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NOAK – Update 2016
Was gibt es Neues bei den direkten oralen Antikoagulanzien?
BERICHT
Foto: HB
Die bisherigen Erfahrungen mit den Nicht-Vitamin-K-antagonistischen oralen Antikoagulanzien (NOAK) sprechen für eindeutige Vorteile bei der Mortalität und der Verhütung schwerer intrakranieller Blutungen, belegen aber auch eine höhere Rate gastrointestinaler Blutungen im Vergleich zu Vitamin-K-Antagonisten. Letztere bleiben noch für einige Indikationen aktuell, wie Vorträge am 14. Zürcher Kardiologie-Review zeigten.
Halid Bas
Gemäss einer Metaanalyse der klinischen Studien, welche die NOAK bei Patienten mit nicht valvulär bedingtem Vorhofflimmern mit Warfarin verglichen, führten die neuen Medikamente zu einer Abnahme von Hirnschlägen und systemischen Embolien von 19 Pro-
MERKSÄTZE
O Für die vier in der Schweiz zugelassenen NOAK gelten unterschiedliche Indikationen und spezielle Dosierungen je nach Indikation.
O Bei Beginn einer Antikoagulation mit einem NOAK soll neben der sauberen Indikationsstellung, der Ermittlung der Patientenpräferenzen und der Patientenschulung auch ein Gerinnungshemmungsausweis abgegeben werden.
O Noch unklar ist die Stellung der NOAK zusammen mit Plättchenhemmern bei Patienten mit Vorhofflimmern nach perkutaner Koronarintervention (PCI).
O Für die Frage nach einer Fortführung der Antikoagulation nach Ablation sollte die individuelle Konstellation, das heisst die Art der Risikofaktoren, welche zu den CHA2DS2-VASc-Score-Punkten geführt haben, Berücksichtigung finden.
zent und zu einer (nicht signifikanten) Abnahme der schweren Blutungen, wobei die gastrointestinalen Blutungen häufiger (+25%), die intrakraniellen Blutungen hingegen deutlich seltener (−52%) auftraten und die Gesamtmortalität um 10 Prozent geringer ausfiel (1). Für die vier in der Schweiz zugelassenen NOAK gelten unterschiedliche Indikationen und spezielle Dosierungen je nach
Indikation (Kasten), wie PD Dr. med. Michael Kühne, Elektrophysiologie/Kardiologie, Universitätsspital Basel, präzisierte. Besondere Beachtung verlangen bei Dabigatran die geringe Bioverfügbarkeit und die überwiegend renale Ausscheidung. Vorteil bei Dabigatran und Edoxaban ist die fehlende respektive sehr geringe Zytochrommetabolisierung, bei Rivaroxaban und Edoxaban hingegen die Möglichkeit der nur einmal täglichen Verabreichung.
Kontraindikation «valvuläres»
Vorhofflimmern?
