Transkript
INTERVIEW
«Mit der Ressource Blut gehen wir heute viel bewusster um»
Ein Interview mit PD Dr. med. Andreas Holbro, Blutspendezentrum und Universitätsspital Basel
Verschiedene Studien der vergangenen Jahre zeigen, dass Bluttransfusionen mit einer erhöhten Inzidenz bestimmter Ereignisse verbunden sein können. Mittels Patient Blood Management will man nicht nur solche Transfusionen reduzieren, sondern auch Anämien und Blutverlust vermeiden. Wir sprachen darüber mit dem Hämatologen PD Dr. med. Andreas Holbro, Universitätsspital Basel.
Zur Person
PD Dr. med. Andreas Holbro ist Oberarzt Hämatologie am Universitätsspital Basel und Leitender Arzt des Blutspendezentrums.
ARS MEDICI: Herr Dr. Holbro, beim Patient Blood Management sollen durch vielerlei Massnahmen patienteneigene Blutressourcen bestmöglich ausgeschöpft werden. Warum dieser Aufwand? PD Dr. med. Andreas Holbro: Es gibt immer mehr Studien, die zeigen, dass eine restriktive Transfusionsstrategie für die Patienten nicht schlechter ist als eine sogenannte liberale, also grosszügigere Strategie. Man hat gross angelegte Studien
«Wir konnten in den vergangenen acht Jahren eine Reduktion der Transfusionsrate um mehr als 20 Prozent erreichen.»
bozyten-transfusionsbedingte Sepsen mehr. Bei der Transfusion von Erythrozytenkonzentraten sind Thrombosen keine typische Nebenwirkung. Allerdings kann bei Patienten, die von vornherein ein gewisses Risiko für Thrombosen haben – ich denke jetzt an kardiovaskuläre Patienten –, das Risiko durchaus höher sein. Daneben gibt es wie gesagt die sogenannten stabilen Blutprodukte, bei denen aus Plasma beispielsweise Immunglobuline hergestellt werden. Auch dort existiert eine Assoziation mit Thrombosen.
durchgeführt, in denen eine Patientengruppe bei höheren Grenzwerten und die andere bei tieferen Werten transfundiert wurde. Es zeigte sich, dass Patienten ohne weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren bei einem restriktiveren Umgang mit Transfusionen teilweise sogar ein besseres Outcome hatten. Davon abgesehen bedeuten weniger überflüssige Transfusionen auch weniger Kosten und weniger Risiken für die Patienten wie Transfusionsreaktionen oder die Entwicklung von Alloantikörpern.
Auch das Sepsisrisiko und das Risiko von Thrombosen in der Lunge oder im Gehirn scheinen durch Transfusionen erhöht zu sein. Wie relevant ist dieses Risiko? Holbro: Es muss zuerst unterschieden werden, was überhaupt transfundiert wird. Man unterscheidet labile und stabile Blutprodukte. Zu den ersteren gehören Thrombozytenkonzentrate, Erythrozytenkonzentrate und Plasma. Das Sepsisrisiko war in der Vergangenheit vor allem bei den Thrombozytenkonzentraten zu beobachten. In der Schweiz hat man jedoch heute flächendeckend eine sogenannte Pathogenreduktion der Thrombozytenkonzentrate eingeführt. Seitdem gibt es keine transfusionsbedingte beziehungsweise Throm-
Auch ein erhöhtes Metastasierungsrisiko beziehungweise mehr Krebsrezidive bei transfundierten Patienten werden diskutiert. Was meinen Sie dazu? Holbro: Zum Thema Metastasierung durch Transfusionen sind meiner Meinung nach die Bücher noch nicht geschlossen. Da fehlen bislang einfach die Evidenzen. Die Spender werden ja selektioniert, unter anderem aufgrund des Spenderfragebogens. Wenn potenzielle Spender einen Tumor haben, werden sie definitiv ausgeschlossen. Ein solcher Fall ist eigentlich nur denkbar, wenn ein Blutspender unter einem metastasierenden Karzinom leidet, von dem er überhaupt nichts weiss. Aber auch für die Behauptung, dass der Tumor eines Krebspatienten durch die Bluttransfusion und eine mögliche Immunsuppression rascher wächst, gibt es keine klare Evidenzen. Es lässt sich jedoch gut eine plakative Schlagzeile daraus machen.
Wie steht es mit anderen Nebenwirkungen? Holbro: Wie jede medizinische Intervention kann selbstverständlich auch eine Transfusion eine unerwünschte Nebenwirkung haben. Es gibt verschiedene Transfusionsreaktionen, wobei die febrile, nicht hämolytische Transfusionsreak-
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tion die häufigste ist. Schwere Transfusionsreaktionen, wie anaphylaktische Reaktionen, sind selten. Alle Transfusionsreaktionen müssen der Heilmittelbehörde Swissmedic gemelden werden. Gerne geht vergessen, dass viele Transfusionsindikationen besonders bei Traumapatienten lebensrettend sind und das Risiko von Nebenwirkungen sicherlich mehr als aufwiegen. Aber auch hier gilt das Motto: So viel wie nötig, so wenig wie möglich.
