Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rheumatologie
Wird die physikalische Therapie bei Rheuma unterschätzt?
Patienten in einem sogenannten Heilstollen mit erhöhter Radonstrahlung
(Foto: Max Steinbauer; Copyright: Gasteiner Heilstollen)
«Physikalische Therapie kann Medikamente zwar nicht komplett, aber zumindest zum Teil ersetzen und sollte daher immer Teil der Rheumatherapie sein», sagte Professor Dr. med. Uwe Lange, Kerckhoff-Klinik Bad Nauheim, an einer Pressekonferenz anlässlich des 44. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) in Frankfurt. Mit physikalischer Therapie sind damit nicht nur Sport und Physiotherapie gemeint, sondern auch Wärme-, Kälteund Strombehandlungen, Infrarot- und UVBestrahlung sowie die Radontherapie. Ziele physikalischer Therapien bei Rheuma sind in erster Linie die Schmerzlinderung und Funktionsverbesserung, welche durch eine bessere Durchblutung, die Verminderung von Entzündungsprozessen und eine Stärkung des Immunsystems erreicht werden sollen. Letztlich könne die Funktionalität von Gelenken und der Wirbelsäule nur durch konsequente Bewegungstherapie erhalten beziehungsweise verbessert werden und nicht durch Medikamente, so Lange. Er präsentierte mehrere Studien seines Teams, welche die Wirksamkeit physikalischer Studien belegen, wobei im Gegensatz zu Medikamentenstudien bekanntermassen keine echte Plazebokontrolle möglich ist. So führte bei Patienten mit ankylosierender Spondylitis und rheumatoider Arthritis eine
Radontherapie (12 Aufenthalte während 3 Wochen in einem Bergwerksstollen mit Radonstrahlung) zu einem geringeren Schmerzmittelverbrauch in den folgenden 3 Monaten; eine Abnahme der Konzentration von Entzündungsfaktoren war nachweisbar (1). In einer Studie mit 20 Patienten mit Indikation für eine TNF-Blocker-Therapie ging es um die Frage, ob sich mittels intensiver Physiotherapie (3× pro Woche à 45 min) und nur halber Standarddosis von Etanercept eine ähnliche Wirkung wie mit der vollen Dosis des TNF-Blockers erzielen lässt (2). Nach 4 Monaten Therapie konnte bei der Hälfte der Patienten Patienten eine 40-prozentige Verbesserung erzielt werden. Aus der Etanercept-Zulassungsstudie weiss man, dass bei der vollen Dosis erst nach 6 Monaten eine entsprechende Verbesserung bei 42 Prozent der Patienten eintrete, berichtete Lange. Zudem spart die Kombinationstherapie TNF-Blocker plus Physiotherapie Kosten. Auch die Knochendichte lässt sich durch Training steigern. Ein standardisiertes Osteoporosetraining über 2 Jahre verbesserte die Knochendichte und verminderte das Sturzrisiko (3). Auch schmerzlindernde Effekte seien in dieser Studie zu verzeichnen gewesen, so Lange.
Bei Morbus-Bechterew-Patienten (im nicht
eingesteiften Stadium) verbesserte die
manuelle Therapie der Brustwirbelsäule
im Rahmen einer Standardphysiotherapie
diverse Bewegungsparameter der Brust-
wirbelsäule, die inspiratorische Vitalkapazi-
tät und die krankheitsspezifischen Scores
BASDAI (Bath ankylosing spondylitis dis-
ease activity index) und BASFI (Bath ankylo-
sing spondylitis functional index) (4). Bei
Sklerodermiepatienten mit deutlich redu-
zierter Mundöffnung konnte diese mittels
biomechanischer Stimulationstherapie wie-
der vergrössert werden (5). Die Patienten
wurden 3 Wochen lang behandelt, eine
Gruppe 3-mal pro Woche (je 20 min), die an-
dere 5-mal pro Woche (je 30 min). In beiden
Gruppen kam es zu einer Erweiterung
der Mundöffnung, wobei die intensivere
Therapie deutlich besser war. Mikrostomie
lässt sich medikamentös nicht verhindern,
kann aber durch diese Therapie positiv be-
einflusst werden und in Selbstanwendung
erfolgen, wieLange betonte.
