Transkript
FORTBILDUNG
Anders als GERD: eosinophile Ösophagitis
Diäten, Medikamente und Speiseröhrendilatation können helfen
Die eosinophile Ösophagitis gehört mittlerweile zu den am häufigsten diagnostizierten Erkrankungen im Zusammenhang mit Fütterungsproblemen bei Kindern oder Schluckstörungen und Bolusimpaktierungen bei Erwachsenen. Amerikanische Wissenschaftler haben den aktuellen Wissensstand zur Pathogenese, zu den klinischen Merkmalen und Behandlungsmöglichkeiten in einer Übersichtsarbeit zusammengefasst.
oder eine Antirefluxoperation an – stattdessen bildeten sich ihre Symptome unter einer Elementardiät zurück. Die Diagnose der eosinophilen Ösophagitis erfolgt anhand der Symptome und des histologischen Nachweises von eosinophilen Granulozyten (≥ 15/High-Power-Field) in der Speiseröhrenschleimhaut. Andere Erkrankungen, vor allem eine GERD, müssen im Rahmen der Diagnosestellung ausgeschlossen werden. Zu den selteneren Ursachen einer Eosinophilie in der Speiseröhre gehören Parasiteninfektionen, eine allergische Vaskulitis, eine ösophageale Leiomyomatose oder ösophagealer Morbus Crohn.
New England Journal of Medicine
Eine eosinophile Ösophagitis wird als chronische immunoder antigenvermittelte Erkrankung definiert, die durch Symptome ösophagealer Dysfunktionen und eine vorwiegend eosinophile Entzündung gekennzeichnet ist. Die auslösenden Antigene stammen vorwiegend aus der Nahrung. Früher galt die eosinophile Ösophagitis als seltene Erkrankung. Mittlerweile wird sie jedoch zunehmend häufiger diagnostiziert. In den westlichen Ländern beträgt die Prävalenz bei Kindern und Erwachsenen derzeit schätzungsweise 0,4 Prozent. Zunächst hielt man die eosinophile Ösophagitis für eine spezielle Manifestation der gastroösophagealen Refluxerkrankung (gastrointestinal esophageal reflux disease, GERD). Mitte der Neunzigerjahre wurde sie dann als eigenständige Erkrankung identifiziert. Im Gegensatz zu den GERD-Patienten sprachen die Betroffenen nicht auf eine Säuresuppression
MERKSÄTZE
O Bei der eosinophilen Ösophagitis handelt es sich um eine antigenvermittelte Erkrankung.
O Die Antigene stammen meist aus der Nahrung.
O Die chronische Entzündung kann zu fibrotischen Veränderungen und einem Elastizitätsverlust der Speiseröhre führen.
O Für die Behandlung stehen Eliminationsdiäten, topische Glukokortikoide, PPI und eine Ösophagusdilatation zur Verfügung.
Pathogenese
In Studien wurde die eosinophile Ösophagitis im Zusammenhang mit Kaiserschnitten, Antibiotikabehandlungen in der frühen Kindheit oder bei nicht gestillten Kindern beobachtet. Somit könnte eine frühzeitig veränderte Stimulierung des Immunsystems zur Prädisposition für diese Erkrankung beitragen. Des Weiteren könnten auch eine unzureichende Mikrobenexposition und Veränderungen des Mikrobioms eine Rolle spielen – Mechanismen, die auch bei der Entwicklung atopischer Erkrankungen wie Asthma und atopischer Dermatitis vermutet werden. Die eosinophile Ösophagitis scheint zudem eine genetische Komponente aufzuweisen. In fast allen Studien waren Männer etwa dreimal häufiger betroffen als Frauen, und oft wird eine familiäre Erkrankung beobachtet. Das Erblichkeitsrisiko beträgt laut Schätzungen 2 Prozent. Bei der Untersuchung von Speiseröhrengewebe zeigen sich erweiterte interepitheliale Zwischenräume, Veränderungen der epithelialen Barrierefunktion sowie eine Herunterregulierung von Proteinen im Zusammenhang mit der Barrierefunktion (Filaggrin und Zonulin-1) und von Adhäsionsmolekülen (Desmoglein-1). Die veränderte Epitheldurchlässigkeit könnte die Antigenpräsentation anregen, was wiederum zur Rekrutierung von Eosinophilen führt. Studienergebnisse weisen darauf hin, dass die eosinophile Ösophagitis durch Typ-2-Helferzellen vermittelt wird. Auch Interleukin (IL-)5, IL-13 und das nahrungsmittelspezifische Immunglobulin G4 (IgG4) könnten an der Pathogenese beteiligt sein.
