Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Prävention
Polypille für alle bringts nicht
Bewegung, ausgewogene Ernährung, ein wenig aufs Gewicht achten – eigentlich ist eine gute kardiovaskuläre Prävention für sonst gesunde Menschen ganz einfach. Wäre da nicht der «innere Schweinehund». Den zu besiegen, fällt vielen schwer, und so erscheint es verlockender, die Sache mit dem Einwerfen einer Pille zu erledigen. Eine präventive «Polypille» könnte es richten, eine Mischung aus Blutdrucksenker und Statin, die dann einfach jeder ab einem bestimmten Alter einnimmt – und zwar unabhängig von seinen Blutdruck- und Lipidwerten, getreu dem vor allem unter amerikanischen Medizinern verbreiteten Credo «niedriger ist sowieso besser». So weit die Theorie. In der Praxis hat sich nun gezeigt, dass der Erfolg einer solchen Polypille offenbar sehr bescheiden wäre. In die HOPE3Studie (1–3) wurden 12 705 Personen ab einem bestimmten Alter (Männer ab 55 und Frauen ab 65 Jahren) ohne kardiovaskuläre Erkrankung, aber mit mindestens einem kardiovaskulären Risikofaktor aufgenommen (Frauen mit zwei Risikofaktoren bereits ab 60 Jahren). Alle erhielten 4 Wochen lang sowohl Medikamente zur Blutdrucksenkung und ein Statin. Falls sie diese Medikamente vertrugen und sie zuver-
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lässig einnahmen, blieben sie in der Studie und wurden nach dem Zufallsprinzip in vier etwa gleich grosse Gruppen aufgeteilt (knapp 3200 Personen pro Gruppe): O Blutdrucksenker plus Statin (Cande-
sartan 16 mg/Tag plus Hydrochlorthiazid 12,5 mg/Tag plus Rosuvastatin 10 mg/Tag) O Blutdrucksenker plus Plazebo O Statin plus Plazebo O Plazebo plus Plazebo
Am Ende der im Durchschnitt rund 5½jährigen Studiendauer nahmen noch knapp drei Viertel der Teilnehmer ihre Tabletten ein. Der erste kombinierte Endpunkt bestand aus kardiovaskulär bedingter Mortalität sowie nicht tödlichem Herzinfarkt oder Schlaganfall und deren Kombination mit Reanimation nach Herzstillstand, Herzinsuffizienz oder Revaskularisierung. Der zweite kombinierte Endpunkt bestand aus Reanimation nach Herzstillstand, Herzinsuffizienz oder Revaskularisierung sowie Angina mit Anhaltspunkten für eine Ischämie. Der erste Endpunkt ereignete sich bei 113 Personen (3,6%) mit Blutdrucksenker plus Statin und bei 157 Personen (5%) in der reinen Plazebogruppe. Der zweite Endpunkt wurde bei 136 Personen (4,3%) in der Blutdrucksenkerplus-Statin-Gruppe verzeichnet und bei 187 Personen (5,9%) in der reinen Plazebogruppe. In absoluten Zahlen sind dies also nur 1,4 Prozent beziehungsweise 1,6 Prozent weniger Vorfälle mit der Polypille. Die getrennte Auswertung der Blutdrucksenker- und der Statingruppen versus Plazebo ergab, dass die Blutdrucksenkung nur für Personen etwas brachte, deren Blutdruck zuvor bereits erhöht gewesen war (systolisch über 140 mmHg). Das ist jedoch keine Situation für Primärprävention mehr, für die die Polypille eigentlich gedacht ist. Die Deutsche Hochdruckliga hält die Idee der Polypille darum für gescheitert (4): «Seit Langem steht fest, dass eine Senkung des Blutdrucks nur bei erhöhten Werten sinnvoll ist», erklärt Professor
Dr. med. Martin Hausberg, Vorstands-
vorsitzender der Deutschen Hochdruck-
liga. «Bei normalen Blutdruckwerten
kann die Einnahme von Blutdruckmedi-
kamenten sogar schaden.» In der Tat
zeigte sich ein statistisch signifikanter
Unterschied bezüglich Schwindel, Be-
nommenheit und Hypotonie im Ver-
gleich der Gruppen mit der Blutdruck-
senkung oder ohne: In den Blutdruck-
senkergruppen hörten 3,4 Prozent der
Teilnehmer wegen dieser Nebenwir-
kung mit der Medikation auf gegenüber
2 Prozent in den Plazebogruppen (nur
Plazebo oder Statin plus Plazebo).
