Transkript
FORTBILDUNG
Die weibliche Blasenschwäche
Wann hilft eine Operation?
Die weibliche Blasenschwäche ist eine Volkskrankheit. Aufgrund meiner Tätigkeit als Gynäkologe und Geburtshelfer der Frauenklinik des Kantonsspitals Nidwalden in Stans gehe ich im Folgenden besonders auf die weibliche Blasenschwäche und deren besonders häufige Manifestation in Form der Belastungsinkontinenz ein.
Rüdiger Brinkhaus
Was ist eine Störung der Blasenentleerung? Es ist ein ungewollter Harnverlust, der verschiedene Synonyme wie Harninkontinenz und Blasenschwäche aufweist. Die normale Funktion der Harnblase wird durch innere und äussere Schliessmuskeln gesteuert. Bestimmte Schaltzentren im Gehirn (pontine Kerne) ermöglichen die Harndrangempfindung und die bewusste Harnblasenentleerung. Der weibliche Beckenboden bildet eine komplexe anatomische Entität, in der Muskeln, Bindegewebe und Unterbauchorgane die Kontinenz gewährleisten. Vagina, Urethra, Harnblase, Uterus und Rektum bilden enge Organkontakte, die auch bei erhöhtem intraabdominalem Druck nicht zu einem unwillkürlichen Harnabgang führen. Descensus uteri, Zystozele und Rektozele bei intaktem Uterus sowie der Status nach
MERKSÄTZE
O Es gibt vielfältige operative Behandlungsmöglichkeiten der Belastungsinkontinenz.
O Zurzeit besteht die Tendenz zu einem vermehrten Einsatz der retropubischen TVT trotz erhöhter Harnblasenverletzungsgefahr gegenüber der TVT-O.
O Single-incision-Schlingen haben sich noch nicht durchgesetzt; grössere Studien hierzu fehlen.
O Der Einsatz von Bulkamid oder anderen «bulking agents» ist vor allem in der Rezidivsituation eine mögliche Variante.
O Auch heute ist die abdominale Kolposuspension nach Burch-Kollen teilweise in Kombination mit der abdominalen Sakrokolpopexie eine wichtige Therapieoption bei der Rezidivbehandlung (Laparotomie oder Laparoskopie).
Hysterektomie können jedoch durch Lageveränderungen zu einer mehr oder weniger starken Veränderung der Öffnungsund Verschlussmechanismen der Urethra und der Harnblase führen.
Welche Risikofaktoren kennen wir?
Die Risikofaktoren der Harninkontinenz sind mannigfaltig. Schwangerschaften und auch Vaginalgeburten sowie deren Anzahl können ebenso wie bei Patientinnen mit Status nach Sectio caesarea zu schwangerschaftsbedingten Belastungsinkontinenzen führen (1). Weitere Risikofaktoren sind schwere körperliche Arbeit, eine angeborene Bindegewebsschwäche (2), Adipositas, ein höheres Lebensalter (Hormondefizit, hier besonders als deren Folge die Genitalatrophie) und ethnische Einflüsse (asiatische, afrikanische, hispanische Frauen sind von den Problemen weniger betroffen). Ein weiteres Risiko ist Nikotinabusus in Zusammenhang mit chronisch-obstruktiver pulmonaler Erkrankung, die sich in einem chronischen Husten widerspiegelt. Es besteht aber auch ein genetisches Risiko, besonders bei Verwandten ersten Grades, sowie im zunehmenden Alter kognitive Einschränkungen wie zum Beispiel Demenz oder die Alzheimer-Krankheit. Aber auch die oft vorkommende Obstipation kann über eine ausgeprägte intraabdominale Druckerhöhung beim Pressen zu einer Harninkontinenz führen (3).
Wer ist von einer Harnblasenschwäche betroffen?
