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FORUM
Virushepatitis – mit mehr Testen in Richtung Elimination
Hinsichtlich des Testens weist die Versorgung von Patienten mit chronischer Hepatitis B und C in der Schweiz eine erhebliche Lücke auf. Das will eine Kampagne der Schweizerischen Hepatitis-Strategie mit einer Online-Risikoabschätzung für Betroffene ändern.
PHILIP BRUGGMANN
Hepatitis B kann sehr effizient durch konsequente Impfung der Säuglinge respektive Jugendlichen sowie der ungeimpften Immigranten verhindert werden. Auf Behandlungsebene zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung der Medikamente ab wie für Hepatitis C, sodass in einigen Jahren eine chronische Hepatitis-B-Infektion auch dauerhaft eliminiert werden könnte.
Die Krankheitslast der Virushepatitis geht weit über die Leber hinaus. Hepatitis C (HCV) führt zu einer Entzündung der Leber, häufig folgt danach ein langsam verlaufender Vernarbungsprozess. Doch das Virus, das durch Blut übertragbar ist, kann beinahe jedes Organ des menschlichen Körpers befallen und stellt einen relevanten Risikofaktor für Diabetes mellitus, Depression, Arteriosklerose und malignes Lymphom dar. Die häufigsten extrahepatischen Symptome sind Müdigkeit, Konzentrationsstörungen und Gelenkschmerzen. Durch eine erfolgreiche Hepatitis-CTherapie können die erwähnten Folgen und Symptome meist behoben respektive deren Auftreten verhindert wer-
den. In der Schweiz sterben jährlich mehr Personen an den Folgen einer chronischen Virushepatitis als an den Folgen von HIV. Dies könnte verhindert werden. Mit den neuen hochwirksamen und gut verträglichen direkt wirksamen antiviralen Substanzen gegen Hepatitis C (DAA) werden Heilungsraten von über 90 Prozent erzielt, und es gibt kaum mehr medizinische Kontraindikationen. Zusammen mit den Erkenntnissen des systemischen Charakters von Hepatitis C führte dies zu einem Paradigmenwechsel: Die Guidelines der US-amerikanischen Gesellschaften für Hepatologie und Infektiologie empfehlen seit Oktober 2015, alle Betroffenen zu behandeln, unabhängig von Leberschaden oder allfälligen Symptomen (www.hcvguidelines.org).
Gratisflyer und -poster für die Kampagne in Deutsch, Französisch und Italienisch können unter info@hepatitisschweiz.ch bestellt werden.
Tabelle: Wichtigste Risikofaktoren für die Infektion mit Hepatitis B oder C
O Personen mit derzeitigem oder früherem i.v. oder pernasalen Drogenkonsum O HIV- und HBV-positive Personen O schwangere Frauen sowie Kinder von HCV- oder HBV-positiven Müttern O alle Personen mit Jahrgängen 1950 bis 1985 (nur Hepatitis C) O ehemalige und derzeitige Gefängnisinsassen O Personen mit Tattoos/Piercings, die unter ungenügend sterilen Bedingungen appliziert wurden O Personen mit Manicure/Pedicure-Behandlungen unter ungenügend sterilen Bedingungen O Dialysepatienten O Migranten aus Hochprävalenzländern* O Empfänger von Blutprodukten in der Schweiz vor 1992 O Patienten mit (zahn-)medizinischen Eingriffen in Regionen mit ungenügenden Hygienestandards O Patienten mit erhöhten Transaminasen oder unklaren chronischen Leberschäden O ungeschützter Sexualkontakt mit Hepatitis-B-infizierten Personen oder mit Personen mit unbekanntem
Hepatitis-B-Status
* Hochprävalenzländer: > 60-jährige Personen aus Italien und Spanien; Personen, die in Ländern wie Russland, China, Pakistan, Indien, Iran, Irak, Saudi-Arabien, Syrien, Ägypten, Libyen, Tunesien, Marokko oder Nigeria geboren/aufgewachsen sind
