Transkript
FORTBILDUNG
Diagnostik und Therapie bei Demenzen
Aktualisierte S3-Leitlinie
Kürzlich ist eine aktualisierte Fassung der Leitlinie «Demenzen» der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPN) erschienen, die evidenzbasierte Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie bei den verschiedenen Demenzformen anbietet.
DGN/DGPN
Die Leitlinie befürwortet einleitend eine frühzeitige syndromale und ätiologische Diagnostik für alle Betroffenen. Wenn diagnostische Massnahmen veranlasst werden, ist die Einwilligungsfähigkeit des Patienten zu prüfen und zu berücksichtigen.
MERKSÄTZE
O Die Leitlinie befürwortet eine frühzeitige Diagnostik für alle Betroffenen.
O Für die ärztliche Praxis sind die einfachen und zeitökonomischen Tests (z.B. Mini-Mental-Status-Test oder der Test zur Fruḧ erkennung von Demenzen mit Depressionsabgrenzung [TFDD], Uhrentest) geeignet, um das Vorhandensein und den ungefähren Schweregrad einer Demenz zu bestimmen.
O Bildgebende und Laboruntersuchungen sollen mit gezielter Fragestellung veranlasst werden.
O Bei der Behandlung mit Acetylcholinesterasehemmer soll die höchste verträgliche Dosis angestrebt werden.
O Eine Behandlung mit Ginkgo-biloba-Extrakt EGb® 761 kann bei leichter bis mittelgradiger Alzheimer-Demenz oder vaskulärer Demenz und nicht psychotischen Verhaltenssymptomen erwogen werden.
O Antipsychotika sind bei Patienten mit Demenz wahrscheinlich mit einem erhöhten Risiko für Mortalität und für zerebrovaskuläre Ereignisse assoziiert.
O Es gibt keine Evidenz für eine wirksame Pharmakotherapie zur Risikoreduktion des Übergangs von einer leichten kognitiven Störung zu einer Demenz.
In der Praxis mit einfachen Tests operieren
Für die ärztliche Praxis sind die einfachen und zeitökonomischen Tests, zum Beispiel der Mini-Mental-Status-Test (MMST) oder der Test zur Fruḧ erkennung von Demenzen mit Depressionsabgrenzung (TFDD) und der Uhrentest, geeignet, um das Vorhandensein und den ungefähren Schweregrad einer Demenz zu bestimmen. Der Uhrentest kann in Kombination mit den anderen genannten Kurztestverfahren die diagnostische Aussagekraft erhöhen, ist jedoch als alleiniger kognitiver Test nicht geeignet, so die Leitlinie. Ausführliche neuropsychologische Tests sollten bei fraglicher oder leichtgradiger Demenz zur differenzialdiagnostischen Abklärung eingesetzt werden (Empfehlungsgrad B). Demenzassoziierte psychische und Verhaltenssymptome, Beeinträchtigungen in der Alltagsbewältigung sowie die Belastung der pflegenden Bezugspersonen sollten – mittels validierter Skalen – ebenfalls dokumentiert werden (Empfehlungsgrad B).
