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FORTBILDUNG
Rheumamedikamente in Schwangerschaft und Stillzeit
Aktuelle Empfehlungen der European League Against Rheumatism (EULAR)
Viele Frauen mit entzündlichen rheumatischen Erkrankungen wünschen sich Kinder. Eine Arbeitsgruppe der EULAR hat kürzlich zusammengefasst, was hinsichtlich der medikamentösen Therapie bei Rheumapatientinnen vor und während der Schwangerschaft sowie in der Stillzeit zu bedenken ist.
Annals of the Rheumatic Diseases
Da inzwischen effektive Medikamente zur Verfügung stehen und mit weniger Langzeiteinschränkungen gerechnet werden muss, können heute viele Frauen mit entzündlichen rheumatischen Erkrankungen (RD) eine Schwangerschaft in Betracht ziehen. Eine medikamentöse Therapie während der Schwangerschaft kann erforderlich sein, um die mütterliche Erkrankung zu kontrollieren, die das Wohlbefinden des Fetus sowie die Schwangerschaft selbst beeinträchtigen kann. Das Risiko, eine aktive rheumatische Erkrankung der Mutter neun Monate lang unbehandelt zu lassen, muss gegen die potenzielle Gefahr einer Medikamentenexposition des Fetus abgewogen werden. Die Anpassung der Therapie bei einer Patientin, die eine Schwangerschaft plant, zielt darauf ab, Medikamente ein-
MERKSÄTZE
O Das Risiko, eine aktive rheumatische Erkrankung der Schwangeren neun Monate lang unbehandelt zu lassen, muss gegen die potenzielle Gefahr einer Medikamentenexposition des Fetus abgewogen werden.
O Einschränkungen hinsichtlich des Einsatzes in der Schwangerschaft gibt es für einige wenige Medikamente, die nachweislich teratogen wirken, sowie für eine ganze Reihe von Arzneimitteln, für die nur insuffiziente Sicherheitsdaten in Bezug auf den Fetus/das Kind vorliegen.
O Trotz der genannten Limitationen ist eine effektive Pharmakotherapie aktiver rheumatischer Erkrankungen während Schwangerschaft und Stillzeit mit akzeptabler Sicherheit im Hinblick auf den Fetus/das Kind möglich.
zusetzen, die einerseits eine Krankheitskontrolle der Mutter ermöglichen und andererseits für den Fetus als sicher gelten. Allerdings erfüllt nur eine begrenzte Anzahl an Antirheumatika/Immunsuppressiva diese Erfordernisse. Da die Zahl der für die RD-Therapie verfügbaren Arzneimittel rasch ansteigt, hinkt das Wissen über die Sicherheit während der Schwangerschaft den Anforderungen hinterher. Eine multidisziplinäre Arbeitsgruppe der European League Against Rheumatism (EULAR) trug kürzlich neue Daten aus der Fachliteratur und aus verschiedenen Datenbanken zusammen, um einen Expertenkonsens hinsichtlich der Kompatibilität verschiedener Rheumamittel in Schwangerschaft und Stillzeit zu erarbeiten. Beteiligt waren 20 Experten aus zehn europäischen Ländern und den USA. Die systematische Literaturrecherche bezog sich auf folgende Substanzklassen: O nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) O Glukokortikoide O konventionelle systemische DMARD (disease-modifying
antirheumatic drugs): Methotrexat (MTX), Cyclophosphamid, Sulfasalazin, Leflunomid, Antimalariamittel, Azathioprin, Colchicin, Ciclosporin, Tacrolimus, Mycophenolatmofetil (MMF), intravenöses Immunglobulin (IVIG) O zielgerichtete synthetische DMARD: Tofacitinib O biologische DMARD: Tumornekrosefaktorinhibitoren (TNF-I; Adalimumab, Certolizumab Pegol, Etanercept, Golimumab und Infliximab), T-Zell-Kostimulations-Inhibitor Abatacept, Anti-B-Zell-Substanzen (Rituximab, Belimumab), Interleukin (IL)-6-Rezeptor-Blocker und monoklonaler Antikörper Tocilizumab und IL-1-Rezeptor-Antagonist Anakinra. Biosimilars wurden aufgrund der dürftigen Datenlage nicht eingeschlossen. Die Autoren berücksichtigten englischsprachige Publikationen und konnten insgesamt 319 geeignete Arbeiten identifizieren, darunter 45 Kohortenstudien, 24 FallKontroll-Studien und 250 Patientenserien beziehungsweise Einzelfalldarstellungen. Darüber hinaus werteten die Autoren nicht veröffentlichte Daten aus sechs Registern aus.
Vier übergeordnete Prinzipien
Der Grad der Übereinstimmung der Experten hinsichtlich der Statements und Vorschläge zur Anwendung der verschiedenen Antirheumatika in der klinischen Praxis wurde nach dem Delphi-Verfahren etabliert. Die Arbeitsgruppe formulierte vier übergreifende Prinzipien: 1. Das Thema Familienplanung sollte mit jeder Patientin
(und jedem Patienten) im reproduktiven Alter angesprochen
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und eine Anpassung der Therapie vor einer geplanten Schwangerschaft erwogen werden. 2. Die Behandlung von Patientinnen mit rheumatischen Erkrankungen vor/während der Schwangerschaft und in der Stillzeit sollte darauf abzielen, eine Krankheitsaktivität bei der Mutter zu verhindern oder zu unterdrücken und den Fetus/das Kind keinem Risiko auszusetzen. 3. Das Risiko einer Pharmakotherapie für das Kind sollte gegen das Risiko abgewogen werden, das eine unbehandelte mütterliche Erkrankung für die Patientin und für den Fetus oder das Kind bedeutet. 4. Die Entscheidung über eine Pharmakotherapie während Schwangerschaft und Stillzeit sollte auf einer gemeinsamen Entscheidung von Internist/Rheumatologe, Frauenarzt/ Geburtshelfer und der Patientin beruhen. Im Bedarfsfall können weitere Behandler in die Therapieentscheidung einbezogen werden.
