Transkript
STUDIE REFERIERT
ASS in der Primärprävention kardiovaskulärer Ereignisse
Gesamtsterblichkeit (RR 0,95; 95%-KI: 0,89–1,01) und die kardiovaskuläre Mortalität (RR 0,97; 95%-KI: 0,85–1,10) zeigte sich jedoch kein Vorteil.
Aus einem systematischen Review mit Metaanalyse geht hervor, dass Acetylsalicylsäure (ASS) zur Primärprävention kardiovaskulärer Ereignisse nur einen begrenzten Nutzen aufweist. ASS senkt zwar das Risiko für einen nicht tödlichen Herzinfarkt, reduziert jedoch nicht die Gesamtsterblichkeit und die kardiovaskuläre Mortalität.
Annals of Internal Medicine
Zur Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse ist der Nutzen von ASS (Aspirin®) eindeutig belegt. Für Personen mit vorherigem Herzinfarkt oder Schlaganfall wird dieser Wirkstoff daher in allen Richtlinien empfohlen. Im Hinblick auf die Primärprävention sind die Fachgesellschaften dagegen unterschiedlicher Meinung. Die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) entschied vor Kurzem, dass die Primärprävention keine Indikation für die Verschreibung von ASS sein sollte. Die U.S. Preventive Services Task Force (USPSTF) hat ASS im Jahr 2009 dagegen zur Primärprävention befürwortet. Diese Empfehlung wurde nun unter Berücksichtigung neuer Daten überprüft und aktualisiert. Zur Erstellung des Updates haben Janelle Guirguis-Blake vom Kaiser Permanente Research Affiliates Evidence-based Practice Center in Portland (Oregon, USA) und ihre Arbeitsgruppe den Nutzen von ASS zur Primärprävention kardiovaskulärer Ereignisse bei Erwachsenen ab 40 Jahren in einem systematischen Review mit Metaanalyse evaluiert. Ergänzend untersuchten die Wissenschaftler die Wirksamkeit einer Primärprävention bei Subgruppen (Alter, Geschlecht, Diabetesstatus) sowie die Einflüsse unterschiedlicher ASS-Dosierungen und der Behandlungsdauer.
MERKSÄTZE
O Eine Primärprävention mit ASS senkt das Risiko für einen nicht tödlichen Herzinfarkt.
O Diese Risikoreduzierung ist bei älteren Personen ausgeprägter als bei jüngeren.
O Die Gesamtsterblichkeit und die kardiovaskuläre Mortalität werden mit ASS nicht reduziert.
Reduzierung nicht tödlicher
Herzinfarkte
In der Metaanalyse werteten die Experten 11 randomisierte kontrollierte Studien aus. In diesen Studien senkte ASS in allen Dosierungen das Risiko für einen nicht tödlichen Herzinfarkt (relatives Risiko [RR]: 0,78; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,71–0,87). Dieser präventive Nutzen zeigte sich innerhalb der ersten fünf Behandlungsjahre. Das Risiko für einen nicht tödlichen Schlaganfall wurde in den 11 Studien jedoch nicht reduziert (RR: 0,95; 95%-KI: 0,85–1,06). Auch im Hinblick auf die Gesamtsterblichkeit (RR: 0,94; 95%-KI: 0,89–0,99) und auf die kardiovaskuläre Mortalität (RR: 0,94; 95%-KI: 0,86–1,03) war ASS mit keinem oder nur einem geringen Nutzen verbunden.
Ältere profitieren mehr
Bei älteren Personen wurde mit ASS eine ausgeprägtere Senkung der Herzinfarktrate erzielt als bei jüngeren. So wurde in der Women’s Health Study (WHS) bei Frauen ab 65 Jahren eine statistisch signifikante Reduzierung aller Herzinfarkte um 34 Prozent beobachtet (RR: 0,66; 95%-KI: 0,44–0,97). In den anderen Subgruppen (Geschlecht, Diabetesstatus) profitierten die Patienten dagegen nicht in besonderem Masse.
Niedrige Dosierungen ausreichend
In acht Studien wurde mit niedrigen ASSDosierungen (bis maximal 100 mg/Tag) eine statistisch relevante Senkung der Rate nicht tödlicher Herzinfarkte erzielt (RR: 0,83; 95%-KI: 0,74–0,94). Die absolute Risikoreduzierung lag bei 0,15 bis 1,43 Ereignisse pro 1000 Personenjahre. Des Weiteren wurde bei niedriger Dosierung eine Reduzierung nicht tödlicher Schlaganfälle um 14 Prozent beobachtet (RR: 0,86; 95%-KI: 0,76– 0,98), die bei der Auswertung aller Studien nicht zu erkennen war. Im Hinblick auf die
Diskussion
Aus der Metaanalyse geht hervor, dass eine
Primärprävention mit ASS das Risiko für
einen nicht tödlichen Herzinfarkt um 22 Pro-
zent senkt. Dieses Ergebnis stimmt mit den
Resultaten anderer Metaanalysen überein.
Aufgrund der erhöhten Blutungsgefahr im
Zusammenhang mit ASS halten die Auto-
ren eine individuelle Abwägung des Nut-
zens und der Risiken für erforderlich. Dies
gilt vor allem für Patienten mit geringem
oder mittlerem kardiovaskulärem Risiko.
Um unnötige Behandlungen zu vermeiden,
empfehlen die Wissenschaftler eine Identifi-
zierung von Personen mit einem hohen kar-
diovaskulären 10-Jahres-Risiko, das mit
den Gleichungen des American College of
Cardiology und der American Heart Asso-
ciation für ein erstes schweres atheroskle-
rotisches kardiovaskuläres Ereignis (nicht
tödlicher Herzinfarkt, Tod aufgrund koro-
narer Herzkrankheit, tödlicher und nicht
tödlicher Schlaganfall) abgeschätzt werden
kann.
Als Limitation ihrer Metaanalyse erachten
die Autoren die Heterogenität der 11 Studien
bezüglich der ASS-Dosierung, der Behand-
lungsdauer, der Patientencharakteristika,
der Komorbiditäten und des kardiovasku-
lären Risikos bei Studienbeginn. Zudem
wurden in den Studien häufig kombinierte
Endpunkte gewählt, sodass nur wenige Da-
ten für die einzelnen Endresultate vorlagen.
Ob der Nutzen einer ASS-Primärpräven-
tion bezüglich nicht tödlicher Herzinfarkte
auch nach 5 oder 10 Jahren bestehen bleibt,
kann nicht beurteilt werden, da die Beob-
achtungszeiträume meist nur 4 bis 6 Jahre
umfassten.
Die Autoren vermuten, dass zur Primärprä-
vention eine ASS-Dosis von 75–100 mg/
Tag ausreicht. Eine begrenzte Datenlage
weist darauf hin, dass eine ASS-Einnahme
alle 2 Tage ebenfalls mit kardiovaskulärem
Nutzen verbunden sein könnte.
O
Petra Stölting
Quelle: Guirguis-Blake JM et al.: Aspirin for the primary prevention of cardiovascular events: a systematic evidence review for the U.S. Preventive Services Task Force. Ann Intern Med 2016; 164(12): 804–813..
Interessenkonflikte: Die referierte Originalstudie wurde von der Agency of Health Care Research and Quality (AHRQ) finanziert. Während der Studiendurchführung standen die fünf Autoren bei der AHRQ unter Vertrag.
730
ARS MEDICI 16 I 2016