Transkript
FORUM
Was bringt 2016 für die Hausarztmedizin?
Wichtige Neuerungen für die Praxis bei Hepatitis C, entzündlichen Darmerkrankungen, COPD, Lungenfibrose ...
Im vergangenen Jahr hat sich in der Medizin einiges getan. Um zu erfahren, was davon für die tägliche hausärztliche Praxis relevant ist, haben wir uns unter unseren Beiräten umgehört: Was erscheint ihnen besonders wichtig, und worauf sollten wir im neuen Jahr besonders gespannt sein? Im Folgenden haben wir die Antworten nach Fachgebieten zusammengestellt.
HEPATOLOGIE
Auf ein besonders ereignisreiches Jahr blickt die Hepatologie zurück, vor allem im Hinblick auf die Behandlung der Hepatitis C. Die Entwicklung der Hepatitis-C-Medikamente schreibt derzeit Medizingeschichte, davon ist Dr. Philip Bruggmann, Leiter Schweizerische Hepatitisstrategie und Chefarzt Innere Medizin, Arud Zentren für Suchtmedizin, überzeugt: «Seit diesem Jahr können wir die Erkrankung bei über 90 Prozent der Betroffenen mit einfachen, gut verträglichen Medikamentenkombinationen über eine kurze Behandlungsdauer erfolgreich behandeln.» Die belastenden interferonbasierten Behandlungen der letzten 15 Jahre sind innert kürzester Zeit Geschichte geworden. Die Motivation der Hausärztinnen und Hausärzte, nach Hepatitis C zu suchen und positiv Getestete einer Behandlung zuzuführen, werde dadurch stark steigen, hofft der Experte. Die Erkenntnisse aus einer im Sommer publizierten Modellstudie (1), dass die Belastung der öffentlichen Gesundheitssysteme durch Hepatitis C in den nächsten 15 Jahren stark zunehmen wird, wenn nicht rasch deutlich
effizienter getestet und vermehrt behandelt wird, wird diesen Motivationseffekt verstärken. Studien zur Hepatitis-C-Infektion, die zeigen, dass die Jahrgänge 1955 bis 1975 überdurchschnittlich stark von der Epidemie betroffen sind, erleichtern in Zukunft den Testentscheid des Hausarztes. So weist in der Schweiz zum Beispiel ein 50-Jähriger ein viermal höheres Hepatitis-C-Risiko auf als ein 65- oder ein 30-Jähriger.
Neue Medikamente erlauben hocheffiziente Therapie Die Zulassung der Fixkombinationen Sofosbuvir plus Ledipasvir (Harvoni®) und Ombitasvir, Paritaprevir und Ritonavir (Viekirax®) sowie der Einzelsubstanzen Dasabuvir (Exviera®), Daclatasvir (Daklinza®) und Simeprevir (Olysio®) haben die Therapiemöglichkeiten von Hepatitis C massiv verbessert und erlauben heute hocheffiziente, interferonfreie Behandlungen aller Genotypen (Guidelines auf www.sasl.ch). So lag zum Beispiel für den in der Schweiz am häufigsten vorkommenden Genotyp 1 die Heilungsrate vor 3 Jahren noch bei knapp 50 Prozent, und die Behandlung war mit erheblichem Nebenwirkungspotenzial verbunden, heute lassen sich mehr als 90 Prozent der Behandelten heilen, ohne gravierende
Nebenwirkungen. Die Behandlungsdauer hat sich zudem halbiert. Und die rasante Entwicklung der Medikamente geht weiter, mehrere sogenannte pangenotypisch (gegen alle Genotypen) wirksame Kombinationen befinden sich derzeit in Phase-II- oder -III-Studien. Bis anhin vorliegende Resultate sind sehr vielversprechend. Die Vision einer Hepatitis-C-Pille pro Tag über 8 bis 12 Wochen unabhängig vom Genotyp mit Heilungsraten gegen 100 Prozent kommt der Realität näher und näher. «Ich bin sehr gespannt auf die weiteren Studienresultate dieser Substanzen, insbesondere darauf, ob sie das halten können, was sie bisher versprochen haben», so Bruggmann. Das grösste Hindernis beim Zugang zur Behandlung sind derzeit die Preise der Medikamente. Für eine 12-wöchige Therapie belaufen sich die Kosten zurzeit auf 30 000 bis 85 000 Franken, wohingegen die entsprechenden Präparate in der Herstellung mit weniger als 200 Franken zu Buche schlagen. Aufgrund der guten Toleranz und des sicheren Nebenwirkungsprofils bestehen kaum mehr Kontraindikationen für diese Therapien. Bei schätzungsweise 80 000 chronischen Hepatitis-C-Fällen in der Schweiz wurde daher zur Verhinderung einer Kostenexplosion die Vergütung auf Patienten mit mittelschwerer oder höhergradiger Leberfibrose beschränkt. Gleichzeitig hat die Schweiz ein Testproblem. Experten gehen davon aus, dass weniger als die Hälfte der Hepatitis-C-Betroffenen getestet ist. Hier besteht dringender Aufholbedarf, nicht zuletzt auf Ebene der Grundversorger.
