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FORTBILDUNG
Insektengiftallergie
Fallstricke bei Diagnostik und Therapie
Bienen- und Wespenstiche stellen ein häufiges Problem in der allgemeinärztlichen Praxis dar. Oft resultieren verstärkte Lokalreaktionen, die lokal zu behandeln sind. Es kann sich jedoch auch um eine lebensgefährliche Insektengiftallergie handeln. Aufgrund neuer Methoden der molekularen Allergologie wurden vor einiger Zeit die Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der Insektengiftallergie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie aktualisiert. Darauf wird im folgenden Artikel eingegangen.
Wolfgang Sieber
Von Fachgesellschaften wird die Inzidenz anaphylaktischer Reaktionen durch Insektenstiche mit ungefähr 1:200 angegeben. Laut einer aktuellen Studie beträgt gerade in den Sommermonaten die Häufigkeit von Notarzteinsätzen aufgrund anaphylaktischer Reaktionen mindestens 1 Prozent, wobei dabei vor allem bei Erwachsenen Bienen- und Wespenstiche weit vorne liegen. Bei einer hohen Dunkelziffer nimmt man an, dass in Deutschland mindestens 50 Patienten pro Jahr durch anaphylaktische Reaktion nach Bienen- oder Wespenstichen ums Leben kommen.
Tabelle 1:
Risikofaktoren für Insektengiftallergie
Risiko häufiger Exposition O Imker, Familienangehörige und Nachbarschaft von
Imkern O Berufe wie Obst- oder Bäckereiverkäufer, Wald-
arbeiter, Gärtner, Feuerwehrmann, Landwirt, Bauarbeiter O intensive Ausübung von Aktivitäten im Freien
Erhöhtes Risiko schwerer Anaphylaxie O schwere Stichanaphylaxie in der Anamnese
(Schweregrad III, IV oder bedeutsame Atemwegsobstruktion bei Schweregrad II) O Alter (etwa ab 40. Lebensjahr) O kardiovaskuläre Erkrankung O Asthma O bestimmte Pharmaka wie Betablocker (auch Augentropfen), ACE-Hemmer, eventuell nicht steroidale Antirheumatika O körperliche oder psychische Belastungssituationen O basale Serumtryptasekonzentration > 11,4 µg/l (dann nicht selten Mastozytose)
MERKSÄTZE
O Grundsätzlich sind systemische allergische Reaktionen als potenziell lebensbedrohlich anzusehen.
O Patienten mit Insektengiftallergie reagieren nach schwerer anaphylaktischer Reaktion in bis zu 60 Prozent der Fälle bei einem erneutem Stich wieder systemisch.
O Nach einer anaphylaktischen Reaktion ist das Verordnen eines Notfallsets erforderlich.
O Nach der Reaktion sollte zunächst ein bis zwei Wochen mit der Allergiediagnostik gewartet werden.
Risikofaktoren und Diagnose
Risikofaktoren einer Insektengiftallergie sind in Tabelle 1 dargestellt. Die meisten Patienten, die von Insekten gestochen werden und anaphylaktisch reagieren, werden von einer Wespe heimgesucht. In einem grossen Krankheitsgut betrug die Inzidenz von Wespenstichen knapp drei Viertel der Fälle, 2 Prozent betreffen die Hornisse, 25 Prozent die Biene (vgl. Tabelle 2). Die Reaktion auf Insektenstiche kann nur lokal-toxisch sein (vgl. Tabelle 3). Schwierigkeiten ergeben sich, wenn man zum Beispiel in die Luftröhre gestochen wird, zum Beispiel beim Verschlucken eines Insektes, sowie auch, wenn mehrere hundert bis mehrere tausend Insekten gleichzeitig stechen. Dann ist der Patient durch die grosse Menge der biogenen Amine (meist Histamin) durch toxische Wirkungen bedroht. Bei der Insektenallergie handelt es sich dagegen um eine sogenannte IgE-vermittelte Allergie, wobei man auch hier Antikörper im Blut- oder Hauttest finden kann.
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Tabelle 2:
Hinweise auf das reaktionsauslösende Insekt
Biene
eher «friedlich» (ausser am Bienenstock)
Flugzeit vor allem Frühjahr bis Spätsommer (auch an warmen Wintertagen!)