Gezielter Einsatz von diagnostischen Untersuchungen
Eine isolierte Bestimmung des Apolipoprotein-E-Genotyps als genetischer Risikofaktor wird aufgrund mangelnder diagnostischer Trennschärfe und prädiktiver Wertigkeit im Rahmen der Diagnostik nicht empfohlen (Empfehlungsgrad A). Die kombinierte Bestimmung der Parameter -Amyloid-1-42 und Gesamt-Tau beziehungsweise -Amyloid-1-42 und Phospho-Tau ist der Messung nur eines einzelnen Parameters überlegen und wird empfohlen (Empfehlungsgrad B, Evidenzebene II). Bei bestehendem Demenzsyndrom soll eine konventionelle Computertomografie (CT) oder eine Magnetresonanztomografie (MRT) zur Differenzialdiagnostik durchgeführt werden (Empfehlungsgrad A). Die Spezifität der strukturellen MRT ist zu gering, um allein darauf die Differenzierung der Alzheimer-Demenz oder der frontotemporalen Demenz von anderen neurodegenerativen Demenzen zu stützen. Für die Feststellung einer vaskulären Demenz sollten neben der Bildgebung auch Anamnese, klinischer Befund und neuropsychologisches Profil herangezogen werden (Empfehlungsgrad B). Bei atypischen klinischen Verläufen kann eine Verlaufs-MRT erwogen werden (Empfehlungsgrad 0, Evidenzebene IV). Weitere apparative Untersuchungen (FDG-PET [Fluordeoxyglukose-Positronenemissionstomografie], HMPAO-SPECT [Hexamethylpropylenaminoxim-Einzelphotonen-Emissions-CT]) können bei Unsicherheit in der Differenzialdiagnostik helfen (Empfehlungsgrad A). Das Elektroenzephalogramm (EEG) ist zur Differenzialdiagnose von neurodegenerativen Demenzerkrankungen von
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Empfehlungsgrade und mindestens verfügbare Evidenz
A «Soll»-Empfehlung: Zumindest eine randomisierte, kontrollierte Studie von insgesamt guter Qualität und Konsistenz, die sich direkt auf die jeweilige Empfehlung bezieht und nicht extrapoliert wurde (Evidenzebenen Ia und Ib).
B «Sollte»-Empfehlung: Gut durchgeführte klinische Studien, aber keine randomisierten, klinischen Studien, mit direktem Bezug zur Empfehlung (Evidenzebenen II oder III) oder Extrapolation von Evidenzebene I, falls der Bezug zur spezifischen Fragestellung fehlt.
0 «Kann»-Empfehlung: Berichte von Expertenkreisen oder Expertenmeinung und/oder klinische Erfahrung anerkannter Autoritäten (Evidenzkategorie IV) oder Extrapolation der Evidenzebenen IIa, IIb oder III. Diese Einstufung zeigt, dass direkt anwendbare klinische Studien von guter Qualität nicht vorhanden oder nicht verfügbar waren.
GCP «Good Clinical Practice»: Empfohlen als gute klinische Praxis im Konsens und aufgrund der klinischen Erfahrung der Mitglieder der Leitliniengruppe als ein Standard in der Behandlung, bei dem keine experimentelle wissenschaftliche Evidenz vorliegt.
Es gibt Hinweise für eine Wirksamkeit von Donepezil bei Alzheimer-Demenz im schweren Krankheitsstadium auf die Kognition, die Alltagsfunktionen und den klinischen Gesamteindruck und für Galantamin auf die Kognition. Die Weiterbehandlung von vorbehandelten Patienten oder die erstmalige Behandlung von Patienten im schweren Stadium kann empfohlen werden (Empfehlungsgrad B, Evidenzebene Ib). Memantin wirkt auf die Kognition, die Alltagsfunktion und den klinischen Gesamteindruck bei Patienten mit moderater bis schwerer Alzheimer-Demenz und sollte eingesetzt werden (Empfehlungsgrad B, Evidenzebene Ia). Bei leichtgradiger Alzheimer-Demenz soll Memantin hingegen nicht eingesetzt werden (Empfehlungsgrad A, Evidenzebene Ib). Für eine «Add-on»-Behandlung mit Memantin zu einem Acetylcholinesterasehemmer bei Alzheimer-Demenz im leichten bis oberen mittelschweren Bereich (MMST: 15–22 Punkte) wurde keine Überlegenheit gegenüber der Monotherapie mit einem Acetylcholinesterasehemmer gezeigt; sie wird daher nicht empfohlen (Empfehlungsgrad B, Evidenzebene Ib). Bei mittelschwerer Alzheimer-Demenz (MMST: 10–14 Punkte) liegt für eine «Add-on»-Therapie mit Memantin keine überzeugende Evidenz vor, weshalb die Leitlinie keine Empfehlung abgibt (Empfehlungsgrad B, Evidenzebene Ib). Es gibt Hinweise für die Wirksamkeit von Ginkgo-biloba-Extrakt EGb® 761 auf die Kognition bei leichter bis mittelgradiger Alzheimer-Demenz oder vaskulärer Demenz und nicht psychotischen Verhaltenssymptomen; eine Behandlung kann erwogen werden (Empfehlungsgrad 0, Evidenzebene Ia).