Drei Wünsche für 2016 Auf medizinischer Ebene ist bereits heute sehr viel möglich, die neuen Medikamente sind sehr potente Instrumente zur Viruselimination beim einzelnen
12 ARS MEDICI 1 I 2016
FORUM
Individuum. Auf epidemiologischer Ebene hingegen besteht jedoch noch grosser Handlungsbedarf in unserem Land, den Bruggmann darlegt: 1. 2016 noch breitere Unterstützung
für die laufende schweizerische Hepatitisstrategie (www.hepatitisschweiz.ch), nicht zuletzt vonseiten der Grundversorger beim konsequenten Testen und Zuführen zur Therapie. 2. Anerkennung der chronischen Hepatitis C auf breiter Ebene nicht nur als Lebererkrankung. Hepatitis C ist eine systemische Infektionskrankheit mit über die Leberschädigung hinausgehenden möglichen Folgen wie Diabetes, Arteriosklerose, chronischen Hautproblemen, Depression und malignem Lymphom. Mehr als die Hälfte der Betroffenen leidet unter chronischer Müdigkeit. Diese neueren Erkenntnisse haben weitreichende Implikationen, insbesondere auf das Testen und die Behandlungsindikation. 3. Ein innovatives volumenbasiertes Preismodell für die Hepatitis-CMedikamente, einhergehend mit entsprechenden Kostensenkungen und einer Aufhebung der Limitatio. Die Anreize für möglichst viele Hepatitis-C-Behandlungen sollten auf ärztlicher Seite und nicht aufseiten der Pharmaindustrie hoch sein.
GASTROENTEROLOGIE
Auch der Gastroenterologe Prof. Dr. Dr. Gerhard Rogler, Leitender Arzt Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie, Universitätsspital Zürich, erwähnt als praxisverändernde Erkenntnis zuerst die Entwicklungen im Bereich der Hepatitis C. Deren Therapie wird immer effektiver und längerfristig auch einfacher. Sie ist immer nebenwirkungsärmer, und in wenigen Jahren wird es Präparate geben, die drei verschiedene Medikamente in einer Tablette enthalten werden. Vermutlich werde in absehbarer Zeit die Hepatitis-C-Therapie in der Hausarztpraxis möglich sein (sofern das BAG die Verschreibung dort zulässt; noch sind die Medikamente ja extrem teuer), mutmasst der Experte.
Experten aus verschiedenen Fachrichtungen haben auf die folgenden Fragen geantwortet:
1. Gab es 2015 in Ihrem Fachgebiet neue Erkenntnisse, welche die Diagnose und/oder die Behandlung in der Hausarztpraxis verändern werden?
2. Wurden 2015 in Ihrem Fachgebiet neue Medikamente zugelassen, welche die Therapie erheblich verbessern könnten?
3. Auf welche Studienresultate sind Sie für 2016 besonders gespannt? 4. Welches Problem bei der Behandlung von Patienten in Ihrem Fachbereich bedarf am
dringlichsten einer Lösung? 5. Wenn Sie drei medizinische Wünsche frei hätten, was würden Sie sich für 2016 wün-
schen?