«Die Studien belegen, dass physikalische
Therapien bei Rheumatikern fester Be-
standteil des Therapieplans sein sollten und
zum Teil da positive Effekte erzielen, wo
man mit Medikamenten allein nicht mehr
helfen kann», sagte Lange. Entscheidend
sei, auch bei den Patienten das Bewusstsein
dafür zu wecken, dass selbst bei akuten und
schmerzhaften Rheumaschüben Bewegung
Linderung verschaffen kann – wenn sie pro-
fessionell begleitet und richtig ausgeführt
wird. Je akuter und florider der Krankheits-
prozess ist, desto vorsichtiger müsse do-
siert werden.
RBOO
Quellen: Pressemappe DGRh-Kongress 2016 und 1. Lange U et al.: The impact of serial radon and hyperthermia ex-
posure in a therapeutic adit on pivotal cytokines of bone metabolism in rheumatoid arthritis and osteoarthritis. Clin Rheumatol 2016; epub ahead of print. 2. Meier FM et al.: Efficacy of intensive physiotherapy in combination with low-dose etanercept in active spondyloarthritis: a monocentric pilot study. J Rheumatol 2014; 41(9): 1897–1898. 3. Lange U, Dischereit G: Wirkungen eines Osteoporose-spezifischen Trainings – eine zweijährige Prospektivstudie. Phys Med Rehab Kuror 2016; 26: A31. 4. Lange U et al.: The effects of manual mobilization on the mobility of the thoracic spine in patients with ankylosing Spondylitis. J Musculoskelet Disord Treat 2016; 2: 011. 5. Berg W et al.: Biomechanical stimulation therapy – an efficacious method for facial scleroderma with reduced oral aperture. J Rheum Dis Treat 2016; 2: 030.
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ARS MEDICI 18 I 2016
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Gastroenterologie
Was tun – was lassen?
Rückspiegel
Krankheitsschübe bei Morbus Crohn lassen sich durch die dauerhafte Gabe von Kortison nicht wirksam verhindern, die Bevölkerung sollte kein ASS zur Darmkrebsprophylaxe einnehmen, und Patienten mit einem besonderen Risiko für Leberkrebs sollten halbjährlich per Ultraschall untersucht werden. Dies empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) im Rahmen der internationalen Kampagne «Choosing wisely». Man habe sich auf Massnahmen konzentriert, die zu häufig oder zu selten fachgerecht erbracht würden, heisst es in einer Pressemitteilung anlässlich der Publikation der Empfehlungen. Konkrete Zahlen, wie häufig oder selten die Massnahmen erfolgen, habe man aber nicht. Als sinnvoll erachtet wird: O die Motivation zum Nichtrauchen für
Morbus-Crohn-Patienten O die ergänzende Chemotherapie für Patien-
ten nach einer Bauchspeicheldrüsenkrebsoperation O die halbjährliche Ultraschalluntersuchung zur Früherkennung von Leberkrebs für bestimmte Risikogruppen (Hepatitis-C-Pa-
tienten mit Leberzirrhose, Patienten mit
chronischer Hepatitis B und Patienten mit
Fettleberhepatitis)
O die ständige Sauerstoff- und Blutdruck-
messung zur Überwachung von sedierten
Patienten bei einer Magen- oder Darmspie-
gelung.
Bleiben lassen sollte man:
O den Test auf Blut im Stuhl bei Patienten, die
an der Darmkrebsvorsorge per Darmspie-
gelung teilnehmen
O die Verschreibung von Acetylsalicylsäure
(ASS) zur Darmkrebsprophylaxe in der ge-
sunden Bevölkerung
O die OP bei Gallensteinen, die keine Sym-
ptome verursachen
O Bildgebung (CT/MRT) bei gutartigen «Lä-
sionen» der Leber, wie etwa den häufigen
Blutschwämmchen (Hämangiomen)
O die Kortisongabe zur Vermeidung von
Krankheitsschüben bei den chronisch ent-
zündlichen Darmerkrankungen Morbus
Crohn und Colitis ulcerosa.
DGSV/RBOO
Lynen Jansen P et al.: Klug entscheiden ... in der Gastroenterologie. Deutsches Ärzteblatt 2016; 113: 29–30.
