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ARGUS PHYTOTHERAPIE
Antioxidative Abwehrkapazität aus der Distel
Phytotherapie im Einsatz für die Leber
Foto: H. Zell, wikimedia commons
Silymarin ist ein Extrakt aus den Früchten der Mariendistel – einer Pflanze, die bereits seit mehr als 2000 Jahren als Lebertonikum empfohlen wird. Dessen leberschützende Wirkung wird vielfach auf seine antioxidativen Eigenschaften zurückgeführt. Eine aktuelle Übersichtsarbeit gibt einen Überblick über potenzielle Mechanismen.
Silymarin ist eine Mischung unterschiedlicher Flavonoide, die aus der Mariendistel extrahiert werden; die Standardmischung enthält etwa 65 bis 80 Prozent Flavonolignane, geringere Mengen an Flavonoiden sowie Fettsäuren und Polyphenole. Silymarin wird seit Langem für die Behandlung von Leberschäden verschiedener Ätiologien angewandt und derzeit auch als neuro-, nephro- und kardioprotektiver Wirkstoff untersucht.
Antioxidative Wirkung im Mittelpunkt
Prinzipiell beruht die Wirkung von Silymarin auf der Förderung der antioxidativen Abwehrkapazität einer Zelle: Es verhindert die Bildung freier Radikale durch die Hemmung der dafür erforderlichen Enzyme und erhält die Integrität der mitochondrialen Atmungskette. Zudem aktiviert Silymarin eine Reihe antioxidativer Enzyme und nichtenzymatischer Antioxidanzien und fördert die Synthese protektiver Moleküle wie Thioredoxin oder Sirtuine. Tiermodelle bestätigen diesen Wirkmechanismus. So haben Studien an Ratten gezeigt, dass Silymarin in sehr niedriger Dosierung den Anstieg reaktiver Sauerstoffspezies (ROS) nach Schädigung von Hepatozyten vermindert und damit den oxidativen Stress in den Leberzellen gelindert hat. Silymarin schützt wie erwähnt die Mitochondrien, indem es unter anderem die Elektronentransportkette optimiert und die Bildung ROS-produzierender Enzyme (wie die Xanthin-(XO-) oder NADPH-Oxidase) hemmt. Weitere Tierstudien untersuchten die Wirkung von Silymarin ausserdem nach Verabreichung hepatotoxischer Substanzen wie Arsen, Tetrachlorkohlenstoff, Mykotoxinen, Cisplatin und Doxorubicin oder Ethanol. Auch hier verminderte es die abnorm hohe Bildung von ROS in den Zellen, förderte endogene antioxidative Enzyme sowie nicht-enzymatische Antioxidanzien (z.B.
Vitamine C und E) in der Leber. Zudem erhöhte der Wirkstoff die intrazelluläre Glutathion-Konzentration in der Leber und anderen Geweben, verminderte die Oxidation von Lipiden und Proteinen, verminderte die DNA-Fragmentierung und -Schädigung, hemmte die DNA-Apoptose und reduzierte die Sekretion von Alanin-Aminotransferase (ALT) und Aspartat-Aminotransferase (AST) aus der Leber in das Plasma. Auch wurde eine verminderte Bildung proinflammatorischer Zytokine, einschliesslich des TumorNekrose-Faktors, beobachtet. Die Therapie von Leberschäden erscheint daher als sinnvolles Einsatzgebiet für Silymarin.
Vitagene gegen zellulären Stress
Ein weiterer Wirkbereich von Silymarin scheinen Vitagene zu sein. Dieser Ausdruck bezeichnet eine Gruppe von Genen, die am Erhalt der zellulären Homöostase während Stresssituationen beteiligt sind. Zur Vitagenfamilie zählen Hitzeschockproteine, die Hämoxygenase-1 (HO-1), das Thioredoxin/ Thioredoxinreduktase-System und die Sirtuine; speziell die HO-1-Expression gilt als wichtiger adaptiver Zellmechanismus der antioxidativen Schutzwirkung bei Stresskonditionen. Auch hierzu liegen Ergebnisse aus Tierstudien vor: Ratten mit arseninduzierter Kardiotoxizität, die mit Silymarin vorbehandelt wurden, zeigten eine Normalisierung aller veränderten Vitagene, und bei Ratten mit alkoholinduzierter Leberschädigung stellte die Verabreichung von Silymarin die zuvor verminderte Aktivität von HO-1 wieder her. Anders ausgedrückt: Silymarin kann HO-1 hinaufregulieren und damit den antioxidativen Schutz verbessern. Weiter beeinflusst Silymarin die zelluläre antioxidative Abwehr über verschiedene Transkriptionsfaktoren wie Nrf2 und NF-κB. Die Modulation dieser Signalpfade führt zu einer erhöhten Expression von Genen, die für zytoprotektive Moleküle enkodieren,
Extrakte der Mariendistel werden seit langem zur Behandlung und Vorbeugung von Leberschäden eingesetzt.
wie antioxidative Enzyme und Phase-IIDetoxifikationsenzyme.
Schützender Effekt im Darm Flavonoide werden zwar nicht gut aus dem Darm absorbiert, daher ist ihre aktive Konzentration im Plasma und an Zielgeweben recht niedrig; dennoch könnte auch eine geringe Plasma- und Gewebekonzentration nach derzeitiger Wissenslage für die Nrf2Aktivierung und die NF-κB-Unterdrückung ausreichend sein. Der Konsum von Phytochemikalien wie eben Silymarin könnte daher einen gewissen vorbehandelnden Effekt auf das antioxidative System des Körpers aufweisen und erklären, warum eine obst- und gemüsereiche Ernährung als wichtige Quelle von Phytochemikalien die Fähigkeit des Körpers unterstützt, sich verschiedenen Stresssituation anzupassen, mutmasst der Autor. Der Beitrag von Silymarin zur Verbesserung der antioxidativen Abwehrmechanismen des Körpers beruht also auf vielen verschiedenen Mechanismen – und umfasst sowohl direkte als auch indirekte Wirkungen. O
Lydia Unger-Hunt
Quelle: Surai PF: Silymarin as a natural antioxidant: an overview of the current evidence and perspectives. Antioxidants 2015; 4: 204–247.
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ARS MEDICI 4 I 2016