem für die Kleinen und Schwachen. Also weiter so: Haltet die Grossen, die Starken und Bösen von Spinat fern, aber lasst die Kleinen an die Muskelund Gripsschärfungs-Tranksame. Dann kommt’s schon gut.
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Wer nie mit Katzen zusammenlebte, wird den halb verträumten, halb neidischen Stossseufzer des Kollegen vom Lande nicht verstehen: «Ach, nur einmal morgens von der Katze reingelassen zu werden, zu fressen zu bekommen, gestreichelt zu werden und sich dann ins Bett zu legen, während sie zur Arbeit geht …»
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Und das meint Walti: Ein Tritt in den Hintern sagt mehr als tausend Worte.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 20 I 2016
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