Transkript
Zähne zeigen!
Mundgesundheit bei Diabetespatienten
BERICHT
Der Diabetes mellitus stellt einen Hauptrisikofaktor für die Parodontitis dar. Da die Entzündung des Zahnbetts umgekehrt auch die Blutzuckereinstellung beeinflussen kann, sollten Diabetiker auf eine gute Mundhygiene achten. An einem Symposium im Rahmen der Fortbildungsveranstaltung «Innere Medizin fachübergreifend – Diabetologie grenzenlos» wurde erörtert, worauf es dabei ankommt.
Claudia Borchard-Tuch
«Die Parodontitis ist eine wichtige Diabetesfolgekrankheit», erklärte Prof. Dr. med. dent. Thomas Kocher, Greifswald (D). Die Parodontitis ist eine entzündliche Erkrankung des Parodonts, das heisst des zahnhaltenden Gewebes, die durch Plaquebakterien ausgelöst wird. Die einsetzende Gingivitis führt zur Taschenbildung und schliesslich zu Gewebeabbau einschliesslich des Verlusts von Alveolarknochen, was schliesslich zum Verlust der Zähne führen kann.
Diabetes fördert Parodontitis
Die Infektion mit parodontopathogenen Mikroorganismen ist eine notwendige, aber keinesfalls hinreichende
gel erhöht, werden diverse Proteine im Blut glykolisiert. Im fortgeschrittenen Stadium entstehen verschiedene Endprodukte (advanced glycation end products, AGE). Bei Diabetes ist die AGEKonzentration im Zahnhalteapparat erhöht. Binden AGE an ihren Rezeptor auf Entzündungszellen, wird die Freisetzung von reaktiven Sauerstoffspezies, Zytokinen und anderen Entzündungsmediatoren aus diesen Zellen verstärkt. Weiterhin können AGE die Chemotaxis und die Adhäsion von Entzündungszellen und somit die Rekrutierung dieser Zellen ins parodontale Gewebe fördern. AGE begünstigen auch die Apoptose, das heisst den programmierten Zelltod von Fibroblasten
Metabolisch gut eingestellte Diabetiker sprechen ähnlich gut auf eine Parodontitistherapie an wie Nichtdiabetiker.
Bedingung für das Entstehen einer Parodontitis beziehungsweise ihres Schweregrads. Neben anderen Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht oder Nikotin fördert auch der Diabetes die Entstehung. «Wie verschiedene Studien zeigten, sind Prävalenz, Schweregrad und Progression einer Parodontitis mit Diabetes mellitus assoziiert», erklärte Prof. Dr. med. Petra-Maria Schumm-Draeger, München. Ist der Blutglukosespie-
und Osteoblasten, woraus eine verringerte Kollagen- und Knochenneubildung resultiert. Ausserdem wird Kollagen über AGE zusätzlich vernetzt, sodass der Ab- und Umbau sowie die Erneuerung des parodontalen Bindegewebes erschwert sind. Die pathogenetische Bedeutung der AGE besteht also zum Teil darin, dass sie Entzündungsprozesse im Parodont fördern und die Homöostase der parodontalen Gewebe hemmen können.
Eine Hyperglykämie kann auch direkt zur Freisetzung von schädigenden Entzündungsmediatoren führen. Das erhöhte Risiko für Parodontitis bei Vorliegen eines Diabetes mellitus hängt von der glykämischen Einstellung ab. Die Beobachtung, dass der Parodontalzustand von Diabetikern mit besserer glykämischer Einstellung dem von Nichtdiabetikern ähnelt, wohingegen mit schwindender glykämischer Kontrolle das Risiko für eine parodontale Destruktion erhöht ist, wird durch zahlreiche weitere Studien gestützt. So sprechen metabolisch gut eingestellte Diabetiker ähnlich gut auf eine Parodontitistherapie an wie Nichtdiabetiker. Die Ergebnisse nach einer parodontalen Behandlung können gleichermassen erfolgreich aufrechterhalten werden. Enossale Implantate haben sich in den vergangenen Jahren zu einem integralen Bestandteil der modernen zahnärztlichen Behandlung entwickelt. Bis heute wird Diabetes mellitus in Abhängigkeit von seiner glykämischen Kontrolle als eine relative Kontraindikation für die Versorgung mit enossalen Dentalimplantaten betrachtet. Unter der Voraussetzung einer guten Blutzuckereinstellung stellt der Diabetes mellitus keine absolute Kontraindikation für eine Implantatversorgung dar. Auch erbrachte der Vergleich von Patienten mit kontrolliertem Typ-2-Diabetes und nicht diabetischen Probanden im Hinblick auf einen vorzeitigen Implantatverlust keine Unterschiede. Allerdings war das Risiko für eine Periimplantitis bei Patienten mit Diabetes eindeutig erhöht.
