Transkript
BERICHT
Was schützt das Herz bei Diabetes wirklich?
Günstige kardiovaskuläre Auswirkungen von SGLT-2-Hemmern
Für die Prävention von Herz-Kreislauf-Komplikationen bei Diabetes mellitus Entscheidend: Hypoglykämierisiko
ist eine multifaktorielle Therapie zur Bekämpfung aller kardiovaskulären Risikofaktoren unerlässlich. Besonderes Augenmerk müsse dabei auf die Vermeidung von Hypoglykämien gelegt werden, erläuterte Prof. Dr. med.
Gegenüber der kardiologischen Guideline sind die Empfehlungen der amerikanischen und europäischen Endokrinologen (ADA, EASD, SGED) mit
Peter Wiesli, Leitender Arzt Endokrinologie, Kantonsspital Frauenfeld, am 20. Zürcher HerzKreislauftag.
einer mittleren HbA1c-Empfehlung von 7,6 Prozent etwas weniger streng, vor allem aber propagieren sie indivi-
Halid Bas
duelle Zielwerte für das HbA1c in Abhängigkeit von der Risikokonstella-
tion, der Motivation des Patienten und
den Ressourcen.
«Patienten mit Diabetes sind aus kar- tung als Schutzmassnahme für das Mit einer nebenwirkungsarmen The-
diologischer Sicht fragile Patienten. Herz bei Diabetikern zu. Dies gilt nicht rapie können grundsätzlich tiefere
Das hat uns die ACCORD-Studie ge- nur für adipöse Zuckerkranke, son- HbA1c-Werte angestrebt werden. Für
lehrt, die wegen einer um 22 Prozent dern auch für normalgewichtige und – die Praxis ist entscheidend, ob die blut-
höheren Mortalität in der mit intensi-
ver Stoffwechselkontrolle behandelten Gruppe abgebrochen werden musste», erinnerte Wiesli. Hingegen kommt körperlicher Aktivität eine grosse Bedeu-
«Bei Zuckerkranken mit etablierter Koronarerkrankung sollte man zur Sekundärprävention in jedem Fall ein potentes Statin in ausreichender Dosierung einsetzen.»
MERKSÄTZE
O Multifaktorielle Therapie aller kardiovaskulären Risikofaktoren.
O Motivation zur körperlichen Aktivität unabhängig vom Body-Mass-Index
O Diabetes mellitus und koronare Herzkrankheit: Unbedingt Hypoglykämien vermeiden!
O Individuelle Therapieziele setzen (Hypoglykämiepotenzial berücksichtigen).
O Für DPP-4-Hemmer, GLP-1-RezeptorAgonisten und SGLT-2-Hemmer ist die kardiovaskuläre Sicherheit nach heutigen Kenntnissen gegeben.
O Neu hat die EMPA-REG-OutcomeStudie für einen SGLT-2-Hemmer sensationelle Ergebnisse bezüglich Gesamt- und kardiovaskulärer Mortalität gebracht.