Klinische Charakteristika
Die chronische eosinophile Entzündung ist häufig mit fibrotischen Gewebeveränderungen und einem Elastizitätsverlust der Speiseröhrenwand verbunden. Aufgrund dieser Prozesse kommt es zu verengten und erweiterten Ösophagusabschnitten,
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Tabelle:
Behandlung der eosinophilen Ösophagitis
Methode Elementardiät Eliminationsdiät
O 6-Nahrungsmittel-Eliminationsdiät O 4-Nahrungsmittel-Eliminationsdiät O allergietestbasierte Eliminationsdiät Omeprazol (Antramups® und Generika) (oder ein gleichwertiger PPI)
Glukokortikoide O Fluticason
O Budesonid
Spezielle Empfehlungen oder Dosierung
Weglassen von Kuhmilch, Weizen, Eiern, Soja, Meeresfrüchten und Nüssen
Weglassen von Milch, Weizen, Eiern und Soja
Weglassen von Nahrungsmitteln nach Allergietests
– Kinder mit einem Körpergewicht von 10 bis 20 kg: 10 mg 2-mal täglich – Kinder mit einem Körpergewicht > 20 kg: 20 mg 2-mal täglich – Erwachsene: 40 mg 1- oder 2-mal täglich
– Kinder: 220–440 µg 2-mal täglich – Erwachsene: 440–880 µg 2-mal täglich
– Kinder: 0,25–0,5 mg 2-mal täglich – Erwachsene: 1–2 mg 2-mal täglich
(nach Furuta und Katzka 2015)
Strikturen und Längsrissen (Krepppapier-Ösophagus). Im Rahmen der endoskopischen Untersuchung sind zudem oft weisse Flecken (eosinophiles Exsudat) und mukosale Ödeme erkennbar. Bei Kindern gehören Fütterungsprobleme, Erbrechen, Sodbrennen, Bauchschmerzen und Gedeihstörungen zu den Hauptsymptomen, während bei Jugendlichen und Erwachsenen eher Schluckbeschwerden und Bolusimpaktierungen im Vordergrund stehen. Chronische Refluxbeschwerden treten in allen Altersstufen auf. Viele Patienten passen ihr Verhalten den Beschwerden an, indem sie langsam essen und sorgfältig kauen. Manche zerkleinern ihr Essen, bevorzugen Mahlzeiten mit Sossen oder trinken während des Essens, um den Transport durch die Speiseröhre zu erleichtern. Grosse Tabletten und stückige Nahrungsmittel wie Fleisch oder Brot werden oft vermieden. In seltenen Fällen kommt es zu einer spontanen Ösophagusruptur (Boerhaave-Syndrom) aufgrund heftigen Würgens bei einer Bolusimpaktierung.
Ernährungstherapie
Bereits 1995 wurde der günstige Effekt einer auf Aminosäuren basierenden Elementardiät (Tabelle) bei 10 Kindern mit eosinophiler Ösophagitis beschrieben. Die Symptome und die histologischen Befunde besserten sich, traten aber nach Beendigung der Diät wieder auf. In grösseren Studien wurde später auch bei Erwachsenen ein nahezu vollständiges Ansprechen auf diese Ernährungsumstellung beobachtet, sodass die Elementardiät zur Standardbehandlung der eosinophilen Ösophagitis avancierte. Alternativ besteht die Möglichkeit, die Auslöser mithilfe von Allergietests (Skin-Prick-Tests, Atopie-Patch-Tests, spezifische IgE-Serumtests) zu identifizieren und auf dieser Basis eine individuelle Elimininationsdiät zusammenzustellen. Allerdings sprechen nur 45 Prozent der Patienten dauerhaft darauf an.
