Transkript
FORTBILDUNG
Serie: Palliativmedizin in der Praxis
Zu Hause leben trotz chronischer Atemwegserkrankung
Die Betreuung von Patienten mit COPD
Menschen, die an einer fortgeschrittenen chronischen Atemwegserkrankung leiden, benötigen häufig eine Sauerstofftherapie. Damit die Betroffenen trotz ihrer schweren Krankheit zu Hause leben können, sorgen Ärzte in Zusammenarbeit mit Fachpersonen der Lungenliga für das nötige Umfeld: Die Vermietung und Wartung von Sauerstoffgeräten sowie regelmässige Hausbesuche erleichtern den Betroffenen das Leben mit der Krankheit.
Regine Schmid
Chronische Krankheiten der Atemwege münden oft in eine Sauerstoffdauertherapie. In der Schweiz leben etwa 400 000 Menschen mit einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD), und viele davon sind auf eine Sauerstofftherapie angewiesen. Die Lungenliga Aargau beispielsweise betreut zurzeit 860 Sauerstoffpatienten in enger Zusammenarbeit mit den behandelnden Ärzten. COPD-Patienten leiden mit den Jahren mehr und mehr unter Atemnot. Irgendwann erreichen sie den Punkt, ab dem sie zusätzlichen Sauerstoff benötigen. Dank professioneller Betreuung können die meisten Patienten mit der Sauerstofftherapie zu Hause und damit in ihrem gewohnten Umfeld leben.
MERKSÄTZE
O Die Krankenkassen bezahlen die Sauerstofftherapie, wenn eine ärztliche Verordnung vorliegt.
O Eine Langzeittherapie mit Sauerstoff muss durch Untersuchungen (Lungenfunktion, Blutgase etc.) begründet werden und kann nur von einem Pneumologen verschrieben werden.
O Die Sauerstofftherapie zu Hause braucht eine regelmässige und vor allem proaktive Betreuung durch Fachpersonen, in welche wenn immer möglich auch Angehörige mit einbezogen werden.
O Eine periodische, ausführliche Beratung verbessert die Compliance der Patienten.
Von der Diagnose zur Therapie
Damit die Grundversicherung eine Sauerstofftherapie bezahlt, braucht es eine Verordnung. Eine kurzfristige Therapie (bis zu 3 Monate) darf von allen Ärzten verordnet werden. Die Verordnung basiert auf der Diagnose, zum Beispiel COPD, Cor pulmonale, Lungenfibrose oder neuromuskuläre Krankheiten. Die kurzfristige Behandlung mit Sauerstoff eignet sich für die Zeit zwischen Diagnose und Evaluation oder für terminale Patienten. Eine kontinuierliche Sauerstofftherapie bedarf demgegenüber der Verordnung durch einen Pneumologen. Eine langfristige Therapie basiert auf der Messung der Lungenfunktion (Vitalkapazität, FEV1), der arteriellen Blutgase sowie des Hämoglobins und des Hämatokrits. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten der Sauerstofftherapie, die den Patienten ein nahezu normales Leben ermöglichen. Welches Sauerstoffsystem verordnet wird, hängt von der benötigten Menge Sauerstoff, dem Flow sowie der Mobilität des Patienten ab. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen stationären und mobilen Systemen: O Flüssiggassauerstoff: Der Tank für Flüssigsauerstoff steht
beim Patienten zu Hause. Der Sauerstoff wird bei einer Temperatur von -183 °C im Tank gelagert. Der Betroffene ist über einen langen Schlauch mit dem Tank verbunden, was ihm eine relativ grosse Bewegungsfreiheit erlaubt. Für die Aktivität ausser Haus sind mobile Geräte erhältlich, die sich mit Flüssigsauerstoff aus dem Tank zu Hause abfüllen lassen. In der Schweiz existieren dank der Lungenliga und ihrer Partner 32 «Tankstellen» für Flüssigsauerstoff, was den Aktionsradius der Patienten erheblich erweitert. Flüssiggassauerstoff ist für mobile Patienten geeignet, die einen hohen Sauerstoffbedarf haben. O Konzentrator: Der Konzentrator arbeitet mit Raumluft, die von einem Molekularsieb gefiltert wird. Das Gerät liefert dem Patienten eine Luft mit hoher Sauerstoffkonzentration (> 90%). Konzentratoren gibt es in stationären und mobilen Varianten. Die mobilen Geräte kommen oft bei Flugreisen zum Einsatz. O Druckgasflaschen: Für eine kurze Sauerstofftherapie eignet sich die Druckgasflasche. Für Patienten, die nicht dauernd auf Sauerstoff angewiesen sind, ist es die ideale Variante. Auch die Druckgasflaschen sind als stationäre und mobile Varianten erhältlich. Damit der Sauerstoff in der Flasche länger hält, lässt ein Druckminderventil nur dann Sauerstoff durch, wenn der Patient einatmet.