Aber auch in anderen Bereichen der Gastroenterologie gibt es Erwähnenswertes: So wird immer klarer, dass Protonenpumpeninhibitoren einen Reboundeffekt hinsichtlich der Magensäureproduktion haben, wenn man sie absetzt. Bei empfindlichen Patienten muss man daher schrittweise absetzen. Ebenfalls relevant für die hausärztliche Versorgung können neue Schnelltests für die Zöliakie werden, die gut in der Hausarztpraxis eingesetzt werden können. Da immer mehr Menschen glauben, an einer Gluten-Unverträglichkeit zu leiden, werden viele Hausärzte damit konfrontiert werden. «Darm mit Charme» verändert vermutlich auch die Hausarztpraxis. Jeder, der das Buch gelesen hat, weiss nun irgendwie über den Darm Bescheid. Und noch eine Vermutung: Die Paläodiät beschäftigt vermutlich nicht nur Gastroenterologen. Eingebildete Nahrungsunverträglichkeiten und unsinnige Diäten nähmen leider zu, konstatiert der Experte.
Was gibt es Neues? Neben den bereits genannten neuen und sehr effektiven Präparaten zur Behandlung von Patienten mit Hepatitis C erwähnt Rogler an dieser Stelle vor allem die Zulassung von Vedolizumab (Entyvio®). Das Anti-Integrin-Biologikum für Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen ermöglicht die Behandlung jener Patienten, die bisher nicht auf eine Therapie angesprochen haben. Vedolizumab wirkt darmspezifisch und eröffnet damit neue Möglichkeiten in der Therapie. Für 2016 erwartet der Experte besonders gespannt:
O Resultate zum Einsatz des JAK-Kinase-Inhibitors Tofacitinib bei Colitis ulcerosa
O Ergebnisse der ANDANTE-Studie, die einen Anti-IL-6-Antikörper bei Morbus Crohn untersucht
O die Publikation der ASTIC-Studie zur Stammzelltransplantation bei Morbus Crohn.
Am dringlichsten einer Lösung bedarf es seiner Meinung nach für Patienten mit Morbus Crohn, die Fisteln haben, und beim Pankreaskarzinom. «Aber hier haben wir weiterhin wenig Hoffnung», bedauert Rogler.
Medizinische und andere Wünsche Wenn es um Wünsche geht, fallen Rogler gleich ein paar Dinge ein, die hier Erwähnung finden sollten. Dazu zählen: O die Abschaffung der DRG O mehr Weiterbildungsstellen für Gast-
roenterologen O der Ausbau des USZ O die Restrukturierung der Kantonalen
Ethikkommission Zürich O mehr Mittel für Investigator Initiated
Clinical Trials (IICT).
Neben diesen eher medizinpolitischen Wünschen hat der Gastroenterologe aber auch medizinische Anliegen: O neue, effektive Therapie für Fisteln
bei M. Crohn O neue präventive Therapie für Strik-
turen und Stenosen bei M. Crohn O klinische Testung von Anthocyanen
(blauschwarze Farbstoffe aus Heidelbeeren, Aroniabeeren oder Brombeeren) hinsichtlich ihrer antientzündlichen Wirkung im Darm.
