Transkript
STUDIE REFERIERT
Moderne Antidiabetika sind kardiovaskulär sicher
Aktuelle Studiendaten zu Sitagliptin und Lixisenatid
Aktuelle Studien untersuchten die kardiovaskuläre Sicherheit der modernen Antidiabetika Sitagliptin und Lixisenatid. Beim 75. Jahreskongress der amerikanischen Diabetesgesellschaft (ADA) in Boston wurden die Ergebnisse präsentiert.
New England Journal of Medicine
Die Empfehlungen zur medikamentösen Therapie des Typ-2-Diabetes lassen verschiedene Vorgehensweisen zu. Die Therapie entwickelt sich gegenwärtig hin zu einer personalisierten Behandlung. Die Ansatzpunkte der antihyperglykämischen Medikamente sind vielfältig. Zu den wichtigsten Neuentwicklungen in der Therapie des Typ-2-Diabetes zählen die inkretinbasierten Medikamente. Bei oraler Aufnahme von Glukose wird aus Zellen im Dünndarm das Peptid GLP-1 (glucagon-like peptide 1) freigesetzt. Es verstärkt die Biosynthese und Freisetzung von Insulin (Inkretineffekt). GLP-1 selbst kann nicht als Medikament eingesetzt werden, da es sehr schnell durch das körpereigene Enzym
MERKSÄTZE
O Die medikamentöse Therapie des Typ2-Diabetes entwickelt sich gegenwärtig hin zu einer personalisierten Behandlung.
O Zu den wichtigsten Neuentwicklungen in der Therapie des Typ-2-Diabetes zählen die inkretinbasierten Medikamente, das heisst oral verfügbare DPP-4-Hemmer wie Sitagliptin und parenteral zu applizierende GLP-1Agonisten wie Lixisenatid.
O Die TECOS-Studie belegte die kardiovaskuläre Sicherheit von Sitagliptin, die ELIXA-Studie die von Lixisenatid auch bei Hochrisikopatienten.
Dipeptidylpeptidase-4 (DPP-4) abgebaut wird. Strukturell leicht veränderte GLP-1Agonisten wie Lixisenatid sind hingegen therapeutisch wirksam. Wegen ihrer Proteinstruktur müssen GLP-1Agonisten parenteral appliziert werden. Hemmstoffe des abbauenden Enzyms DPP-4 wie Sitagliptin sind oral bioverfügbar. Zwei Studien untersuchten die kardiovaskuläre Sicherheit von Sitagliptin und Lixisenatid.
TECOS-Studie
Bei der Studie TECOS (Trial Evaluating Cardiovascular Outcomes with Sitagliptin) handelt es sich um eine multizentrische randomisierte Doppelblindstudie. Teilgenommen hatten über 14 500 Patienten aus 38 Ländern. Die Patienten litten unter einem Typ-2-Diabetes und einer kardiovaskulären Vorerkrankung. Zusätzlich zu ihrer kardiovaskulären und antidiabetischen Standardtherapie erhielten die Teilnehmer entweder Sitaglipin (100 mg täglich oder 50 mg täglich bei glomerulärer Filtrationsrate < 50 ml/min/1,73 m2) oder Plazebo (1). Hinsichtlich des primären kardiovaskulären Endpunkts (kardiovaskulär bedingter Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall oder Hospitalisierung wegen instabiler Angina pectoris) war das Risiko für Sitagliptin im Vergleich zu Plazebo nicht erhöht (Hazard Ratio [HR]: 0,99, 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,89–1,09, p < 0,001). Damit wurde das primäre Studienziel der Nichtunterlegenheit gegenüber Plazebo erreicht.
Sitagliptin erhöhte die Hospitalisierungsrate wegen Herzinsuffizienz nicht (HR: 1,00, 95%-KI: 0,83–1,20, p = 0,98). Im Gegensatz hierzu hatte die SAVORTIMI53-Studie ergeben, dass die Rate beim DPP-4-Hemmer Saxagliptin erhöht war (2), während sich beim DPP-4Inhibitor Alogliptin in einer Analyse der EXAMINE-Studie ein Trend abgezeichnet hatte (3). In der Sitagliptingruppe lag der Anteil kardiovaskulärer Todesfälle bei 5,2% (n = 380) gegenüber 5,0% (n = 366) in der Plazebogruppe (p = 0,71). Die Gesamtsterblichkeit war in beiden Behandlungsarmen ebenfalls vergleichbar und lag bei 7,5% (n = 547) in der Sitagliptingruppe und 7,3% (n = 537) in der Plazebogruppe (p = 0,88). Die mittlere Beobachtungsdauer lag bei drei Jahren, die maximale Beobachtungsdauer bei 5,7 Jahren. Auch das Risiko für schwere Hypoglykämien unterschied sich in TECOS nicht. Ebensowenig gab es statistisch signifikante Unterschiede bei der Rate der Infektionen und den durch Infektionen bedingten Todesfällen. Eine akute Pankreatitis betraf 0,3 Prozent (n = 23) der Patienten unter Sitagliptin und 0,2 Prozent (n = 12) unter Plazebo. Der Unterschied war nicht statistisch signifikant (p = 0,065). Pankreaskarzinome traten ebenfalls gelegentlich (0,1% unter Sitagliptin [n = 9] sowie 0,2% in der Plazebogruppe [n = 14]) auf. Auch dieser Unterschied war statistisch nicht signifikant (p = 0,322). Um den Einfluss auf das kardiovaskuläre Risiko unabhängig von der Blutzuckerkontrolle und damit substanzspezifisch untersuchen zu können, war in beiden Behandlungsgruppen ein vergleichbarer HbA1c-Wert («glycemic equipoise») angestrebt worden. Der HbA1c-Wert lag in der Sitagliptingruppe insgesamt um 0,29 Prozent niedriger als in der Plazebogruppe. In der Sitagliptingruppe benötigten weniger Patienten zusätzliche antidiabetische Medikamente (1591 vs. 2046 Patienten; p < 0,001) und mussten weniger häufig mit einer Insulintherapie beginnen (542 vs. 744 Patienten; p < 0,001) (1).