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der nächsten ärztlichen Jahreskontrolle und zur Ausstellung einer Wiederholungsverordnung.
Im Zentrum der Beratung steht der Patient
Für Patienten mit chronischen Atemwegserkrankungen ist der direkte Kontakt zu den Fachpersonen der Lungenliga wichtig. Es handelt sich in der Regel um diplomierte Pflegefachpersonen mit dem eidgenössischen Fachausweis «Berater und Beraterin für Atembehinderung und Tuberkulose». Die Beratung hat zum Ziel, den Patienten ein möglichst normales Leben zu ermöglichen. Die Themen der Beratung bei den Betroffenen zu Hause sind: O Betreuung und Unterstützung bei der Therapie sowie im
Umgang mit der Krankheit (Therapiemanagement) O Motivation zur Compliance O Unterstützung, damit die Patienten Krankheit und Thera-
pie verstehen und akzeptieren O Unterstützung bei Alltags- und Freizeitgestaltung.
Eine Beraterin der Lungenliga erläutert das Auffüllen des Geräts für die mobile Sauerstoffversorgung (Fotos: Lungenliga).
Da Patienten mit chronischer Atemnot nicht besonders fit sind, braucht es für die mobilen Geräte handhabbare Transportsysteme. Je nach Zustand des Patienten können die Sauerstoffgeräte im Rucksack, in einem «Caddy» oder im Rollator mitgeführt werden. Auf der Verordnung für eine Sauerstofftherapie muss der behandelnde Arzt den Einsatz mobiler Geräte begründen. Ärzte überweisen Sauerstoffpatienten nach der Verordnung meistens an die Lungenliga, die sich um die Umsetzung kümmert. Die Mitarbeitenden der Lungenliga: O helfen bei der Auswahl des Geräts O erklären die Handhabung der Geräte den Patienten und
den Angehörigen O liefern Verbrauchsmaterial O beantworten Fragen zur Therapie O beraten die Patienten in Bezug auf die Integration der The-
rapie in die Aktivitäten des Alltags (z.B. Mobilität, Freizeit oder Ferien) O prüfen regelmässig die Geräte O beobachten den Therapieverlauf und besprechen ihn mit den Patienten und ihren behandelnden Ärzten.
Der behandelnde Arzt weiss somit seine Patientinnen und Patienten professionell betreut. Im besten Fall sieht er sie bei
So läuft die Beratung – ein Fallbericht
Herr V. (Jahrgang 1927) leidet seit Jahren an Kurzatmigkeit. Im Jahr 2013 diagnostizierte sein Hausarzt eine COPD. Er überwies Herrn V. an einen Pneumologen, der ihm eine Sauerstofftherapie verordnete. Die Inhalation von Sauerstoff war zunächst auf 16 Stunden pro Tag beschränkt. Im Frühjahr 2014 verbesserten sich die Blutgaswerte, und Herr V. benötigte den Sauerstoff lediglich nachts sowie beim Radeln auf dem Hometrainer. Im Frühjahr 2015 erlitt Herr V. zwei pulmonale Infektionen: Von diesem Rückschlag erholte er sich bis heute nicht. Dank des erfreulich guten Gesundheitszustands seiner Partnerin kann Herr V. trotzdem zu Hause wohnen. Die Beratungsgespräche, welche die Fachpersonen der Lungenliga regelmässig mit den Betroffenen führen, verlaufen auf verschiedenen Ebenen: Technische, gesundheitliche sowie persönliche Fragen und Anliegen werden diskutiert. Die folgenden Ausschnitte aus einem einstündigen Beratungsgespräch mit Herrn V. geben einen Einblick zu Ablauf und Inhalt der Beratung.
Die technische Beratung
Herr V. möchte in die Ferien fahren und will von seiner Beraterin wissen, ob und wie er das mobile Sauerstoffgerät aufladen muss. Auch wenn die Fragen banal klingen, ist es wichtig, dass die Beraterin Herrn V. und seine Partnerin verständlich und ausführlich über die Handhabung des mobilen Geräts aufklärt. Jedes Missverständnis könnte zu einer Fehlmanipulation führen. Zu den regelmässigen Aufgaben der Beraterin gehört es auch, die Funktion der stationären Sauerstoffgeräte und des Zubehörs sowie die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften zu überprüfen.
Die Gesundheitsberatung
Viele Patienten mit chronischen Atemwegserkrankungen müssen wie Herr V. mehrere Medikamente einnehmen. Die Fülle der Medikamente überfordert die Betroffenen oft. Der behandelnde Arzt von Herr V. wechselte vom bisherigen Inhalativum (Parasympatholytikum kombiniert mit einem Beta-2-Sympathomimetikum) auf ein neues Präparat. Herr V.
