Transkript
Wann herrscht Eisenmangel?
Oft reicht orale Substitution
BERICHT
Ein Eisenmangel entsteht, wenn das Gleichgewicht zwischen Eisenzufuhr aus der Nahrung und Eisenbedarf gestört ist. Deshalb müssen Risikogruppen und Blutungsquellen sorgfältig gesucht werden. Sehr bedeutsam ist die Information der Patienten über die Eisenquellen in der Nahrung und ihre Bioverfügbarkeit. Eine perorale Eisensupplementation sollte immer nüchtern, in tiefer Dosierung und regelmässig erfolgen, sagte PD Dr. med. Pierre-Alexandre Krayenbühl, Klinik für Innere Medizin, Spital Linth, Uznach, an der 9. Iron Academy in Zürich.
Eine verminderte Eisenaufnahme in den Körper kann auch medizinische Gründe haben, beispielsweise: O entzündliche Darmerkrankungen O Zöliakie (Sprue, Glutenunverträg-
lichkeit) O Medikamente O chronische Magenentzündungen O Zustand nach Magenoperationen O verminderte Eisenaufnahme im Alter.
Halid Bas
Zunächst ist bemerkenswert, dass Jugendliche in Europa nicht selten einen Eisenmangel aufweisen: 21 Prozent sind es bei den heranwachsenden Frauen und immerhin gut 17 Prozent bei den Burschen (1). Aus verschiedenen europäischen Studien ist bekannt, dass jede fünfte Frau vor den Wechseljahren einen Eisenmangel aufweist, ein Anteil, der auch bei Frauen zwischen 18 und 42 Jahren in Zürich gefunden wurde (2).
MERKSÄTZE
O Eisen hat vielfältige, auch nicht hämatologische Funktionen.
O Patienten sollten über Eisenquellen und die Bioverfügbarkeit des Eisens informiert sein.
O Die perorale Eisentherapie sollte nüchtern, tief dosiert und regelmässig erfolgen.
O Eine intravenöse Eisentherapie ist bei Nichtverträglichkeit der oralen Therapie, Malabsorption oder schwerer symptomatischer Eisenmangelanämie sinnvoll.
Prekäre Balance zwischen
Eisenzufuhr und -bedarf
Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung empfiehlt je nach Alter und Geschlecht differenzierte Mengen für die tägliche Eisenaufnahme (Tabelle 1) (3). Tatsächlich nehmen sowohl Adoleszente als auch erwachsene Frauen mengenmässig zu wenig Eisen auf, wie Untersuchungen in verschiedenen europäischen Ländern gezeigt haben. Risikogruppen für eine ungenügende Nahrungszufuhr von Eisen sind Vegetarier, Teenager und Senioren mit Fehlernährung sowie Personen mit Essstörung. Während Vitamin C die Eisenresorption fördert, wird sie durch Kalzium gehemmt. Auch alltägliche Getränke haben einen Einfluss: Tee mindert die Eisenaufnahme um 64 Prozent, Kaffee um 39 Prozent. Die Behinderung der Eisenaufnahme beruht auf Hemmstoffen (z.B. Phytinsäure in Getreide und Hülsenfrüchten oder Polyphenole in Früchten, Kaffee, Tee und Nüssen), welche Eisen in unlöslichen Komplexen binden. Unter dem Gesichtspunkt der Eisenaufnahme sind gewisse Lebensmittelgruppen empfehlenswerter als andere (Tabelle 2). Prekär ist die Eisenversorgung aus der Nahrung, wenn auf Fleisch verzichtet wird.
Ein erhöhter Eisenbedarf besteht während des Wachstums, ausgeprägter noch bei Jungen als bei Mädchen im Wachstumsschub. Ausdauersport führt zu Eisenverlust in Urin, Darm und Schweiss. Ein vermehrter Eisenverlust tritt auch bei Blutungen auf, beispielsweise während der Menstruation, bei Darmblutungen oder im Zusammenhang mit Operationen.
