Transkript
BERICHT
Medikamentöser Rauchstopp: Wie häufig sind psychiatrische Nebenwirkungen?
Eine grosse internationale Studie vergleicht Rauchstoppstrategien
Mit über 8000 Studienteilnehmern aus 16 verschiedenen Ländern und 6 Kontinenten ist EAGLES die bisher grösste je durchgeführte Vergleichsstudie zur medikamentösen Rauchstopptherapie (1). Vareniclin, Bupropion und eine Nikotinersatztherapie mittels Patch wurden bezüglich Nebenwirkungen und Wirksamkeit miteinander verglichen. Vareniclin schnitt dabei am besten ab. PD Dr. med. Isabella Sudano vom Herzzentrum des Universitätsspitals Zürich stellte die Studie und ihre Resultate anlässlich eines Medien-Round-Tables der Firma Pfizer vor.
Marianne I. Knecht
Obwohl die Anzahl Raucherinnen und Raucher in der Schweiz seit 2000 langsam rückläufig ist, rauchte 2014 noch immer knapp ein Viertel der Schweizer Bevölkerung (1). Das sind über 2 Millionen Menschen. Fast drei Viertel davon sind regelmässige, also täglich Rauchende. Noch rauchen Männer häufiger als Frauen (28,8% vs. 21,1%). Dieses Geschlechterverhältnis gleicht sich jedoch zunehmend aus. Am häufigsten rauchen junge Erwachsene in der Altersgruppe der 25 bis 34-Jährigen. In der Schweiz sterben jährlich weit über 9000 Menschen an den Folgen des Rauchens. Das sind umgerechnet rund 25 Todesfälle pro Tag. Die Anzahl tabakbedingter Todesfälle ist damit mehr als doppelt so hoch wie die Anzahl Todesfälle infolge von anderen Ursachen wie Verkehrsunfällen, illegalen Drogenkonsum, Aids, vorsätzlichen Tötungsdelikten und Suiziden zusammen. Am häufigsten sterben Raucherinnen und Raucher an Herz-Kreislauf-Erkrankungen (41%), gefolgt von Lungenkrebs (27%), Atemwegserkrankungen wie COPD (18%) und anderen Krebsarten (14%)(2). Wie aus dem von der Referentin zitierten Faktenblatt zum Tabakkonsum des BAG hervorgeht, wollen 57 Prozent der täglich Rauchenden mit dem Rau-
chen aufhören (2). Die Anzahl aufhörwilliger Raucher ist unter den 25- bis 34-Jährigen am höchsten (43,3%). Rauchstoppversuche, welche von einem Arzt oder einer Ärztin oder auch durch einen Anruf bei einer Rauchstopplinie begleitet werden, haben eine höhere Chance, erfolgreich zu sein. Die zusätzliche Unterstützung durch eine Nikotinersatz- oder eine medikamentöse Therapie erhöhen die Chance auf einen erfolgreichen Rauchstopp auf fast 30 Prozent. Ab einem Alter von 30 bis 35 Jahren führt ein Rauchstopp bei Männern zu einer höheren Lebenserwartung von bis zu 10, bei Frauen bis zu 11 Jahren (3). Eine Tabakentwöhnung zahlt sich selbst in fortgeschrittenem Alter noch aus.
