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FORTBILDUNG
Abklärung der symptomatischen Mikrohämaturie
Was empfehlen die amerikanischen und die schweizerischen Guidelines?
Die asymptomatische Mikrohämaturie (AMH) ist ein häufiger klinischer Befund. Eine Hämaturie kann Hinweis auf ein Malignom sein, doch in den meisten Fällen liegen der Hämaturie andere Ursachen zugrunde. Im Folgenden wird das diagnostische Vorgehen bei asymptomatischer Mikrohämaturie beschrieben.
JAMA
In der Fachliteratur werden Prävalenzraten für die asymptomatische Mikrohämaturie (AMH) von 13 bis 20 Prozent angegeben (1). In seltenen Fällen kann eine AMH auf ein Malignom hinweisen. So wurde in Studien, in denen eine initiale AMH-Abklärung erfolgte, bei 4 Prozent der Patienten ein Malignom des Harntrakts entdeckt (1). Zwar manifestieren sich 90 Prozent der Blasenkarzinome mit einer Hämaturie, doch die meisten Fälle einer Hämaturie stehen nicht im Zusammenhang mit einem Malignom. Die AMH ist ein Zufallsbefund, bei dem sich die Frage der weiteren Abklärung stellt. Im Folgenden sind die wichtigsten Inhalte und Empfehlungen zur diagnostischen Aufarbeitung der American Urological Association (AUA) zusammengefasst (1).
Definition der AMH Die AMH ist definiert als Nachweis von drei oder mehr Erythrozyten pro Gesichtsfeld in der «High-power-field»-(HPF-) Mikroskopie – vorausgesetzt, die Urinprobe wurde fachgerecht gewonnen. Ein alleiniges positives Ergebnis im Urinteststreifen gilt nicht als AMH-Nachweis (1).
MERKSÄTZE
O Durch die diagnostische Abklärung einer asymptomatischen Mikrohämaturie (AMH) kann es gelingen, Malignome des Harntrakts in einem frühen Stadium aufzuspüren.
O Gemäss der aktuellen amerikanischen Leitlinie sollte nach Ausschluss benigner Ursachen der AMH bei Patienten bereits ab 35 Jahren eine Zystoskopie erfolgen und der gesamte Harntrakt untersucht werden.
Abklärung der AMH
O Die aktuelle AUA-Guideline rät, zunächst gutartige Ursachen der AMH wie Infektion, Menstruation oder starke körperliche Belastung auszuschliessen.
O Anschliessend sollten eine Beurteilung der Nierenfunktion, eine komplette Urinanalyse und eine Evaluation des gesamten Harntrakts erfolgen.
O Unterer Harntrakt: Bei Patienten ab 35 Jahren sowie bei allen Patienten mit Risikofaktoren für Malignome des Harntrakts sollte eine Zystoskopie durchgeführt werden. Zu den Risikofaktoren zählen irritative Symptome bei der Miktion (Drangsymptomatik, Dranginkontinenzfrequenz, Nykturie), früherer oder aktueller Tabakkonsum, Zustand nach Bestrahlung der Blase sowie Exposition gegenüber bestimmten Chemikalien (Farbstoffe, Benzolverbindungen, aromatische Amine, alkylierende Zytostatika).
O Oberer Harntrakt: Eine Computertomografie (CT) mit und ohne intravenöses Kontrastmittel (CT-Urografie) ist das bildgebende Verfahren der Wahl. Für Patienten mit Kontraindikationen für eine CT-Urografie ist die Magnetresonanztomografie-(MRT-)Urografie ohne und mit intravenösem Kontrastmittel eine akzeptable Alternative. Für Patienten mit Kontraindikationen sowohl für CT als auch MRT ist die Kombination aus CT ohne Kontrastmittel (bzw. aus einer renalen Sonografie) und retrograder Pyelografie eine Alternative zur Darstellung des oberen Harntrakts.
O Follow-up: Bei Patienten mit persistierender Mikrohämaturie trotz eines negativen Work-ups sowie bei Patienten, die andere Risikofaktoren aufweisen, kann eine Urinzytologie nützlich sein. Bei persistierender AMH nach einem negativen urologischen Work-up sollten jährliche Urinanalysen erfolgen; falls diese in 2 konsekutiven Jahren negativ ausfallen, sind keine weiteren Urinanalysen wegen AMH mehr erforderlich. Bei persistierender oder rezidivierender AMH nach einer initial negativen urologischen Abklärung sollte innerhalb von 3 bis 5 Jahren eine erneute Evaluation erwogen werden.