geringem Wert, weshalb ein regelhafter Einsatz nicht empfohlen wird (Empfehlungsgrad B). Eine schematische Darstellung des diagnostischen Prozesses zeigt die Abbildung.
Acetylcholinesterasehemmer als Grundpfeiler
der pharmakologischen Therapie
Die Leitlinie differenziert zwischen pharmakologischen und anderen Therapien und hält fest: «Acetylcholinesterasehemmer sind wirksam in Hinsicht auf die Fähigkeit zur Verrichtung von Alltagsaktivitäten, auf die Besserung kognitiver Funktionen und auf den ärztlichen Gesamteindruck bei der leichten bis mittelschweren Alzheimer-Demenz, und eine Behandlung wird empfohlen» (Empfehlungsgrad 0). Es soll die höchste verträgliche Dosis angestrebt werden (Empfehlungsgrad A, Evidenzebene Ia). Die Auswahl eines Acetylcholinesterasehemmers sollte sich primär am Neben- und am Wechselwirkungsprofil orientieren, da keine ausreichenden Hinweise für klinisch relevante Unterschiede in der Wirksamkeit der verfügbaren Substanzen vorlägen, schreiben die Autoren (Empfehlungsgrad B). Acetylcholinesterasehemmer können bei guter Verträglichkeit im leichten bis mittleren Stadium fortlaufend gegeben werden (Empfehlungsgrad B). Auch bei Langzeitbehandlung und klinischer Progredienz ist ein Absetzen von Acetylcholinesterasehemmern mit einem Risiko für klinische Verschlechterung bei der Alzheimer-Demenz assoziiert. Ein Absetzversuch kann nur vorgenommen werden, wenn Zweifel an einem günstigen Nutzen-Nebenwirkungs-Verhältnis auftreten (Empfehlungsgrad 0). Wenn solche Zweifel auftreten, kann ein Wechsel auf einen anderen Acetylcholinesterasehemmer erwogen werden (Empfehlungsgrad B, Evidenzebene IIb).
Wovon abgeraten wird
Eine Therapie der Alzheimer-Demenz mit Vitamin E wird wegen mangelnder Evidenz für eine Wirksamkeit und wegen des Nebenwirkungsrisikos nicht empfohlen (Empfehlungsgrad A, Evidenzebene Ib). Auch für nichtsteroidale Antiphlogistika gibt es keine überzeugende Evidenz, ebensowenig für eine Hormonersatztherapie zur Verringerung kognitiver Beeinträchtigungen bei postmenopausalen Frauen. Die Evidenz für eine Wirksamkeit von Piracetam, Nicergolin, Hydergin, Phosphatidylcholin (Lecithin), Nimodipin, Cerebrolysin und Selegilin bei Alzheimer-Demenz ist unzureichend; eine Behandlung wird daher nicht empfohlen (Empfehlungsgrad A, Evidenzebene Ia, Ib). Die Behandlung relevanter vaskulärer Risikofaktoren und Grunderkrankungen, die zu weiteren vaskulären Schädigungen führen, ist bei der vaskulären Demenz zu empfehlen. Es existiert keine zugelassene oder durch ausreichende Evidenz belegte medikamentöse symptomatische Therapie für vaskuläre Demenzformen. Es gibt Hinweise für eine Wirksamkeit von Acetylcholinesterasehemmern und Memantin, insbesondere auf exekutive Funktionen bei Patienten mit subkortikaler vaskulärer Demenz. Im Einzelfall kann eine Therapie erwogen werden (Empfehlungsgrad 0, Evidenzebene Ib).
