Transkript
ARGUS PHARMAKOTHERAPIE
Tapentadol gegen chronische Schmerzen im Bewegungsapparat
Chronische Schmerzen im Bewegungsapparat sind die häufigste Ursache für eine Berufsunfähigkeit. In einem Review der Cochrane Collaboration wurden Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit von Tapentadol in Retardform untersucht.
Cochrane Systematic Reviews
Opioide werden zumeist zur Behandlung chronischer Schmerzen im Bewegungsapparat eingesetzt, obwohl die Nebenwirkungen oftmals den langfristigen Nutzen beschränken. Tapentadol retard (Palexia® retard) ist in der Schweiz zur Behandlung von mittelstarken bis starken prolongierten Schmerzen zugelassen. In einem Review der Cochrane Colloboration wurden Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit von Tapentadol in Retardform bei mittelschweren bis schweren Schmerzen untersucht.
Studiendesign und -ziel Die Recherche der Cochrane Collaboration umfasste das Register für kontrollierte Studien der Cochrane-Bibliothek (CENTRAL) sowie die Datenbanken MEDLINE, EMBASE und Web of Science. Aufgenommen wurden alle randomisierten, kontrollierten
Merksätze
Studien, die den Nutzen von Tapentadol bei chronischen Schmerzen im Bewegungsapparat untersuchten. Primärer Endpunkt war die Kontrolle des Schmerzes, welche anhand verschiedener Schmerz-Scores (u.a. visuelle Analogskala, VAS, und numerische Rating-Skala, NRS) sowie der Ansprechrate bestimmt wurde. Der Schmerz musste um mindestens 50 Prozent gesenkt werden. Primärer Endpunkt für die Arzneimittelsicherheit war die Abbruchrate aufgrund von unerwünschten Ereignissen. Sekundäre Endpunkte umfassten unter anderem die von den Teilnehmern eingeschätzte Veränderung im Schweregrad des Schmerzes, die Lebensqualität sowie den Bedarf an zusätzlichen Schmerzmitteln. Es wurden zwei Metaanalysen durchgeführt. Zum einen wurde Tapentadol mit Plazebo, zum anderen Tapentadol mit Oxycodon verglichen.
O Chronische Schmerzen im Bewegungsapparat gehen mit einem hohen Risiko für eine Berufsunfähigkeit einher.
O In einem Cochrane-Review wurden Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit einer Therapie mit retardiertem Tapentadol bei Knieosteoarthrose und Kreuzschmerzen untersucht.
O Verglichen mit Plazebo und Oxycodon, ging die Behandlung mit Tapentadol retard mit einer stärkeren Verringerung der Schmerzintensität einher.
O Das Sicherheitsprofil von Tapentadol erwies sich als günstiger als das von Oxycodon.
O Weitere Studien werden benötigt, um die Wirksamkeit und Sicherheit von Tapentadol retard besser beurteilen zu können.
Ergebnisse
Aufgenommen in den Review wurden vier Studien, an welchen insgesamt 4094 Patienten teilgenommen hatten. 1876 der Patienten waren mit Tapentadol, 992 mit Plazebo und 1226 mit Oxycodon behandelt worden. Zwei Studien erfassten Patienten mit Knieosteoarthrose, eine Patienten mit Kreuzschmerzen, und eine andere schloss Patienten mit beiden Beschwerden ein. Drei Untersuchungen waren Phase-III-Studien mit einem 12-wöchigen Follow-up. Die vierte Studie war eine nicht verblindete Sicherheitsstudie mit einem 52-wöchigen Follow-up. Alle Studien setzten die Methode LOCF (last observation carried forward) ein. Bei LOCF werden alle «missing values» eines Patienten durch den letzten beobachteten Wert, der für ebendiesen Studienteilnehmer erfasst werden konnte, als «Schätzer» für alle unbekannten Werte bis
zum Beobachtungsende verwendet. Man kann nicht von einem guten Schätzer im statistischen Sinne sprechen, da der via LOCF generierte Ersetzungswert weder konsistent noch unverzerrt ist, was für die Güte eines Schätzers wichtige Kriterien sind. Bei zwei Studien wurde das Risiko für systematische Fehler (auch Verzerrung oder Bias) als hoch eingestuft. Im Vergleich zu Plazebo ging die Behandlung mit Tapentadol mit einer durchschnittlichen Minderung um 0,56 Punkte auf der NRS einher (95%-Konfidenzintervall [KI]: -0,92 bis 0,2). Bei der NRS wird die Schmerzintensität von 0 (kein Schmerz) bis 10 (stärkster vorstellbarer Schmerz) eingeteilt. Der Betroffene schätzt seinen gegenwärtigen Schmerzstatus anhand dieser Skala selbst ein. Die Ansprechrate war in der Tapentadolgruppe höher als in der Plazebogruppe (Risk Ratio [RR]: 1,36; 95%-KI: 1,13–1,64). Tapentadol ging mit einem 2,7-fach höheren Risiko für einen Abbruch der Behandlung aufgrund von unerwünschten Nebenwirkungen einher (95%-KI: 2,05–3,52). Im Vergleich zu Oxycodon ging die Therapie mit Tapentadol mit einer Verringerung um 0,24 Punkte auf der NRS einher (95%-KI: -0,43 bis -0,05). Die zwei Studien, welche die Ansprechraten untersuchten, zeigten keine signifikanten Unterschiede (RR: 1,46; 95%-KI: 0,92–2,32). Die Behandlung mit Tapentadol reduzierte das Risiko für einen Abbruch der Behandlung aufgrund unerwünschter Nebenwirkungen um 50 Prozent (95%-KI: 42–62%). Tapentadol ging ebenfalls mit einer Minderung des Gesamtrisikos für unerwünschte Nebenwirkungen um 9 Prozent einher (95%KI: 4–15%). Bezüglich schwerwiegender Nebenwirkungen zeigten sich in den beiden Gruppen keine signifikanten Unterschiede.