ARS MEDICI 1 I 2016
13
FORUM
ORTHOPÄDIE
Prägnante Antworten lieferten Dr. Luzi Dubs, Winterthur, und Dr. Peppo Brandenberg, Luzern, für ihren Fachbereich, die Orthopädie. Auf Basis aktueller Studiendaten und Erkenntnisse aus dem
letzten Jahr sind sie überzeugt, dass die Indikationen zu orthopädischen Eingriffen grundsätzlich kritischer gestellt werden müssen, zumindest müssen patientenrelevante Endpunkte dabei noch mehr in den Vordergrund gestellt werden. Anders als in der Hepatologie, in der grosse Veränderungen durch die Neuzulassung von Medikamenten zu erwarten sind, sind den Experten in der Orthopädie keine Neuzulassungen aus 2015 bekannt. Mit Spannung erwarten sie die ersten Resultate aus dem Schweizerischen Implantatregister (SIRIS, www.sirisimplant.ch). Einer Lösung bedarf in ihren Augen die derzeitige Verteilung der Orthopäden; eine bessere Verteilung zwischen Stadt und Land sei ein vordringliches Problem. Und die drei Wünsche für 2016: 1. gute Aus- und Weiterbildung bezüglich der Indikationsqualität unter dem Aspekt der Klinimetrie 2. sinnvoller Umgang mit den Ressourcen in Diagnostik und Therapie 3. Elimination von Finanzierungsfehlanreizen, welche den Patienten letztlich keinen Nutzen bringen oder ihnen sogar schaden.
PÄDIATRIE
Die Antwort auf die Frage, ob sich 2015 in der pädiatrischen Infektologie etwas getan habe, was die hausärztliche Praxis verändern werde, ist für Prof. Dr. Ulrich Heininger, Leitender Arzt Infektiologie/Vakzinologie am Universitäts-Kinderspital beider Basel, klar: Neu im Jahr 2015 war der Beweis, dass die Neugeborenen von in der Schwangerschaft gegen Pertussis geimpften Müttern ein um 93 Prozent reduziertes Risiko haben, in den ersten
6 Lebensmonaten an Pertussis zu erkranken. Diese Massnahme – Pertussisimpfung für Schwangere im 2. oder 3. Trimenon – ist in der Schweiz seit Frühjahr 2013 empfohlen. Es ist an der Zeit, sie auch in der Praxis umzusetzen. Neue Medikamente, von denen hier die Rede sein sollte, wurden auch in der Pädiatrie nicht zugelassen. Mit Spannung erwartet der Experte für 2016 jedoch neue Erkenntnisse aus Denguevirus- und Malariaimpfstudien. Jede Antwort auf die Frage, welches Problem am dringlichsten einer Lösung bedürfe, ist natürlich höchst subjektiv. Heininger führt hier bessere diagnostische Möglichkeiten an, um bakterielle von nicht bakteriellen Infektionen der Atemwege zu unterscheiden, um Antibiotika noch gezielter als bis anhin einsetzen zu können.
Seine drei Wünsche für 2016: O weniger Infektionsepidemien (so
banal es klingen mag) O global uneingeschränkte Verfügbar-
keit von essenziellen Medikamenten und Impfstoffen für alle, die sie benötigen, insbesondere Säuglinge und junge Kinder O ein universeller, gut verträglicher und hocheffizienter, anhaltend schützender Impfstoff gegen respiratorische Viren oder zumindest gegen Influenza.
GYNÄKOLOGIE
Die gynäkologisch/endokrinologische Perspektive hat Prof. Dr. Christian De Geyter, Chefarzt und Abteilungsleiter Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Universitätspital Basel, für uns näher beleuchtet. Der Experte führt für das vergangene Jahr neue Erkenntnisse zum Syndrom der polyzystischen Ovarien (PCOS) an. Bei dessen Beurteilung setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass die Insulinresistenz und die mit der Insulinresistenz einhergehende Hyperinsulinämie nicht unbedingt Ursachen, sondern lediglich Co-Variablen sind. Die bei Frauen mit PCOS häufige Adipositas ist somit eine Begleiterschei-
nung, welche das Krankheitsbild verschlimmert. Und damit ist es weiterhin wichtig, dass Frauen mit PCOS und Übergewicht abzunehmen versuchen. Die Ursachen für PCOS liegen wahrscheinlich in einer vermehrten Exposition gegenüber männlichen Sexualsteroiden während der Entwicklung im Mutterleib. Diese verursachen Störungen sowohl in der neuroendokrinen Regulation (und damit auch PCOS) als auch im Metabolismus (und damit auch Übergewicht). Die letzte wichtige Zulassung einer Klasse neuer und innovativer Medikamente in der gynäkologischen Endokrinologie betraf jene der selektiven Progesteronrezeptormodulatoren. Diese werden derzeit in der Akutkontrazeption sowie bei der Behandlung des Uterus myomatosus eingesetzt. Leider hat es 2015 keine ähnlich bahnbrechenden Zulassungen neuer Medikamente gegeben, alle bisherigen beruhen auf Variationen bereits bekannter Wirkungsprinzipien. Das Gebiet der gynäkologischen Endokrinologie würde davon profitieren, wenn mehr neue Ideen für neue Medikamentenklassen eingebracht würden, unterstreicht der Experte.