Es sind zirka 13 Prozent aller Frauen und 5 Prozent aller Männer betroffen. Zudem besteht eine grosse Abhängigkeit vom Lebensalter. Zirka 40 Prozent aller über 50-jährigen Frauen und 10 Prozent aller über 50-jährigen Männer sowie 60 Prozent aller über 80-jährigen Frauen und Männer leiden unter einer mehr oder minder starken Harninkontinenz. Bei zirka 50 Prozent der Frauen, die mehr als ein Kind geboren haben, ist auch eine Beckenbodensenkung klinisch nachweisbar. 10 bis 25 Prozent der Frauen im Alter zwischen 25 und 64 Jahren haben zusätzlich eine Belastungsinkontinenz. 15 bis 37,7 Prozent der Frauen über 50 Jahre haben eine Harninkontinenz (4). Die weibliche Blasenschwäche ist eine Volkskrankheit.
Welche Folgen können daraus resultieren?
Es kann zu einem vollständigen Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben führen, wie zum Beispiel Verzicht auch auf eine kurze Reise, zu Absagen von Kulturveranstaltungen sowie zum Rückzug selbst von der eigenen Familie. Das führt zum Verlust vieler sozialer Kontakte. Zudem besteht eine
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deutliche Angst vor dem ungewollten Harnverlust in Verbindung mit der geruchlichen Beeinträchtigung. Hierbei spielt das ausgeprägte persönliche Schamgefühl eine grosse Rolle.
Welche Arten der Inkontinenz gibt es?
Wir definieren fünf verschiedene Inkontinenzarten, die unterschiedlich häufig sind: O Belastungsinkontinenz (= Stressinkontinenz) mit einem
Anteil von 66 Prozent O Dranginkontinenz (= Urge-Inkontinenz = überaktive Blase
= overactive bladder) mit 20 Prozent O Mischinkontinenz (= Kombination von Belastungs- und
Urgeinkontinenz) mit 12 Prozent O Reflexinkontinenz, die mit einer Inkontinenz bei neurogen
bedingter Blasenmuskelüberaktivität vergesellschaftet ist, mit 1 Prozent O Überlaufinkontinenz mit 1 Prozent.
Im Folgenden werden nur die therapeutischen Optionen bei Belastungsinkontinenz näher erläutert, da ein operativer Eingriff bei Urge-Inkontinenz, Urge-dominierter Mischinkontinenz, neurogen bedingter Inkontinenz sowie bei Überlaufinkontinenz nicht sinnvoll ist.
Was ist eine Belastungsinkontinenz?
Dabei handelt es sich um einen unwillkürlichen Harnabgang bei körperlicher Belastung, wie zum Beispiel beim Husten, Niesen sowie Tragen schwerer Lasten ohne gleichzeitige Detrusorkontraktion. Auch bei ansteigender Harnblasenfüllung braucht es in Ruhe nur einen kleinen positiven Druckgradienten in der Urethra, um kontinent zu sein. Bei körperlichen Aktivitäten kommt es jedoch zu einem zügigen Anstieg des intraabdominalen Drucks, dieser erreicht die Harnblase, aber nicht mehr die Urethra. Es resultiert ein negativer Urethra-Druckgradient, die Folge ist ein unwillkürlicher Harnabgang. Im Normalfall verhindern das zwei Mechanismen: der «Guarding-Reflex» (schnelle aktive Muskeltonuserhöhung) und die passive Transmission des intrabdominalen Druckanstiegs auch auf die Urethra, die vom Beckenbodentonus und der Bindegewebselastizität abhängt (5). Risikofaktoren der weiblichen Belastungsinkontinenz sind Schwangerschaften und auch Vaginalgeburten sowie deren Anzahl. Auch bei Patientinnen mit Status nach Sectio caesarea kann es zu schwangerschaftsbedingten Belastungsinkontinenzen kommen. Weitere wichtige Faktoren sind die individuelle Kontinenzreserve und die altersbedingten Gewebeveränderungen. Wir teilen die Belastungsinkontinenz in drei Grade ein: O Grad I: Urinabgang beim Husten, Niesen, Lachen. O Grad II: Urinabgang beim Heben schwerer Lasten, Trep-
pensteigen und schnellem Laufen. O Grad III: Urinabgang beim Stehen, nicht aber im Liegen.
