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STUDIE REFERIERT
Elektrische Stimulation bei überaktiver Blase
In einem Cochrane-Review war eine Elektrostimulation mit nicht implantierten Elektroden zur Linderung der Symptome einer überaktiven Blase wirksamer als keine Behandlung und als Medikamente. Ob die externe Elektrostimulation wirksamer ist als konservative Massnahmen oder welches Elektrostimulationsverfahren mit dem grössten Nutzen verbunden ist, konnte aufgrund unzureichender Evidenz nicht beurteilt werden.
Cochrane Database of Systematic Reviews
Die Prävalenz der überaktiven Blase (overactive bladder, OAB) beträgt weltweit etwa 17 Prozent. Ältere Menschen sind besonders häufig betroffen. Nach einer Definition der International Continence Society (ICS) ist die OAB durch (imperativen) Harndrang mit oder ohne Dranginkontinenz, Pollakisurie und Nykturie gekennzeichnet, ohne dass Harnwegsinfektionen oder andere pathologische Veränderungen der Blase nachgewiesen werden können. Zur Behandlung werden konservative Massnahmen wie Ernährungsumstellung, Blasentraining oder Beckenbodentraining (± Biofeedback) empfohlen. Als Medikamente der ersten Wahl gelten Anticholinergika. Allerdings treten unter diesen Substanzen häufig Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit oder Obstipation auf, sodass 70 bis 90 Prozent der Patienten die Behandlung innerhalb eines Jahres abbrechen. Als weitere Behandlungsalternative steht die elektrische Stimulation bestimmter Nerven des Plexus sacralis mit implantierten oder nicht implantierten externen Elektroden zur Verfügung. Mit externen vaginalen oder rektalen Elektroden kann eine transkutane Stimulation des Nervus pudendus vorgenommen werden. Der elektrische Impuls aktiviert die Beckenbodenmuskulatur und hemmt den Detrusor, sodass der Harndrang und die Anzahl der
MERKSÄTZE
O Die externe Elektrostimulation aktiviert die Beckenbodenmuskulatur und hemmt den Detrusor.
O Die externe Elektrostimulation lindert die Symptome der überaktiven Blase wirksamer als Medikamente.
Miktionen abnehmen. Alternativ kann der Plexus sacralis indirekt über eine perkutane Stimulation des Nervus tibialis mithilfe einer Nadelelektrode am Innenknöchel aktiviert werden. In einem Cochrane-Review untersuchten Fiona Steward von der Universität Aberdeen (Schottland) und ihre Arbeitsgruppe bei erwachsenen Patienten (Alter ≥ 18 Jahre) die Wirksamkeit der externen Elektrostimulation im Vergleich zu keiner Therapie und zu derzeit verfügbaren aktiven Behandlungsmöglichkeiten. Des Weiteren verglichen sie die Wirksamkeit der Elektrostimulationsverfahren untereinander.
Recht dünne Datenlage
Die Forscher schlossen 51 randomisierte und quasirandomisierte kontrollierte Studien mit insgesamt 3443 Patienten in ihren Review ein. Aus 23 Studien mittlerer Evidenzqualität (1654 Patienten) ging hervor, dass sich die Symptome unter der Elektrostimulation im Vergleich zu keiner Behandlung, zu Plazebo oder zu einer Scheinbehandlung verbesserten. Das relative Risiko (RR) lag bei 0,54 (95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,47–0,63). Die Anzahl unerwünschter Ereignisse war in allen Behandlungsgruppen ähnlich. In 8 Studien (542 Patienten) sehr geringer Qualität zeigte sich kein Unterschied zwischen der Elektrostimulation und einem Beckenbodentraining ohne oder mit Biofeedback. Die RR betrugen 0,79 (95%-KI: 0,51–1,21) und 0,97 (95%-KI: 0,60–1,57). Auch bezüglich unerwünschter Ereignisse stellten die Wissenschaftler keinen Unterschied zwischen den Gruppen fest. Ein Vergleich der Elektrostimulation mit einer medikamentösen Behandlung erfolgte in 16 Studien mittlerer Qualität mit 894 Teilnehmern. Als Studienmedikamente dienten Probanthin (nicht
im AK der Schweiz), Tolterodin (Detrusitol®), Oxybutynin (Ditropan®), Propanthelinbromid (in der Schweiz nicht mehr im Handel), Solifenacinsuccinat (Vesicare®), Terodilin (nicht im AK der Schweiz) und Trospiumchlorid (SpasmoUrgenin®). In diesen Studien wurde mit der externen Elektrostimulation eine ausgeprägtere Verbesserung erzielt als mit den Medikamenten (RR: 0,66; 95%-KI: 0,48–0,90). Unter Oxybutynin und Tolterodin kam es häufiger zu unerwünschten Wirkungen als bei Anwendung der Elektrostimulation. Aufgrund mangelnder Evidenz aus weiteren Studien konnte nicht beurteilt werden, ob die Elektrostimulation in Kombination mit einem anderen Verfahren wirksamer ist als das andere Verfahren allein oder welches Elektrostimulationsverfahren am effektivsten ist. Ob der Nutzen der Elektrostimulation nach Beendigung der Behandlung weiterhin anhält, konnte ebenfalls nicht geklärt werden.
Qualitativ hochwertigere Studien
erforderlich
Die Cochrane-Experten bemängeln die trotz der grossen Studienanzahl unzureichende Evidenz. Des Weiteren kritisieren sie, dass in 33 der 51 ausgewerteten Studien die subjektive Veränderung der Symptomatik nicht als primärer Endpunkt diente, sondern der Behandlungserfolg vorwiegend oder ausschliesslich anhand objektiver Massstäbe wie urodynamischer Endpunkte erfasst wurde. Diese Beurteilung der Wirksamkeit ist ihrer Meinung nach von begrenztem praktischem Nutzen. So könnte ein behandelter Patient entsprechend objektiven Massstäben immer noch unter einer OAB leiden, aber dennoch eine subjektive Verbesserung verspüren, sodass eine weitere Therapie unterbleiben könnte. Aus dem Review geht nach Ansicht der Autoren deshalb vor allem hervor, dass zukünftig qualitativ hochwertige Studien mit einer geeigneten Erfassung subjektiver Endpunkte erforderlich sind. O
Petra Stölting
Quelle: Stewart F et al.: Electrical stimulation with nonimplanted electrodes for overactive bladder in adults. Cochrane Database Syst Rev 2016; 4: CD010098. doi: 10.1002/14651858.CD010098.pub3.
Interessenkonflikte: Die Autoren des referierten CochraneReviews erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
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ARS MEDICI 17 I 2016