Rheumatologie
Was bringen Lebensstilveränderungen bei Rheuma?
Viele Rheumapatienten hoffen darauf, mit gesunder, mediterraner Ernährung ihre Beschwerden lindern zu können. Die Ergebnisse von aktuellen Langzeitstudien aus Boston mit 174 638 Frauen zeigen jedoch, dass kein Zusammenhang zwischen einer mediterranen Diät und dem RA-Risiko nachgewiesen werden konnte, wie es in einer Pressemitteilung anlässlich des deutschen Rheumatologenkongresses heisst. Trotzdem sei eine derartige Ernährung nicht sinnlos, da sie Übergewicht vorbeuge und deutlich übergewichtige Menschen ein höheres Risiko trügen, an rheumatoider Arthritis (RA) zu erkranken. Ein unumstritten wichtiger Lebensstilfaktor für RA sei hingegen das Rauchen, so Tagungspräsident Prof. Ulf Müller-Ladner. «Vor allem die Dauer des Rauchens hat einen starken Einfluss auf die Entstehung einer rheumatoiden Arthritis», sagt Prof. Erika
Gromnica-Ihle, Präsidentin der Deutschen
Rheuma-Liga. Eine Metaanalyse aus zehn
Studien an 4552 Patienten mit RA hat ergeben,
dass das Erkrankungsrisiko von Personen,
die über eine Zeitspanne von 1 bis 10 Jahren
durchschnittlich täglich eine Packung mit
20 Zigaretten rauchen, um 26 Prozent erhöht
ist. Bei Rauchern, die die gleiche Menge
über 21 bis 30 Jahre hinweg konsumieren,
ist das Risiko sogar doppelt so hoch wie bei
Nichtrauchern.
Bei der RA richten sich Antikörper gegen ci-
trullinierte Peptide. Stoffe im Zigarettenrauch
begünstigen die Bildung dieser Peptide. Auf
diese Weise kann Rauchen die entzündliche
Gelenkerkrankung hervorrufen oder sie ver-
schlimmern. RA-Patienten rät man daher
dringend vom Rauchen ab.
DGRh/RBOO
Pressemitteilung der DGRh vom 24. August 2016.
Vor 10 Jahren
«UK Biobank» startet
In Grossbritannien beginnt die Aufnahme Freiwilliger in die «UK Biobank». Aufgerufen sind 40- bis 69-Jährige, die DNA-, Blut- und Urinproben sowie ausführliche Angaben zu Lebensstil, privatem Umfeld und Gesundheit in der Datenbank erfassen lassen. In gewissen Abständen werden die Teilnehmer des Projekts erneut befragt und untersucht, bis zu ihrem Lebensende. Der Datenschatz soll allen interessierten Forschern zur Verfügung stehen. Die Rekrutierung der angestrebten halben Million Teilnehmer ist vier Jahre später erreicht.
Vor 50 Jahren
Rett-Syndrom
In der «Wiener Medizinischen Wochenschrift» beschreibt der Neuropädiater Andreas Rett das nach ihm benannte Syndrom. Er hatte die typische Symptomatik ein Jahr zuvor zufällig entdeckt: stereotype Reib- und Knetbewegungen vor der Brust, wie beim Händewaschen. Die Ursache der seltenen Erkrankung ist meist eine De-novo-Mutation auf dem X-Chromosom während der Spermienreifung. Das wird aber erst Anfang der Achtzigerjahre entdeckt.
Vor 100 Jahren
Tollwutimpfstoff aus Rückenmark
Am Robert-Koch-Institut in Berlin und am Hygiene-Institut in Breslau wird Tollwutimpfstoff aus dem Rückenmark infizierter Kaninchen gewonnen. Der Patient erhält 21 Tage lang subkutan täglich 2 cm3 einer Emulsion aus diesem Rückenmark. Die Schutzwirkung soll hervorragend sein: 1 Prozent Mortalität der so geimpften Personen gegenüber 40 bis 50 Prozent bei den Ungeimpften, berichtet ARS MEDICI im September 1916. Der volle Impfschutz soll nach zirka zwei Wochen gegeben sein.
RBO
ARS MEDICI 18 I 2016