O Nephrologische Abklärung: Wenn bei der initialen Evaluation Befunde auffallen, die den Verdacht auf eine Nierenparenchymerkrankung lenken (d.h. dysmorphe Erythrozyten, Erythrozytenzylinder, Proteinurie, zelluläre Zylinder), ist neben einer urologischen eine gleichzeitige nephrologische Abklärung gerechtfertigt.
O Antikoagulatorische Behandlung: Eine AMH rechtfertigt das gleiche Management – unabhängig davon, ob der Patient mit Antikoagulanzien behandelt wird oder nicht (1).
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FORTBILDUNG
Tabelle:
Abklärung von Patienten mit asymptomatischer Mikrohämaturie (AMH): Diskrepanzen zwischen der amerikanischen (AUA [1]) und der schweizerischen Guideline (mediX [2])
Definition Mikrohämaturie Diagnostik
Verlaufskontrollen
AUA-Guideline ≥ 3 Erythrozyten pro «high power field»
Sind benigne Ursachen der AMH ausgeschlossen, sollen folgende Untersuchungen durchgeführt werden: O Beurteilung der Nierenfunktion O komplette Urinanalyse O Evaluation des gesamten Harntrakts O Zystoskopie bei allen Patienten ≥ 35 J.
und bei Patienten mit Risikofaktoren für Malignome des Harntrakts (z.B. Rauchen, frühere Bestrahlung der Blase etc.) O CT-Urografie (bei Kontraindikationen MRT-Urografie; bei Kontraindikationen für CT- und MRT-Urografie: CT ohne Kontrastmittel oder Nierensonografie in Verbindung mit retrograder Pyelografie)
O Bei Patienten mit persistierender Mikrohämaturie trotz eines negativen Work-ups sowie bei Patienten, die andere Risikofaktoren aufweisen, kann eine Urinzytologie nützlich sein.
O Bei persistierender AMH nach einem negativen urologischen Work-up sollten jährliche Urinanalysen erfolgen; falls diese in 2 konsekutiven Jahren negativ ausfallen, sind keine weiteren Urinanalysen wegen AMH mehr erforderlich.
mediX-Guideline
Es gibt keine einheitliche Definition; zumeist werden heute > 2 Erythrozyten/Gesichtsfeld als diagnostische Richtwerte angegeben.
Zunächst sind folgende Fragen zu klären: O Gibt es eine plausible Erklärung für die
Mikrohämaturie? O Blutung passager oder persistierend? O isolierte oder nicht isolierte Mikrohämaturie? O Liegen Risikofaktoren für Malignome vor? Bei isolierter Mikrohämaturie (> 5 Erythrozyten im Sediment) sind standardisierte urologische Abklärungen nur bei Risikofaktoren für eine Neoplasie der Harnwege notwendig. Als Risikofaktoren gelten: O Alter > 45 J. O berufliche Exposition mit Karzinogenen
(z.B. Farbstoffindustrie, Teer, Metallurgie) O Tabakkonsum O Beckenbestrahlung O Pharmakotherapien (Cyclophosphamid,
Phenacetin) O Schistosomiasis. Die Abklärung umfasst: O Sonografie oder CT der Nieren und ableitenden
Harnwege O Zystoskopie
O Patienten mit passagerer Mikrohämaturie müssen nicht nachkontrolliert werden, solange keine Symptome auftreten.
O Bei Patienten mit persistierender Mikrohämaturie und kompletter Abklärung (ohne pathologischen Befund) sind weitere Kontrollen nicht mehr erforderlich.
Vor- und Nachteile der AMH-Abklärung
Vorteile einer diagnostischen Abklärung der AMH sind die frühe Entdeckung von Malignomen des Harntrakts und wahrscheinlich auch bessere klinische Outcomes der betroffenen Patienten. Zudem können im Rahmen der AMH-Abklärung weitere Diagnosen wie Nephrolithiasis oder benigne Prostatahyperplasie gestellt werden. Zu den potenziellen Nachteilen der urologischen Abklärung zählen Strahlenbelastung, allergische Reaktionen auf das Kontrastmittel und Kontrastnephropathie (1).
Abweichungen gegenüber der Schweizer Guideline
Vergleicht man die Inhalte der AUA-Leitlinie (1) mit denjeni-
gen der mediX-Leitlinie «Mikrohämaturie» (2), findet man
in einigen Punkten unterschiedliche Angaben beziehungs-
weise Empfehlungen (siehe Tabelle).
Andrea Wülker O
1. Kiragu D et al.: Evaluation of patients with asymptomatic microhematuria. JAMA 2015; 314 (17): 1865–1866.
2. Huber F et al.: mediX-Guideline Mikrohämaturie (4/2015); www.medix.ch.
Interessenkonflikte: keine deklariert.
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