Pharmakotherapie bei speziellen Demenzformen
«Es gibt gute Gründe, eine gemischte Demenz als das gleichzeitige Vorliegen einer Alzheimer-Demenz und einer vaskulären Demenz zu betrachten», erklären die Leitlinienautoren, «folglich ist es gerechtfertigt, Patienten mit einer gemischten Demenz entsprechend der Alzheimer-Demenz zu behandeln» (Empfehlungsgrad 0, Evidenzebene IV).
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Hinweise für: kognitive Leistungsbeeinträchtigung und/oder Alltagsbeeinträchtigungen und/oder Persönlichkeitsveränderungen
Eigenanamnese Fremdanamnese psychopathologischer Befund körperliche Untersuchung kognitiver Kurztest (z.B. MMST)
Demenzdiagnose inkl. Schweregrad
Depression, Delir etc.
spezifische Diagnostik und
Therapie
Blutlabordiagnostik Standard + ggf. spez. Zusatzuntersuchungen
zerebrale Bildgebung
spezifische Befunde (z.B. Hypothyreose, subdurales
Hämatom)
spezifische Diagnostik und
Therapie
ätiologische Differenzierung (AD, VD, FTD, PDD, LKD, andere)
erweiterte Diagnostik erforderlich
erweiterte Neuropsychologie
Liquordiagnostik
PET/SPECT
EEG
Doppler-/Duplexsonografie
syndromale und ätiologische Diagnose
AD: Alzheimer-Demenz VD: vaskuläre Demenz FTD: frontotemporale Demenz PDD: Parkinson-Disease-Demenz LKD: Lewy-Körperchen-Demenz
Verdacht auf autosomal-dominante
Erkrankung
Humangenetik
Aufklärung und Beratung des Erkrankten und der Angehörigen
Abbildung: Schematische Darstellung des diagnostischen Prozesses
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Im Text empfohlene Medikamente bei Demenzen
Antidementiva: Donepezil Galantamin Memantin Rivastigmin
Aricept® oder Generika Reminyl® Prolonged Release Axura®, Ebixa® oder Generika Exelon® oder Generika
Antipsychotika: Aripiprazol Clozapin Haloperidol Risperidon Quetiapin
Abilify® oder Generika Leponex® oder Generika Haldol® Risperdal® oder Generika Seroquel® oder Generika
Andere: Carbamazepin Citalopram Ginkgo-biloba-Extrakt EGb® 761
Tegretol® oder Generika Seropram® oder Generika Tebokan®
Lewy-Körperchen-Demenz gibt es Hinweise für Effekte von Memantin auf Verhaltenssymptome.»
Antipsychotika bei Demenzkranken
Die Verabreichung von Antipsychotika wird kritisch gesehen, denn sie ist wahrscheinlich mit einem erhöhten Risiko für Mortalität und für zerebrovaskuläre Ereignisse assoziiert. Haloperidol hat das höchste und Quetiapin das geringste Risiko. Das Risiko ist in den ersten Behandlungswochen am höchsten, besteht aber wahrscheinlich auch in der Langzeitbehandlung. Ausserdem beschleunigen wahrscheinlich Antipsychotika eine kognitive Verschlechterung. Die Behandlung soll mit der geringstmöglichen Dosis und über einen möglichst kurzen Zeitraum unter engmaschiger Kontrolle erfolgen (Empfehlungsgrad A, Evidenzebene Ia und III). Für Patienten mit Parkinson-Demenz, Lewy-Körper-Demenz und verwandten Erkrankungen sind klassische und viele atypische Neuroleptika kontraindiziert, da sie Parkinson-Symptome verstärken und Somnolenzattacken auslösen können. Bei diesen Erkrankungen sind Clozapin und mit geringerer Evidenz Quetiapin einsetzbar. Benzodiazepine sollen bei Patienten mit Demenz nur bei speziellen Indikationen kurzfristig eingesetzt werden (Empfehlungsgad 0).
