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BERICHT
Was ist zu beachten, wenn Kinder vegan ernährt werden?
Spezifische Ernährung in der Entwicklungsphase erfordert fundiertes Wissen
An den NutriDays, dem Jahreskongress der Ernährung und Diätetik, wird über die Fortschritte in der Ernährungswissenschaft informiert und diskutiert. Kann vegane Ernährung bei Kindern funktionieren? Dr. med. Pascal Müller vom Ostschweizer Kinderspital sprach an den NutriDays über Grenzen und Möglichkeiten dieser Ernährungsform bei Kindern. Und was isst und trinkt beispielsweise die Schweizer Bevölkerung wann, wo und wie oft? Diese Fragen soll menuCH, die erste nationale Ernährungserhebung der Schweiz, beantworten können.
Marianne I. Knecht
Vegane Ernährung entspricht einem Trend. Immer mehr Menschen verzichten einerseits aus ethisch-moralischen, ökologischen und gesundheitlichen, aber vermehrt auch aus sogenannten Lifestyle-Gründen auf Nahrungsmittel tierischen Ursprungs. Laut der Schweizerischen Gesundheitsbefragung von 2012 sind in der Schweiz knapp 4 Prozent der Frauen und fast 1,5 Prozent der Männer Vegetarier. Davon ernähren sich rund 10 Prozent rein vegan, was schweizweit etwa 24 000 Menschen entspricht. Diese Zahl dürfte in den letzten vier Jahren deutlich angestiegen sein. Entschliessen sich Eltern, die gesamte Familie vegan zu ernähren, sind davon auch Kinder und Jugendliche mitten in der Wachstums- und Entwicklungsphase betroffen. In diesem Lebensabschnitt ist eine bedarfsgerechte Ernährung besonders wichtig – was also gilt es dabei zu beachten?
Tiefere Inzidenz von Kreislauf-
erkrankungen und Krebs
Laut Dr. med. Pascal Müller vom Ostschweizer Kinderspital existieren bis heute kaum wissenschaftliche Studien über die Vor- und Nachteile von veganer Ernährung beim Kind. Eine Metastudie über vegetarische und vegane Er-
nährung bei Erwachsenen von Februar 2016 hat jedoch gezeigt, dass sowohl der Body-Mass-Index als auch die Blutwerte für Cholesterin, LDL (Lipoprotein niederer Dichte), Triglyzeride und Glukose bei Vegetariern und Veganern signifikant niedriger sind (1). Zudem besteht eine geringere Inzidenz und Mortalität von ischämischen Herzkrankheiten (RR: 0,75) bei gleichzeitig unveränderter Inzidenz und Mortalität von kardiovaskulären Erkrankungen insgesamt. Auch die Inzidenz von Krebserkrankungen liegt bei Vegetariern und Veganern um 8 Prozent tiefer (RR: 0,92) als bei Nichtvegetariern, trotz gleichbleibender Mortalität. Bei der Bewertung dieser Daten sei zu beachten, dass Menschen, welche sich vegetarisch oder vegan ernähren, grundsätzlich eine bewusstere Einstellung nicht nur in Bezug auf ihre Ernährungs-, sondern auch auf ihre Lebensgewohnheiten (weniger Rauchen, mehr Bewegung etc.) zeigen – was zusätzlich zu einer Reduktion von krankheitsfördernden Risikofaktoren führt. Unbeantwortet bleibt die Frage, ab welchem Alter eine vegetarische und/oder vegane Ernährung begonnen werden muss, damit man von den genannten gesundheitlichen Vorteilen profitieren kann.
Neben diesen bereits belegten gesundheitlichen Vorteilen der veganen Ernährung unterscheidet sich diese Ernährungsform laut Müller im Vergleich zur Mischkost auch dadurch, dass gesamthaft weniger Kalorien, weniger gesättigte Fettsäuren und damit weniger Gesamtfett aufgenommen werden; die Energiedichte von vegetabiler Nahrung liegt insgesamt tiefer. Aber auch die Aufnahme von Mikronährstoffen wie Vitamin D, Kalzium, Zink und Eisen ist vermindert oder fehlt im Fall von Vitamin B12 ganz; eine der unerwünschten Auswirkungen der veganen Ernährung. Allerdings dürfe nicht vergessen werden, dass bei Kindern in Westeuropa auch unter Mischkost eine generelle Unterversorgung mit einzelnen Mikronährstoffen bestehen kann. Unter veganer Ernährung kann sich ein solcher Mangel jedoch noch zusätzlich verschärfen.
