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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rauchstopp I
Was bringt es, wenn man Raucher fürs Aufhören bezahlt?
Dieser Frage gingen der Public-Health-Forscher Prof. Jean-François Etter und die Psychologin Felicia Schmid an der Universität Genf nach (1). In ihrer Studie mit insgesamt 805 Rauchern wurde eine Gruppe für den Rauchstopp anfangs im Wochentakt, später in grösseren Intervallen nach und nach mit Supermarkt-Einkaufsgutscheinen im Wert von insgesamt 1500 Franken belohnt, sofern sie 6 Monate lang nicht rauchten. Die andere Gruppe erhielt keine Belohnung. Die Rauchabstinenz wurde mittels biochemischer Methoden an den Kontrollterminen nach 1, 2 und 3 Wochen sowie nach 1, 3 und 6 Monaten überprüft; 1 Jahr danach, also 18 Monate nach Beginn des Programms, wurde der Raucherstatus erneut erhoben. Mitmachen konnten alle Raucher, die innert eines Monats mit dem Rauchen aufhören wollten und über relativ wenig Einkommen verfügten. Die Idee dahinter: Personen mit wenig Einkommen gehören eher bildungsfernen Bevölkerungsgruppen an, die man mit Informationskampagnen erfahrungsgemäss kaum erreicht. In Genf kamen allerdings überdurchschnittlich viele Studenten (46% der Probanden) auf die Idee, ihr schmales Budget nicht nur durch den Verzicht auf das Rauchen, sondern auch durch eine Belohnung für den Rauchstopp aufzubessern. Insofern war die Studienpopulation nicht repräsentativ für die eigentlich gewünschte Zielgruppe. Man habe jedoch keine Unterschiede bezüglich der Rauchstoppraten zwischen den Studenten und
den anderen Teilnehmern feststellen können, so die Studienautoren. Zu Beginn war der finanzielle Bonus offenbar besonders motivationssteigernd, dann flachte die Begeisterung ab, und die Abstinenzraten der beiden Gruppen näherten sich an. Dies zeigt sich in der biochemisch nachweisbaren Rauchabstinenz (= 7 Tage vor dem Kontrolltermin mit Sicherheit nicht geraucht). Nach 3 Monaten waren 54,9 gegenüber 11,9 Prozent der Probanden ohne Bonus «clean», nach 6 Monaten noch 44,6 vs. 11,1 Prozent und nach 18 Monaten 18,2 vs. 11,4 Prozent. Als Nichtraucher bezeichneten sich nach 18 Monaten noch 9,5 Prozent der ehemals belohnten Probanden und 3,7 Prozent der anderen. Insofern scheint der finanzielle Anreiz zumindest den Einstieg ins Nichtrauchen zu erleichtern. Dass der Erfolg der finanziellen Belohnung schwindet, wenn sie nicht mehr besteht, zeigt auch eine umfangreiche CochraneAnalyse zu diesem Thema (2): «Boni scheinen den Rauchstopp zu fördern, solange sie vorhanden sind», lautet das Resumé dieser Autoren. Sie hatten 21 Studien mit rund 8400 Probanden ausgewertet. Als Bonus für den Rauchstopp wurden neben Einkaufsgutscheinen wie in der Genfer Studie verschiedene Boni angeboten, darunter auch Lotterielose oder die Teilnahme an einer Verlosung – und natürlich auch Bargeld beziehungsweise als interessante Variante das Einfordern eines Geldpfandes zu Beginn, das der Proband nur zurückerhält,
wenn er in einem bestimmten Zeitraum tat-
sächlich nicht mehr raucht. Die Pfandvari-
ante wählten zwar nur wenige Rauchstopp-
willige, unter diesen fand sich dann aber ein
höherer Anteil erfolgreicher Exraucher. Man
darf darüber spekulieren, ob dieser Effekt
etwas damit zu tun hat, dass hier eigenes
Geld verloren wird. Eine deutlich höhere,
langfristige Rauchstopprate (6 Monate und
mehr) fand sich in der Cochrane-Analyse
nur in 3 der 21 Studien. Sie lag bei zwei Stu-
dien in einer ähnlichen Grössenordnung wie
in der Genfer Studie. Ungewöhnlich hohe
Abstinenzraten werden in einer thailän-
dischen Studie genannt, bei welcher das
Pfandsystem zum Einsatz kam: Hier hörten
44,2 Prozent der Teilnehmer mit dem Rau-
chen auf, um ihr Pfand zurückzuerhalten,
und auch ein mit 18,8 Prozent erstaunlich
hoher Anteil in der Kontrollgruppe verzich-
tete langfristig auf das Rauchen. Allerdings
hatte sich von Anfang an überhaupt nur
jeder zehnte Raucher auf diese Studie ein-
gelassen – sie dürften von vornherein be-
sonders motiviert gewesen und nicht
repräsentativ für den Durchschnittsraucher
sein, der «eigentlich» damit aufhören
möchte.