Parodontitis geht mit
erhöhter Insulinresistenz einher
Einerseits gilt die Parodontitis als Folgeerkrankung eines Diabetes. Andererseits
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steht eine schwere Parodontitis häufig in Zusammenhang mit einer erhöhten Insulinresistenz, einer schlechten glykämischen Kontrolle und kardiovaskulären Komplikationen. Mit Zunahme der Sondierungstiefe oder des entzündeten parodontalen Gewebes (PISA) steigt auch der HbA1c-Wert bei Diabetikern an. Eine Studie ergab ausserdem, dass die Mortalität mit der Schwere der Entzündung des Zahnfleischs korreliert. Eine Behandlung der Parodontitis verbessert die Blutzuckerwerte. Eine Untersuchung ergab, dass eine zweiwöchige Behandlung mit täglich 100 mg Doxycyclin oral nicht nur signifikant die Entzündung, sondern auch die mittleren HbA1c-Werte reduzierte. Eine
winDiab-Studie
Das wissenschaftliche Institut der niedergelassenen Diabetologen (winDiab) führte eine Studie durch, in welcher der bidirektionale Zusammenhang zwischen Diabetes und Parodontitis bestätigt wurde. «Ein schlecht eingestellter Diabetes begünstigt das Entstehen und verschlimmert das Ausmass einer Parodontitis, umgekehrt verschlechtert eine floride Parodontitis die diabetische Stoffwechsellage», so Dr. med. Gregor Hess, Worms. In 28 Praxen waren 2152 Patienten (46,6% weiblich, 53,4% männlich) bereit, einen Fragebogen mit 24 Fragen zu ihrer Zahnpflege und -gesundheit auszufüllen und Angaben zu ihrem aktuel-
Diabetikern sollte der Zusammenhang zwischen Mundhygiene und ihrer Stoffwechselstörung bewusst gemacht werden.
weitere Studie zeigte, dass eine Behandlung mit Antibiotika die TNF-(Tumornekrosefaktor-)␣-Konzentrationen im Blut verringern konnte. Es wird angenommen, dass der Entzündungsmediator eine entscheidende Rolle bei der im Zusammenhang mit der Parodontitis stehenden Insulinresistenz spielt. Weitere Studien zeigten ausserdem, dass parodontale Erkrankungen auch das Risiko für diabetesassoziierte Komplikationen erhöhen. Diabetiker sollten ihre Zähne besonders gut pflegen, vor allem, wenn sie rauchen. Die zusätzliche Einnahme von Medikamenten, welche Mundtrockenheit verursachen können, erhöht die bakterielle Besiedlung und kann damit Zahnerkrankungen verursachen. Diabetikern sollte der Zusammenhang zwischen Mundhygiene und ihrer Stoffwechselstörung bewusst gemacht werden.
len Zahnstatus zu machen. Die Patienten waren im Mittel 59 Jahre alt, hatten eine mittlere Diabetesdauer von 13 Jahren, einen HbA1c-Wert von 7,4 Prozent und einen Body-Mass-Index (BMI) von 31 kg/m². Der überwiegende Teil der Patienten (n = 1405, 68,0%) führte eine Insulintherapie durch, 409 Patienten (19,6%) gaben an, zu rauchen, was ein zusätzlicher Risikofaktor insbesondere für den Zahnhalteapparat ist. Angaben zur Prothetik machten 930 Patienten (43,2%), davon trugen 337 (37,6%) eine Teil- oder Vollprothese. 325 Patienten (15,1%) berichteten über Zahnfleischbluten, 207 (9,6%) über Mundgeruch, 300 (13,9%) über Zahnfleischtaschen, 458 (21,3%) über Zahnfleischrückgang, 177 (8,2%) über lockere Zähne und 476 (22,1%) über Zahnverlust in den letzten 12 Monaten (132 Patienten haben einen Zahn, 52 zwei Zähne, 23 drei Zähne, 18 vier
Zähne und 29 mehr als vier Zähne verloren). Nur 1478 Patienten (69%) beantworteten die Fragen zur Zahnpflege: 1423 (96,3%) gaben an, sich täglich die Zähne zu putzen, unter ihnen 287 (16,7%) 1-mal, 1157 (67,3%) 2-mal und 275 (16,0%) bis zu 3-mal täglich. 553 Patienten (25,7%) verwenden zusätzlich Zahnseide, 291 (13,5%) Zahnhölzchen und 627 (29,1%) Interdentalbürsten. 1665 der Patienten (77,4%) waren in den letzten 12 Monaten bei ihrem Zahnarzt, davon 897 (41,7%) wegen einer professionellen Zahnreinigung.
Fazit für die Praxis
Die Untersuchung unterstreicht, wie
wichtig es ist, Diabetespatienten sorg-
fältig zu ihrer Zahngesundheit zu be-
fragen. Parodontitis ist eine diabetische
Folgeerkrankung, die sowohl in den
Praxen der zahnärztlichen Kollegen ein
Screening für das Vorliegen eines Dia-
betes auslösen wie auch bei Diabetolo-
gen stärker ins Bewusstsein gerückt
werden sollte.
O
Claudia Borchard-Tuch
Quelle: «Mundgesundheit» bei Diabetes – eine interdisziplinäre Herausforderung! Symposium im Rahmen der Fortbildungsveranstaltung «Innere Medizin fachübergreifend – Diabetologie grenzenlos», München, 20. Februar 2016.
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