Grössere Proteinaufnahme nötig
Die Proteinzufuhr wird bei veganer Ernährungsweise ausschliesslich über pflanzliche Nahrungsmittel abgedeckt, da auch keine Milch, keine Eier und kein Honig konsumiert wird. Vegetabile Proteinquellen, wie Tofu, Tempeh oder Seitan, stellen gemäss Müller jedoch keinen vollständigen Fleischersatz dar. Neben dem vollständigen Fehlen von Vitamin B12 und dem geringeren Gehalt an Eisen und anderen Mikronährstoffen ist auch die Proteinqualität geringer. Proteinqualität und der sogenannte Amino Acid Score (ASS bzw. PDCAAS, Protein Digestibility Corrected Amino Acid Score) sind ernährungsphysiologische Werte, mit deren Hilfe sich eine Aussage darüber machen lässt, wie gut aufgenommene Proteine verdaut und körpereigene Proteine ersetzt werden können. Beide Werte liegen bei pflanzlichen Proteinen
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BERICHT
menuCH – einzigartige Erhebung mit viel Potenzial
Esther Camenzind-Frey, Projektverantwortliche von menuCH, stellt die in ihrer Art einmalige Studie «menuCH – so isst die Schweiz!» zu den Ernährungsgewohnheiten der Schweizer Bevölkerung vor. MenuCH wurde vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) und vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) lanciert.
Über 2000 Studienteilnehmer wurden von Januar 2014 bis Februar 2015 in einem der drei Studienzentren der deutschen, französischen und italienischen Schweiz zu ihrer Nahrungsaufnahme innerhalb der letzten 24 Stunden befragt. Zusätzliche Informationen über Bewegungsverhalten, Bildung und sozioökonomischen Status wurden erfasst und Messungen von Körpergrösse und -gewicht, Hüft- und Bauchumfang vorgenommen. Eine zweite Befragung über die Nahrungsaufnahme der letzten 24 Stunden wurde zu einem späteren Zeitpunkt telefonisch durchgeführt.
Aussagen zum Ernährungsverhalten Die Daten sollen eine Vielzahl von Auswertungsmöglichkeiten bieten (4), darunter zum Beispiel die Überprüfung der Lebensmittelgesetzgebung des BLV, eine Beurteilung des Essverhaltens der Bevölkerung im Hinblick auf eine ausgewogene Ernährung oder die Beurteilung der aufgenommenen Energie und Nährstoffe sowie der Portionengrösse im Vergleich zur Schweizer Lebensmittelpyramide. Auch die Identifikation von Risikogruppen aufgrund von Expositionsabschätzungen oder die Planung von Präventionsprogrammen lässt sich aus den gewonnenen Informationen herleiten. Laut Esther Camenzind-Frey kann ab Herbst 2016 erstmals mit offiziellen Ergebnissen aus der Studie gerechnet werden.
tiefer als bei tierischen. Dieser Umstand führt dazu, dass unter veganer Ernährung die Proteinaufnahme um ein Drittel höher sein muss als bei Mischkost, um den Bedarf an limitierenden essenziellen Aminosäuren abzudecken.
