Transkript
BERICHT
Infektionskrankheiten bleiben bedrohlich
Multiresistente Keime erfordern anhaltende Aufmerksamkeit
Trotz erfreulicher Erfolge von Hygienekampagnen zur Vermeidung nosokomialer Infektionen mit multiresistenten Keimen bleibt für Infektiologen auch künftig viel zu tun: Bakterien mit neuen Resistenzen sind auf dem Vormarsch, und auch C. difficile bleibt ein Problemkeim. Die Wachsamkeit diesem und anderen resistenten Keimen gegenüber darf nicht nachlassen, forderte Prof. Dr. Andreas Widmer, Universitätsspital Basel, und geeignete Massnahmen müssen koordiniert werden.
Die meisten nosokomialen Infektionen mit multiresistenten Keimen gehen auf das Konto von fünf Bakterienstämmen, die man unter dem Akronym ESKAPE zusammenfasst (s. Kasten 1). Diese und einige andere Bakterien entkommen den meisten Antibiotika mit speziellen Enzymen, welche beispielsweise Vancomycin, Betalaktam-Antibiotika und/ oder Carbapeneme abbauen können. Dabei findet man die resistenten Keime in der Regel zusätzlich zu den sensiblen Erregern. Jährlich werden etwa 25 000 Todesfälle allein in Europa mit seinen 500 Millionen Einwohnern auf bakterielle Resistenzen zurückgeführt. Nicht zu vernachlässigen sind die damit einhergehenden rund 2,5 Millionen zusätzlichen Spitaltage, mit Kosten von geschätzten 1,5 Billionen Euro pro Jahr, machte Widmer das Ausmass des Problems deutlich; im Einzelfall kann das bedeuten, dass ein Patient anstelle von sechs Wochen unter Umständen zwei Jahre im Spital bleiben muss. Bei gleichbleibender Entwicklung wären das auf das Jahr 2050 projiziert in Europa geschätzte 390 000 Todesfälle und weltweit gut 10 Millionen, führte der Experte weiter aus. Die wirtschaftlichen Auswirkungen resistenter Bakterien wurden 2014 am World Economic Forum im Vergleich mit anderen globalen Risiken als durchschnittlich bewertet, die Wahrschein-
lichkeit entsprechender Infektionen hingegen als überdurchschnittlich hoch.
Immer weniger Neuzulassungen
«Wir sind es gewohnt, dass Antibiotika die Todesrate bakterieller Infektionen wirksam reduzieren können. Ob Lungenentzündung, Endokarditis oder Hirnhautentzündungen – die rasche und richtige Antibiose kann die Todesrate im Vergleich zu früher entscheidend reduzieren. Aber die Rate an Neuzulassungen auf diesem Gebiet nimmt seit den Achtzigerjahren kontinuierlich ab», bedauerte der Experte. Dass erstaunt nicht, Antibiotika sind durchweg zu günstig. So kostet eine mittlerweile generische Substanz deutlich weniger als ein modernes Heissgetränk einer grossen amerikanischen Kaffeehauskette. Umso erfreulicher sei es, dass sich immer noch Firmen wie auch MSD auf diesem Gebiet engagieren, unterstrich der Experte. Das Ziel, das die amerikanische Infektiologiegesellschaft für 2020 formuliert hat, nämlich die Entwicklung zehn neuer Substanzklassen, sieht der Experte dennoch als illusorisch an. Aber dank zunehmender Resistenzen sei zumindest das politische Interesse neu erwacht.