Stachel bleibt nach Stich meist in der Haut zurück
Vorkommen vor allem in der Nähe von Bienenstöcken, Blüten und Klee
Wespe eher «aggressiv»
Flugzeit vor allem Sommer bis Spätherbst
Stachel bleibt nach Stich meist nicht in der Haut zurück Vorkommen vor allem in der Nähe von Speisen oder Abfall
Kasten 1:
Notfallset
O H1-Rezeptor-blockierendes, schnell wirksames Antihistaminikum, in der 2- bis 4-fachen Standarddosis oral
O Glukokortikoid (100 mg) oral
O bei Atemnot, Schwellung im Mund-Rachen-Bereich oder Kreislaufproblemen: Adrenalin, bevorzugt zur Injektion (Erwachsene: 0,3 mg, ggf. 0,6 mg, Kinder 15–30 kg: 0,15 mg)
O ggf. Beta-2-Mimetikum: bei nicht hyposensibilisierten Patienten immer nach Stich sofort anwenden und sofort ärztliche Hilfe holen; nach erfolgreicher Hyposensibilisierung und vor allem vertragener Stichprovokation/ Feldstich nur bei Symptomen
Tabelle 3:
Reaktionen auf Insektenstiche
toxisch schmerzhafte, juckende, brennende Quaddel
lebensbedrohlich: O einzelner Stich im Bereich der oberen
Luftwege O multiple Stiche, mehrere hundert bis
tausend
allergisch lokal starke Lokalreaktion: л > 10 cm, länger als 24 h systemisch Allgemeinreaktionen Grad I–IV
ungewöhnlich unklare Pathogenese (IgE-unabhängig)
Grundsätzlich sind systemische, mit der Symptomatik einer allergischen Reaktion vom Soforttyp einhergehende Überempfindlichkeitsreaktionen als potenziell lebensbedrohlich anzusehen.
Tabelle 4:
Schweregrade der allergischen Reaktion
Grad 0 starke Lokalreaktion, л > 10 cm, länger als 24 h Allgemeinreaktionen: Grad I generalisierte Urtikaria, Pruritus, Übelkeit
Grad II Angioödem, Engegefühl, Erbrechen, Durchfall, Schwindel
Grad III Atemnot, Giemen, Stridor, Dysphagie, Dysarthrie, Heiserkeit, Schwäche, Benommenheit, Todesangst
Grad IV Blutdruckabfall, Kollaps, Bewusstlosigkeit, Inkontinenz, Zyanose, Atemstillstand, Kreislaufstillstand
Nach einer systemischen Reaktion sollte hier zunächst ein bis zwei Wochen mit der Diagnostik gewartet werden, da im Lauf der anaphylaktischen Reaktion die Antikörper verbraucht werden und diese deshalb möglicherweise zunächst
nicht mehr nachweisbar sind. Nach ein bis zwei Wochen erfolgt normalerweise die Vorstellung beim Allergologen, welcher einen sequenziellen Hauttest durchführt sowie auch die spezifischen IgE-Antikörper (früher Rast) abnimmt. Dies kann auch beim Hausarzt geschehen. Ergibt sich trotz systemischer Reaktion kein eindeutiger Hinweis auf eine IgE-vermittelte Allergie mit diesen Methoden, kann seit Neuestem auch die Bestimmung der sogenannten rekombinanten Antikörper (bei Wespengift Wesp V5 sowie bei Bienengift Api M1) erfolgen. Diese können bei sehr kleinen Allergenmengen sensitiver sein als das normale spezifische IgE sowie auch unterscheiden helfen, ob es sich hier um eine Bienen- oder Wespengiftallergie handelt.
Therapie
Hat schon einmal eine anaphylaktische Reaktion (vgl. Tabelle 4) stattgefunden (z.B. Anaphylaxie Grad I auf die Haut bezogen, Grad II mit Angioödem und Engegefühl, Erbrechen, Durchfall, Grad III zusätzlich mit Atemnot oder Grad IV mit Reanimationspflichtigkeit), sollte der Patient möglichst schnell in einem Zentrum zum Einleiten einer Hyposensibilisierung vorgestellt werden. Davor ist das Verordnen eines Notfallsets (Kasten 1) erforderlich. Der Patient erhält dabei ein schnell wirksames Anti-
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Tabelle 5:
Indikation für eine Hyposensibilisierung
Grundsätzlich bei jedem Patienten mit systemisch anaphylaktischer Stichreaktion und dem Nachweis einer IgE-vermittelten Sensibilisierung!
Individuelles Vorgehen: O Kinder mit ausschliesslich auf die Haut beschränkten, systemi-
schen Reaktionen O Patienten mit serumkrankheitsartigen Reaktionen O bei Frauen im gebärfähigen Alter Hyposensibilisierung vor Ein-
tritt einer Schwangerschaft beginnen (Risiko auch für das Ungeborene bei Anaphylaxie der Mutter!); bei guter Verträglichkeit Fortführung während der Gravidität möglich
Keine Indikation: O Patienten mit gesteigerten örtlichen Reaktionen oder «unge-
wöhnlichen» Reaktionen
histaminikum, ein orales Steroid (z.B. als flüssiges Beclometason) oder auch einen Autoinjektor zur Applizierung von Adrenalin.