Müdigkeit bei Eisenmangel
auch ohne Anämie
Auf die Frage, ob Eisenmangel – auch ohne Anämie – Symptome verursacht, konnte eine randomisierte, prospektive, doppelblinde, plazebokontrollierte Studie eine eindeutige Antwort geben (3). Einschlusskriterien waren Frauen über 18 Jahre mit regelmässigen Menstruationen, Serumferritin < 50 µg/l und Müdigkeit bei fehlender Anämie (Hb > 12 g/dl). 43 Frauen erhielten eine einmalige Eiseninfusion, 47 Frauen eine Kochsalzinfusion als Plazebo. Von einer Besserung der Müdigkeit berichteten 60 Prozent der Frauen nach Eisen-, aber nur 40 Prozent nach Plazebozufuhr. «Die Eisengabe besserte die Müdigkeit bei Frauen mit Eisenmangel auch ohne Vorliegen einer Anämie. Sie wirkte jedoch nur bei Frauen mit sehr leeren Eisenspeichern», resümierte Krayenbühl. Die Ergebnisse wurden später in einer anderen Studie bei 290 Frauen mit Müdig-
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BERICHT
Tabelle 1:
Empfohlene Eisenzufuhr gemäss Schweizerischer Gesellschaft für Ernährung (in mg/Tag)
Alter 4 Monate bis 7 Jahre 7 bis 10 Jahre 10 bis < 19 Jahre 19 bis < 51 Jahre 51 Jahre und älter Schwangere männlich 12 10 8 10 10 30 weiblich 15 15 keit und Eisenmangel ohne Anämie bestätigt (4). Eisen ist an vielen Orten im Körper enthalten Eisen hat im menschlichen Körper sehr vielfältige Funktionen. Wer wachsen will, braucht Eisen. Indirekt hat das auch eine Studie bestätigt, die bei Patienten mit hereditärer Hämochromatose eine grössere Körperhöhe nachweisen konnte (5). Daneben spielt Eisen für die Funktion des Herzens, des Gehirns, der Muskeln und bei der Ener- giegewinnung eine wichtige Rolle. Hierfür sind verschiedene eisenhaltige Enzyme verantwortlich: O Häm-Moleküle (Hämoglobin, Myo- globin, Zytochrome) für Sauerstofftransport und -speicherung sowie Elektronenübertragung O Nicht-Häm-Eisenenzyme (z.B. Ribonukleotidreduktase für den letzten Schritt in der Synthese der DNABausteine) O Enzyme mit Eisen-Schwefel-Komplexen (z.B. NADH-Dehydrogenase in der Atmungskette in den Mitochondrien). Weitere eisenhaltige Proteine sorgen für die Synthese von Hormonen und Neurotransmittern, für die Immunantwort und für Entzündungsvorgänge (6). Für die Eisenregulation ist Hepcidin verantwortlich. Hepcidin bremst die Eisenaufnahme in den Enterozyten sowie die Eisenfreisetzung aus Makrophagen. Chronische Entzündungsvorgänge führen zu einer gesteigerten Hepicidinproduktion in der Leber und verursachen so einen Eisenmangel mit Anämie. Umgekehrt ist ein Hepcidinmangel bei autosomal-rezessiven Formen der Hämochromatose beteiligt. Tabelle 2: Eisenbioverfügbarkeit je nach Art der Nahrung Lebensmittelgruppe Zerealien Früchte Gemüse Nüsse Fleisch weitere eiweissreiche Lebensmittel Getränke tief Mais, Haferflocken, Reis, Vollkornmehl Äpfel, Bananen, Trauben, Pfirsiche, Birnen, Pflaumen, Erdbeeren Auberginen, Linsen, Spinat, Lima-/Favabohnen Mandeln, Kokosnüsse, Walnüsse, Erdnüsse Milch/-produkte, Käse, Eier, Sojaprotein, Sojamehl Tee, Kaffee, Softdrinks, Wasser Eisenbioverfügbarkeit mittel Maismehl, Weissmehl hoch Ananas, Mango, Zuckermelonen Zitronen, Orangen, Tomaten Karotten, Kartoffeln Runkelrübe, Kohl, Blumenkohl, Kürbis, Rüben Rind, Fisch, Geflügel Rotwein Weisswein (gemäss Checkliste Ernährung, Paolo M. Suter) Kasten: Orale Eisentherapie O Gyno-Tardyferon®: Eisen(II)-sulfat (80 mg), Folsäure (0,35 mg) O Maltofer® Fol: Eisen(III)-hydroxid-Polymaltose-Komplex (100 mg) und Folsäure (0,35 mg) O Elevit® Pronatal: Eisen (60 mg), Folsäure (0,8 mg), Kalzium (125 mg) sowie viele Vitamine O Duofer®: Ferrum (Eisenfumarat und Eisengluconat) 