Für die Behandlung von kognitiven Symptomen oder Verhaltenssymptomen bei Patienten mit frontotemporaler Demenz können keine Behandlungsempfehlungen gegeben werden (Empfehlungsgrad B, Evidenzebene IIb). Rivastigmin (Kapseln) ist zur antidementiven Behandlung der Demenz bei M. Parkinson im leichten und mittleren Stadium wirksam im Hinblick auf kognitive Störung und Alltagsfunktion und sollte eingesetzt werden. Es gibt Hinweise für die Wirksamkeit von Donepezil auf die Kognition und den klinischen Gesamteindruck bei der Demenz bei M. Parkinson (Empfehlungsgrad B, Evidenzebene Ia). Für die antidementive Behandlung der Lewy-KörperchenDemenz existiert keine zugelassene oder ausreichend belegte Medikation. Es gibt Hinweise für eine Wirksamkeit von Rivastigmin auf Verhaltenssymptome und von Donepezil auf die Kognition, den klinischen Gesamteindruck und Verhaltenssymptome. Es gibt ferner Hinweise für die Wirksamkeit von Memantin auf den klinischen Gesamteindruck und auf Verhaltenssymptome, nicht aber auf die Kognition. Entsprechende Behandlungsversuche können erwogen werden (Empfehlungsgrad 0, Evidenzebene Ia).
Pharmakologische Therapie
von psychischen und Verhaltenssymptomen
In einem Statement – also ohne Empfehlung – trifft die Leitlinie folgende Aussagen: «Global werden Verhaltenssymptome durch die Gabe von Galantamin und eventuell von Donepezil bei leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz positiv beeinflusst. Bei mittelschwerer bis schwerer Demenz gibt es keinen Hinweis für einen positiven Effekt von Acetylcholinesterasehemmern auf Verhaltenssymptome. Memantin beeinflusst Verhaltenssymptome bei moderater bis schwerer Alzheimer-Demenz mit geringer Effektstärke. Zur pharmakologischen Behandlung psychotischer Symptome bei Lewy-Körperchen-Demenz und Demenz bei M. Parkinson gibt es für Rivastigmin Hinweise für Wirksamkeit. Bei der
Pharmakotherapie bei Angst, Depression, Agitation
und Aggression
Es gibt Hinweise für die Wirksamkeit einer medikamentösen antidepressiven Therapie bei Patienten mit Demenz und Depression. Bei der Ersteinstellung und der Umstellung sollten trizyklische Antidepressiva wegen der Nebenwirkungen nicht eingesetzt werden (Empfehlungsgrad B, Evidenzebene Ib). Für die Therapie der Angst und der Angststörung bei Patienten mit Demenz existiert keine evidenzbasierte medikamentöse Behandlung. Haloperidol wird aufgrund fehlender Evidenz für eine Wirksamkeit nicht zur Behandlung von Agitation empfohlen. Es gibt Hinweise auf eine Wirksamkeit von Haloperidol auf aggressives Verhalten mit geringer Effektstärke. Unter Beachtung der Risiken (extrapyramidale Nebenwirkungen, zerebrovaskuläre Ereignisse, erhöhte Mortalität) kann der Einsatz bei diesem Zielsymptom erwogen werden (Empfehlungsgrad A, Evidenzebene Ia). Wenn zur Behandlung von agitiertem und aggressivem Verhalten Antipsychotika erforderlich werden, dann sollte Risperidon bevorzugt werden (Empfehlungsgrad B, Evidenzebene Ia). Olanzapin soll aufgrund des anticholinergen Nebenwirkungsprofils und der heterogenen Datenlage bezüglich der Wirksamkeit nicht zur Behandlung von agitiertem und aggressivem Verhalten bei Patienten mit Demenz eingesetzt werden (Empfehlungsgrad A, Evidenzebene Ia). Aripiprazol kann aufgrund seiner Wirksamkeit gegen Agitation und Aggression als alternative Substanz empfohlen werden (Empfehlungsgrad 0, Evidenzebene Ia). Es gibt Hinweise auf eine günstige Wirkung von Carbamazepin auf Agitation und Aggression. Carbamazepin kann nach fehlendem Ansprechen anderer Therapien empfohlen werden. Es ist auf Medikamenteninteraktionen zu achten (Empfehlungsgrad 0, Evidenzebene Ib). Es gibt Hinweise für die Wirksamkeit von Citalopram bei agitiertem Verhalten von Demenzkranken; ein Behandlungsversuch kann erwogen werden (Empfehlungsgrad B, Evidenzebene Ib).