Eine Präzisierung hat die Indikation der NOAK bei valvulärem Vorhofflimmern erfahren. In der ARISTOTLEStudie mit Apixaban wiesen immerhin 26 Prozent der Patienten Klappenveränderungen auf (2). Gemäss dem im letzten Jahr erschienenen Update der
Praxisempfehlungen der European Heart Rhythm Association (EHRA) gilt die Kontraindikation zur Therapie mit NOAK nur bei mechanischem Klappenersatz oder schwerer Mitralstenose meist rheumatischen Ursprungs (3). Der NOAK-Einsatz kommt aber in Betracht bei Vorhofflimmern und leichter bis mittelschwerer Erkrankung nativer Klappen, Bioprothesen oder Mitralklappenersatz (ausser während der ersten 3 Monate postoperativ). Zum transluminalen oder apikalen Aortenklappenersatz (PTAV, TAVI) und zur hypertrophen Kardiomyopathie fehlen prospektive Daten. «Viel wichtiger als die Frage, welches Antikoagulans eingesetzt werden soll, ist das Anliegen, dass überhaupt antikoaguliert wird», betonte Kühne. «Registerdaten zeigen nämlich, dass über 30 Prozent der Patienten keine Antikoagulation oder bloss Aspirin® erhalten.» Bei Beginn einer Antikoagulation mit einem NOAK soll neben der sauberen Indikationsstellung, der Ermittlung der Patientenpräferenzen und der Patientenschulung auch ein Gerinnungshem-
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Kasten :
NOAK-Dosierungen je nach Indikation (CH)
Indikation
Orthopädie Behandlung der tiefen Venenthrombose (TVT)/ Lungenembolie (LE) Sekundärprophylaxe bei TVT/LE Vorhofflimmern
Rivaroxaban (Xarelto®)
Apixaban (Eliquis®)
Edoxaban (Lixiana®)
1 × tgl. 10 mg
2 × tgl. 2,5 mg
–
2 × tgl. 15 mg für 3 Wochen, anschliessend 1 × tgl. 20 mg
2 × tgl. 10 mg für 1 Woche, anschliessend 2 × tgl. 5 mg
initial für ≥ 5 Tage Heparin, dann
1 × tgl. 60 mg
1 × tgl. 20 mg
2 × tgl. 2,5 mg
1 × tgl. 60 mg
1 × tgl. 20 mg
2 × tgl. 5 mg
1 × tgl. 60 mg
Dabigatran (Pradaxa®) – initial für ≥ 5 Tage niedermolekulares Heparin, dann 2 × tgl. 150 mg 2 × tgl. 150 mg
2 × tgl. 150 mg
mungsausweis abgegeben werden, den seit letztem Jahr die Schweizerische Herzstiftung bereitstellt (4).
Medikamenteninteraktionen und
Vorgehen bei Niereninsuffizienz
Die Praxisempfehlung gibt auch genaue Informationen zu den Medikamenteninteraktionen (3). «Ich merke mir eigentlich vor allem die Azolmykotika, die HIV-Medikamente, Rifampicin, Antiepileptika sowie Johanniskrautpräparate als Medikamente, die man in Zusammenhang mit den NOAK nicht geben sollte», so Kühne. Während die Guidelines der European Society of Cardiology (ESC) 2012 noch festhielten, dass NOAK bei Patienten mit schwerer Nierenfunktionseinschränkung (Kreatininclearance [CrCl] < 30 ml/min) nicht empfohlen seien, zieht die neuere EHRA-Praxisempfehlung weniger strenge Grenzen:
Wie eine Analyse der ARISTOTLEDaten in Beziehung zur Nierenfunktion ergab, war Apixaban hinsichtlich der Beeinflussung klinischer Ereignisse (Hirnschlag, systemische Embolien) und des Auftretens schwerer Blutungen Warfarin mit abnehmender Nierenfunktion immer deutlicher überlegen (5). «Die Schere scheint zugunsten der NOAK auseinanderzugehen, je schlechter die Nierenfunktion wird», resümierte Kühne.
Verbleibende Indikationen
für Vitamin-K-Antagonisten
Zur Prävention des Schlaganfalls bei Vorhofflimmern sollte heute Acetylsali-
cylsäure (ASS, Aspirin®) keine Rolle mehr spielen, sagte PD Dr. med. Esther Bächli, Chefärztin Medizinische Klinik, Spital Uster. Das haben
«Viel wichtiger als die Frage, welches Antikoagulans eingesetzt werden soll, ist das Anliegen, dass überhaupt antikoaguliert wird.»