Einfach und wirksam gegen MRSA
2005 verstarben in den USA mehr Menschen an den Folgen einer Infektion mit multiresistenden Staphylokok-
ken (MRSA) als an Aids. Dabei können schon einfache Massnahmen zur Bekämpfung der Keime beitragen, wie das Beispiel der «Clean-your-Hands»Kampagne zeigen konnte, dank derer die durch S. aureus bedingten Septikämien in England zurückgingen (1). Auch in der Schweiz sind die MRSARaten gesamthaft rückläufig, aber bezüglich der Resistenzen gibt es immer noch einen «Röstigraben» mit deutlich höheren Infektionsraten in der Romandie. In den Deutschschweizer Spitälern sei der Keim praktisch unter Kontrolle, so Widmer, und die meisten der beschriebenen Fälle importiert. Am Universitätsspital Basel beispielsweise tendiert die MRSA-Inzidenz pro 10 000 Patiententage gegen Null, da alle positiven Patienten prophylaktisch dekolonialisiert werden, auch wenn sie noch nicht erkrankt sind. Aber die Wachsamkeit in den Spitälern ist keine Garantie dafür, dass die Keime unter Kontrolle bleiben. So zeigen Berichte aus den Niederlanden einen neuen Übertragungsweg; dort werden MRSA via Tiermast sekundär auch auf Landwirte übertragen, und die Anzahl MRSA-positiver Landwirte stieg von 23 Prozent 2004 auf 75 Prozent der Landwirte 2010 (2). Auch aus Deutschland werden sowohl bei den Tieren als auch den Landwirten erhebliche Infektionsraten gemeldet. In der Schweiz wird Schweinefleisch nach der Schlachtung noch einmal speziell hitzebehandelt, hier sei das Problem unmittelbar weniger aktuell. Aber das könne sich mit der Ausbreitung der Schweinemast über die Grenzen hinweg ändern.
Lücken gegenüber ESBL
Trotz neuer Antibiotika bleiben Lücken in der Abdeckung. Auch die neue, fünfte Generation der Cephalosporine mit Ceftobiprol und Ceftarolin ist nicht gegen
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ARS MEDICI 14+15 I 2016
BERICHT
Kasten 1:
Multiresistente Problemkeime
ESKAPE:
O Enterococcus faecium O Staphylococcus aureus O Klebsiella pneumoniae O Acinetobacter baumannii O Pseudomonas aeruginosa O Enterobacter species Multiresistente Stämme dieser Bakteriengruppen verursachen die meisten problematischen Spitalinfektionen. Weitere: O E.-coli-ESBL* O C. difficile
*ESBL: Extended-Spectrum-Betalaktamasen
Kasten 2:
Risikogruppen für Infektionen mit ESBL-Keimen
O Schlachthofmitarbeiter/Köche 5–10%
O Reiserückkehrer aus Indien/ Pakistan
25–75%
O bei Vorbehandlung mit Antibiotika
O Spitalpatienten (Urologie, Neonatalogie)
O Bewohner von Alters- und Pflegeheimen
O Patienten, die aus Südeuropa verlegt werden
O Alter ab 65 Jahre
ESBL (Extended-Spectrum-Betalaktamasen) wirksam – und die Resistenzen von ESBL-bildenden E. coli oder K. pneumoniae gegenüber Cephalosporinen mit erweitertem Wirkspektrum nehmen zu. Dennoch sind die nosokomialen Übertragungsraten ausserhalb der Neonatologie gering: Bei 220 Patienten, die am Universitätsspital Basel über durchschnittlich 7,5 Tage hinweg mit einem ESBL-Indexpatienten Kontakt hatten, konnte lediglich bei 1,5 Prozent ein molekular identischer Erreger nachgewiesen werden, so Widmer. «Daher haben wir in der Schweiz mittlerweile die Isolation dieser Patienten gestoppt», berichtete der Experte, und das wurde von den europäischen Ländern mehrheitlich so übernommen. Und wie sieht es aus, wenn man in der Rehabilitation oder einer Pflegeeinrich-
tung das Zimmer über längere Zeit hinweg mit einem infizierten Patienten teilt? Nach 40 Tagen Aufenthalt im gleichen Raum fand eine aktuelle Untersuchung eine Transmission bei gut einem Viertel der Patienten (3).