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1. Etter JF, Schmid F: Effects of large financial incentives for longterm smoking cessation: a randomized trial. J Am Coll Cardiol 2016; 68(8): 777–785.
2. Cahill K et al.: Incentives for smoking cessation. Cochrane Database Syst Rev 2015; (5): CD004307.
Rauchstopp II
Weite Wege – weniger Rauchen?
«Ich gehe meilenweit für eine ...» – die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch an diesen Werbeslogan aus dem letzten Jahrtausend. Finnische Statistiker haben sich nun die Frage gestellt, ob die Entfernung zum nächsten Zigarettenautomaten/ -laden eine Rolle spielt, ob man mit dem Rauchen aufhört oder nicht. Sie werteten dafür zwei Rauchstoppumfragen aus den Jahren 2008 und 2012 unter diesem Aspekt neu aus.
Damals hatten 28 bis 39 Prozent der Raucher mit dem Rauchen aufgehört, und 6 bis 7 Prozent der Exraucher waren rückfällig geworden. Die Forscher kommen nun zu dem Ergebnis, dass mit jedem 500-Meter-Intervall zwischen Heim und Zigarettenquelle die Aussicht auf einen erfolgreichen Rauchstopp um durchschnittlich 16 Prozent steigt. Betrachtet man mittels statistischer Kunstgriffe den einzelnen, individuellen Raucher, könnte der Effekt auch höher sein, nämlich
bei einer um 57 Prozent höheren Rauch-
stoppwahrscheinlichkeit.
Für Exraucher und ihr Rückfallrisiko ist es
gemäss dieser Studie übrigens völlig egal,
wie weit sie zum nächsten Zigarettenladen
haben; hier fanden die Forscher keine Zu-
sammenhänge. Man mag sich fragen, ob
das Ganze mehr ist als eine statistische
Spielerei, doch in einschlägigen Kommen-
taren werden bereits politische Forderun-
gen wie das Schliessen von Verkaufsstellen
laut.
RBOO
Pulakka A et al.: Association between distance from home to tobacco outlet and smoking cessation and relapse. JAMA Intern Med, published online August 15, 2016.
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ARS MEDICI 17 I 2016
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Neurologie
Menstruation und Migräne
Rückspiegel
Frauen, die unter Migräneattacken leiden, wissen um das besonders hohe Risiko in den Tagen vor der Menstruation. Verantwortlich dafür soll der Rückgang des Östrogens sein, doch warum scheint das den einen gar nichts auszumachen und den anderen umso mehr?
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Eine Antwort auf diese Frage hat nun das Team um Prof. Richard B. Lipton und Prof. Carol A. Derby vom Albert Einstein College of Medicine, New York, vorgelegt. Demnach sind nicht der absolute Östrogenspiegel oder der Rückgang an sich der entscheidende Parameter, sondern die Geschwindigkeit, in welcher der Hormonspiegel absackt. Der rasante Abfall des Östrogens könnte die Frauen demnach empfindlicher für gängige Migränetrigger machen, so die Studienautoren. Bekanntermassen braucht es noch einen zweiten Faktor, wie beispielsweise Schlafstörungen, Stress, bestimmte Lebensmittel etc. als Trigger, um eine Migräneattacke zu provozieren.
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Pavlovic JM et al.: Sex hormones in women with and without migraine: evidence of migraine-specific hormone profiles. Neurology 2016; 87(1): 49–56. Gastroenterology 2015; 149(1): 79–88.