69 mg, Vitamin C 300 mg, Acidum folicum 0,4 mg O Fero-Folic-500®: Eisen(II)-sulfat 105 mg, Vitamin C 500 mg, Folsäure (0,35 mg) Eisengabe wenn möglich oral «Der Eisenmangel ist gemäss WHO als ein Ferritinwert unter 15 µg/l definiert», daran erinnerte Krayenbühl. Für die Eisensubstitution ist es wichtig, dass bei einer Steigerung der Einzeldosis proportional immer weniger Eisen aufgenommen wird, die Zufuhr also weniger effektiv wird. Zudem spielt auch der Dosierungszeitpunkt eine Rolle (7). In einer Studie mit Kleinkindern bewirkte eine Eisenzufuhr als Ernährungsergänzung ungünstige Veränderungen des Darmmikrobioms, erhöhte die Zahl von Pathogenen und Entzündungsvorgängen im Darm und begünstigte Diarrhöen (8). «Wir sollten also vorsichtig sein und uns gut überlegen, was wir tun, wenn wir Eisen verordnen», kommentierte Krayenbühl. Zum praktischen Vorgehen gab der Referent einige Tipps. Zunächst muss mit den Patienten über ihre Ernährung gesprochen werden, über die Quellen von Eisen in der Nahrung und über ihre Bioverfügbarkeit. Wichtig sind auch das Erkennen von Phasen mit erhöhtem Eisenbedarf (Wachstum, Ausdauersport, Alter) und das Aufspüren von Blutverlusten. Ist eine Indikation zur Eisensupplementation gegeben, sollen orale Eisenmedikamente nüchtern, in tiefer Dosis und mit regelmässiger Einnahme 702 ARS MEDICI 16 I 2016 BERICHT verordnet werden. Dazu stehen verschiedene Präparate zur Verfügung (Kasten). «Wir sollten vorsichtig sein und uns gut überlegen, was wir tun, wenn wir Eisen verordnen.» Eine intravenöse Eisentherapie sollte nach Krayenbühls Überzeugung nur folgenden Situationen vorbehalten sein: O Nichtverträglichkeit der oralen The- rapie O Malabsorption O schwere, symptomatische Eisenman- gelanämie. Als Eisenpräparate nannte der Referent Eisensaccharat (Venofer®) und die neuere Eisencarboxymaltose (Ferin- ject®). Die Gabe soll nicht bei akuten Infekten erfolgen. Bei der Verabrei- chung ist auf die korrekte Verdünnung zu achten. Bei falscher Indikationsstel- lung ist eine Eisenüberladung poten- ziell möglich. Eine Ferritinkontrolle sollte erst 3 bis 6 Monate nach der letzten Infusion erfolgen, sonst ist sie nicht aussagekräftig. Ein Ferritin- wert über 100 µg/l spricht unabhängig von einer Infektion für einen vollen Eisenspeicher. O Halid Bas Referenzen: 1. Ferrari M et al.: Evaluation of iron status in European adolescents through biochemical iron indicators: the HELENA Study. Eur J Clin Nutr 2011; 65(3): 340–349. 2. Andersson 2010, Diss. ETH No. 19032 3. Krayenbuehl PA et al.: Intravenous iron for the treatment of fatigue in nonanemic, premenopausal women with low serum ferritin concentration. Blood 2011; 118(12): 3222–3227. 4. Favrat B et al.: Evaluation of a single dose of ferric carboxymaltose in fatigued, iron-deficient women — PREFER a randomized, placebo-controlled study. PLoS One 2014; 9(4):e94217. 5. Cippà PE, Krayenbuehl PA: Increased height in HFE hemochromatosis. N Engl J Med 2013; 369(8): 785–786. 6. Ganz T et al.: Iron homeostasis in host defence and inflammation. Nat Rev Immunol 2015; 15(8): 500–510. 7. Moretti D et al.: Oral iron supplements increase hepcidin and decrease iron absorption from daily or twicedaily doses in iron-depleted young women. Blood 2015; 126(17): 1981–1989. 8. Jaeggi T et al.: Iron fortification adversely affects the gut microbiome, increases pathogen abundance and induces intestinal inflammation in Kenyan infants. Gut 2015; 64(5): 731–742. Interessenlage: Das Symposium wurde gesponsert von B. Braun Medical AG, SRS Medical GmbH, Sysmex Suisse AG und Vifor Pharma.