was immer wieder vergessen geht – sogar für schlanke Diabetikerinnen und Diabetiker (1). Die ESC-Guidelines empfehlen zur kardiovaskulären Prävention neben der Glykämiekontrolle (generell HbA1c < 7% resp. 53 mmol/mol, individuell auch etwas tiefer) eine Blutdrucknormalisierung (< 140/85 mmHg; bei Nephropathie < 130 mmHg systolisch), eine Kontrolle des Lipidprofils (LDLCholesterin < 1,8 mmol/l oder Reduktion um mind. 50% bei sehr hohem Risiko, < 2,5 mmol/l bei hohem Risiko), ferner Nikotinstopp, regelmässige körperliche Aktivität sowie Gewichtskontrolle. Bei Zuckerkranken mit etablierter Koronarerkrankung sollte man zur Sekundärprävention in jedem Fall ein potentes Statin in ausreichender Dosierung einsetzen, beispielsweise 40 mg Atorvastatin (Sortis® oder Generika) oder 20 mg Rosuvastatin (Crestor®), mahnte der Diabetologe. zuckersenkende Therapie bei Typ-2Diabetes ein Hypoglykämiepotenzial besitzt oder nicht. Ein geringes Hypoglykämiepotenzial zeichnet Gliclazid (Diamicron®), Repaglinid (Novonorm®) und die neueren Basalinsuline aus. Mit diesen Therapien kann also ein tieferes HbA1c-Ziel von 7,5 Prozent angestrebt werden. Bei hohem Hypoglykämierisiko, beispielsweise mit lang wirksamen Sulfonylharnstoffen wie Glimepirid (Amaryl®) oder Glibenclamid (Daonil®), sowie bei Basis-Bolus-Insulintherapie oder Mischinsulinen sollte das HbA1c-Ziel jedoch höher gewählt werden. Hypoglykämien sind für das Herz potenziell gefährlich, ja sogar tödlich, weil sie zu Arrhythmien führen. Besonders bedrohlich sind die Rhythmusstörungen während der Nacht (2), wenn die parasympathische Aktivität überwiegt. Neben vorzeitigen ventrikulären Schlägen kann es zu phasischen Veränderungen der Herzfrequenzvariabilität, 228 ARS MEDICI 5 I 2016 BERICHT Kasten: Orale Antidiabetika mit dokumentierter kardialer Sicherheit Ältere Medikamente Biguanide: Metformin Glinide: Nateglinid Glucophage® oder Generika Starlix® Neuere Medikamente Dipeptidylpeptidase-4-(DPP-4-)Hemmer: Alogliptin Vipidia® Linagliptin Trajenta® Saxagliptin Onglyza® Sitagliptin Januvia®, Xelevia® Vildagliptin Galvus® SGLT-2-Hemmer: Canagliflozin Invokana® Dapagliflozin Forxiga® Empagliflozin Jardiance® zu Bradykardien und Vorhofektopien kommen, dies auch bei asymptomatischen Hypoglykämien (3). Diese Gefahr kann es rechtfertigen, Sulfonylharnstoffe abzusetzen und durch andere Antidiabetika zu ersetzen, denn heute gibt es Alternativen. Für die Dipeptidylpeptidase-4-(DPP-4-) Hemmer konnte in mehreren Studien die kardiovaskuläre Sicherheit dokumentiert werden (Kasten), ebenso für GLP-(glucagon-like peptide-)1-RezeptorAgonisten. Zusätzlich steht mit den SGLT-2-Hemmern eine neue Wirkstoffgruppe ohne Hypoglykämierisiko zur Verfügung. Die Hemmung des NatriumGlukose-Kotransporters 2 (SGLT-2) am proximalen Tubulus führt zu einer Glykosurie und konsekutiv zur Blutzuckersenkung. Diese Wirkung ist insulinunabhängig. Für die kardiovaskuläre Prävention sind auch die Blutdrucksenkung und die Abnahme des Körpergewichts günstige Effekte der SGLT-2-Hemmer. Mortalitätssenkung unter Empagliflozin Schon mit der Vorstellung der Resultate am europäischen Diabetologenkongress in Stockholm und in der Folge mit der Publikation im «New England Journal of Medicine» (4) hat die EMPA- REG-Outcome-Studie mit dem SGLT-2Hemmer Empagliflozin unter Endokrinologen und Kardiologen für viel Aufsehen gesorgt. In der Studie wurden 7000 Typ-2-Diabetiker mit hohem kardiovaskulärem Risiko randomisiert mit Plazebo oder Empagliflozin in den Dosierungen 10 mg (dies ist die in der Schweiz zugelassene Dosis) und 25 mg behandelt. Rund die Hälfte der Patienten hatten schon einen Myokardinfarkt durchgemacht, 10 Prozent litten an einer Herzinsuffizienz, und bei über