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Als Statement hält die Leitlinie fest, dass es keine belastbare Evidenz für eine bestimmte pharmakologische Behandlung bei enthemmtem Verhalten im Rahmen einer Demenzerkrankung gibt. Bei schwerer psychomotorischer Unruhe, die zu deutlicher Beeinträchtigung des Betroffenen und/oder der Pflegenden führt, kann ein zeitlich begrenzter Therapieversuch mit Risperidon empfohlen werden (Empfehlungsgrad 0, Evidenzebene II). Falls eine Behandlung mit Antipsychotika bei psychotischen Symptomen (Wahn, Halluzinationen) notwendig ist, wird eine Behandlung mit Risperidon (0,5–2 mg) empfohlen (Empfehlungsgrad B, Evidenzebene Ia). Für die Wirksamkeit von Aripiprazol (10 mg) ist die Datenlage heterogen (Empfehlungsgrad 0, Evidenzebene Ib), für andere atypische Antipsychotika gibt es keine entsprechende Evidenz.
Psychosoziale Interventionen
Es gibt Evidenz für die Wirksamkeit von kognitiver Stimulation auf die kognitive Leistung bei Patienten mit leichter bis moderater Demenz; sie sollte empfohlen werden (Empfehlungsgrad B, Evidenzebene IIb). Reminiszenzverfahren können in allen Krankheitsstadien aufgrund von Effekten auf kognitive Leistung, Depression und lebensqualitätsbezogene Faktoren zur Anwendung kommen (Empfehlungsgrad B, Evidenzebene IIb). Ergotherapeutische, individuell angepasste Massnahmen tragen bei Patienten mit leichter bis mittelschwerer Demenz zum Erhalt der Alltagsfunktionen bei; sie sollten angeboten werden (Empfehlungsgrad B, Evidenzebene Ib). Körperliche Aktivierung beeinflusst kognitive Funktionen, Alltagsfunktionen, psychische und Verhaltenssymptome, Beweglichkeit und Balance positiv; sie sollte empfohlen werden (Empfehlungsgrad B, Evidenzebene Ib). Es gibt Hinweise, dass aktive Musiktherapie günstige Effekte auf psychische und Verhaltenssymptome bei Menschen mit Demenz hat, insbesondere auf Angst. Rezeptive Musiktherapie, insbesondere das Vorspielen von Musik mit biografischem Bezug (preferred music), kann geringe Effekte auf agitiertes und aggressives Verhalten haben; sie kann empfohlen werden (Empfehlungsgrad 0, Evidenzebene III). Die Anwendung von Aromastoffen kann geringe Effekte auf agitiertes Verhalten und allgemeine Verhaltenssymptome bei mittel- bis schwergradiger Demenz haben; sie kann empfohlen werden (Empfehlungsgrad 0, Evidenzebene Ib). Angehörigentraining zum Umgang mit psychischen und Verhaltenssymptomen können geringe Effekte auf diese Symptome beim Demenzkranken haben; sie sollten angeboten werden (Empfehlungsgrad B, Evidenzebene Ib). Zur Behandlung depressiver Symptome bei Demenzerkrankten sind Edukations- und Unterstützungsprogramme von Pflegenden und Betreuenden wirksam und sollten eingesetzt werden (Empfehlungsgrad B, Evidenzebene Ib) Es lässt sich aus der aktuellen Literatur keine Empfehlung zur nicht medikamentösen Behandlung von hohem Bewegungsdrang von Demenzerkrankten ableiten. Angemessen strukturierte soziale Aktivierung während des Tages kann zu einer Besserung des Tag-/Nachtschlaf-Verhältnisses führen und sollte eingesetzt werden (Empfehlungsgrad B, Evidenzebene Ib).