Die Statingabe hingegen brachte für
alle etwas, unabhängig von deren Lipid-
werten zu Beginn der Studie. Die klini-
sche Relevanz des Effekts ist fraglich.
Der erste primäre Endpunkt wurde in
der Statingruppe bei 235 Personen (3,7%)
dokumentiert gegenüber 304 Personen
(4,8%) in der Plazebogruppe. Beim
zweiten Endpunkt waren es 4,4 versus
5,7 Prozent. Hinter der auf den ersten
Blick eindrucksvollen Risikoreduktion
von 25 Prozent stehen nur magere ab-
solute Zahlen: Gerade einmal um 1,1 bis
1,2 Prozent sank das kardiovaskuläre
Risiko mit der Statingabe. Das ent-
spricht ungefähr der Grössenordnung,
um welche die Nebenwirkungen unter
den Statinen stiegen. Die Studienauto-
ren berichten von 0,9 Prozent mehr
Kataraktoperationen und 1,1 Prozent
mehr muskulären Symptomen mit dem
Statin im Vergleich mit Plazebo.
Weder an der Gesamtmortalität noch an
der kardiovaskulären Mortalität änderte
eine der Massnahmen etwas. Die Ge-
samtmortalität lag in allen vier Studien-
gruppen um gut 5 Prozent (5,1–5,6%),
die kardiovaskuläre Mortalität bei 2,4
bis 2,9 Prozent.
RBOO
1. Yusuf S et al.: Blood-pressure and cholesterol lowering in persons without cardiovascular disease. New Engl J Med 2016; online April 2, 2016.
2. Lonn EM et al.: Blood-pressure lowering in intermediaterisk persons without cardiovascular disease. New Engl J Med 2016; online April 2, 2016.
3. Yusuf S et al.: Cholesterol lowering in intermediate-risk persons without cardiovascular disease. New Engl J Med 2016; online April 2, 2016.
4. Polypille gescheitert: Nicht alle älteren Menschen brauchen Blutdrucksenker. Pressemitteilung der Deutschen Hochdruckliga vom 20. April 2016.
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ARS MEDICI 9 I 2016
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Infektiologie
Präventiv Antibiotika bei Bakterien im Urin?
Rückspiegel
Der alleinige Nachweis von Bakterien im Urin ohne Symptome erfordert bis auf wenige Ausnahmen keine Behandlung. Dennoch verschrieben Ärzte häufig ein Antibiotikum, kritisiert die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie (DGI). Dass sich anlässlich einer
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Routineuntersuchung mitunter Bakterien im Urin nachweisen lassen, könne unterschiedliche Ursachen haben und komme bei Frauen häufiger vor als bei Männern. Behandlungsbedarf sei jedoch erst gegeben, wenn typische Beschwerden einer Harnwegsinfektion bestehen. Bei einem symptomlosen Bakteriennachweis im Urin Antibiotika zu geben, nütze nichts. Eine vorsorgliche Antibiotikabehandlung verhindere nicht, dass es nach dem symptomlosen Auftreten von Bakterien im Urin zu einer symptomatischen Harnwegsinfektion kommen kann. Von dieser Regel gibt es nur wenige, definierte Ausnahmen: Wenn sich während einer Schwangerschaft oder vor einem urologischen Eingriff Bakterien im Urin nachweisen lassen, sollten Ärzte auch ohne konkrete Krankheitszeichen eine Antibiotikatherapie einleiten.