Die EAGLES-Studie
Bei EAGLES handelt es sich um eine randomisierte, doppelblinde, sogenannte triple-dummy und plazebokontrollierte Studie, welche die Sicherheit bezüglich neuropsychiatrischer Nebenwirkungen sowie die Wirksamkeit von Vareniclin (Champix®), Bupropion (Zyban®) und einer Nikotinersatztherapie untersucht hat. Insgesamt 8144 Studienteilnehmer aus 16 verschiedenen Ländern und 6 Kontinenten wurden an 140 Studienzentren über 12 Wochen mit Vareniclin,
Bupropion, einem Nikotinpatch oder Plazebo behandelt, gefolgt von einer 12-wöchigen behandlungsfreien Follow-up-Phase. Vareniclin wurde nach einer 1-wöchigen Aufsättigungszeit in einer Dosierung von 1 mg 2-mal täglich und Bupropion mit 150 mg 2-mal täglich eingenommen. Die Nikotinersatztherapie mittels Patch startete mit 21 mg täglich und wurde in der achten Woche auf 14 mg beziehungsweise auf 7 mg in der zehnten Woche reduziert. Alle Probanden nahmen täglich 4 Tabletten ein und trugen einen Patch gemäss Schema, wobei es sich – je nach den vier Behandlungsgruppen für Vareniclin, Bupropion, Nikotinpatch und ausschliesslich Plazebo – bei den restlichen eingenommenen Medikamenten um Plazebo handelte (triple dummy). Die gesamte Studienpopulation wurde zudem in zwei Kohorten mit je rund der Hälfte der Teilnehmer aufgeteilt: Die eine Kohorte schloss Studienteilnehmer mit psychiatrischen Erkrankungen ein, die andere Kohorte ausschliesslich solche ohne psychiatrische Vorerkrankungen. Zu den möglichen psychiatrischen Diagnosen der Studienteilnehmer zählten psychotische Erkrankungen (Schizophrenie, schizoaffektive Störungen), affektive Störungen (Major-Depression, bipolare Störungen), Angst- sowie Persönlichkeitsstörungen. Das Alter der Teilnehmer lag zwischen 18 und 75 Jahren, der durchschnittliche tägliche Zigarettenkonsum betrug 10 oder mehr Zigaretten, und das in der Ausatmungsluft gemessene Kohlenmonoxid musste über 10 ppm liegen. Neben weiteren Ausschlusskriterien durften mögliche Studienteilnehmer während 30 Tagen vor Studienbeginn keines der zu prüfenden Medikamente bereits eingenommen haben und auch keine klinisch relevante Herz-Kreislauf-Erkrankung oder eine schwere COPD aufweisen.
594
ARS MEDICI 13 I 2016
BERICHT
Abstinenzrate (%)
40 38,0
35
30
Nicht psychiatrische Kohorte
Vareniclin (n = 1005) Bupropion (n = 1001) NRT (n = 1013) Plazebo (n = 1009)
26,1 26,4
25,5
25
20 18,8 18,5
15 13,7 10
10,5
5
Psychiatrische Kohorte
Vareniclin (n = 1032) Bupropion (n = 1033) NRT (n = 1025) Plazebo (n = 1026) 29,2
20,4 19,3
18,3
13,7 13,0 11,4
8,3
0 Woche 9–12
Woche 9–24
Woche 9–12
Woche 9–24
Adaptiert nach Sudano I, Universitätsspital Zürich bzw. Anthenelli RM et al., Lancet 2016
Abbildung: Wirksamkeit der medikamentösen Therapie bezüglich Rauchabstinenz
Tabelle:
Neuropsychiatrische Nebenwirkungen während und bis 30 Tage nach Behandlung
Nichtpsychiatrische Kohorte Neuropsychiatrische NW [n (%)] davon schwere NW
Vareniclin 990
13 (1,3%) 1 (0,1%)
Bupropion NRT-Patch
989 1006
22 (2,2%) 25 (2,5%)
4 (0,4%)
3 (0,3%)
Plazebo 999
24 (2,4%) 5 (0,5%)
Psychiatrische Kohorte Neuropsychiatrische NW n (%) davon schwere NW
1026 67 (6,5%) 14 (1,4%)
1017 68 (6,7%) 14 (1,4%)
NW = Nebenwirkungen; NRT = Nicotin replacement therapy
1016 53 (5,2%) 14 (1,4%)
1015 50 (4,9%) 13 (1,3%)
Vareniclin sicher und wirksamer