Was bringt 2016? Für 2016 hofft De Geyter auf Ergebnisse einer prospektiven multizentrischen Studie, in der die Auswirkung einer routinemässigen «Office-Hysteroskopie» vor Beginn einer assistierten reproduktionsmedizinischen Behandlung (In-vitro-Fertilisation oder intrazytoplasmatische Spermieninjektion) untersucht wird. Dringlich ist in De Geyters Augen für die Reproduktionsmedizin in der Schweiz eine neue Gesetzgebung. Mit dem vom Parlament bereits mehrheitlich gutgeheissenen revidierten Fortpflanzungsmedizingesetz (revFMedG) wäre dafür die Basis gelegt. Bevor dieses Gesetz in Kraft treten kann, wurde von den Gegnern der Präimplantationsdiagnostik (PID) und der Reproduktionsmedizin das Referendum ergriffen, worüber möglicherweise im Juni 2016 abgestimmt wird. Sein wichtigster Wunsch 2016 wäre ein Nein zum von den politischen Gegnern der PID und einer modernen Reproduktionsmedizin angestrengten Referendum.
14 ARS MEDICI 1 I 2016
FORUM
PNEUMOLOGIE
Im Bereich der Pneumologie sollten die Hausärzte über die neuen Medikamente zur Therapie der Lungenfibrose Bescheid wissen, sagt Prof. Dr. Markus Solèr, Chefarzt Pneumologie, Claraspital Basel. Für die Therapie der idiopathischen Lungenfibrose gibt es zwei neue Medikamente, und deshalb wird es wichtig sein, diese Krankheit zu entdecken, mit den Patienten über ihre Behandlungsoptionen zu sprechen und sie weiterzuweisen, um wenn möglich die Therapie einzuleiten. «Bisher konnte man sich zurücklehnen und abwarten, weil man ja sowieso nichts tun konnte, das wird sich ändern», hofft der Experte. Zu diesen neuen Therapieoptionen zählen zum einen der Tyrosinkinase-Inhibitor Nintedanib (Ofev®) sowie zum anderen Pirfenidon (Esbriet®). Die beiden Medikamente können die Krankheit nicht heilen, aber sie verlangsamen die Progression der Erkrankung. «Sie haben eine klare Wirkung, und die sollte man den Patienten mit dieser Alterskrankheit anbieten können», so Solèr. Warnsymptome, bei denen der Hausarzt aufmerken sollte, sind etwa Anstrengungsdyspnoe, Reizhusten sowie ein Knistern oder ein Rasseln über der Lunge. Die betroffenen Patienten werden häufiger fälschlich als Herzinsuffizienzpatienten angesehen oder blieben einfach unentdeckt, da man hier bisher die Haltung vertreten konnte, dass eine Sicherung der Diagnose ohne therapeutische Optionen wenig sinnvoll war.