DGI/redO
Pneumologie
Smartphone zur OSA-Diagnostik nur bedingt geeignet
2 bis 4 Prozent aller Erwachsenen sind von der obstruktiven Schlafapnoe (OSA) betroffen, dem nächtlichen Schnarchen, das mit Atempausen einhergeht, und so nicht nur den Schlaf, sondern auch das Herz belastet. Nun hat man untersucht, ob für die OSA-Diagnostik das Schlafverhalten von Betroffenen mittels Smartphone zuverlässig kontrolliert werden könnte. Um festzustellen, ob eine obstruktive Schlafapnoe vorliegt, wird das Schlafverhalten entweder im Schlaflabor oder ambulant mittels Polysomnografie untersucht. Bei der Polygrafie wird ein kleines Gerät mit verschiedenen Messsonden dem Patienten nach einer Einweisung durch den HNO-Arzt mitgegeben. Vor dem Zubettgehen legt er den Polygrafen an und aktiviert die Aufzeichnung, die bis zum nächsten Morgen fortgeführt wird. Im Anschluss gibt er das Gerät seinem behandelnden Arzt zurück. Die derzeit auf dem Markt verfügbaren Geräte zum Schlafapnoe-Screening messen je nach Bauart vier bis sechs
unterschiedliche Parameter, es werden aber auch Ein-Kanal-Screening-Geräte angeboten. Zu den Parametern zählen beispielsweise Atemfluss, Atembewegungen, Schnarchen und Sauerstoffsättigung. In einer Studie wurde untersucht, ob man das Schlafmonitoring zur Diagnostik einer OSA auch zuverlässig mithilfe eines Smartphones durchführen könnte. Schliesslich besitzen Smartphones etliche Sensoren, die prinzipiell für die Messung von Körperfunktionen verwendet werden können. Die Untersuchung hat jedoch ergeben, dass die in Smartphones verbauten Sensoren qualitativ nicht mit der Hardware von Medizinprodukten wie dem Polygrafen vergleichbar sind. Mittelfristig könnten sie die Polygrafie nicht ersetzen. Allerdings könnten Smartphones durchaus für ein kostengünstiges Verlaufsmonitoring im häuslichen Umfeld eingesetzt werden, so der Studienleiter Dr. Martin Leinung, Universitätsklinikum Frankfurt am Main.
DGHNO KHC/redO
Vor 10 Jahren
Radiofrequenz für die Nase
Mit der sogenannten bipolaren Radiofrequenztherapie geht man gegen überschüssiges Gewebe in der Nase vor. Die Methode gilt als wesentlich schonender für die Nasenschleimhaut. Der Eingriff dauert zehn Minuten und soll auch bei vielen Patienten mit krummer Nasenscheidewand und entsprechenden Atembeschwerden funktionieren.
Vor 50 Jahren
Whisky, Bier und Fleischextrakt
Mit dem Konsum von Whisky, Bier oder anderen alkoholischen Getränken könne man den Augeninnendruck senken, mit jenem von Fleischextrakt kardiovaskuläre Risikofaktoren. Entsprechende Studien werden in «Ars Medici» referiert. Während über den Wirkmechanismus von Alkohol zur Glaukomprävention nichts berichtet wird, führt man die segensreiche Wirkung des Fleischextrakts auf dessen hohen Gehalt an Magnesium und Aminosäuren zurück.
Vor 100 Jahren
Wundbehandlung mit Sand
Mit Sand soll man infizierte Wunden erfolgreich behandeln können. Hierzu wird steriler, feinkörniger Sand für zehn Stunden auf der Wunde belassen, was zu einer starken Austrocknung führt, die man damals noch für heilungsförderlich hält. Andere Ärzte empfehlen einen feuchten Wundverband und loben die granulationsbildende Wirkung eines Verbands mit Gazestreifen, die mit einer stark verdünnten Adrenalinlösung getränkt sind: «Auffallend ist auch die rasche Reinigung und gute Narbenbildung», berichtet «Ars Medici».
RBO
ARS MEDICI 9 I 2016