Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
Vor zwei Wochen ist Roger Willemsen verstorben. Und einmal mehr ist man – sogar als Mediziner – entsetzt darüber, wie die Natur es zulassen kann, dass ein paar strohdumme, kreuzblöde, sich skrupellos breit machende Krebszellen ein aussergewöhnlich kluges Hirn mit einem überragend lichten Verstand für immer zum Verstummen bringen können.
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Das Leben kann man nicht verlängern, nur verdichten. (Roger Willemsen)
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Auch der abgelaufene Abstimmungskampf hat’s gezeigt, und viele noch anstehende werden es zeigen: Egal, wogegen Sie kämpfen und was Sie verhindern möchten – ein Argument sticht immer: «Es kostet Arbeitsplätze.» Unschlagbar. Denn was Sie auch machen oder lassen – irgendjemandes Arbeitsplatz ist immer tangiert. Auch nicht schlecht ist die Behauptung: «Damit wird alles teurer.» Gut, weil nicht beweisbar und auch ohne Zusammenhang mit der betreffenden Causa höchst wahrscheinlich eintretend. Wenn’s um nationale Fragen geht, kommt man am besten durch mit: «So isoliert sich die Schweiz in Europa.» Allerdings macht das zum Glück nur jenen Angst, die von Europa profitieren, Wenn Sie’s eher mit sozial denkenden Gegnern zu tun haben, dann hilft oft: «Das bringt unsere AHV (wahlweise: unser Sozialsystem, unsere Rechtsordnung, unseren sozialen Frieden) in Gefahr.» Und bei ökonomischen Fragen können Sie sich’s auch einfach machen mit: «Das schadet der Wirtschaft.» Versuchen Sie’s! Was immer Sie auch behaupten, Sie werden in guter Gesellschaft sein, ziemlich sicher recht haben, und die meisten werden nicht wagen, Ihnen zu widersprechen.
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Patenkind Raffi: «Immer schimpfen die Erwachsenen übers Wetter. Warum gehen wir denn nicht irgendwo hin, wo’s kein Wetter gibt?» Gute Frage. Warum eigentlich nicht? Wo nichts ist, kann auch nichts schlecht sein. Und nichts ist doch bestimmt besser als schlecht, sollte man meinen. Sieht man doch bei den Ärzten. Lieber kein Mediziner als ein schlechter. Oder doch nicht? Mannomann, diese Kinder können einen aber auch ins Grübeln bringen.
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Die frivole Gisela hat ein Problem. Sie würde ja gerne selbst aktiv Politik machen, aber sie wisse nicht, welcher Partei sie beitreten solle. Es gebe keine, die ihr passe. «CVP? Klar bin ich für die Abschaffung der Heiratsstrafe, aber ich bin schon lange aus der Kirche ausgetreten. Ausserdem passt mir Frau Leuthards Energiewende nicht. FDP? Dass jeder selbst verantwortlich ist für sein Leben, finde ich richtig, aber mal ehrlich: Die wollen doch heimlich in die EU. Ausserdem mag ich Schwiegersohntypen wie Caroni nicht. SVP? Ausschaffungs- und Masseneinwanderungsinitiative fand ich ja gut, aber diese ewige kleinkrämerische Sparerei bei Kultur und Bildung, nein, das geht gar nicht. SP? Schön, dass sie sich einsetzen für bessere Löhne und tiefere Krankenkassenprämien, aber höhere Steuern und noch weniger Militär – das ist der falsche Weg. Die Grünen? Ach, die sind doch eigentlich politisch rot. Aber immerhin, beim Tierschutz bin ich voll auf ihrer Seite. Wenn nur ihre Energiepolitik nicht so realitätsfremd wäre. Grünliberale und BDP? Bei denen scheinen auch viele mitzumachen, die ansonsten nicht so genau wissen, wo sie hingehören. Das macht sie nicht unsympathisch. Aber leider sind sie deswegen auch unberechenbar und zu wenig wichtig.»
Gisela ist ratlos. «Löfti», der Ex-Offizier der Runde, bringt die anschliessende Diskussion, bei der sich zeigt, dass niemand (mit einer Ausnahme, die Red.) Mitglied einer Partei ist, auf den Punkt: «Willkommen im Klub! Nicht in der Partei.»
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Alt werden will niemand. Alt sein ebenfalls nicht. Nur alt bleiben wollen die meisten – weil die Alternative so wenig Spass verspricht.
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Natürlich ist die Meldung eher für Patienten spannend, weniger für Ärzte. Aber trotzdem. Gut, wenn Sie Bescheid wissen. Drücken Sie selbst gerne Mitesser – möglichst grosse, mit dickem gelbem Inhalt – aus, oder haben Sie Patienten, die danach süchtig sind und/ oder gerne dabei zuschauen? Dann sollten Sie Frau Dr. Popper kennenlernen. Die Dame heisst eigentlich Sandra Lee und ist Hautärztin in Kalifornien. Unter dem Pseudonym Dr. Pimple Popper präsentiert sie mit Vorliebe eklige Szenen aus ihrer Praxis. Ursprünglich hatte Dr. Lee Patienten, deren Krankenkasse eine Schönheitsbehandlung nicht zahlen wollte, angeboten, sie gratis zu behandeln, wenn sie sich dabei filmen liessen. Inzwischen schauen sich über 500 000 Abonnenten ihre auf YouTube geladenen Videos regelmässig an. (Für alle, die sich an Ekligem erfreuen: www.youtube.com/ user/DrSandraLee oder www.drpimple popper.com)
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Und das meint Walti: Föderalismus ist, wenn Kleine kleine, Zentralismus, wenn Grosse grosse Scheisse bauen.
Richard Altorfer
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ARS MEDICI 4 I 2016