Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Onkologie
Aluminium – ein unterschätztes Krebsrisiko?
Aluminium wird als natürlicher Bestandteil der Umwelt mit dem Trinkwasser und der Nahrung aufgenommen. Toxikologen wie die Pharmakologin Prof. Monika Schäfer-Korting, Freie Universität Berlin, warnen vor den potenziellen Gefahren einer zu hohen Aluminiumaufnahme in den Organismus. Es gelte als sicher, so SchäferKorting, dass Aluminium Osteomalazie und ZNS-Störungen verursachen könne (1). Kontrovers diskutiert wird eine schädigende Rolle des Metalls bei der Entstehung von Alzheimer-Demenz, Autismus und Krebs. Die EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) empfiehlt eine maximale Aluminiumaufnahme von 1 mg pro Kilogramm Körpergewicht pro Woche, was bei einem 70 kg schweren Erwachsenen 10 mg pro Tag entspricht. Aluminiumsalze werden aber nicht nur über die Nahrung, sondern auch über die Haut aufgenommen. Sie sind Bestandteil vieler Deodorants. Das deutsche Bundesamt für Risikobewertung (BfR) kam 2014 zu dem Schluss, dass bereits mit dem Gebrauch eines aluminiumhaltigen Deodorants der empfohlene Grenzwert überschritten wird. Bei langfristigem Gebrauch könne es darum zu einer Anreicherung des Metalls im Körper kommen. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der erhöhten Aluminiumaufnahme durch Antitranspiranzien und der Alzheimer-Demenz beziehungsweise Brustkrebs konnte jedoch bis anhin nicht klar bewiesen werden, da die entsprechenden Studien widersprüchliche Resultate lieferten (2).
Die Induktion von Brustkrebs durch aluminiumhaltige Deos halte sie trotzdem für möglich, so Schäfer-Korting (1). Für diesen Verdacht sprechen die kürzlich publizierten Resultate eines Tierversuchs, den das Forscherteam um Dr. Stefano J. Mandriota und Dr. André-Pascal Sappino, Fondation des Grangettes in Chêne-Bougerie, durchgeführt hat (3). Epitheliale Brustgewebszelllinien wurden ein halbes Jahr lang in vitro Aluminiumkonzentrationen ausgesetzt, wie sie auch bei langfristiger Anwendung eines aluminiumhaltigen Deodorants zu erwarten sind. Sie stellten fest, dass die Zellen mit der Zeit typische Anzeichen einer krebsähnlichen Veränderung aufwiesen. Die subkutane Injektion der behandelten Zellen führte bei verschiedenen Mausstämmen zu aggressiv wachsenden Tumoren. Die Forscher schliessen daraus, dass Aluminium in der Tat gesunde epitheliale Brustzellen in Richtung Krebs transformieren kann.
Allerdings seien zusätzliche Studien erfor-
derlich, um die Rolle von Aluminiumzellen
bei der Entstehung von Brustkrebs besser
zu verstehen, so Mandriota und Sappino.
Die Resultate sollten jedoch Gesundheits-
behörden schon heute veranlassen, den
Einsatz von Aluminium in Kosmetika zu
beschränken. Die Forscher geben zu
bedenken, dass die Geschichte der Alumi-
niumsalze an die Geschichte des Asbests
erinnere: Auch damals habe man lange
Zeit geglaubt, die Substanz sei harmlos,
weil sie in gängigen toxikologischen
Screeningtests nicht auffiel (4).
RBOO
1. Kongressbericht Dermawoche München 2016; online 5. August 2016 auf www.springermedizin.de
2. Aluminiumhaltige Antitranspirantien tragen zur Aufnahme von Aluminium bei. Stellungnahme Nr. 007/2014 des BfR vom 26. Februar 2014.
3. Mandriota SJ et al.: Aluminium chloride promotes tumorigenesis and metastasis in normal murine mammary gland epithelial cells. Int J Cancer 2016; online 19. August 2016.
4. Pressemitteilung Clinique de Grangettes, 20. September 2016.
Pädiatrie
Stammzellen durch die Nase
Die perinatale Schädigung der weissen Gehirnsubstanz (white matter injury; WMI) wegen Sauerstoffmangel ist insbesondere für Frühgeborene ein Risiko. Bei etwa einem Viertel der betroffenen Kinder treten in der Folge chronische motorische oder kognitive Probleme auf, bei manchen kommt es gar zu einer Zerebralparese. Stammzellen aus dem Nabelschnurblut gelten als neue therapeutische Hoffnung
bei WMI. Da es nicht möglich ist, diese einem Neugeborenen intrazerebral zu geben, sind neue, nicht invasive Strategien gefragt. Die intranasale Applikation der Stammzellen könnte eine Lösung sein. In einem Tierversuch konnte die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. med. Daniel Surbek und Dr. Andreina Schoeberlein, Frauenklinik Universitätsspital Basel, nachweisen, dass intranasal verabreichte Stammzellen
von selbst den Weg in das Gehirn finden und sich dort ansiedeln. Den Versuchstieren war zuvor eine hypoxisch-entzündliche Gehirnschädigung zugefügt worden. Nach der intranasalen Applikation der Stammzellen stiegen diverse neurotropische Faktoren – ein Indiz dafür, dass die Stammzellen zu einer Verbesserung der Hirnreifung beitragen könnten. Von einer Anwendung dieser Methode bei Menschen ist man allerdings noch weit entfernt. RBOO
Oppliger B et al.: Intranasal delivery of umbilical cord-derived mesenchymal stem cells preserves myelination in perinatal brain damage. Stem Cells Dev 2016; 25(16): 1234–1242.
