Transkript
FORTBILDUNG
Dekubitusmanagement
Nehmen Sie den Druck raus!
Ein Dekubitus entsteht in erster Linie durch lokale Druck-
belastungen. In den meisten Fällen entwickeln sich die
typischen Gewebeschäden, weil der Betroffene die eigene
Position nicht mehr aktiv ändern kann, manchmal auch
aufgrund einer gestörten sensorischen Druckempfindung.
Dabei kommt sowohl der Dauer als auch der Stärke der
Druckbelastung eine Bedeutung zu.
Knut Kröger, Natascha Möller-Woltemade, Mira Schilbach und Madeleine Gerber
Die Entstehung eines Dekubitus ist ein komplexes Geschehen. Die einfache Vorstellung, dass jeder Dekubitus mit einer Hautrötung im Sinne eines Grades I beginnt und sich dann bei fortgesetzter Druckbelastung in die Tiefe entwickelt, ist nicht richtig. Je nach Höhe des Drucks, der Druckverteilung und dem aktuellen Versorgungszustand des Gewebes kann auch primär ein Druckschaden in der tiefen Muskulatur auftreten, in dessen Folge das darüberliegende Fett- und Hautgewebe zugrunde geht (Abbildung 1). Ein solcher Dekubitus entwickelt sich also in genau umgekehrter Richtung aus der Tiefe an die Oberfläche. Das Tückische dabei: Eine solche tiefe Veränderung kann optisch nicht wahrgenommen werden. Sie erfordert die frühzeitige Palpation des Gewebes, um Änderungen der Elastizität festzustellen. Für die Vermeidung und Behandlung eines Dekubitus ist es wichtig, dessen Entstehung als Prozess zu begreifen. Die Druckbelastung muss erkannt und vermieden beziehungsweise beseitigt werden. Aber die Druckbelastung, die bei dem einen Patienten noch als tolerabel gilt und gut vertragen wird, kann beim anderen Patienten schon zu viel sein.
MERKSÄTZE
O Ein Dekubitus kann sich auch von der Tiefe an die Oberfläche ausbreiten.
O Durchgeführte Massnahmen, Hautbeobachtung und Lagerung bei Dekubitus müssen gut dokumentiert werden.
Um dies zu erkennen und in der Behandlung und Pflege mit zu berücksichtigen, ist die individuelle Betrachtung jedes einzelnen Patienten notwendig.
Dekubitus versus feuchtigkeitsbedingte Läsion
Sowohl ein Dekubitus Grad I als auch eine feuchtigkeitsbedingte Hautläsion können sich als Rötung der Haut zeigen. Anhaltspunkte dafür, worum es sich bei einer entsprechenden Hautveränderung handelt, liefern die Lokalisation der betroffenen Körperstelle und die klinischen Befunde des Betroffenen. Eine hundertprozentige Abgrenzung zwischen Dekubitus Grad I als nicht wegdrückbare Hautrötung und feuchtigkeitsbedingter beziehungsweise inkontinenzassoziierter Hautläsion ist nicht in allen Fällen möglich. Ob Druck oder Feuchtigkeit zur Hautschädigung geführt hat, bestimmt aber wiederum die therapeutischen Massnahmen. Wichtig ist, dass man den Verlauf, also die Entwicklung der betroffenen Körperstelle, eng beobachtet, um die Behandlungs- und Versorgungsstrategie gegebenenfalls anpassen zu können.
Mazeration oder Dermatitis
Eine Mazeration oder auch eine beginnende Dermatitis sollte durch ein optimiertes Feuchtigkeitsmanagement innerhalb weniger Tage eine klinische Besserung zeigen. Je ausgeprägter die Dermatitis, desto wichtiger ist die Hinzuziehung eines Dermatologen. So kann eine Verschlechterung des Hautbildes, das entweder einen Dekubitus vortäuscht oder zumindest seine Entwicklung begünstigt, verhindert werden. Weder eine Mazeration noch eine Dermatitis profitieren von einer feuchten Wundbehandlung. Neben der Behandlung der Dermatitis ist aber für eine adäquate Druckverteilung und -entlastung (Einsatz Weichlagerungsmatratze und Positionsunterstützung) zu sorgen, da das erkrankte Gewebe zusätzlich dekubitusgefährdet ist.