lung der Belastungsinkontinenz. Klinische Husten-Belastungs-Tests im Liegen und im Stehen können leicht in jeder Praxis durchgeführt werden. Auch der Ausschluss einer larvierten Harninkontinenz (Quetschharnphänomen bei Zystozele bzw. insgesamt bei Descensus genitalis) kann mittels vaginalem Tupfer ambulant gelingen. Durch Hochschieben der Zystozele kann es beim Husten zu einem unwillkürlichen Harnbabgang kommen. Die Zystozele führt also zu einer Pseudokontinenz. Sollte der Descensus genitalis operativ beseitigt werden, wie zum Beispiel durch eine Kolporrhaphia anterior, teilweise in Kombination mit einer vaginalen Hysterektomie oder durch eine abdominale Sakrokolpopexie, wird die Quetschung der Urethra aufgehoben und es kann postoperativ zu einer Inkontinenz kommen. Die Patientin sollte darüber vor dem Eingriff aufgeklärt werden, da sie ansonsten trotz einer erfolgreichen Operation enttäuscht werden kann. Zudem sollte die Patientin informiert werden, dass eine derartige, zwischenzeitlich aufgetretene Inkontinenz operativ behandelt werden kann. Weitergehende wichtige Diagnostika sind die Urinuntersuchung zum Ausschluss eines Harnwegsinfektes, der Ultraschall des Beckenbodens zur Restharnbestimmung und Erfassung einer gestörten Anatomie in Ruhe und Belastung (radiologische Verfahren, wie zum Beispiel die Urethrozystografie sind weitestgehend verlassen worden) (6). Sehr wichtig sind aber auch die Urethrozystoskopie zum Ausschluss von Blasentumoren beziehungsweise chronischen Harnwegsinfekten sowie die urodynamische Funktionsdiagnostik – insbesondere vor jedem operativen Inkontinenzeingriff! Die Füllzystometrie ist eine urodynamische Abklärung. Hierbei erfolgt eine Messung des Blaseninnendrucks bei zunehmender Füllung. Alle 100 ml erfolgt ein Provokationstest mit Husten. Das Ziel ist die Bestimmung der maximalen Blasenkapazität und das Erkennen ungehemmter Blasenmuskelkontraktionen. Ein weiterer Punkt ist die Messung des Ruheprofils. Hierbei wird der maximale Urethraverschlussdruck gemessen sowie die Länge der funktionellen Urethra bestimmt. Diese Untersuchung wird auch in Belastung durchgeführt. Im Normalfall weist der Urethraverschlussdruck einen schnelleren Anstieg auf als der Druck in der Blase. Das bezeichnet man als positiven Druckgradienten. Dementsprechend führt der Nachweis eines negativen Druckgradienten zur Diagnose einer Belastungsinkontinenz. Zudem ist die Urethradruckprofilmessung in Ruhe und in Belastung wichtig für den Nachweis einer hypotonen Urethra. Diese weist ein hohes postoperatives Rezidivrisiko auf, und zwar desto höher, je geringer der Druck ist. Der Normwert errechnet sich 100 minus Lebensalter, und er sollte in keinem Fall unter 20 cm Wassersäule sein. Das Vorliegen einer hypotonen und hypomobilen beziehungsweise immobilen Urethra wird auch als intrinsische Sphinkterinsuffizienz bezeichnet (7, 8).
Zur Diagnosestellung ist eine eingehende gynäkologische Untersuchung notwendig. Die Patientin wird angehalten, einen Miktionskalender zu führen (über eine Woche stündliche Angaben über Urinmenge, Dranggefühl und Einnässen). Dieser bildet die Basis für ein Blasentraining sowie eine Verlaufskontrolle bei zunächst konservativ begonnener Behand-
Wie wird die Belastungsinkontinenz
konservativ behandelt?
