Transkript
FORTBILDUNG
Serie: Augenheilkunde aktuell
Was tun bei trockenen Augen?
Qualitative Oberflächenbenetzungsstörung – die Zusammensetzung ist entscheidend
Brennende und stechende Augen, ein Müdigkeitsgefühl, starke Lichtempfindlichkeit, störender Tränenfluss über die Wange oder sogar eine schwankende Sehschärfe – all das können Symptome des trockenen Auges sein. Diese chronische Krankheit stellt eine der häufigsten Augenerkrankungen dar und kann für Patienten zu einer grossen Beeinträchtigung der Lebensqualität führen.
Fabrizio Branca
Der Tränenfilm ist zwar nur etwa 7 Mikrometer dick, ist aber für eine optimale Sicht ganz entscheidend: Er schützt das Auge vor Fremdkörpern und Infektionen, dient als Gleitschicht für das Oberlid und ernährt die Hornhaut über Diffusion. In ihm gelöst finden sich eine Vielzahl an Proteinen, Immunoglobulinen, Wachstumsfaktoren und anorganischen Salzen.
Störung der Qualität oder der Quantität? In der Mehrzahl der Fälle ist die Trockenheit nicht auf zu wenig Tränenflüssigkeit, sondern auf eine mangelnde Qualität des Tränenfilms zurückzuführen (siehe Abbildung 2). Die Ursache dafür ist eine Verstopfung der Ausführungsgänge der Lidranddrüsen (Meibom-Drüsen), welche die Lipidkomponente des Tränenfilms produzieren. Dadurch kann die Tränenflüssigkeit nicht mehr adäquat auf der Augenoberfläche gehalten werden, und der Tränenfilm verdunstet rasch – man spricht von einem evaporativen trockenen Auge. Alle Faktoren, welche die Verdunstung am Auge begünstigen, können die Beschwerden verschlimmern. Dazu gehört beispielsweise
MERKSÄTZE
O Trockene Augen sind eine der häufigsten Augenerkrankungen.
O Eine Dysfunktion der Lidranddrüsen führt zu einer mangelnden Qualität des Tränenfilms.
O Es gibt vielfältige Symptome: Brennen, Müdigkeit, Lichtempfindlichkeit, Verschwommensehen, Tränen.
O Künstliche Tränen sind die Basistherapie.
trockene Umgebungsluft durch Heizungen, ein pfeifender Wind, das auf die Augen gerichtete Gebläse der Klimaanlage im Auto oder längere Arbeit am Bildschirm. Bei trockenen Augen im Zusammenhang mit Bildschirmtätigkeit in klimatisierten Grossraumbüros spricht man auch vom sogenannten Office-Eye-Syndrome. Auch Substanzen wie zum Beispiel Isotretinoin, Betablocker, Diuretika oder Antidepressiva können negativ auf die Sekretion der Lidranddrüsen wirken. Ebenso können verschiedene Hauterkrankungen, die sich am Lidrand manifestieren (z.B. Rosazea), die Funktion der Lidranddrüsen beeinträchtigen. Neurologische Beeinträchtigungen, wie zum Beispiel bei Morbus Parkinson, führen durch eine reduzierte Blinzelfrequenz zu einem trockenen Auge.
Warum trockene Augen tränen
Eine erhöhte Verdunstung der Tränenflüssigkeit kann auch auftreten, wenn der empfindliche Tränenfilm aus verschiedenen Gründen instabil wird. Dazu gehören beispielsweise Operationen am Auge, Konservierungsmittel in regelmässig applizierten Augentropfen zum Beispiel beim Glaukom, eine Allergie oder auch das Tragen von Kontaktlinsen. Paradoxerweise klagen Patienten mit dieser Form des trockenen Auges häufig über ein störendes Tränen der Augen. Dieses entsteht durch den Versuch der Augen, die qualitative Oberflächenbenetzungsstörung durch ein Plus an wässriger Flüssigkeit zu kompensieren.
Grundsätze der Therapie
Die Basis der Therapie des trockenen Auges ist der Einsatz von künstlichen Tränen (siehe Tabelle 1). Leichtere Formen werden mit niedrig viskösen Präparaten wie beispielsweise synthetischen Polymeren (z.B. Oculac® Augentropfen) behandelt, stärkere Beschwerden mit visköseren Produkten auf Basis von Hyaluronsäure (z.B. Lacrycon® SDU Augentropfen). Gelegentlich kommen auch Gels oder Salben zum Einsatz. Die meisten verfügbaren Substanzen weisen über den Gleitmitteleffekt hinaus keine erkennbare klinische Aktivität auf. Zudem liegen keine grossen, verblindeten, klinischen Vergleichsstudien vor, in denen die breite Vielfalt der verfügbaren künstlichen Tränen ausgewertet wird.