Vegane Ernährung des Säuglings
Da die vegane Ernährung auch den Verzicht auf Kuhmilch einschliesst, werden bei der Säuglingsernährung alternative Milchen auf Sojabasis verwendet. Zwei von Müller erwähnte Studien konnten zeigen, dass die Ernährung von Säuglingen mit modernen Sojamilchprodukten in Bezug auf Wachstum und Gesundheit (metabolische, reproduktive, endokrine, immunologische und neurologische Funktionen) mit Kuhmilchpräparaten und Muttermilch durchaus vergleichbar ist (2, 3). Insbesondere die Mikronährstoffe Vitamin D und B12, Kalzium, Eisen und Zink sind für eine gesunde Entwicklung von Säuglingen, Kindern und Jugendlichen unabdingbar. Erfolgt begleitend zur veganen Ernährung eine ausreichende Supplementierung mit Vitamin D und
Kalzium, verläuft das Knochenwachstum normal, und es kommt im Alter nicht zu vermehrten Knochenbrüchen oder Osteoporose. Vitamin B12 ist nicht nur für die Blutbildung, sondern auch für die neurologische Entwicklung des Kindes (Myelinisierung der Nervenfasern) unablässig. Da Vitamin B12 ausschliesslich in tierischen Proteinen vorkommt, muss eine entsprechende Supplementierung daher sowohl bei vegan ernährten Säuglingen und Kindern als auch bei stillenden Müttern sichergestellt sein. Auch für Zink und Eisen besteht unter veganer Ernährung ein höherer Aufnahme- beziehungsweise Substitutionsbedarf.
Empfehlungen vegane Ernährung
Zum jetzigen Zeitpunkt raten Europäische Fachgesellschaften wie beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) von der veganen Ernährung von Kindern ab, wohingegen nordamerikanische Fachgesellschaften eine gut geplante vegane Ernährung mit dem nötigen Augenmerk auf die spezifischen Besonderheiten dieser Art
der Ernährung als mögliche Alternative
zur Mischkost durchaus auch für Säug-
linge, Kinder und schwangere Frauen
in Betracht ziehen.
In der Schweiz ist die Eidgenössische
Ernährungskommission (EEK) dabei,
eine Empfehlung analog derjenigen
von 2007 zu den «Gesundheitlichen
Vor- und Nachteilen einer vegetari-
schen Ernährung» auch für die vegane
Ernährung zu erstellen. Die Vegane Ge-
sellschaft Schweiz (vegan.ch) bietet auf
ihrer Homepage ebenfalls Informatio-
nen zur veganen Ernährung von Kin-
dern und Jugendlichen an.
Zusammenfassend kommt Müller zum
Schluss, dass die vegane Ernährung von
Kindern hier in der Schweiz, wo ein
entsprechendes Angebot an geeigneten
Lebensmitteln und Supplementen mitt-
lerweile in ausreichendem Mass zur
Verfügung steht, durchaus umsetzbar
und ohne gesundheitliche Nachteile
möglich sein sollte. Es bedarf vonseiten
der Eltern jedoch eines fundierten Wis-
sens über die Besonderheiten und spe-
ziellen Anforderungen dieser spezifi-
schen Form der Ernährung. Die Sup-
plementierung von Mikronährstoffen
muss generell, aber insbesondere bei
Kindern ausreichend gewährleistet sein.
Eine diesbezügliche Begleitung durch
eine Ernährungsberaterin sowie regel-
mässige Wachstums- und eventuell
Laborkontrollen beim Kinderarzt sind
ratsam. Als Kostform für eine breite
Bevölkerung ist Veganismus ohne ent-
sprechendes Hintergrundwissen aber
nicht zu empfehlen.
O
Marianne I. Knecht
Referenzen: 1. Dinu M et al.: Vegetarian, vegan diets and multiple
health outcomes: a systematic review with meta-analysis of observational studies, Crit Rev Food Sci Nutr 2016 Feb 6: 0. [Epub ahead of print] 2. Vandenplas Y et al.: Safety of soya-based infant formulas in children, systematic review with metaanalysis. Br J Nutr 2014; 111(8): 1340–1360. 3. Agostoni C et al.: Soya protein infant formulae and follow-on formulae: a commentary by the ESPGHAN Committee on Nutrition. J Pediatr Gastroenterol Nutr 2006; 42: 352–361. 4. Ziele der Nationalen Ernährungserhebung (www.blv. admin.ch/themen/04679/04978/05866/index.html? lang=de)
Quelle: «menuCH – so isst die Schweiz!», Referat Esther Camenzind-Frey, Projektverantwortliche menuCH, «Vegane Ernährung des Kindes – Grenzen und Möglichkeiten», Referat von Dr. med. Pascal Müller, Ostschweizer Kinderspital. NutriDays 2016, 8. und 9. April 2016 in Bern.
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