Zunächst gilt der Grundsatz, dass vor jeder Inkontinenzoperation der konservative Therapieansatz stehen muss! Die Therapien der Belastungsinkontinenz sind eine Verbesserung des Trink- und Miktionsverhaltens, wie zum Beispiel
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vor dem Schlafengehen nicht zu viel zu trinken, eine Gewichtsreduktion bei vorhandener Adipositas sowie eine deutliche Einschränkung des Nikotin- und Alkoholkonsums. Ein weiterer wichtiger Therapiepfeiler ist die Physiotherapie. Dabei kommt es durch eine Konditionierung der Beckenbodenmuskulatur mit ansteigendem Gewicht der Vaginalkonen zu einer besseren Funktion des Beckenbodens. Zudem sollte die Patientin angeleitet werden, Alltagsfunktionen richtig zu trainieren, wie zum Beispiel korrektes Heben von Lasten, Vermeidung von Bauchpressen beim Wasserlösen und der Defäkation. Auch die Atemtherapie mit bewusstem Entspannen des Beckenbodens beim Einatmen und Anspannen beim Ausatmen sowie eine Veratmung des Harndrangs können zu einer Verbesserung des unwillkürlichen Harnabgangs führen. Weiterhin kann ein kombiniertes Haltungs- und Gangtraining sowie eine Elektrostimulation des Beckenbodens (Biofeedback) mit neuem Bewusstwerden des Beckenbodens und einer Entkopplung der oft nachweisbaren gemeinsamen Kontraktion von Beckenboden- und Bauchmuskulatur zu einer Verbesserung führen (9). Die Elektrostimulation führt zu einer Aktivitätszunahme der Slow-twitch-Fasern (Typ 1, langsam zuckend, tonisch) und der Fast-twitch-Fasern (Typ 2, schnell zuckend, phasisch); beide Fasertypen findet man zum Beispiel im Musculus levator ani. Die Verteilung beider Faseranteile ist wahrscheinlich genetischen sowie Trainingseinflüssen unterworfen. Weiterhin kann es durch Elektrostimulation zu einer Aktivierung hemmender Reflexe auf den Detrusor kommen. Aber auch das Vibrationstraining mit beweglicher Plattform, die mit seitenalternierender Schwingung ein physiologisches Gangbild imitiert sowie eine Pessartherapie sind mögliche konservative Therapieformen. Voraussetzung ist jedoch die Motivation und eine gute Compliance der Patientin. Die Ringpessare mit einer Verdickung zur Anhebung des Urethra-Harnblasen-Übergangs, aber auch Schalenpessare nach Arabin und Würfelpessare sind mögliche Therapieoptionen. Bei allen Pessaren kann es Komplikationen wie zum Beispiel Ulzerationen und unklare vaginale Blutungen sowie gegebenenfalls Harnwegsinfekte geben. Daher müssen alle Pessarträgerinnen regelmässig gynäkologisch untersucht werden. Sofern keine Kontraindikationen bestehen, sollte eine östrogenhaltige Vaginalcreme zur Pflege beim Wiedereinsetzen der Pessare benutzt werden. Es muss zu einer leichten Handhabung durch die Patientin selbst kommen, wichtig ist hierbei auch eine regelmässige Reinigung und Pflege der Pessare und eine tägliche Entfernung zur Nacht. Es kommt durch die lokalen Östrogene zu einer Verbesserung des Beckenbodens mit Vermehrung der Kollagenfasern und dadurch zum Anstieg des maximalen Urethraverschlussdrucks. Eine medikamentöse Therapie mit Duloxetin, einem Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, der unter dem Markennamen Yentreve® 2004 für die Indikation Belastungsinkontinenz in der EU zugelassen wurde (40 mg 2× täglich), ist wegen seiner Nebenwirkungen wie Nausea, Schlaflosigkeit, Obstipation und Mundtrockenheit nicht sehr verbreitet. Vorteil: Die Substanz wirkt auch gleichzeitig antidepressiv (in der Schweiz ist Duloxetin in den Dosierungen 30/60 mg unter dem Markennamen Cymbalta® zur Be-
handlung der Depression zugelassen). Nachteil: geringe Wirksamkeit bei Frauen über 65 Jahre. Nach zwei bis vier Wochen sollten Nutzen und Verträglichkeit evaluiert werden. Eine weitere Möglichkeit ist das Midodrin (Gutron®, off label), ein Alpharezeptorenstimulator, der die glatte Muskulatur in Urethra und Blasenhals stimuliert. Das Ziel ist eine Erhöhung des maximalen Urethraverschlussdrucks. Negativ zu betrachten sind hierbei die kardialen Nebenwirkungen, daher wird diese Therapieoption auch nur sehr selten angewendet.