als Bupropion und Nikotinpatch
Die Sicherheit der untersuchten Medikamente wurde anhand der Häufigkeit und des Schweregrads neuropsychiatrischer Nebenwirkungen während und 30 Tage nach Behandlung festgestellt (siehe auch Abbildung). Zu den schweren Nebenwirkungen zählten Angstattacken und Depressionen. Je nach Ausprägung als mittelgradige bis schwere Nebenwirkungen klassifiziert wurden Agitiertheit, Aggressivität, Psychosen, Halluzinationen, suizidale Gedanken oder Handlugen und so weiter. In ihrer Präsentation gab Sudano einen Überblick über die wichtigsten
Resultate der Studie. So entsprach die Häufigkeit an Nebenwirkungen der nicht psychiatrischen Kohorte derjenigen der Plazebogruppe, für Vareniclin wurden sogar noch weniger Nebenwirkungen gemeldet. In der psychiatrischen Kohorte gab es erwartungsgemäss mehr neuropsychiatrische Nebenwirkungen. Für Vareniclin lässt sich jedoch keine signifikante Erhöhung im Vergleich zu Bupropion, dem Nikotinpatch oder der Plazebogruppe feststellen (siehe Tabelle). Die unter Vareniclin am häufigsten gemeldeten Nebenwirkungen (≥ 10%) waren Nausea und Kopfschmerzen. Das sind diejenigen Nebenwirkungen, welche bereits in den Studien
vor Markteinführung am häufigsten
auftraten.
Bezüglich der Wirksamkeit (negativer
CO-Atemtest während 4 Wochen) nach
9 bis 12 beziehungsweise 9 bis 24 Wo-
chen erzielten die medikamentösen
Therapien in der nicht psychiatrischen
Kohorte verglichen mit Plazebo eindeu-
tig bessere Resultate (siehe Abbildung).
Die Wirksamkeit von Vareniclin lag
zudem deutlich über derjenigen von
Bupropion und dem Nikotinpatch. Die
Abstinenzraten in der psychiatrischen
Kohorte liegen für alle drei Behand-
lungsmethoden tiefer als in der nicht
psychiatrischen, sind aber immer noch
höher als bei der Plazebogruppe. Das
bedeutet, dass selbst Raucher mit
bereits vorhandenen psychiatrischen
Symptomen bei zulässiger Indikation
von einer medikamentösen Rauch-
stopptherapie profitieren können. Auch
in dieser Kohorte erzielte Vareniclin
gegenüber den anderen beiden medika-
mentösen Therapien bessere Erfolge.
Zum Schluss ihrer Präsentation wies
Sudano nochmals darauf hin, dass die
EAGLES-Studie die erste Vergleichs-
studie dieser Art sei und habe zeigen
können, dass die medikamentöse
Rauchstoppbehandlung mit Vareniclin
und Bupropion bezüglich neuropsych-
iatrischer Nebenwirkungen sicher und
im Hinblick auf die Rauchabstinenz
wirksam sei.
O
Marianne I. Knecht
Quelle: «Tabakentwöhnung: Yes we can», Präsentation von PD Dr. med. Isabella Sudano, Herzzentrum Universitätsspital Zürich, virtueller Media Round Table für Fachjournalisten, 31. Mai 2016, Pfizer AG.
Literatur: 1. Anthenelli RM et al.: Neuropsychiatric safety and
efficacy of varenicline, bupropion and nicotine patch in smokers with and without psychiatric disorders (EAGLES): a double-blind, randomised, placebocontrolled clinical trial. The Lancet 2016; DOI: http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(16)30272-0 2. Bundesamt für Gesundheit BAG, Faktenblatt zum Tabakkonsum, 16.02.2015, http://www.bag.admin.ch/ themen/drogen/00041/00617/0 3. Prabhat J und Peto R: Global effects of Smoking, of quitting and taxing tobacco. New Engl J Med. 2014; 370: 60–68.
Interessenlage: Die Studie wurde von Pfizer und GlaxoSmithKline finanziert.
596
ARS MEDICI 13 I 2016