O nicht empfohlen wird Dabigatran bei CrCl < 30 ml/min
O bei CrCl 30–49 ml/min für Dabigatran eine niedrigere Dosierung (2 × 110 mg/Tag) erwägen
O nicht empfohlen werden Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban bei CrCl < 15 ml/min
O möglich unter Dosisanpassung ist die Verabreichung von Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban bei CrCl < 30 ml/min.
sowohl ältere Metaanalysen klinischer Studien aus den Neunzigerjahren als auch die AVERROES-Studie, welche ASS mit Apixaban verglich, deutlich gezeigt (6). Hingegen hat eine Metaanalyse der randomisierten, klinischen Studien mit den direkten oralen Antikoagulanzien im Vergleich mit Warfarin eine deutliche Überlegenheit der NOAK hinsichtlich Gesamtmortalität und auch Sterblichkeit bei Blutungskomplikationen gezeigt (7). Zusätzlich
waren die potenziell verheerenden intrazerebralen Blutungen unter NOAK im Vergleich zu Vitamin-K-Antagonisten signifikant seltener. «Es spricht also sehr viel für die NOAK, eigentlich alles», so Bächli, «bis auf die kleinen Details. So bin ich in Bezug auf die Nierenfunktion etwas vorsichtiger als mein Vorredner.» Zudem gibt es für Vitamin-K-Antagonisten verbleibende Indikationen, zum Beispiel bei: O schwerer Niereninsuffizienz (CrCl
15–20 ml/min) O Hämodialyse O Karzinompatienten mit venösen
oder arteriellen Thrombosen O mechanischen Herzklappen O Leberzirrhose mit oder ohne patho-
logische Blutungsneigung O schlechter Medikamentencompliance O Kontraindikationen für NOAK
wegen Begleitmedikationen.
Bald neue Scores
für das Blutungsrisiko?
Zur Abschätzung des Blutungsrisikos und damit auch zur Indikationsstellung für die Art und Intensität der Antikoagulation wird derzeit der HAS-BLEDScore empfohlen. Dieser hat jedoch den Nachteil, dass er viele Kriterien des CHA2DS2-VASc-Scores umfasst. Kürzlich ist in «Lancet» der neue, einfache ABC-Score vorgestellt worden, der neben Alter und vorangegangenen Blutungen drei Biomarker (growth differentiation factor-15 [GDF-15], hochsensitives kardiales Troponin T [cTnT-hs] und Hämoglobin) umfasst und bei grossen Kohorten von Patienten mit Vorhofflimmern unter Antikoagulation mit NOAK validiert wurde (8). Er hat sich dem
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HAS-BLED- und dem sehr einfachen ORBIT-Score (Alter > 75 Jahre, vermindertes Hämoglobin, Anämieanamnese, Blutungsanamnese, Niereninsuffizienz, Plättchenhemmertherapie [9]) als überlegen erwiesen. Noch unklar ist die Stellung der NOAK zusammen mit Plättchenhemmern bei Patienten mit Vorhofflimmern nach perkutaner Koronarintervention (PCI). Hierzu laufen derzeit mehrere kontrollierte, klinische Studien. Gegen die alten Vitamin-K-Antagonisten verfügt man mit Konakion® und Beriplex® über bekannte Antidots. Eine gewisse Sicherheit bietet bei den NOAK
«Es spricht also sehr viel für die NOAK,
eigentlich alles.»
die Entwicklung neuerer Antidots. Bächli nannte die in der Schweiz noch nicht zugelassenen Substanzen Andexanet alfa zur Aufhebung der Faktor-XHemmung durch Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban sowie Idarucizumab gegen den direkten Thrombinhemmer Dabigatran.
Braucht es nach Ablation noch eine Antikoagulation?