Derzeit kostet eine HCV-Therapie in der Schweiz zwischen 30 000 und 150 000 Franken. Aufgrund der befürchteten Kostenexplosion hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) den Einsatz der DAA auf Patienten mit mittelschwerem oder weiter fortgeschrittenem Leberschaden limitiert. Dies führt in der Sprechstunde regelmässig dazu, dass der behandelnde Arzt dem Betroffenen sagen muss, dass er noch keine Therapie erhalten kann, weil die Leber noch zu wenig geschädigt sei. Doch im Vergleich zu HIV ist die Versorgungslage nicht nur bezüglich des limitierten Einsatzes der Medikamente bedenklich. Aufgrund der vorhandenen epidemiologischen Zahlen und darauf basierenden Schätzungen wird davon ausgegangen, dass in der Schweiz weniger als die Hälfte der 80 000 chronisch infizierten Hepatitis-C-Betroffenen
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Schweizerische Hepatitis-Strategie
Zur Bekämpfung der zunehmenden Belastung der öffentlichen Gesundheit durch die Folgen von Virushepatitis hat sich aus privater Initiative ein Netzwerk von über 80 Persönlichkeiten aus allen betroffenen Bereichen (Patienten, Medizin, Politik, Behörden, Kostenträger, Privatwirtschaft) zusammengetan, das eine Hepatitis-Strategie für die Schweiz entwickelt und umsetzt.
Die Vision des Netzwerks ist die Elimination viraler Hepatitis in der Schweiz bis 2030. Mit ihren ehrgeizigen Zielen ist das Netzwerk Schweizer Hepatitis-Strategie nicht allein. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verabschiedete im Mai 2016 ihre Hepatitis-Strategie, die ebenfalls die Elimination der viralen Hepatitis zum Ziel hat.
Die privat initiierte Schweizerische Hepatitis-Strategie strebt eine Private-Public-Partnership mit dem BAG an, um gemeinsam und kosteneffizient vorzugehen. Das Netzwerk hat bisher über 1500 Stunden unentgeltliche Arbeit für diese Sache geleistet.
getestet sind. Dies ist einerseits auf die fehlenden spezifischen Symptome zurückzuführen, andererseits auch auf das mangelnde Bewusstsein und Wissen über diese Epidemie und deren Risikofaktoren. Die Schweizerische Hepatitis-Strategie (Kasten) hat sich daher zum Ziel gesetzt, das Wissen bezüglich Virushepatitis und Risiken (Tabelle) für eine Ansteckung in der Allgemeinbevölkerung zu verbessern. Die diesjährige Kampagne bietet eine Online-Risikoabschätzung auf www.hepatitis-schweiz.ch an, die in wenigen Minuten absolviert werden kann. Grundsätzlich braucht es für eine Hepatitis-C-Ansteckung Blut-zu-BlutKontakt. Hepatitis B ist zusätzlich sexuell über Schleimhautkontakt ansteckbar (wie HIV). Nebst den bekannten Risikofaktoren Bluttransfusionen vor 1991, Dialyse, intravenösem oder pernasalem Drogenkonsum sind auch ungenügend steril durchgeführte Tattoos, Piercings, Manicure oder Pedicure weniger gut bekannte Risikofaktoren.
Bei Hepatitis C besteht eine starke
Häufung der Fälle für die Jahrgänge
1950 bis 1985, mit einer Kumulation
bei den Sechziger-Jahrgängen. Es emp-
fiehlt sich daher, Personen mit diesen
Jahrgängen einmal im Leben auf Hepa-
titis-C-Antikörper zu testen.
O
PD Dr. med. Philip Bruggmann
Chefarzt Innere Medizin Arud Zentren für Suchtmedizin 8005 Zürich E-mail: p.bruggmann@arud.ch
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