Welche operativen Verfahren gibt es zur Behandlung
der Belastungsinkontinenz?
Alter und OP-Risiko spielen natürlich eine grosse Rolle. Das Alter allein, ohne begleitende Erkrankung, ist nur ein geringer Risikofaktor für die perioperative Morbidität, verlängerten Spitalaufenthalt oder kardiovaskuläre Komplikationen. Man sollte auf jeden Fall beachten, dass bei allen Inkontinenzoperationen die Kurzzeitresultate günstiger als die Langzeitresultate sind. Das muss präoperativ unbedingt mit der Patientin besprochen werden. Zudem gibt es mehrere Faktoren, die den Erfolg mindern können, wie zum Beispiel Adipositas, Diabetes mellitus oder eine Varikosis mit allgemeiner Bindegewebsschwäche. Voraussetzungen für den Erfolg einer Operation sind eine ausreichende präoperative Diagnostik, die korrekte Indikationsstellung, die Auswahl des richtigen Operationsverfahrens, eine korrekte Durchführung der Operation, gutes prä- und postoperatives Management, optimales Material und Instrumentarium, ein Komplikationsmanagement, die Erfahrung des Operateurs und das Complianceverhalten der Patientin.
Abdominale Kolposuspension
Der Goldstandard der Sechziger- bis Mitte der Neunzigerjahre war die abdominale Kolposuspension nach Burch. Es handelt sich hierbei um die Fixierung der Vagina vom Abdomen her. Die pathophysiologische Begründung besteht in der zuvor erwähnten Drucktransmissionstheorie. Die Anhebung des lockeren paraurethralen Gewebes mit der darunterliegenden Vaginalfaszie führt dazu, dass die proximale Urethra mit ihrem Blasenhals wieder in den intraabdominalen Druckbereich kommt. Voraussetzung für den Erfolg ist eine normotone Urethra. Diese Operation weisst eine hohe Erfolgsrate von 90 Prozent auf, auch über 20 Jahre nach dem Eingriff beträgt die Erfolgsrate 85 Prozent (10, 11). Ungünstig ist natürlich der operative Aufwand mittels Laparotomie. Hier ist gegebenenfalls ein Ausweg über die Laparoskopie möglich, und es darf keine Zystozele vorliegen, da sonst der Restharnanteil noch grösser werden würde und vermehrt rezidivierende Harnwegsinfekte auftreten könnten. Der Vollständigkeit halber ist die vaginale Kolposuspension nach Amreich-Richter zu erwähnen. Diese ist jedoch definitionsgemäss keine Inkontinenz-, sondern eine Senkungsoperation bei Status nach Hysterektomie. Es handelt sich um eine einseitige Anheftung der deszendierten Vagina an das Ligamentum sacrospinale. Problematisch ist die Versorgung eventuell auftretender Blutungen im tiefen sakrospinalen Bereich.
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Vaginale Tapes
Eine Revolution in der Inkontinenzchirurgie war das seit 1995 weltweit zirka sechs Millionen Mal eingelegte retropubische TVT (tension-free vaginal tape). Die Originalpublikation ist von dem Schweden Ulmsten 1995 veröffentlicht worden (12). Viele Studien mit 4 bis 17 Jahren Followup zeigen gute Resultate mit Erfolgsraten von 74 bis 89 Prozent (13). Der Eingriff kann in Lokal- beziehungsweise Spinalanästhesie durchgeführt werden. Die OP-Dauer variiert zwischen 20 und 30 Minuten. In der Datenbank Medline sind zurzeit über 600 Publikationen zu dem Thema veröffentlicht. Das retropubische TVT kann sowohl bei einer Primär- als auch einer Sekundäroperation eingesetzt werden. Die transobturatorische Schlinge wurde von Delom 2001 erstmals beschrieben. Auch sie hat bei einem Follow-up zwischen 1 und 6,5 Jahren eine Erfolgsrate von 73 bis 93 Prozent. Komplikationen bei konventionellen Bandeinlagen sind Harnblasenverletzungen, vaginale Erosionen, De-novo-Dranginkontinenz, Blasenentleerungsprobleme sowie Muskelbeziehungsweise Tiefenschmerz. Vor wenigen Jahren kamen Single-incision-Schlingen auf den Markt. Diese sollen zu einer deutlichen Reduzierung der möglichen Komplikationen führen. Es handelt sich hierbei um eine praktisch schmerzfreie Bandeinlage, die auch in Lokalanästhesie möglich ist (vergleichbar mit einem Zahnarzteingriff mit kurzem «Autschphänomen»). Es wird weniger Fremdmaterial verwendet, und die Effektivität scheint auf gleichem Niveau wie bei den oben genannten Verfahren zu liegen, jedoch ist die Studienlage dort nicht so breit abgestützt wie für die retropubische TVT beziehungsweise die TVT-O (Obturatoria).
