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STUDIE REFERIERT
Entzündliche Darmerkrankungen: Was geschieht, wenn Immunmodulatoren oder Biologika abgesetzt werden?
Übersichtsarbeit berichtet über hohe Rückfallquoten
Über die optimale Dauer der Therapie mit TNF-Blockern und/oder Immunmodulatoren ist wenig bekannt. Ein aktueller Review ging der Frage nach, was geschieht, wenn man bei Patienten mit einer entzündlichen Darmkrankheit (IBD), die sich in Remission befinden, die Dosis von TNF-Blockern oder Immunmodulatoren reduziert oder die Medikamente ganz absetzt.
Gastroenterology
Die therapeutischen Strategien bei entzündlichen Darmerkrankungen (inflammatory bowel diseases, IBD) haben sich in den letzten Jahren erheblich entwickelt. Die Erkenntnis, dass eine subklinische und nicht ausreichend behandelte Inflammation zu schlechten Resultaten führen kann, zog eine Änderung der Behandlungsziele nach sich: Statt einer symptomatischen Kontrolle strebt man heute eine klinische und endoskopische Remission an. Dementsprechend haben sich auch die therapeutischen Strategien geändert. So gibt man heute bereits früh Immunmodulatoren und/oder TNF-(Tumornekrosefaktor)-alpha-Blocker, man überprüft häufig die Krankheitsaktivität und betreibt eine rasche Therapieeskalation, um die Inflammation zu kontrollieren. Eine Kombinationstherapie ist die effektivste Strategie, um bei Patienten mit mittelschwerem oder schwerem Morbus Crohn eine Remis-
MERKSÄTZE
O Mindestens die Hälfte der IBD-Patienten, die ihre Therapie absetzen, erleidet einen Rückfall.
O Wahrscheinlich kann die Therapie langfristig nur bei selektierten IBDPatienten komplett abgesetzt werden.
O Welche Patienten dafür infrage kommen, muss in zukünftigen Studien geklärt werden.
sion zu erzielen. Das gilt auch für Patienten mit kortikosteroidrefraktärer Colitis ulcerosa. Daher besteht derzeit ein Trend, frühzeitig mit Immunmodulatoren oder TNF-Blockern zu intervenieren, noch bevor es zu irreversiblen intestinalen Schäden gekommen ist. Allerdings sehen sich Ärzte bei dieser frühen und aggressiven Behandlung immer häufiger mit der Frage konfrontiert, ob und wann die Dosis der Medikamente reduziert oder die Behandlung ganz abgesetzt werden kann, nachdem eine Remission eingetreten ist. Obwohl es vielleicht nicht einleuchtet, die Dosis zu reduzieren oder die Therapie abzusetzen, sobald das therapeutische Ziel erreicht ist, wird genau dies in der klinischen Praxis oft in Betracht gezogen – sei es aufgrund von Sicherheitsbedenken, Nebenwirkungen, Kosten oder speziellen Situationen wie einer Schwangerschaft. Eine kürzlich publizierte Übersichtsarbeit untersuchte, was geschieht, wenn bei IBD-Patienten in Remission die Dosis an TNF-Blockern und/oder Immunmodulatoren reduziert oder diese Therapie beendet wird. Für ihren Review berücksichtigten die Autoren 69 Studien mit insgesamt 4672 Patienten. In 18 Studien wurde eine Monotherapie mit einem Immunmodulator in der Dosis reduziert oder ganz abgesetzt, in 8 Studien erfolgte eine Deeskalation (Dosisreduktion oder Absetzen der Therapie) eines Immunmodulators im Rahmen einer Kombinationsbehandlung, und 43 Studien beschäftigten sich mit der Deeskalation von TNF-
Blockern, 3 davon in der Schwangerschaft. Das Absetzen einer ImmunmodulatorMonotherapie nach einer Remissionsphase war bei Patienten mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa mit hohen Rückfallraten assoziiert; etwa 75 Prozent der Patienten erlitten innerhalb von 5 Jahren nach Absetzen der Therapie einen Rückfall. Die meisten Studien mit MorbusCrohn-Patienten, die einen Immunmodulator nach einer Kombinationstherapie absetzten, kamen zu dem Schluss, dass die Rückfallraten sich nicht von denjenigen der Patienten unterschieden, die das Medikament weiter einnahmen (55–60% hatten innerhalb von 24 Monaten nach Absetzen des Immunmodulators ein Erkrankungsrezidiv). Die einzige Studie mit Colitis-ulcerosaPatienten sprach für eine fortgesetzte Einnahme der Immunmodulatoren. Etwa 50 Prozent der Patienten, die TNF-Blocker nach einer Kombinationstherapie absetzten, waren 24 Monate später noch in Remission, aber der Anteil der Patienten in Remission nahm im Lauf der Zeit ab. Marker der Krankheitsaktivität, negative prognostische Faktoren und ein komplizierter oder rezidivierender Krankheitsverlauf waren mit einem zukünftigen Rückfall assoziiert.
Fazit
Die vorliegende Übersichtsarbeit ergab,
dass mindestens 50 Prozent der IBD-
Patienten, die ihre Therapie absetzen,
einen Rückfall erleiden. Dies lässt ver-
muten, dass ein komplettes Absetzen
langfristig nur bei selektierten Patien-
ten möglich ist. Es sind weitere Studien
erforderlich, in denen untersucht wer-
den sollte, welche Patientensubgrup-
pen gute Kandidaten für ein Absetzen
der Therapie sind.
O
Andrea Wülker
Quelle: Torres J et al.: Systematic review of effects of withdrawal of immunomodulators or biologic agents from patients with inflammatory bowel disease. Gastroenterology 2015; 149: 1716–1730.
Interessenkonflikte: Die Autoren der referierten Originalpublikation sind für verschiedene Pharmaunternehmen tätig und haben Berater- und/oder Referentenhonorare erhalten.
ARS MEDICI 13 I 2016
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