Bei der empirischen 6-Nahrungsmittel-Eliminationsdiät werden Weizen, Kuhmilch, Soja, Nüsse, Eier und Meeresfrüchte (Fische und Krustentiere) als häufigste Allergene aus dem Speiseplan gestrichen. In einer Studie wurde mit dieser Eliminationsdiät innerhalb von sechs Wochen bei 26 von 35 Kindern und bei 32 von 35 Erwachsenen eine klinische und histopathologische Verbesserung erzielt.
Protonenpumpenhemmer
Protonenpumpenhemmer (PPI) können im Rahmen der diagnostischen Evaluierung einer vermuteten eosinophilen Ösophagitis oder zur Behandlung von Nutzen sein. Ein fehlendes Ansprechen auf PPI ist derzeit die einzige Möglichkeit, eine GERD auszuschliessen. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass Patienten mit eosinophiler Ösophagitis zusätzlich eine symptomatische GERD aufweisen können, die auf PPI anspricht und auch zur Entwicklung der eosinophilen Ösophagitis beitragen kann. In vitro vermindern PPI die Zytokinsekretion aus dem Ösophagusepithel, sodass diese Medikamente neben der Reduzierung der Säuresekretion möglicherweise auch eine antientzündliche Wirkung aufweisen.
Topische Glukokortikoide
Glukokortikoide beeinflussen die Schlüsselmechanismen der eosinophilen Ösophagitis. Sie vermindern die fibrotische Progression durch eine Reduzierung der Entzündungszellen und senken erhöhte IL-13-Konzentrationen. In den USA sind topisches Fluticason (Dosieraerosol, Axotide®) und eine topische viskose Budesonidsuspension (auf ärztliche Verordnung als Magistralrezeptur) die Eckpfeiler zur Behandlung der eosinophilen Ösophagitis – obwohl sie von der Food and Drug Administration (FDA) nicht dafür zugelassen sind. In Studien variierte die Wirksamkeit topischer Glukokortikoide zur symptomatischen und histologischen Verbesserung nach 2 bis 12 Wochen zwischen 53 und 95 Prozent. Topische Glu-
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kokortikoide können zudem die Häufigkeit von Bolusimpaktierungen reduzieren. Zu potenziellen Nebenwirkungen gehören lokale CandidaInfektionen, eine Suppression der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse, Knochendemineralisierung und vermindertes Wachstum. Da verschluckte topische Glukokortikoide den «First-pass»-Metabolismus durchlaufen, sind solche Effekte eher selten. Systemische Glukokortikoide sind mit vergleichbarer Wirksamkeit, aber mit einem höheren Risiko für Nebenwirkungen verbunden.
Ösophageale Dilatation
Die ösophageale Dilatation wird vorwiegend bei älteren Teenagern und Erwachsenen durchgeführt. Ältere Studien wiesen auf eine hohe Komplikationsrate hin. In einem Review mit Metaanalyse betrug die Perforationsrate jedoch weniger als 1 Prozent (3 von 992 Dilatationen). Die Dilatation sollte stufenweise in mehreren Sitzungen vorgenommen werden. Mit diesem Verfahren kann die Lumenverengung beseitigt werden, der Entzündungsprozess wird dadurch jedoch nicht beeinflusst.
Langzeitkomplikationen und Erhaltungstherapie
Die Bedeutung einer langfristigen Erhaltungstherapie wird
kontrovers diskutiert. Einerseits ist die eosinophile Ösopha-
gitis keine prämaligne Erkrankung, und sie ist auch nicht mit
einer verkürzten Lebenszeit verbunden. Zudem kommt es im
Krankheitsverlauf immer wieder zu spontanen oder dilata-
tionsinduzierten Remissionsphasen, in denen keine Diät und
keine Medikamente erforderlich sind.
Anderseits handelt es sich meist um eine chronische Erkran-
kung, die beim Absetzen der Medikamente rezidiviert und
fortschreitet. Zur Vermeidung langfristiger Komplikationen
wie Strikturen, kleinkalibrigemn Ösophagus und Remodelling
halten manche Experten eine dauerhafte Erhaltungstherapie
für sinnvoll.
O
Petra Stölting
Quelle: Furuta GT, Katzka DA: Eosinophilic esophagitis. N Engl J Med 2015; 373: 1640–1648.
Interessenkonflikte: Einer der beiden Autoren hat Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten. Das Laboratorium des zweiten Autors sponsert das Unternehmen Capnostics.
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