der Hälfte bestand der Diabetes schon mehr als zehn Jahre. Bezüglich ihres kardiovaskulären Risikos waren die Studienteilnehmer schon sehr gut therapiert. Rund 75 Prozent erhielten Metformin, etwa die Hälfte Insulin, über 77 Prozent ein Statin. Etwa 95 Prozent hatten eine antihypertensive Therapie, wovon mehr als 80 Prozent mit einem ACE-Hemmer oder Angiotensinrezeptorblocker (ARB). Ungefähr 90 Prozent nahmen zudem gerinnungshemmende Medikamente ein. Im Vergleich zu Plazebo trat der kombinierte primäre Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt und Schlaganfall signifikant seltener auf (Hazard Ratio [HR]: 0,86; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,74–0,99; p=0,0382). Beim kardiovaskulären Tod ergab sich unter 10 mg/Tag Empagliflozin eine Reduktion um 35 Prozent (HR: 0,65, 95%-KI: 0,50–0,85; p = 0,0016), bei den Hospitalisationen wegen Herzinsuffizienz betrug die Differenz zu Plazebo 38 Prozent (HR: 0,62; 95%-KI: 0,45–0,86, p = 0,0044). Bei der Gesamtmortalität resultierte unter 10 mg/ Tag Empagliflozin eine Verminderung um 30 Prozent im Vergleich zur Plazebogruppe (HR: 0,65; 95%-KI: 0,56–0,87; p = 0,0013). «Das sind unglaubliche Daten zur kardiovaskulären Sterblichkeit und zur Gesamtmortalität», gab sich Wiesli sehr beeindruckt. Die Senkung der kardiovaskulären Mortalität beruht nicht auf weniger Myokardinfarkten oder Hirnschlägen, denn dort waren die Differenzen nicht signifikant, sondern auf einer Reduktion der Häufigkeit von plötzlichem Herztod. Wichtige Nebenwirkungen der SGLT2-Hemmer sind gehäufte genitale Infektionen bei Frauen und Männern sowie – mit 0,1 Prozent allerdings sehr selten – eine diabetische Ketoazidose bei normalen Blutzuckerwerten. Was bedeutet das für die Praxis? Die praktische Bedeutung einer Therapie mit Empagliflozin illustriert die Berechnung der «number needed to treat» (NNT). Wenn man 200 Typ-2Diabetiker während 3 Jahren mit dem SGLT-2-Hemmer behandelt, O werden 5 Leben gerettet O werden 3 Spitaleinweisungen wegen Herzinsuffizienz vermieden O entstehen 11 zusätzliche genitale Infektionen. Auch im Zusammenhang mit bisherigen grossen Studien sind die Ergebnisse mit dem SGLT-2-Hemmer respektabel: O In der 4S-Studie mussten 30 Patien- ten während 5,4 Jahren mit Simvastatin behandelt werden, um 1 Todesfall bei Teilnehmern mit hohem kardiovaskulärem Risiko zu verhindern. O In der HOPE-Studie mit Ramipril waren es 56 Patienten während 5 Jahren. O In der EMPA-REG-Outcome-Studie sind es 25 Patienten während 5 Jahren – und dies bei überwiegend schon mit einem Statin oder ACE-Hemmer/ARB vorbehandelten Patienten. «Ich wäre froh, wenn sich diese Daten noch in einer zweiten Studie bestätigen. Es wäre ja auch denkbar, dass die Pa- tienten in der Plazebogruppe eine um 30 Prozent höhere Mortalität hatten, da sie vermehrt mit Sulfonylharnstof- fen und Insulinen behandelt wurden, die zu einer Erhöhung des kardiovas- kulären Risikos beigetragen haben», so das Fazit von Wiesli. O Halid Bas Quelle: «Diabetes und Herz: Welche Massnahmen sind wirklich protektiv?», Vortrag am 20. Zürcher HerzKreislauftag, 3. Dezember 2015 in Zürich. Literatur: 1. Lee CD et al.: Cardiorespiratory fitness, body composi- tion, and all-cause and cardiovascular disease mortality in men. Am J Clin Nutr 1999; 69(3): 373–380. 2. Chow E et al.: Risk of cardiac arrhythmias during hypoglycemia in patients with type 2 diabetes and cardiovascular risk. Diabetes 2014; 63(5): 1738–1747. 3. Clark AL et al.: Even silent hypoglycemia induces cardiac arrhythmias. Diabetes 2014; 63(5): 1457–1459. 4. Zinman B et al.: Empagliflozin, cardiovascular outcomes, and mortality in type 2 diabetes. N Engl J Med 2015; 373(22): 2117–2128. 230 ARS MEDICI 5 I 2016