Zur Prävention von Erkrankungen, die durch die Pflege und die Betreuung hervorgerufen werden, und zur Reduktion der Belastung der pflegenden Angehörigen sollten strukturierte Angebote für Bezugspersonen von Demenzerkrankten vorgesehen werden. Hierbei können auch kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren eingesetzt werden (Empfehlungsgrad B, Evidenzebene Ia).
Leichte kognitive Störung
(mild cognitive impairment, MCI)
MCI als klinisches Syndrom ist uneinheitlich definiert. Bei Hinweisen auf Vorliegen von Gedächtnisstörungen sollten diese objektiviert werden. Aufgrund des erhöhten Risikos für Demenz bedürfen Betroffene mit MCI im weiteren Verlauf erhöhter Aufmerksamkeit. Mögliche Ursachen einer MCI sollten mit angemessenen diagnostischen Massnahmen geklärt werden. Wenn ein Ratsuchender mit MCI im Hinblick auf die Vorhersage einer Alzheimer-Demenz eine Risikoabschätzung wünscht, soll die Aufklärung über die möglichen Verfahren, inklusive Vorhersagestärken, sowie über die Konsequenzen der verschiedenen Ergebnismöglichkeiten vor der Durchführung der Untersuchungen durch einen Experten erfolgen. Die Aufklärung über die Ergebnisse der Untersuchungen sowie die Nachbetreuung des Patienten sollen ebenfalls durch Experten durchgeführt werden. Es gibt keine Evidenz für eine wirksame Pharmakotherapie zur Risikoreduktion des Übergangs von MCI zu einer Demenz (Evidenzebene Ib) und auch nicht für wirksame, nicht pharmakologische Therapien zur Risikoreduktion (Evidenzebene IV).
Risikofaktoren und Prävention
Vaskuläre Risikofaktoren und Erkrankungen (z.B. Hyper-
tonie, Diabetes mellitus, Hyperlipidämie, Adipositas, Niko-
tinabusus) stellen auch Risikofaktoren für eine spätere De-
menz dar. Daher trägt deren leitliniengerechte Diagnostik
und frühzeitige Behandlung zur Primärprävention einer spä-
teren Demenz bei (Empfehlungsgrad B). Auch regelmässige
körperliche Bewegung und ein aktives geistiges und soziales
Leben sollten empfohlen werden (Empfehlungsgrad B).
Ginkgo biloba wird nicht zur Prävention von Demenz emp-
fohlen (Empfehlungsgrad B, Evidenzebene Ib), ebensowenig
eine Hormontherapie (Empfehlungsgrad B).
O
Halid Bas
Quellen: Kurzversion: http://www.dgn.org/leitlinien/3176-leitlinie-diagnose-und-therapie-vondemenzen-2016 Langversion: http://www.dgn.org/images/red_leitlinien/LL_2016/PDFs_Download/ 038013_LL_Demenzen_2016.pdf
Interessenlage: Alle Mitglieder der Steuerungsgruppe und der Expertengruppe sowie die Teilnehmer der Konsensusgruppe haben potenzielle Interessenkonflikte anhand eines Formblatts dargelegt.
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