Die Guidelines sehen für Patienten mit Vorhofflimmern, bei denen eine Langzeitantikoagulation als nicht durchführbar erachtet wird, als Alternative den Verschluss des linken Herzohrs
durch Einlage eines Schirms vor. Eine andere Möglichkeit sei die Radiofrequenzablation, erklärte PD Dr. med. Christian Scharf, Elektrophysiologie, HerzGefässZentrum, Klinik im Park, Zürich. Widersprüchlich sind die Studien zur Frage, ob nach erfolgreicher Vorhofflimmernablation eine Antikoagulation weiterhin notwendig ist. Gemäss den amerikanischen und europäischen Guidelines wird in diesen Fällen eine Antikoagulation empfohlen, wenn der CHA2DS2VASc-Score 2 oder mehr beträgt. Offensichtlich handelt es sich bei den den Guidelines zugrunde liegenden Kollektiven mit Vorhofflimmern und den ausgewählten Patienten, bei denen eine Ablation durchgeführt wurde, um sehr unterschiedliche Patientengruppen. Das Remodeling nach einer erfolgreichen
BERICHT
Ablation führt zu einem günstigen Ergebnis mit messbarer Verbesserung der Vorhoffunktion. Für die Frage nach einer Fortführung der Antikoagulation sollte die individuelle Konstellation, das heisst die Art der Risikofaktoren, welche zu den CHA2DS2-VASc-ScorePunkten geführt haben, Berücksichtigung finden. Handelt es sich bei diesen Risikofaktoren um Hirnschlag, transiente ischämische Attacke (TIA), Thromboembolismus, Herzinsuffizienz (oder auch um Niereninsuffizienz, die in den Score gar nicht eingeht), ist eine orale Antikoagulation (ohne ASS) zu befürworten. Handelt es sich bei den CHA2DS2-VASc-Risikofaktoren um peripher arterielle Verschlusskrankheit, Koronarerkrankung, Hypertonie, Alter oder Geschlecht, wäre der Einsatz einer oralen Antikoagulation nicht
zwingend, ASS aber möglich. «Das ist
meine persönliche Stellungnahme, wel-
che nicht mit den Guideline-Emp-
fehlungen, aber mit der Einstellung
der meisten Ablationszentren überein-
stimmt», schränkte Scharf ein.
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Halid Bas
Quelle: «Antikoagulation/kardiale Embolien», Vorträge am 14. Zürcher Review-Kurs in Klinischer Kardiologie, 14. April 2016 in Zürich.
Literatur: 1. Ruff CT et al.: Comparison of the efficacy and safety
of new oral anticoagulants with warfarin in patients with atrial fibrillation: a meta-analysis of randomised trials. Lancet 2014; 383(9921): 955–962. 2. Avezum A et al.: Apixaban in comparison with warfarin in patients with atrial fibrillation and valvular heart disease: findings from the Apixaban for Reduction in Stroke and Other Thromboembolic Events in Atrial Fibrillation (ARISTOTLE) trial. Circulation 2015; 132(8): 624–632.
3. Heidbuchel H et al.: Updated European Heart Rhythm Association Practical Guide on the use of non-vitamin K antagonist anticoagulants in patients with nonvalvular atrial fibrillation. Europace 2015; 17(10): 1467–1507.
4. www.swissheart.ch 5. Hohnloser SH et al.: Efficacy of apixaban when com-
pared with warfarin in relation to renal function in patients with atrial fibrillation: insights from the ARISTOTLE trial. Eur Heart J 2012; 33(22): 2821–2830. 6. Connolly SJ et al.: AVERROES Steering Committee and Investigators: Apixaban in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med 2011; 364(9): 806–817. 7. Liew A et al.: Comparing mortality in patients with atrial fibrillation who are receiving a direct-acting oral anticoagulant or warfarin: a meta-analysis of randomized trials. J Thromb Haemost 2014; 12: 1419–1424. 8. Ziad H et al. on behalf of the ARISTOTLE and RE-LY Investigators: The novel biomarker-based ABC (age, biomarkers, clinical history)-bleeding risk score for patients with atrial fibrillation: a derivation and validation study. Lancet, Published online April 4, 2016. http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(16)00741-8. 9. O’Brien EC et al.: The ORBIT bleeding score: a simple bedside score to assess bleeding risk in atrial fibrillation. Eur Heart J 2015; 36(46): 3258–3264.
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