COPD: kombinierte lang wirksame Bronchodilatation anstelle von Steroiden Bei der Therapie der COPD wird immer deutlicher, dass die inhalativen Steroide einen geringeren Stellenwert einnehmen sollten oder zumindest ihre Dosierung sehr niedrig gewählt werden kann. Die Hauptwirkung auf Symptome und Exazerbationsprävention ist mit lang dauernder Bronchodilatation zu erreichen. Die Bronchodilatatoren (am besten als Kombination lang wirksamer Anticholinergika und lang wirksamer Betaagonisten) bilden die Basis der COPD-Behandlung. Und da kann man auf die einmal täglich zu inhalierenden Kombinationen, die über 24 Stunden wirken (z.B. Ultibro®, Anoro® oder einen neuen, Tiotropium und Olodaterol enthaltenden Inhaler der Firma Boehringer, der demnächst unter dem Namen Spiolto® Respimat® verfügbar sein wird), zurückgreifen. Der Experte freut sich für 2016 auf die Publikation der Daten einer grossen SUMMIT-Studie der Firma Glaxo SmithKline (GSK), die am letzten Jahreskongress der European Respiratory Society (ERS) vorgestellt wurde. Diese COPD-Mortalitätsstudie ist zwar nicht ganz so ausgegangen, wie man sich das erhofft hatte, aber man wird, ähnlich wie vordem bei der TORCH-Studie, dennoch viel aus den Daten lernen können. Auch zum Einsatz der Anti-Interleukin-5-Substanzen werden spannende weitere Studienresultate hinsichtlich der Behandlung der nicht allergischen eosinophilen Form des schweren Asthmas erwartet. Hier muss noch die optimale Patientenpopulation definiert werden, worauf man gespannt sein darf. In der EU und in den USA ist Mepolizumab (Nucala®, GSK) bereits zugelassen.
Welche Probleme stehen zur Lösung an? Grosse innovative Problemlösungsansätze im Bereich der Pneumologie seien leider nicht in Sicht, bedauert der Experte. Aber es besteht ein ganz neues, spezielles Problem: Lange Zeit wurden Medikamente eingesetzt, die messbare Veränderungen mit sich bringen. Deren Einsatz ist für alle Seiten nachvollziehbar. Nun gibt es darüber hinaus in Studien geprüfte Medikamente mit bestätigter Wirksamkeit, wie beispielsweise Daxas® bei COPD oder die Antifibrosemedikamente Pirfenidon und Nintedanib, deren Wirkung aber manchmal weder Arzt noch Patient unmittelbar spüren können – zum Beispiel wenn ein Patient einmal im Jahr eine Exazerbation hat und ein Medikament zur Senkung der Exazerbationshäufigkeit erhält oder wenn sich eine Lungenfibrose im Verlauf verschlechtert, aufgrund der Studiendaten aber (wohl) langsamer als ohne Therapie. «Hier spürt der Patient die Wirkung nicht, möglicherweise aber Nebenwirkungen – wie gehen wir damit um?» Theoretisch könnte man Surrogatmarker entwickeln, aber das wurde in den Studien leider nicht gemacht. «Wir werden uns also fest glaubend an die Studienresultate halten müssen …», bedauert der Pneumologe.
Wünsche für 2016 Als im Spital tätiger Arzt wünscht Solèr sich vor allem: O dass die klinisch Tätigen das Heft
wieder stärker in die Hand nehmen können und die Verwalter und Ökonomen sich ein wenig mehr zurückhalten O mehr echte medizinische Qualität und nicht mehr von jener Qualität, die man zufällig messen kann. O
Und was sind Ihre Wünsche und Hoffnungen für 2016?
In unserem Beitrag haben wir Experten verschiedener Fachrichtungen zu Wort kommen lassen, die aktuelle Entwicklungen aus der fachärztlichen Perspektive Revue passieren liessen. Aber wenn es um die Hausarztmedizin geht, sollte auch Ihre Perspektive nicht fehlen: Welche Entwicklungen dürften aus hausärztlicher Sicht das kommende Jahr prägen, welche Probleme stehen dringlich zur Lösung an, und was wünschen Sie sich für 2016? Schreiben Sie uns, wir freuen uns über Ihre Rückmeldung per Post, E-Mail oder online: Rosenfluh Publikationen, Silvia Tomasi, Schaffhauserstrasse 13, 8212 Neuhausen am Rheinfall; E-Mail: info@rosenfluh.ch; Internet: www.rosenfluh.ch/kontakt
Christine Mücke
1. Müllhaupt B et al.: Modeling the health and economic burden of hepatitis C virus in Switzerland. PLoS One 2015; 10(6):e0125214.
16 ARS MEDICI 1 I 2016