Resistente Keime oft importiert
Sehr häufig finden sich ESBL-E.-coli-Erreger im Geflügel, in der Schweiz etwa lagen die Infektionsraten 2013 bei 42 Prozent (4). Oft kommen die Hühner bereits mit entsprechenden Resistenzen in die Schweiz, da die grossen «Hühnerproduzenten» bereits vorgeburtlich Antibiotika geben. Die Rate von E.-coliESBL-infizierten Küchenbrettern nach Geflügelkontakt lag gesamthaft in privaten Haushalten und im Unispital Basel bei 14 Prozent, allein bei Poulet bei 22 Prozent (5). Des Weiteren sind solche Resistenzen häufig auch in den Schweizer Gewässern unterhalb von 1000 m sowie in Kläranlagen zu finden. Bei Reisen nach Indien liegt das Risiko, mit einem multiresistenten ESBL-Keim wiederzukommen, bei fast 90 Prozent. In der Regel erkranken die Gesunden daran nicht, tragen aber die Resistenzen so in ihr Heimatland. Kommt es innerhalb eines Jahres nach einer solchen Reise zu einem Unfall, sollte der behandelnde Arzt über den Aufenthalt in Indien oder Pakistan informiert sein, da dies bei der Auswahl des geeigneten Antibiotikums helfen kann. Infrage kommen nur mehr Carbapeneme i.v., die allerdings immer häufiger durch Carbapenemasen wieder inaktiviert werden. Infektionen mit Carbapenem-resistenten Klebsiella pneumoniae (KPC), endemisch unter anderem in Griechenland, breiten sich vorwiegend im Spital aus; Einzelfälle wurden auch in der Schweiz beschrieben. In Spitälern, Rehakliniken und Pflegeheimen gilt in diesen Fällen eine strikte Kontaktisolation. Die Infektionen enden in knapp der Hälfte der Fälle tödlich. Die Behandlungsoptionen sind eingeschränkt, nur mehr Colistin ist partiell wirksam, das früher einmal wegen seiner Toxizität aus dem Verkehr genommen wurde und heute vor allem regelmässig an Schweine verfüttert wird.
Nationale Strategie vom Bundes-
amt implementiert
Die Zahl der Spital- und Pflegeheiminfektionen in der Schweiz soll sinken,
diesem Ziel hat sich die nationale Strategie NOSO zur Überwachung, Verhütung und Bekämpfung von Healthcareassoziierten Infektionen verschrieben, die der Bundesrat in diesem Jahr verabschiedet hat. «Obwohl wir nicht wissen, wo wir genau stehen, müssen wir jetzt aktiv werden. Denn wenn wir nichts tun, gehen wir ein unkalkulierbares Risiko ein», unterstrich Widmer. Drei Säulen bilden das Fundament der geplanten Massnahmen: Resistenzverbreitung stoppen, mit neuen Antibiotika versuchen, multiresistente Erreger besser zu behandeln, und Einfluss in der Landwirtschaft nehmen.
«One Health»-Konzept
Das MRSA-Problem sei lösbar, sagte
Widmer. Beispiele aus England, Frank-
reich und der Schweiz zeigen, dass Iso-
lation, Händedesinfektion und Deko-
lonisation wirken. Problematisch
bleibt die Landwirtschaft. Die Inzidenz
von ESBL nimmt weiterhin rasch zu,
die nicht nosokomiale Übertragung er-
folgt durch Kontamination von Flä-
chengewässern und Geflügel sowie
durch Reiserückkehrer aus Asien für
ESBL-E.-coli. Bei der nosokomialen
Übertragung stehen Nicht-E.-coli-
ESBL im Vordergrund. Infektionen mit
Carbapenem-resistenten Klebsiella
pneumoniae (KPC) beziehungsweise
Metallobetalaktamasen-(MBL-)bil-
denden Bakterien sind bisher auf we-
nige Einzelfälle beschränkt. Bei Koloni-
sation ist eine strikte Kontaktisolation
und eine experimentelle Therapie ge-
mäss erweiterter Empfindlichkeitsprü-
fung indiziert. Nicht zu vergessen sind
auch C.-difficile-Infektionen als häu-
figste Ursache infektiöser Durchfälle
im Spital. Neue Subtypen gehen mit
einem hohen Epidemiepotenzial und
einer hohen Mortalität einher.
Die weitere Verbreitung der resistenten
Erreger lasse sich nur durch koordi-
nierte Massnahmen im Sinne von «One
Health» stoppen, das heisst mit einem
gemeinsamen Blick auf Umgebung
sowie menschliche und tierische Er-
krankungen, schloss Widmer.
O
Christine Mücke
Referenzen: www.rosenfluh.ch
Quelle: «Infektionskrankheiten: Noch lange nicht im Griff!», Vortrag von Prof. Dr. Andreas Widmer anlässlich des MSD Media Roundtable 2016, am 17.5.2016 in Bern.
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