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LINKTIPPS
Sauerstoffverordnung: www.lungenliga.ch/verordnung
Sauerstofftankstellen: www.lungenliga.ch/tankstellen Mobile Patienten, die auf Flüssiggassauerstoff angewiesen sind, können ihre Geräte schweizweit an 32 Sauerstofftankstellen kostenlos auffüllen.
Guidelines: www.lungenliga.ch/fachpublikationen Gemeinsam mit der Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie ausgearbeitete Empfehlungen für die Hausärzte (COPD-Guidelines)
ist unsicher, ob er noch das alte Medikament aufbrauchen oder ab sofort das neue inhalieren soll. Die Beraterin lässt sich daraufhin alle Medikamente zeigen, die Herr V. einnehmen muss. Sie fragt nach, ob er wisse, wie die Medikamente wirken würden. Da Herr V. nicht beschreiben kann, welches Präparat welche Wirkung hat, erklärt sie es ihm mit einfachen Worten. Je besser ein Patient über den Nutzen seiner Therapie Bescheid weiss, desto höher ist die Compliance. Ein zentrales Thema für Herrn V. ist die Exazerbation der COPD nach den beiden pulmonalen Infektionen. Er beschreibt der Beraterin, dass er beim Treppensteigen mehr Mühe habe als vor den Infektionen. Sie nutzt die Gelegenheit, um den genauen Verlauf der Krankheit zu erfahren: Sie fragt zum Beispiel nach Anstrengungs- und Ruhedyspnoe, Husten sowie Schleimbildung. Die Beraterin macht Herrn V. im Zusammenhang mit der Exazerbation auf die Grippeimpfung im Herbst aufmerksam, da er einer Risikogruppe angehört.
Die Angehörigen nicht vergessen Bei der Beratung von Patienten müssen die Angehörigen zwingend mit einbezogen werden. Sie sollten Bescheid wissen über Therapie, Verlauf und Komplikationen der Krankheit sowie über die Handhabung der Sauerstoffgeräte. Auch Wünsche und Sorgen der Angehörigen nehmen einen prominenten Platz bei der Beratung ein. Herr V. möchte sich einen Hometrainer anschaffen und fragt seine Beraterin nach Occasionsgeräten. Die Partnerin von
Herrn V. vertritt die Meinung, dass das «Ding» dann bloss
unbenutzt im Haus herumstehe. Für die Beraterin ist das eine
heikle Situation. Sie erklärt der Partnerin, dass regelmässige,
moderate Bewegung die Atembeschwerden bessere. Im
Verlauf des Gesprächs stellt sich heraus, dass Herr V. nicht
besonders motiviert ist, sich zu bewegen. Seine Partnerin
hingegen sieht den Sinn von körperlichem Training durchaus
ein.
Die Beraterin fragt Herrn V. nach den Besuchen der Erfah-
rungsaustauschgruppe. Er besucht die Veranstaltungen regel-
mässig und gerne. Der Austausch mit Menschen, die das
gleiche Schicksal teilen, tut den Betroffenen gut: Sie sehen,
dass sie mit ihrer Krankheit nicht allein sind.
Die Lungenliga organisiert nicht nur Erfahrungsaustausch-
gruppen, sondern auch Kurse zum Thema Atemtherapie,
Informationsveranstaltungen über Atemwegserkrankungen
(COPD, Asthma) sowie Beratungen zum Rauchstopp. Die
Sozialberaterinnen der Lungenliga kümmern sich bei Bedarf
ebenso um versicherungsrechtliche und/oder finanzielle Fra-
gen, die den Patienten und seine Angehörigen beschäftigen.
Nach etwa einer Stunde ist das Beratungsgespräch zu Ende.
Normalerweise besuchen die Fachpersonen der Lungenligen
ihre Sauerstoffpatienten halbjährlich. Bei Bedarf findet die
Beratung in kürzeren Intervallen statt. Zwischen den Haus-
besuchen sind die Fachpersonen für Fragen telefonisch er-
reichbar. Die Lungenligen bieten auch eine Notfallnummer
an, die Tag und Nacht in Betrieb ist.
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Regine Schmid Beraterin für Atemwegserkrankungen mit eidg. FA Leitung Heimtherapie/Sauerstoff und Kurswesen Lungenliga Aargau Hintere Bahnhofstrasse 6 5001 Aarau E-Mail: regine.schmid@llag.ch
Wir danken Herrn Dr. med. Markus Denger, wissenschaftlicher Beirat von ARS MEDICI, Frau Dr. med. Heike Gudat, Vorstandsmitglied von palliative.ch, und Dr. med. Klaus Bally, Institut für Hausarztmedizin der Universität Basel, für ihre Unterstützung bei der Konzeption und Planung unserer Serie «Palliativmedizin in der Praxis».
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