Transkript
Rosenbergstrasse
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Alle vier Jahre wieder: Dopingskandal vor und an den Olympischen Spielen. Diesmal traf’s die Russen, die das Doping rationali-, nämlich zentralisiert hatten, aber dumm genug waren, sich dabei erwischen beziehungsweise verpfeifen zu lassen. Ähnlich wie die plapperhaften Kenianer, die sich von skandalgiggerigen und primeurgetriebenen Journalisten übertölpeln liessen. Die Brasilianer waren da cleverer, die haben die letzten paar Monate einfach nicht mehr kontrolliert.
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Und dann gibt’s da jene, die sich grauenhaft aufregen und so tun, als ob beim Doping Betrug das Problem wäre. Dabei dreht sich doch alles nur um eines: Wer geht am intelligentesten mit Doping um, nämlich so, dass nichts nachzuweisen ist? Der Rest ist Business, das Dopen genauso wie der Kampf dagegen – und die Berichterstattung darüber.
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Die frivole Gisela, wen wundert’s, findet, man solle Doping freigeben. Das dümmste Argument dagegen sei Chancengleichheit. Die gebe es von Natur aus nicht, aber wenigstens gäbe es dann Chancengleichheit beim Dopen. Das zweitdümmste Argument seien Gesundheitsschäden durch Doping. Die grössten Schäden verursache der Spitzensport selbst, Dopen sei im Vergleich dazu harmlos. Ja, ja, unsere Gisela.
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Und was sagt der übergewichtige Nachbar zu Sport? Nein, er beruft sich nicht auf Winston Churchill, er bemüht eher ästhetische Aspekte (ausserhalb seiner selbst): «Bei manchen sieht Joggen aus wie Sterben mit Anlauf.»
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Ganz aktuell äusserte sich – ungewollt natürlich – auch der neue Weltrekordhalter über 400 m, der Südafrikaner Wayde van Niekerk, zum Thema. Auf die Frage, wie so ein sagenhafter, ja unglaublicher Weltrekord denn möglich sei, meinte er: «Es ist alles möglich, wenn du an Gott glaubst.» Und beschwichtigend: «Gottes Werk ist immer unglaublich.» Vielleicht sollte die WADA, die World Anti-Doping Agency, sich statt immer nur um Amphetamine, Anabolika und Epoietin auch mal um die chemische Zusammensetzung «spirituelles Dopings» sowie um dessen Pharmako- (oder vielleicht müsste es heissen Spirito-) kinetik kümmern.
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Bleiben wir bei den Olympischen Spielen: Alle lieben Heidi. Sie wissen schon, unsere Pistolenschützin aus dem Thurgau mit der Olympia-Bronzemedaille. Der erste Reflex der meisten Bekannten war so was wie Dankbarkeit: endlich jemand «in unserer Währung», ohne Sixpack, ohne Tattoo, ohne modische Rastazöpfchen, dafür mit sympathisch bürgerlichem Übergewicht. Die selbstgefällige CouchPotato-Reaktion wich allerdings rasch staunender Bewunderung. Ohne sechs Stunden Training täglich wird man denn doch nicht Medaillengewinnerin, nicht mal – oder erst recht nicht – im Schiessen. Chapeau! Und Gratulation!
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Röbi, Alt-68er, auf die Frage, ob er politisch eigentlich eher ein Rechter oder eher ein Linker sei: «Beim Betrachten der Welt ein Rechter, bei ihrer Analyse ein Linker und bei Vorschlägen zu ihrer Rettung ein Zyniker.»
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Petar, Asylsuchender aus Mazedonien (und daher praktisch ohne Chance auf Anerkennung), meinte, wir (er meinte die Deutschen ebenso wie uns Schweizer) lebten hier im Paradies und merkten es nicht. Was denn so paradiesisch sei in Westeuropa, war die Frage. Das viele Geld etwa? Dass es uns materiell so gut geht? Die Antwort Petars: Nein, nicht der Wohlstand, sondern die Tatsache, dass man sich darauf verlassen kann, dass einem ein Polizist hilft, wenn man in Not ist. Er muss es wissen, er hat in einem Land gelebt, wo Leute in Polizeiuniform mit den Exponenten der lokalen «Mafia» öffentlich Kaffee tranken. Vermutlich hat Petar recht: Der entscheidende Luxus unserer Gesellschaft ist ein funktionierender Rechtsstaat. Und der beginnt eben beim Polizisten auf Streife oder im Büro. Wir haben möglicherweise fast vergessen, dass das keine Selbstverständlichkeit ist. Danke für den Hinweis. Eigentlich hätte Petar dafür ein Entgegenkommen – Asyl – verdient.
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Glückliche Schweiz, wo es (noch) nicht wie in vielen europäischen Ländern heisst: Die Demokratie endet da, wo das Volk eine Entscheidungskompetenz beansprucht, die ihm von den Volksvertretern gar nie übertragen wurde …
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Und das meint Walti: Bleiben Sie Optimist – zumindest so lange, bis Sie von Berichten hören, dass man Tiere in Paaren nach Cape Canaveral bringt.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 16 I 2016
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