Definitive Behandlung der Patienten
mit einer Hyposensibilisierung
Die einzige kausale Möglichkeit, einen Patienten mit einer Insektengiftallergie zu behandeln, stellt die Hyposensibilisierung dar (vgl. Tabelle 5). Patienten mit Zustand nach schwerer anaphylaktischer Reaktion nach Insektengiftallergie reagieren mit einer Wahrscheinlichkeit von bis zu 60 Prozent laut aktuellen Daten wieder mit einer systemischen Reaktion. Meistens wird die Therapie in einer Klinik mit allergologischer Fachabteilung eingeleitet als sogenannte Schnell-Hyposensibilisierung über 2 bis 7 Tage, die Nachinjektionen können beim allergologisch versierten Hausarzt erfolgen, meistens beträgt die Therapiedauer rund 3 bis 5 Jahre. Laut aktueller Leitlinie ist die beste Methode zur Überprüfung eines Therapieerfolges die sogenannte Stichprovokation. Der Patient wird hier unter notfallmedizinischer Überwachung mit dem ursächlichen Insekt gestochen. Falls der Patient nicht mehr reagiert, braucht keine Dosissteigerung zu erfolgen, bei einer Reaktion kann man etwa 50 Prozent der noch nicht geschützten Patienten mit einer Dosissteigerung und Ausweitung der Therapiedauer noch helfen. Kinder mit einer Grad-I-Anaphylaxie, rein auf die Haut bezogen, reagieren in der Regel auch bei späteren Stichen nur mit einer Grad-I-Anaphylaxie, weswegen hier eine Hyposensibilisierung nicht obligat ist.
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Kasten 2:
Merkblatt für Patienten mit Bienen- und Wespengiftallergie
O Vermeiden Sie rasche Bewegungen, wenn eine Biene oder Wespe in der Nähe ist.
O Gehen Sie nicht in die Nähe von blühenden Blumen oder überreifem Fallobst.
O Vorsicht bei Gartenarbeiten! Bedecken Sie dabei so viel wie möglich von Ihrem Körper (Hut, Handschuhe, Bluse mit langen Ärmeln, lange Hose).
O Meiden Sie Parfums, Haarsprays, stark parfümierte Sonnencremes etc.
O Meiden Sie weite, fliegende Kleider, schwarze Stoffe und farbige Blumenmuster. Besser sind weisse, grüne und hellbraune Stoffe.
O Lassen Sie beim Essen im Freien (Picknick) keine Süssigkeiten oder Fleisch (auch Reste) herumliegen, und verwenden Sie Insektenrepellents, bevor Sie sich zum Essen niedersetzen.
O Geben Sie speziell beim Turnen und Spielen im Freien acht, da durch Schweiss stechende Insekten angezogen werden.
O Gehen Sie nie barfuss, denn Bienen lieben Klee, und viele Wespen leben im Boden.
O Halten Sie Mülltonnen stets gut verschlossen, und meiden Sie diese.
O Meiden Sie Orte, wo Tiere (Hunde) gefüttert werden, da die verstreuten Futterreste Wespen anziehen.
O Bewegen Sie keine alten Äste und Baumstücke, denn Wespen haben dort oft ihr Nest.
O Halten Sie die Fenster in Ihrem Schlafzimmer tagsüber gut geschlossen, oder bringen Sie am Fenster des Schlafzimmers ein Insektengitter an.
O Nehmen Sie in den Sommermonaten immer eine Notfallapotheke mit.
Berücksichtigt werden sollte bei einer Hyposensibilisierung
insbesondere auch ein hohes Risikoprofil wie zum Beispiel
Arbeiten im Freien (z.B. Dachdecker, Gärtner), Tätigkeit in
Bäckereien sowie auch ein kardiovaskuläres Risikoprofil.
Patienten mit einer kardiovaskulären Grunderkrankung
haben meist weniger Reserven im anaphylaktischen Schock.
Deswegen sollte die Hyposensibilisierung in diesen Fällen
grosszügig gestellt werden. Kontraindikationen sind zum Bei-
spiel eine Behandlung mit ACE-Hemmern oder Betablockern
sowie eine Autoimmunerkrankung oder floride Tumor-
erkrankung.
O
Dr. med. Wolfgang Sieber Chefarzt Innere Medizin – Pneumologie, Allergologie Kreisklinik Wörth Krankenhausstrasse 2 D-93086 Wörth E-Mail: sieber@kreisklinik-woerth.de
Interessenkonflikte: keine deklariert
Quelle: Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie: Diagnose und Therapie der Bienen- und Wespengiftallergie. Allergo J 2011; 20: 318–339.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 10/2014. Die Übernahme des leicht bearbeiteten Artikels erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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