Transkript
BERICHT
Thyreoiditis de Quervain
Eine seltene Schilddrüsenerkrankung mit unterschiedlichem Verlauf
Die unterschiedlichen Verlaufsformen der Thyreoiditis de Quervain sind für die Praxis von grosser Bedeutung. Prof. Dr. Martin Grussendorf, Halblech, Sprecher der Akademie für Fort- und Weiterbildung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, erläuterte diese seltene Erkrankung an einer Fortbildungsveranstaltung im Rahmen der D-A-CH-Tagung für Endokrinologie 2016 anhand von Fallbeispielen.
Claudia Borchard-Tuch
Die Thyreoiditis de Quervain ist eine selten auftretende, subakut verlaufende, entzündliche Erkrankung der Schilddrüse. Die Pathogenese ist unklar. Die Erkrankung tritt sehr häufig nach Virusinfektionen auf. Meistens heilt die Thyreoiditis de Quervain ohne Therapie nach neun bis zwölf Monaten spontan aus. Bei stärkeren Beschwerden ist die Therapie der Wahl Prednisolon in einer Dosierung von 20 mg/Tag. Bei Linderung der Beschwerden kann die Dosis rasch reduziert werden.
Eine nicht indizierte
Hemithyreoidektomie
Bei einer 49-jährigen Patientin, welche selbst Endokrinologin von Beruf ist, zeigte sich im Schilddrüsensonogramm ein echoarmes Areal mit einem Durchmesser von sieben Millimetern links zentrolateral. Dieses war vor drei Wochen sicher noch nicht nachweisbar gewesen. Die Patientin hatte keine lokalen Beschwerden und fühlte sich wohl. fT3- und fT4-Spiegel waren normal, der TSH-Wert betrug 1,01 mU/l (normal 0,3–4,0 mU/l), TPO-Antikörper 5,8 U/ml (normal < 35 U/ml), Calcitonin < 2 pg/ml (Normwerte: Frauen < 4,6 pg/ml, Männer < 11,5 pg/ml), CRP 0,4 mg/l (normal < 10 mg/l). Drei Wochen später war der Durchmesser des echoarmen Areals auf 9,7 mm gewachsen und nach zwei weiteren Wochen auf 10,6 mm. Es stellte sich die Frage, welches weitere Vorgehen angebracht war. Eine Szintigrafie sollte bei multinodöser Struma zum Ausschluss einer Autonomie durchgeführt werden. Autonome Adenome
sollten nicht punktiert werden, da sich ein falsch positiver Malignitätsverdacht ergeben könnte. Eine Szintigrafie ist auch nicht indiziert bei diffuser Struma, bei knotigen Veränderungen mit einem Durchmesser unter 1 cm und zur Verlaufskontrolle. Nur bei 30 Prozent der Patienten mit mehrspeicherndem Knoten (sogenannter heisser Knoten) findet sich ein supprimiertes TSH. Grussendorf riet der Kollegin zu einer Szintigrafie (TSH mit 1,01 mU/l erniedrigt), doch die Kollegin liess eine Hemithyreoidektomie links durchführen. Die Patientin wurde nach zwei Tagen entlassen und hatte keinerlei Komplikationen. Die histologische Untersuchung ergab, dass die Patientin an einer Thyreoiditis de Quervain erkrankt war. Damit war die Hemithyreoidektomie nicht indiziert gewesen. Bei der histologischen Untersuchung zeigten sich eine Zerstörung der Follikel, Riesenzellen und granulomatöse Veränderungen. Die Pathogenese der Thyreoiditis de Quervain ist unklar. Die Erkrankung tritt sehr häufig nach Virusinfektionen, insbesondere des Respirationstraktes, auf. Zumindest ungewöhnlich war, dass die Patientin unter keinen Symptomen wie Abgeschlagenheit und Müdigkeit gelitten hatte. Meistens heilt die Thyreoiditis de Quervain ohne Therapie nach neun bis zwölf Monaten spontan aus (ca. 80–95% der Fälle). Zur Linderung leichter lokaler Beschwerden können NSAR eingesetzt werden. Bei stärkeren Beschwerden ist die Therapie der Wahl Prednisolon in einer Dosierung von 20 mg/Tag. Bei Linderung der Beschwerden kann die Dosis rasch reduziert werden.
Typische Symptome
einer Thyreoiditis de Quervain
Vom 1994 bis 2004 wurde in der Praxis von Grussendorf bei 194 Patienten (ca. 0,7% der Patienten mit Schilddrüsenerkrankungen) eine Thyreoiditis de Quervain diagnostiziert. Dabei mussten mindestens 4 von 7 Kriterien erfüllt sein. Zu diesen gehörten O lokale Beschwerden O febrile Temperaturen O stark beschleunigte BSG O charakteristischer Sonografiebefund
(echonormale Grundstruktur durchsetzt mit unscharf abgegrenzten echoarmen Arealen) O supprimierte Technetiumaufnahme im Szintigramm bei latenter/manifester Hyperthyreose O positive Zytologie O rasche Besserung unter Prednisolontherapie.
In dieser Stichprobe waren die meisten Patienten mit Thyreoiditis de Quervain weiblich (84%) und meist mittleren Alters (31–60 Jahre).
Ein schwerer Verlauf
In einem anderen Fall zeigte eine Thyreo-
iditis de Quervain einen weitaus schwere-
ren Verlauf. Eine 42-jährige Patientin stellte
sich in der Praxis vor. Seit drei Wochen litt
sie unter Schmerzen im Halsbereich, und
seit zwei Wochen hatte sie Fieber um 38 °C.
Die Patientin verspürte Unruhe und Nervo-
sität und hatte 4 kg Gewicht verloren. So-
nografisch zeigte sich ein sehr inhomogenes
echoarmes Areal mit einem Durchmesser
von 3 mm. Szintigrafisch ergab sich eine
Technetiumaufnahme von 0,4 Prozent.
Im Labor zeigten sich folgende Werte: fT4
von 2,5 mg/dl (Normalbereich 0,8–1,7 mg/
dl), fT3 6,5 pg/ml (1,8–4,2 pg/ml), TSH
0,01 mU/l, TPO-Antikörper 460 U/ml (nor-
mal < 35 U/ml), TG-Antikörper 280 U/ml
(normal < 35 U/ml) und BSG 95/130. Die
Patientin erhielt 20 mg Prednisolon täglich.
Bei Beschwerdefreiheit kann die Dosierung
rasch reduziert, das heisst in einem Ab-
stand von drei Tagen halbiert werden. In
diesem Fall musste die Patientin über einen
Zeitraum von fünf Monaten behandelt
werden.
O
Claudia Borchard-Tuch
Fortbildungsveranstaltung «Praktische Endokrinologie in Klinik und Praxis» im Rahmen der D-A-CH-Tagung für Endokrinologie 2016 in München, 28. Mai 2016.
ARS MEDICI 18 I 2016
783