Mit zwei Massnahmen bereits viel erreichen
Viel entscheidender als die Auswahl der Augentropfen ist in einem ersten Behandlungsschritt, dass überhaupt genügend häufig Augentropfen appliziert werden. Ein weiterer Grundpfeiler der Behandlung ist die regelmässige Durchführung einer sogenannten Lidrandmassage. Dabei wird das einge-
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kontrollieren. Eine Schulung der Patienten über die Chronizität der Erkrankung ist essenziell. Sie müssen erkennen, dass es sich bei den Massnahmen nicht um eine ursächliche, sondern um eine symptomatische Behandlung handelt. Bei Sistierung der Therapie stellen sich die Beschwerden wieder ein – einen Zaubertropfen, der das Problem definitiv löst, gibt es bei dieser Erkrankung nicht!
Abbildung 1: Eine Meibografie kann Auskunft über Anzahl, Vitalität und Beschaffenheit der Meibom-Drüsen geben.
Abbildung 2: Die Tränenfilmaufrisszeit erlaubt Aussagen zur Stabilität des Tränenfilms.
Wenn die Menge nicht mehr stimmt
In ungefähr einem Fünftel der Fälle ist das Auge durch eine quantitative Störung zu trocken. Der Tränenflüssigkeitsmangel entsteht durch eine beeinträchtigte Produktion der wässrigen Komponente des Tränenfilms in der Tränendrüse. Meist sind hier Patienten mit Erkrankungen aus dem rheumatoiden Formenkreis betroffen (z.B. Sjögren-Syndrom). Immunzellen können dabei die Tränendrüse infiltrieren und das normale Drüsengewebe durch ihre Reaktionen zerstören. Auch andere Erkrankungen (z.B. Diabetes mellitus) und viele Medikamente (z.B. Antihypertensiva, Antidepressiva) können zu einem Mangel an Tränenflüssigkeit führen. Der sogenannte Schirmer-Test, bei welchem durch ein im Unterlid eingelegtes Filterpapier die Benetzungsstrecke nach fünf Minuten gemessen wird, fällt bei diesem Patientenkollektiv pathologisch aus. Die Patienten klagen über ein Brennen und Stechen in den Augen, sind der Meinung, dass sich ein störender Fremdkörper unter dem Lid befinde, und berichten über Lichtempfindlichkeit oder gar Verschwommensehen. Die Beschwerden entstehen, weil die stark mit Nerven versehene Hornhaut durch die mangelnde Befeuchtung geschädigt und gereizt wird. Nimmt die Oberflächenbenetzungsstörung zu, kann es zu Epithelschäden der Hornhaut kommen. Ein raues Epithel streut das eintreffende Licht, was zu Blendung und einer unscharfen Abbildung auf der Netzhaut führt. Rheumatologische Patienten mit schweren Krankheitsbildern haben dadurch oft eine hochgradig eingeschränkte Sehschärfe. Nicht zu unterschätzen ist auch das Risiko für Hornhautinfekte, welches von einer geschädigten Hornhautoberfläche und einer verminderten Abwehr bei beeinträchtigtem Tränenfilm ausgeht.
Tabelle 1:
Einsatz von Gleitmitteln nach Schweregrad
leicht
Polyvinylpyrrolidone
Liquitears® Hypotears®
Oculac®
mittel
Zellulosederivate, Carbomere
Viscotears® Liposic®
Lacrinorm® Lacryvisc® Oculotect®
schwer
Hyaluronsäure
Lacrycon® Fermavisc®
Vismed® Hylo Comod®
Tabelle nach Branca mit ausgewählten Beispielen.