Ausdehnung des Dekubitus
In der Wundbehandlung hat sich die Fotodokumentation zunehmend durchgesetzt. Sie erlaubt es, den Befund nachvollziehbar zu dokumentieren. Dies ist wichtig für die Abrechnung sowohl im stationären als auch im häuslichen Bereich und hält gleichzeitig den Heilungsverlauf fest. Beim Dekubitus liegen im Gegensatz zu vielen anderen Wunden häufig grosse seitliche Wundhöhlen vor, die durch eine einfache Fotodokumentation nicht erfasst werden können. Auch das einfache Vermessen von Länge, Breite und Tiefe der Wunde spiegelt die Realität nicht ausreichend wider. Es gibt keine
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A
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Abbildung 1: Typischer Druckschaden an der Ferse. Der Dekubitusgrad ist nicht genau festzulegen. Zwar ist die Haut im Moment noch intakt (würde einem Grad I entsprechen), aber es liegt bereits ein Schaden in der Tiefe vor, der nicht genau abzugrenzen ist. Eine Freilagerung ist auf jeden Fall zwingend erforderlich.
C
A: Foot Elevator (Skil Care)
B: CareWare Fersenfreilagerung (Carpenter Schaumschofftechnik GmbH)
Abbildung 2: Dokumentation der Ausdehnung eines Dekubitus
C: Repose Foot Protector (Beese Medical)
Abbildung 3A–C: Hilfsmittel zur Druckentlastung im Fersenbereich. Die Auswahl hängt von der Mobilität des Patienten, seiner Kooperationsfähigkeit und seinen Komorbiditäten ab.
allgemein anerkannte Form der Fotodokumentation eines tiefen oder unterminierenden Dekubitus. Wir empfehlen ein vorsichtiges Austasten der Wundhöhlen, die Einzeichnung auf einer auf der Haut aufgebrachten Folie (Abbildung 2) und das Fotografieren der Folie auf der Haut. So kann zumindest die Flächenausdehnung recht zuverlässig erfasst werden. Anhand der Uhrenmethode kann das Ausmass der Wundhöhle schriftlich dokumentiert werden.
Fehlende Heilung eines Dekubitus
Bei fehlender Heilung eines Dekubitus, deren Ursache nicht sicher erklärbar ist, ist eine schrittweise Intensivierung der Positionsunterstützungsintervalle und der Druckverteilung/entlastung durchzuführen. Darüber hinaus muss nach anderen möglichen Ursachen für die fehlende Wundheilung gesucht werden. Die Wahl der Wundauflage kann dabei eine wichtige Rolle spielen.
Wichtig ist auch hier: Dokumentieren Sie die durchgeführten Massnahmen einschliesslich Hautbeobachtung, den Lagerungsplan einschliesslich Änderungen, die sich aus der Hautbeobachtung ergeben, und den Hilfsmitteleinsatz. Sprechen Sie mit den Betroffenen beziehungsweise ihren Angehörigen/Bezugspersonen über die von Ihnen durchgeführten Massnahmen und eingesetzten Hilfsmittel. Wenn von aussen betrachtet der Eindruck entsteht, Sie würden nichts tun, und es entwickelt sich dann ein Dekubitus, kann es schnell zu Schuldzuweisungen seitens der Angehörigen/Bezugspersonen und seitens der Krankenkasse kommen. Wurden alle Möglichkeiten, Massnahmen und Mittel des Dekubitusmanagements in Prophylaxe und Therapie nach aktuellem Stand medizinisch-pflegerischer Wissenschaft und Technik genutzt beziehungsweise um- und eingesetzt, muss man leider davon ausgehen, dass sich der Dekubitus schicksalhaft entwickelte beziehungsweise seine Heilung schicksalhaft verzögert ist.
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Dekubitusstadien
Stadium I: Bei Fingerdruck nicht abblassende, umschriebene Hautrötung bei intakter Haut, eventuell verbunden mit Ödembildung, Verhärtung und lokaler Überwärmung.
Stadium II: Schädigung der Haut bis hin zu Anteilen der Dermis, klinisch als Blase, Hautabschürfung oder flaches Geschwür imponierend.
Stadium III: Schädigung der Haut bis in das subkutane Gewebe, die bis auf den darunterliegenden Muskel reichen kann.
Stadium IV: Verlust aller Hautschichten mit ausgedehnter Zerstörung, Gewebsnekrose oder Schädigung von Muskeln, Knochen oder unterstützenden Sehnen und Gelenkkapsel.