Vor 10 Jahren
Wirbel um Stents
Die Studien zweier Teams aus Genf und Zürich erregen am internationalen Kardiologenkongress in Barcelona Aufsehen: Bei Drug-Eluting-Stents, von den Kardiologen bis anhin als elegante Lösung des Problems der Stentthrombosen nach dem Einsetzen von Bare-Metal-Stents gefeiert, könnten langfristig mehr Gefässverschlüsse auftreten als mit den herkömmlichen Stents. Nach zahlreichen weiteren Studien und Diskussionen stellt sich in den folgenden Jahren heraus, dass die Auswahl des Stents besser auf die jeweils vorliegende Gefässläsion abgestimmt werden muss. Wahrscheinlich wurde die erste Generation der Drug-Eluting-Stents in der Begeisterung über den Rückgang früher Stentthrombosen allzu vielen Patienten eingesetzt – auch solchen, bei denen ein anderer Stent wahrscheinlich sinnvoller gewesen wäre.
Onkologie
Selenversorgung und Krebsrisiko
Das Spurenelement Selen ist ein essenzieller Nahrungsbestandteil. Wie man nun zeigen konnte, geht ein hoher Selenwert im Blut mit einem verminderten Leberkrebsrisiko einher. «Wir konnten nachweisen, dass ein Mangel an Selen einen starken Risikofaktor für Leberkrebs darstellt», sagt Prof. Dr. Lutz Schomburg, Institut fur Experimentelle Endokrinologie, Charité Berlin: «Das Drittel der Bevölkerung mit dem stärksten Selenmangel hat unseren Daten entsprechend ein fünf- bis zehnfach höheres Risiko fur ein hepatozelluläres Karzinom.» Bei der aktuellen Untersuchung handelt es sich um eine Fallkontrollstudie. Aus einer Kohorte von 477 000 Probanden wurden diejenigen identifiziert, die in den folgenden zehn Jahren ein hepatozelluläres Karzinom entwickelt hatten. Die Analyse der Blutproben auf den Selenstatus erfolgte, als die Probanden noch gesund waren. «Unsere Studie zeigt nicht direkt, dass eine Supplementation mit Selen vor Leberkrebs schützt. Sie untermauert allerdings erneut die Wichtigkeit einer
ausgewogenen Ernährung, in der das Spu-
renelement Selen nicht fehlen darf», betont
Schomburg. Vorangegangene Studien hatten
bereits ähnliche Zusammenhänge von Selen-
status und Darmkrebsrisiko dokumentiert.
Selen ist unter anderem in Fisch, Meeres-
früchten, Fleisch, Milch und Ei enthalten,
auch einige südamerikanische Nüsse wie die
Paranuss sind gute Selenquellen. Im Gegen-
satz zu anderen Regionen der Erde sind die
europäischen Böden eher selenarm, was sich
in einem mehr oder weniger stark ausgepräg-
ten Selenmangel der Bevölkerung nieder-
schlägt. Durch eine selenreiche Ernährung
oder eine angemessene Supplementation
entstünden keine Nachteile, heisst es in der
Pressemitteilung der Charité, wohl aber bei
einem Selenmangel.
idw/RBOO
Hughes DJ et al.: Prediagnostic selenium status and hepatobiliary cancer risk in the European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition cohort. Am J Clin Nutr 2016; 104(2): 406–414.
Vor 50 Jahren
Passivrauchen im Kino
Herbert V. Little, Sekretär der britischen Nichtraucherliga, kritisiert in einem Leserbrief im «British Medical Journal» ein Statement des Vorstands der British Medical Association zum Passivrauchen im Kino. Die Mediziner waren zu dem Schluss gekommen, dass Rauchen im Kino die Gesundheit anderer Personen aller Wahrscheinlichkeit nicht gefährden könne.
Vor 100 Jahren
Rübendiskussion
Im Zusammenhang mit der Ernährung bei
Diabetes wird im «British Medical Journal»
darauf hingewiesen, dass Steckrüben (Knut-
schen) keineswegs bedenkenlos verzehrt
werden könnten. Vielmehr sei durchaus be-
kannt, dass diese Rüben bis zu 4,4 Prozent
Zucker enthalten. Bei niedriger Kohlenhy-
drattoleranz und während der Bestimmung
derselben sei es sicher nicht sinnvoll, ein
Lebensmittel zu sich zu nehmen, dessen
Kohlenhydratgehalt zwischen 0,75 und
4,4 Prozent schwanken könne.
RBO
ARS MEDICI 17 I 2016