Rheumamedikamente vor und während
einer Schwangerschaft
O Mit einer Schwangerschaft sind nachweislich folgende konventionelle synthetische DMARD kompatibel: Hydroxychloroquin, Chloroquin, Sulfasalazin, Azathioprin, Ciclosporin, Tacrolimus und Colchicin. Sie sollten während einer Schwangerschaft weiterhin gegeben werden, um eine Remission zu erhalten oder einen Krankheitsschub zu behandeln (Empfehlungsgrad B).
O Die konventionellen synthetischen DMARD MTX, MMF und Cyclophosphamid sind teratogen und sollten vor einer Schwangerschaft abgesetzt werden (Empfehlungsgrad B).
O Nicht selektive Cyclooxygenase (COX)-Inhibitoren (NSAR) und Prednison sollten für den Einsatz während der Schwangerschaft in Betracht gezogen werden, wenn sie benötigt werden, um die Symptome einer aktiven Erkrankung zu kontrollieren. NSAR sollten auf das erste und zweite Trimester beschränkt werden (Empfehlungsgrad B).
O Bei schwerer, refraktärer Erkrankung der Schwangeren sollte eine Methylprednisolon-Pulstherapie, intravenöses Immunglobulin oder sogar ein Einsatz von Cyclophosphamid im zweiten oder dritten Schwangerschaftstrimester erwogen werden (Empfehlungsgrad D).
O Konventionelle synthetische DMARD, zielgerichtete synthetische DMARD und antiinflammatorische Medikamente ohne ausreichende Dokumentation im Hinblick auf den Einsatz bei Schwangeren sollten vermieden werden, bis weitere Evidenz verfügbar ist. Dies betrifft Leflunomid, Mepacrin, Tofacitinib und selektive COX-II-Inhibitoren (Empfehlungsgrad B–D).
O Was die biologischen DMARD anbelangt, sollte eine Fortsetzung der Therapie mit TNF-I während des ersten Teils der Schwangerschaft erwogen werden. Etanercept und Certolizumab können sogar für den Einsatz während der gesamten Schwangerschaft in Betracht gezogen werden, da die transplazentare Passage gering ist (Empfehlungsgrad B).
O Für die biologischen DMARD Rituximab, Anakinra, Tocilizumab, Abatcept, Belimumab und Ustekinumab liegt nur eine limitierte Dokumentation zum sicheren Einsatz in der Schwangerschaft vor, daher sollten sie vor der Konzeption durch andere Arzneimittel ersetzt werden.
Während der Schwangerschaft sollten sie nur verwendet werden, wenn kein anderes schwangerschaftskompatibles Medikament die mütterliche Erkrankung effektiv kontrollieren kann (Empfehlungsgrad D).
Rheumamedikamente in der Stillzeit
O Konventionelle synthetische DMARD und antiinflamma-
torische Medikamente, die mit dem Stillen kompatibel
sind, sollten für eine fortgesetzte Therapie während der
Stillzeit in Betracht gezogen werden – vorausgesetzt, das
Kind hat keine Erkrankung, die eine Kontraindikation für
die entsprechende Therapie darstellt. Dies betrifft Hydro-
xychlorquin, Chloroquin, Sulfasalazin, Azathioprin, Ci-
closporin, Tacrolimus, Colchicin, Prednison, Immunglo-
bulin, nicht selektive COX-Inhibitoren und Celecoxib.
(Empfehlungsgrad D).
O Konventionelle synthetische DMARD, zielgerichtete syn-
thetische DMARD und antiinflammatorische Medika-
mente, für die es keine oder nur limitierte Daten zum Ein-
satz während der Stillzeit gibt, sollten bei stillenden Müt-
tern vermieden werden. Dies betrifft die Substanzen MTX,
MMF, Cyclophosphamid, Leflunomid, Tofacitinib und
COX-II-Inhibitoren mit Ausnahme von Celecoxib (Emp-
fehlungsgrad D).
O Ein geringer Übertritt in die Muttermilch wurde für Infli-
ximab, Adalimumab, Etanercept und Certolizumab nach-
gewiesen. Die Fortsetzung einer Therapie mit TNF-I sollte
als mit dem Stillen kompatibel betrachtet werden (Emp-
fehlungsgrad D).
O Biologische DMARD, für die keine Daten zum Stillen exis-
tieren, wie Rituximab, Anakinra, Belimumab, Usteki-
numab, Tocilizumab und Abatacept, sollten während der
Stillzeit vermieden werden, wenn andere Medikamente
zur Krankheitskontrolle verfügbar sind. Auf der Basis
der pharmakologischen Eigenschaften von biologischen
DMARD sollte vom Stillen nicht abgeraten werden, wenn
diese Substanzen eingesetzt werden und keine anderen
Optionen verfügbar sind (Empfehlungsgrad D).
O
Andrea Wülker
Quelle: Götestam Skorpen C et al.: The EULAR points to consider for use of antirheumatic drugs before pregnancy, and during pregnancy and lactations. Ann Rheum Dis 2016; 75: 795–810.
Interessenkonflikte: Ein Teil der Autoren der Originalpublikation hat Berater- oder Referentenhonorare beziehungsweise Forschungsmittel von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten.
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