Diskussion
Im Jahr 2010 veröffentlichten Lange et al. (1) eine gepoolte Analyse von drei Studien, welche in diesem Review erfasst wurden (2–4). Die Analyse kam zu dem Ergebnis, dass Tapentadol signifikant stärker als Plazebo den Schmerz lindert. Manchikanti et al. (2011) publizierten eine systematische
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Übersichtsarbeit zur Behandlung von chronischen, nicht krebsbedingten Schmerzen (5). Für Tapentadol wurden drei Studien einbezogen (2, 4, 6). Manchikanti et al. kamen zu dem Ergebnis, dass Tapentadol im Vergleich mit anderen Opioiden eine ähnliche Wirksamkeit, aber weniger Nebenwirkungen hatte. Eine andere systematische Übersichtsarbeit von Riemsma et al. (2011) verglich verschiedene Opioide bei schweren und mittelgradigen Schmerzen (7). Tapentadol zeigte sich bezüglich des primären Endpunkts (Verringerung der Schmerzintensität) Oxycodon, Hydromorphon und Morphin überlegen. Tapentadol hatte zudem geringere gastrointestinale Nebenwirkungen.
Fazit
Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass
die Behandlung mit retardiertem Tapen-
tadol mit einer stärkeren Verringerung der
Schmerzintensität im Vergleich zu Plazebo
und Oxycodon einhergeht. Auch das Si-
cherheitsprofil von Tapentadol ist günstiger
als das von Oxycodon. Die Untersuchungs-
ergebnisse bedürfen jedoch einer weiteren
Überprüfung. So war die Datenlage zur
Analyse der primären Endpunkte in einigen
Studien unzureichend.
O
Claudia Borchard-Tuch
Santos J et al.: Tapentadol for chronic musculoskeletal pain in adults. Cochrane Database Syst Rev 2015; 5: CD009923.
Interessenkonflikte: keine deklariert.
Literatur: 1. Lange B et al.: Efficacy and safety of tapentadol prolonged
release for chronic osteoarthritis pain and low back pain. Adv Ther 2010; 27(6): 381–399. 2. Afilalo M et al.: Efficacy and safety of tapentadol extended release compared with oxycodone controlled release for the management of moderate to severe chronic pain related to osteoarthritis of the knee: a randomized, double-blind, plazebo- and active-controlled phase III study. Clin Drug Investig 2010; 30(8): 489–505. 3. Afilalo M et al.: Efficacy of tapentadol ER for managing moderate to severe chronic pain. Pain Physician 2013; 16(1): 27–40. 4. Buynak R et al.: Efficacy and safety of tapentadol extended release for the management of chronic low back pain: results of a prospective, randomized, doubleblind, plazeboand active-controlled Phase III study. Expert Opin Pharmacother 2010; 11(11): 1787–1804. 5. Manchikanti L et al.: A systematic review of randomized trials of long-term opioid management for chronic noncancer pain. Pain Physician 2011; 14(2): 91–121. 6. Wild J et al.: Long-term safety and tolerability of tapentadol extended release for the management of chronic low back pain or osteoarthritis pain. Pain Pract 2010; 10(5): 416–427. 7. Riemsma R et al.: A systematic review of tapentadol in chronic moderate to severe pain. Value in Health 2011; 14 (7): A411.
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