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FORUM
Das schweizerische Gesundheitswesen: Wachstumsbranche und Arbeitsplatzgenerator
Anmerkungen zu seiner volkswirtschaftlichen Bedeutung
WERNER SCHNEITER
Arbeitsplätze Im Gesundheitswesen – eine der drei beschäftigungsintensivsten Branchen der Schweiz – sind heute 400 000 Personen beschäftigt, was 300 000 Vollzeitstellen entspricht. Durchschnittlich 70 Prozent dieser Personen sind Frauen. Im Gegensatz zu anderen Branchen, wo die Beschäftigtenzahlen stagnieren oder sinken, beträgt das jährliche Wachstum der Beschäftigten im Gesundheitswesen gemäss Santésuisse 3 bis 5 Prozent oder 12 000 bis 20 000 Stellen. Bei einem durchschnittlichen Bruttoeinkommen von 70 000 Franken pro Jahr ergibt dies eine Gesamtlohnsumme von rund 20 Milliarden Franken (die versteuert werden).
Wertschöpfung Die Wertschöpfung der Branche betrug 2011 gemäss der CS-Studie von 2014 5 Prozent des BIP, stetig wachsend um geschätzte 0,5 Prozent jährlich. Gemessen am BIP der Schweiz von heute 700 Milliarden Franken, ergibt das einen Betrag von rund 50 Milliarden Franken. Die volkswirtschaftliche Wirkung von Investitionen in Infrastruktur und Technik für Praxen, Heime, Spitäler, in Dienstleistungsorganisationen wie zum Beispiel Spitex, die Leistungen der Industrie für Güter der Medizintechnik und so weiter sind dabei nicht berücksichtigt, weil Daten fehlen und sie nur schwer zu schätzen respektive zu berechnen ist.
Gesundheitskosten Gesamthaft kostet die «Gesundheit der Schweiz» rund 70 Milliarden Franken. Fast ausschliesslich wird darüber wie folgt gesprochen, geschrieben, berichtet: «Die Kosten des Gesundheitswesens steigen weiter, in der Folge steigen die
Krankenkassenprämien.» Das BAG und andere Organisationen mit eindeutiger politischer Ausrichtung prognostizieren dazu Prozentzahlen der zu erwartenden Prämienerhöhung – passend zu ihrer Strategie, den Leistungserbringern unablässig Spardruck zu machen.
Die Kosten des Gesundheitswesens werden weiter steigen. Treiber dieser Kosten sind: O das Bevölkerungswachstum O die Demografie (mehr Ältere brau-
chen mehr Medizin, mehr Pflege) O die steigenden Ansprüche mündiger
Patientinnen und Patienten O der Einsatz von nicht medizinischen
Fachpersonen für das Gesundheitswesen O die wachsenden technologischen Möglichkeiten neuer Geräte und Systeme O neue Medikamente O die verkürzten Arbeitszeiten und die wachsenden Forderungen nach Teilzeitarbeit in den medizinischen Berufen O die hochspezialisierte Arbeitsteilung O die anspruchsvolleren Bildungsvorschriften mit Zertifizierungen für Handlungserlaubnis O die Kultur des Misstrauens (Absicherung, Zweitmeinung, Arzt- und Klinikwechsel) O der Angebotswettbewerb unter Leistungserbringern O die Mengenausweitung im ambulanten wie im stationären Leistungsbereich O zu tiefe Schwellen bei Franchise und Selbstbehalt.
Die Leistungserbringer sind dabei, von sich aus oder gezwungenermassen, Kosten einzusparen. Spitäler und Heime bewerkstelligen dies durch Straffung der Prozesse und Abläufe sowie – umstritten – Fallpauschalen (DRG); die Ärzte durch die relative Kürzung der Taxpunktwerte (Ärzteeinkommen sind seit
9 Jahren gleich geblieben) und den Einsatz von Generika; die Apotheker (und Ärzte) durch Margenreduktion; die Kassen durch striktere Kontrollen; alle durch den Einsatz von IT zur Entlastung der Administration. Sie alle strengen sich an, die Kostensteigerung zu bremsen oder zu stoppen. Sie alle haben bis heute schon wesentliche Beiträge zur Kostendämpfung geleistet. Jedoch wird durch die kostentreibenden Entwicklungen in den oben genannten Feldern die Sparwirkung aufgehoben, sie wird überkompensiert. Das schweizerische Gesundheitswesen ist gut und teuer. Damit es gut bleiben kann, werden die Kosten weiterhin steigen. Die Forderung nach Kosteneinsparungen von Politikern und Teilen der Gesundheitsökonomie sind unrealistisch, die Tatsachen werden verdrängt und verschleiert. Das ist nachvollziehbar, denn das Volk hat genug von schlechten Nachrichten. Wer will schon seine Klientele verärgern? Jedoch ist erwiesen, dass die Schweizer ihr Gesundheitswesen als gut – die Kranken als sehr gut, die Gesunden als gut, aber teuer – beurteilen. «Man sollt was tun, aber man kann nichts machen», wie man in Österreich zu sagen pflegt.
Schlussfolgerung
Der gesunde Menschenverstand würde
die einfache Frage stellen: Was kostet
es, was bringt es? Es ist an der Zeit, zur
Kenntnis zu nehmen, dass das Gesund-
heitswesen der Volkswirtschaft min-
destens das bringt, was es kostet, und
dass wir mit diesen Kosten leben müs-
sen. Politikerinnen, Politiker und an-
dere an einer breiten Wählerschaft
Interessierte oder auf sie Angewiesene
sowie die Leistungserbringer unterei-
nander sollen endlich aufhören, einan-
der den Schwarzen Peter zuzuschieben,
Schuldige zu bezeichnen – es sind so-
wieso immer die anderen – und damit
das Volk zu täuschen.
O
Werner Schneiter Kommunikationsberater Health Care und Mitglied der Puure-Huus-Gruppe* Internet: www.puure-huus.ch
* Aktionsgruppe «Puure-Huus», eine Vereinigung freipraktizierender Ärztinnen und Ärzte.
Quellen: Studie CS 2014, Bundesamt für Statistik, Santésuisse, USZ.
Erstveröffentlichung in der «Schweiz. Ärztezeitung».
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ARS MEDICI 23 I 2015