Wie weit ist am Universitätsspital Basel das Patient Blood Management gediehen? Holbro: Es ist immer die Frage, was man darunter versteht. Wenn Sie Patient Blood Management als Programm verstehen, dann ist es noch nicht so weit fortgeschritten. Zusammen mit den entsprechenden Abteilungen Anästhesie, Chirurgie, Hämatologie und dem Blutspendezentrum ist ein solches Programm in Planung. Was jedoch bereits seit längerer Zeit existiert, ist eine Transfusionskommission und seit acht Jahren ein Transfusionsleitfaden mit restriktiven Transfusionsrichtlinien. Zudem haben wir eine sehr gute Zusammenarbeit mit den klinischen Abteilungen, welche Transfusionen verordnen. Allein damit konnten wir in den vergangenen acht Jahren eine Reduktion der Transfusionsrate um mehr als
«Die Rückstellung von Eigenblut wird immer seltener, ihr Nutzen ist fraglich.»
20 Prozent erreichen. Ein grosser Vorteil in Basel ist, dass alles sehr nahe beieinander liegt. Dadurch können wir uns sehr gut vorbereiten, beispielsweise vor der Operation eines Risikopatienten. Das ist für mich das Wichtigste. Durch diese enge Verzahnung sind wir schon auf dem richtigen Weg. Das Patient Blood Management als institutionalisiertes, strukturiertes Programm wird aber sicher kommen.
Eine der drei Säulen des Patient Blood Managements ist eine präoperative Optimierung des Erythrozytenvolumens. Wird das schon gemacht? Holbro: Ja. Wir identifizieren Anämien, aber auch Gerinnungsprobleme, suchen ihre Ursache und korrigieren sie dann präoperativ. Wenn beispielsweise ein Eisenmangel vorliegt, dann ist eine Ursachenabklärung und eine entsprechende Substitution angezeigt. Wer vor einer Hüftoperation steht, sollte mit einem möglichst optimalen Ausgangshämoglobin da hineingehen.
«Blutprodukte sind weiterhin in vielen klinischen Situationen nötig, leider sinkt die Zahl der Blutspender stetig.»
Wie steht es mit den Blutentnahmen für Untersuchungen? Holbro: Die Blutentnahmen sind immer noch beträchtlich, vor allem auf einer Intensivstation. Wenn der Patient mehrere Blutentnahmen am Tag hat, können das zwischen 300 und 350 ml sein, und das ist viel. Aber auch da wollen wir durch kleinere Probenvolumina und Vermeidung unnötiger Blutuntersuchungen den Blutverlust reduzieren.
Durch tiefere Grenzwerte für eine Transfusion lässt sich auch Blut sparen … Holbro: Ich glaube, dass wir heute viel bewusster mit der Ressource Blut umgehen. Früher hat man gesagt: Hämoglobin unter 100 g/l. Dann wird transfundiert. Heute kommt man erst bei einem Hämoglobinwert von unter 70 g/l zu einer solchen Entscheidung. Das macht schon einen grossen Unterschied. Wenn also eine 80-jährige Dame für eine Hüftprothese ins Spital kam und ihr Hämoglobinwert von 130 auf 90 g/l fiel, gab es früher eine Bluttransfusion. Heute macht man das nicht mehr. Wir wissen mittlerweile, dass es der 80jährigen Dame, die bei 90 g/l transfundiert wird, nicht besser geht im Spital als der 80-jährigen, die erst bei 70 g/l transfundiert wird.
Ist die Rückstellung von Eigenblut noch ein Thema? Holbro: Das macht man immer weniger. Wenn die Patienten Blut spenden, kann es nur 42 bis maximal 49 Tage aufbewahrt werden, dann verfällt es. Solche Patienten weisen dann vor der Operation ein tieferes Hämoglobin auf. Aber häufig brauchen sie ihr gespendetes Blut gar nicht. Dann geht der Patient in die Operation mit einem tieferen Hämoglobin, und am Schluss benötigt er sein Blut gar nicht. Jedoch reichen ein bis zwei Eigenblutkonserven im Fall einer schweren intraoder postoperativen Blutungskomplikation nicht. Dagegen setzen wir bei Operationen, die mit starkem Blutverlust verbunden sind, den Cell Saver ein. Das ist eine maschinelle Autotransfusion, bei der wir während oder kurz nach dem Eingriff das Blut des Patienten aus dem Operationsgebiet auffangen und reinigen. Dann wird es dem Patienten wieder zurücktransfundiert. Damit können wir Fremdbluttransfusionen verringern.
Tragen all diese Massnahmen bereits Früchte? Holbro: Wir beobachten in den letzten fünf Jahren, dass der Verbrauch an Erythrozytenkonzentraten deutlich abgenommen hat. In der Schweiz werden schon jetzt sehr viel weniger Transfusionen durchgeführt als zum Beispiel in Deutschland. Dort liegt der Wert um die 56 Transfusionen pro 1000 Einwohner, in der Schweiz sind wir bei 28 pro 1000, also der Hälfte. Diese Entwicklung zeigt, dass der Umgang mit Blutprodukten heute viel überlegter und differenzierter ist, was sowohl medizinisch als auch sozioökonomisch positive Auswirkungen hat. Blutprodukte bleiben jedoch weiterhin wertvolle therapeutische Mittel in vielen klinischen Situationen, und sie sind unumgänglich bei der Behandlung hämatologischer, hämatoonkologischer und kardiologischer Patienten, Letztere vor allem mit Thrombozytenkonzentraten, deren Bedarf laufend steigt. Umso wichtiger ist es, längerfristig genügend Blutspender und Blutspenderinnen für die Patienten zu haben, die eine Bluttransfusion auch wirklich brauchen. Leider besteht das Risiko, dass wir genau dies in fünf bis zehn Jahren wegen des steten Spenderrückgangs nicht mehr gewährleisten können.
Wir danken Ihnen für das Gespräch.
O
Das Interview führte Klaus Duffner.
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