Nestelnde demente oder delirante Patienten lassen ihre Füsse nicht auf einem Kissen oder gerollten Handtuch liegen. Mit ihnen sollte zunächst körperbildorientierend gearbeitet werden, um dem Patienten die notwendige sensorische Stimulation zu bieten. Wird der Patient ruhiger, kann nachfolgend eine Fersenfreilagerung erfolgen. Nestelt der Patient trotz der stimulierenden Pflege weiterhin, kann der Einsatz von hochwertigen Fersenschonern sinnvoll sein.
Fussdekubitus Ein noch so kleiner Fussdekubitus endet bei älteren bettlägerigen Patienten manchmal in der Oberschenkelamputation. Die Entwicklung von Fussdekubitus zu verhindern, stellt nicht immer eine einfache Aufgabe dar. Bei immobilen Patienten reicht es aus, mit Hilfe eines Kissens oder einer Positionierungshilfe die Fersen frei zu lagern (Abbildung 3 A–C). Es ist dabei darauf zu achten, dass sich das Gewicht auf den gesamten Unterschenkel verteilt, ohne dass dort die Gefahr eines Dekubitus entsteht. Dies lässt sich sehr einfach durch gerollte Handtücher oder Positionierungshilfen aus druckverteilendem/-entlastendem Schaumstoff bewerkstelligen. Es ist aber auch darauf zu achten, dass die Fusssohlen, vor allem der Bereich des Vorfusses, nicht über einen längeren Zeitraum an das Fussbrett stossen. Dazu muss verhindert werden, dass der Patient im Bett nach unten rutscht. Möglich ist zum Beispiel, dem Patienten ein gerolltes Handtuch oder eine entsprechend flache Positionierungshilfe aus Schaumstoff als sogenannte Rutschbremse vor die Sitzbeinhöcker zu platzieren. Eine solche Rutschbremse kann jedoch nicht über Stunden dort belassen werden, da sich auch hier bei zu langer Nutzung Druckgeschwüre entwickeln könnten.
auch die Bestimmung der Hautfaltendicke hilfreich sein.
Die nationalen und europäischen Dekubitusleitlinien emp-
fehlen bei chronischen Wunden eine Energiezufuhr von
30–35 kcal/kg Körpergewicht täglich. Untergewichtige Per-
sonen brauchen zusätzliche Kalorien, um weiteren Gewichts-
verlust zu verhindern beziehungsweise um verlorenes Ge-
wicht wiederzuerlangen. Hier wird ein Energiebedarf von
35–40 kcal/kg Körpergewicht angegeben. Bei bestehendem
Dekubitus erhöht sich der absolute Energiebedarf des betrof-
fenen Menschen.
Analysen der Ernährungsgewohnheiten sind wichtig, um
festzustellen, im Bereich welcher Makro- beziehungsweise
Mikronährstoffe Defizite bestehen. Nur so kann die Ernäh-
rung passend auf die Wundheilung abgestimmt werden. Es
gelten die Regeln für gesunde Ernährung. Eine stark exsudie-
rende Wunde hat einen zusätzlichen Proteinbedarf zur Sub-
stitution des Verlusts. Der Bedarf lässt sich berechnen. Er-
nährungsbedürfnisse müssen nicht immer zu diesen Berech-
nungen passen. Verzehrmengen zu berechnen und zu planen
ist relativ einfach. Die angebotenen Mengen zu wirklichen
Verzehrmengen zu machen ist oft weitaus schwieriger. Hier
ist viel Empathie notwendig.
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Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Knut Kröger Initiative Chronische Wunden e.V. Klinik für Gefässmedizin Helios Klinikum Krefeld D-47805 Krefeld
Interessenkonflikte: keine
Möller-Woltemade N et al.: Dekubitusmanagement – Umfassende und praxisorientierte Arbeitshilfe. 2015: Verlag Mensch und Medien GmbH, Landsberg am Lech, ISBN 978-386283-021-3.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 16/2015. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autoren.
Lagerung und was noch?
Sowohl die Dekubitusprophylaxe als auch die Therapie eines manifesten Dekubitus erfordert eine ganzheitliche Herangehensweise. So banal es klingt, aber dekubitusgefährdete Patienten sollten regelmässig gewogen werden, um eine schleichende Gewichtsabnahme als Hinweis auf eine Mangelernährung zu erkennen. Eine solche Mangelernährung leistet durch Abbau von Polsterfett einer Dekubitusentwicklung Vorschub und stört die Heilung eines bereits vorhandenen Dekubitus. Da es zu Hause keine Bettwaagen gibt, kann
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