ELIXA-Studie
Am Kongress der ADA wurden auch die Ergebnisse der Studie ELIXA (Evaluation of Lixisenatide in Acute Coronary
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Syndrome) vorgestellt. Es handelte sich um eine multizentrische, doppelblinde, randomisierte und plazebokontrollierte Studie, an welcher 6068 Patienten mit Typ-2-Diabetes teilgenommen hatten. Die Patienten hatten innerhalb der vergangenen 180 Tage ein akutes Koronarereignis (ACS) erlebt und stellten somit eine Hochrisikopopulation für ein weiteres solches Ereignis dar. Die Studienteilnehmer hatten eine gute kardiovaskuläre Basismedikation und wurden standardmässig antidiabetisch behandelt. Die Patienten injizierten zusätzlich subkutan einmal täglich randomisiert und doppelblind entweder Lixisenatid (10 µg; Auftitration auf 20 µg möglich) oder ein entsprechendes Plazebo. Die zusätzliche Diabetestherapie lag in der Verantwortung des betreuenden Zentrums. Unter Lixisenatid hatten die Patienten im Schnitt einen um 0,27 Prozentpunkte niedrigeren HbA1c-Wert, ihr systolischer Blutdruck war um 0,8 mmHg und ihr Gewicht um 0,7 kg geringer als in der Vergleichsgruppe. Auch war der Anstieg der Albuminurie über die rund dreijährige Beobachtungszeit bei ihnen geringer als bei den Teilnehmern der Kontrollgruppe. Dafür litten sie häu-
figer unter den oft vorkommenden Nebenwirkungen des GLP-1-Agonisten wie Übelkeit und Erbrechen. Dennoch beendeten weniger als 5 Prozent deswegen die Behandlung vorzeitig. Beim Hypoglykämierisiko gab es keine Unterschiede zwischen den Gruppen. Der primäre Studienendpunkt war eine Kombination von kardiovaskulär bedingtem Tod, Schlaganfall, Herzinfarkt oder Hospitalisierung wegen instabiler Angina pectoris. Mit einer HR von 1,02 (95%-KI: 0,89–1,17) unterschied sich die Häufigkeit dieses Endpunkts in den beiden Gruppen nicht: 13,4 Prozent unter Lixisenatid und 13,2 Prozent der Teilnehmer unter Plazebo wiesen ein Ereignis des primären Endpunkts auf. Ähnlich war das Ergebnis für die sekundären Endpunkte Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz oder Gesamtmortalität – auch hier waren die Unterschiede statistisch nicht signifikant. Somit zeigte sich kein kardiovaskulärer Nutzen für Lixisenatid, umgekehrt auch kein Schaden.
Fazit
Die TECOS-Studie belegte die kardiovaskuläre Sicherheit von Sitagliptin, die
ELIXA-Studie die von Lixisenatid. Es
konnte jedoch nicht nachgewiesen wer-
den, dass eine der beiden Substanzen
Typ-2-Diabetiker besser vor einem
kardiovaskulären Ereignis schützt als
eine herkömmliche blutzuckersenkende
Therapie.
O
Claudia Borchard-Tuch
Interessenlage: Die Studie TECOS wurde von MSD unterstützt, die Studie ELIXA von Sanofi.
Quellen: Green JB et al.: Effect of sitagliptin on cardiovascular outcomes in type 2 diabetes. N Engl J Med 2015, Jun 8 [Epub ahead of print]. Böhm S: Erste kardiovaskuläre Endpunktstudie mit einem GLP-Analogon: Lixisenatid erweist sich als «in allen Aspekten neutral». http://www.medscapemedizin.de/ artikelansicht/4903720, 09.06.2015. Schatz H: Neues vom 75. Kongress der Amerikanischen Diabetes-Assoziation (ADA), Boston, Juni 2015. http:// blog.endokrinologie.net/kongress-der-amerikanischendiabetes-assoziation-ada-1950/, 10.06.2015.
Literatur: 1. journalMED: TECOS-Studie veröffentlicht: Kardiovas-
kuläre Langzeitsicherheit von Sitagliptin gezeigt. http://www.journalmed.de/newsview.php?id=45812, 16.06.2015. 2. Scirica BM et al.: Saxagliptin and cardiovascular outcomes in patients with type 2 diabetes mellitus. N Engl J Med 2013; 369(14): 1317–1326. 3. White WB et al.: Alogliptin after acute coronary syndrome in patients with type 2 diabetes. N Engl J Med 2013; 369(14): 1327–1335.
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