dickte Sekret in den Meibom-Drüsen mit warmen Augenkompressen verflüssigt und dann mit einer gegen den Lidrand gerichteten Massage mit der Fingerkuppe eine Expression der verstopften Drüsen erreicht. Mit diesen zwei Massnahmen können viele Patienten die Beschwerden sehr gut
Bei typischen Beschwerden mit Tränenersatz beginnen
Therapeutisch kommen auch hier Tränenersatzmittel mit zunehmender Viskosität zum Einsatz. Zusätzlich können die Tränenpünktchen, durch welche die Tränenflüssigkeit in den Tränensack und dann in die Nase abfliesst, mit kleinen Stöpselchen verschlossen werden. Diese Stöpsel sind aus Kollagen, das sich im Verlauf einiger Wochen von selbst auflöst, oder aus Silikon, das über mehrere Monate im Tränenpünktchen versenkt bleibt. Das Einsetzen ist völlig schmerzlos und ohne Lokalanästhesie möglich. Durch diesen Verschluss verbleiben die eigene Tränenflüssigkeit und die applizierten Augentropfen länger auf der Augenoberfläche. Häufig setzen die Augenärzte auch kurzfristig topische antiinflammatorische Präparate ein, denn die Trockenheit führt zu einer Entzündung an der Augenoberfläche, und die Entzündung kann wiederum den Tränenfilm destabilisieren. Steroide können helfen, einen solchen Teufelskreis zu durchbrechen. Allerdings muss diese Behandlung kurzfristig und unter Überwachung erfolgen, da unter Steroiden der Augen-
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Umwelteinfluss
Milieu interieur (inneres Milieu) niedrige Blinzelrate, VTU, Mikroskopie Blickrichtung bei weiter Lidöffnung Alterungsprozess niedriger Androgenpool systemische Medikamente: • Antihistaminika • Betablocker • Antispasmodika • Diuretika und einige • psychotrope Arznei• mittel
Milieu exterieur (äusseres Milieu) geringe relative Luftfeuchtigkeit hohe Windgeschwindigkeit berufliches Umfeld
Trockenes Auge
Tränenflüssigkeitsmangel
Verdunstung
Trockenes Auge bei Sjögren-Syndrom
primär sekundär
Trockenes Auge ohne Sjögren-
Syndrom
Tränenmangel
Verschluss des Tränendrüsenausführungsgangs
Reflexblockierung
Arzneimittel
Intrinsisch
Extrinsisch
Mangel an Meibom-Lipiden
Vitamin-A-Mangel
Störung der Lidöffnung
Konservierungsstoffe in topischen Arzneimitteln
Niedrige Blinzelrate
Tragen von Kontaktlinsen
Accutane Arzneimittelnebenwirkung
Erkrankung der Augenoberfläche, z.B. Allergie
druck bei bis zu einem Drittel der Patienten ansteigen kann. Der Nichtaugenarzt ist gut beraten, bei den typischen Beschwerden eines trockenen Auges zunächst Tränenersatzmittel einzusetzen. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass bei hoher Applikationsfrequenz Präparate ohne Konservierungsmittel (Einzeldosen, SDU oder EDO genannt) zum Einsatz kommen. Das in den Augenflaschen enthaltene Benzalkoniumchlorid kann die Beschwerden unter Umständen noch verschlimmern.
Wann zum Augenarzt?
Viele Patienten haben die Vorstellung, dass Tropfen, einmal täglich appliziert, zur Kontrolle der Beschwerden reichen. Hier gilt es, den Patienten aufzuklären, dass eine häufigere Anwendung erfolgen muss und die Tropfen auf einer Bedarfsbasis eingesetzt werden können. Treten beispiels-
weise nach zehn Minuten Lesen ein Fremdkörperfühl und ein
Verschwommensehen auf, dann wäre dies der richtige Zeit-
punkt, um mit der Tätigkeit innezuhalten und je einen Trop-
fen in beide Augen zu geben. Sollte trotz dieser Massnahmen
ein starker Leidensdruck persistieren, ist ein Besuch beim
Augenarzt angezeigt. Er hat die Möglichkeit, die Problema-
tik an der Spaltlampe und unter Verwendung von Farbstof-
fen wie Fluoreszein genauer zu untersuchen (siehe Tabelle 2),
anderweitige Erkrankungen auszuschliessen und das tro-
ckene Auge genauer einzuteilen. Er wird versuchen, mögliche
Ursachen zu identifizieren und zu beheben. Basierend auf den
Untersuchungsbefunden, wird er einen individuell auf den
Patienten abgestimmten Therapieplan erstellen und – das ist
bei dieser chronischen Problematik oft ganz entscheidend –
den Patienten auf dem weiteren Weg zur Besserung beratend
unterstützen und begleiten.
O
Tabelle 2:
Untersuchung durch den Augenarzt
O Inspektion der Augen und ihrer Adnexe O Prüfung der Lidstellung O Sehschärfenbestimmung O Spaltlampenuntersuchung O Farbstofftests O Tränenfilmaufrisszeit O quantitative Messungen (Schirmer) O Messung der Tränenfilmosmolarität O Meibografie
Dr. med. Fabrizio Branca Augenzentrum Bahnhof Basel AG Centralbahnstrasse 20 4051 Basel E-Mail: fbranca@augenzentrumbasel.ch Internet: www.augenzentrumbasel.ch
Interessenkonflikte: keine
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