894
ARS MEDICI 20 I 2016
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Neurologie
Liquorverlustsyndrom durch Bandscheibensporn Rückspiegel
Heftigste Kopfschmerzen im Stehen, aber nicht im Liegen sind ein typisches Symptom des Liquorverlustsyndroms, einer Erkrankung, die mit einer geschätzten Inzidenz von 5/100000 etwa so häufig ist wie ein Hirntumor.
zentrum Bern aufgenommen wurden, litten 15 unter anhaltenden Symptomen, die anderweitig nicht zu beseitigen waren. 14 von ihnen willigten in die aufwendige, kombinierte radiologisch-neurochirurgische Suche nach der Ursache ihrer Beschwerden ein.
Vor 10 Jahren
Nobelpreis für RNA-Forscher
Andrew Z. Fire and Craig C. Mello erhalten den Nobelpreis für ihre erst acht Jahre zuvor publizierte Entdeckung der sogenannten RNA-Interferenz. Sie hatten herausgefunden, dass Gene durch komplementäre RNA-Stränge abgeschaltet werden können. Physiologisch ist dies ein entwicklungsgeschichtlich alter Mechanismus, mit dem durch Blockade der Messenger-RNA (mRNA) die Proteinsynthese gestoppt wird. Experimentell zunutze macht man sich diesen Mechanismus heutzutage durch das gezielte Ausschalten bestimmter Genaktivitäten.
CT und schematische Darstellung eines verkalkten Mikrosporns, der die Dura wie ein scharfes Messer aufschneidet, sodass vor allem in aufrechter Körperhaltung Liquor austritt (Abbildung Neurochirurgie Inselspital).
Ursache des plötzlichen Liquorverlusts und der daraus folgenden Symptome ist ein Riss in der Dura des Rückmarks, sodass beim Aufrichten schlagartig Liquor entweichen kann. Die Symptome können von leichten Kopfschmerzen am Abend bis zu immobilisierenden Kopfschmerzen reichen, je nachdem wie gross das Leck in der Dura mater ist. Die Symptome treten plötzlich und ohne offensichtliche Ursache auf. Wenn klar ist, dass es sich tatsächlich um ein Liquorverlustsyndrom handelt (Nachweis mittels diverser bildgebender Verfahren), versucht man zunächst, eine Heilung der Verletzung mittels Bettruhe und Blutpatch-Behandlung zu erreichen. Schlägt dies fehl, erfolgt ein neurochirurgischer Eingriff. Bis anhin nahm man an, dass eine spontane spinale Liquorfistel Ursache des Syndroms sei, mit anderen Worten eine «Schwachstelle» in der Dura mater des Rückenmarks. Doch nun hat man am Universitären Neurozentrum Bern in einem aufwendigen Verfahren eine andere Ursache nachgewiesen: winzige verkalkte Bandscheibenfortsätze, welche die Dura durchbohren. Von 69 Liquorverlustsyndrompatienten, die von Februar 2013 bis Juli 2015 am Neuro-
Die Neurochirurgen fanden bei allen Patien-
ten Längsrisse in der Dura mater von 6,1 ±
1,7 mm Länge. Sie befanden sich bei zehn
Patienten ventral, bei drei Patienten lateral
und in einem Fall dorsal. Bei den zehn Pa-
tienten mit der ventralen Läsion war die
Ursache ein verkalkter Mikrosporn der
Bandscheibe, der die Dura mater wie ein
Messer durchtrennt hatte. Bei den drei Pa-
tienten mit der lateralen Verletzung war es
ein meningeales Divertikulum und bei dem
einen Patienten mit der dorsalen Duraläsion
ein Osteophyt.
Bei allen Patienten konnte das Loch in der
Dura mater unmittelbar nach der Diagnose,
während derselben Operation erfolgreich
geschlossen werden. Studienleiter Dr. med.
Jürgen Beck bezeichnet die Entdeckung als
Wende für die Patienten: «Die Erkrankung
ist oft einschneidend und stark belastend.
Nun konnten wir erstmals zeigen, wie die
Lecks im System entstehen, und im selben
Zug eine Lösung anbieten.»
RBOO
Beck J et al.: Diskogenic microspurs as a major cause of intractable spontaneous intracranial hypotension. Neurology 2016; online 26. August 2016 und Pressemitteilung des Inselspitals vom 20. September 2016.
Vor 50 Jahren
Geteilter Nobelpreis
Der Pathologe Francis Peyton Rous erhält einen halben Nobelpreis für seine Beobachtung, dass Viren Krebs auslösen können. Er hatte bereits 1911 in einem Tierversuch mit der aus einem Tumor extrahierten Flüssigkeit eines kranken Huhns bei gesunden Hühnern Tumoren erzeugt. Erst Jahre später konnte dieses Tumorvirus näher charakterisiert werden (Rous-Sarkom-Virus oder RSV). Die andere Hälfte geht an den Chirurgen Charles Brenton Huggins für seine Verdienste um die Entwicklung hormonaler Therapien bei Prostatakrebs.
Vor 100 Jahren
Kein Nobelpreis
Auch im dritten Kriegsjahr wird kein
Nobelpreis verliehen und das Preisgeld
für später aufgehoben.
RBO
ARS MEDICI 20 I 2016