Abdominale Sakro-Kolpo-Pexie
Eine wichtige operative Therapieform im Bereich der dann doch auftretenden möglichen Rezidive sowie einer primären Grad-III-Belastungsinkontinenz ist die abdominale SakroKolpo-Pexie. Ihre Erfolgsraten liegen objektiv bei 65 Prozent und subjektiv bei 78 Prozent. Diese Inkontinenzoperation ist zurzeit im Rahmen einer Laparotomie bei Genitalpathologie (Adnextumor, Uterus myomatosus) im Rahmen einer abdominalen Descensusoperation, bei Belastungsinkontinenz mit paravaginalem Defekt, bei fehlgeschlagener Schlingenoperation und unzureichender Mobilität der Urethra indiziert. Sie kann aber auch laparoskopisch durchgeführt werden.
Periurethrale Injektionen
Weitere operative Therapieoptionen sind periurethrale Injektionen (bulking agents). Hierzu können verschiedene Mittel eingesetzt werden wie Kollagen, Hyaluronsäure, Silikon oder Polyacrylamid. Ein Vorteil ist der kurze, schonende Eingriff. Ungünstig sind jedoch der oft nur kurzfristige Erfolg und das teilweise körperfremde Material. Die durchschnittliche Erfolgsrate beträgt zirka 60 Prozent. Indikationen für dieses Verfahren sind die Rezidivinkontinenz, die kombinierte Belastungs- und Dranginkontinenz mit oder ohne hypotoner Urethra, der fixierte Blasenhals (frozen urethra), die multimorbide Patientin mit fehlender Narkosefähigkeit sowie gegebenenfalls auch der Primäreingriff. Ein Beispiel für ein «bulking agent» ist das Bulkamid, ein steriles Hydrogel, das zu 97,5 Prozent aus Wasser und zu 2,5 Prozent aus kreuzver-
netzten Polyacrylamiden besteht. Es hat multiple gute Eigenschaften: Es ist homogen, farb- und geruchlos, transparent, biokompatiblel, nicht resorbierbar, nicht migrationsfähig, nicht biologisch abbaubar, nicht toxisch, nicht allergen, permeabel für Wasser- und Sauerstoffionen, und es enthält keine Mikropartikel. Es ist pH-neutral (pH 7), elastisch und kohäsiv. Die Injektion von Bulkamid erfolgt meist mit ein bis zwei Spritzen pro Eingriff, wobei die erste Injektion bei 6 Uhr, die folgenden bei 9 und 3 Uhr platziert werden. Die Injektion erfolgt so lange, bis die Urethra geschlossen ist. Zu viele Punktionsstellen sind zu vermeiden, da es sonst zum Austritt des Gels kommen kann. Es handelt sich um eine individuelle Dosierung, da die Injektion unter Sichtkontrolle geschieht.
Weitere Verfahren
Alternative, zum Teil noch nicht ausreichend eingeführte
Techniken, sind der künstliche Schliessmuskel sowie eine
dauerhafte Harnableitung mit suprapubischem Harnblasen-
katheter.
O
Dr. med. Rüdiger Brinkhaus Oberarzt Frauenklinik Kantonsspital Nidwalden 6370 Stans E-Mail: ruediger.brinkhaus@ksnw.ch
Interessenkonflikte: keine deklariert
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