Transkript
BERICHT
Das Bewusstsein für die chronische Herzinsuffizienz schärfen
Auch eine «leichte» Herzschwäche ist bereits eine ernsthafte Erkrankung
Die chronische Herzinsuffizienz hat sich zu einer zentralen Entität im Bereich der Kardiologie entwickelt, nachdem sie lange im Schatten «grosser» Indikationen wie der koronaren Herzkrankheit stand. Die Jahrestagung der Heart Failure Association (HFA) of the ESC hat sich zum wichtigsten Herzinsuffizienzkongress weltweit entwickelt.
Kirsten Westphal
Myokardiale Funktion
«Dieser Kongress kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, das Krankheitsbild der chronischen Herzinsuffizienz verstärkt im Bewusstsein der Ärzte zu verankern», betonte Prof. Frank Ruschitzka, Stellvertretender Direktor der Klinik für Kardiologie am Universitätsspital Zürich, President Elect der HFA und wissenschaftlicher Leiter der «Heart Failure 2015». Dies ist dringend notwendig, denn die Prognose von Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz ist noch immer schlecht: Trotz der Anwendung des aktuellen «Best Standard of Care» ist die Mortalität der Patienten weiterhin hoch – jeder zweite stirbt innerhalb von fünf
Beitrag akuter Ereignisse zur Progression der Herzinsuffizienz
Akutes Ereignis
Zeit
Bei jedem Spitalaufenthalt wegen akuter Herzinsuffizienzbeschwerden erfolgt eine kurzfristige Verbesserung, trotzdem verlässt der Patient das Spital mit einer weiteren Abnahme der kardialen Funktion.
Abbildung: Jedes akute Ereignis trägt zum Fortschreiten der Erkrankung bei.
Jahren nach der Diagnose. Dies gilt nicht nur für Patienten in fortgeschrittenen Stadien (NYHA III/IV), sondern auch für Patienten im NYHA-Stadium II, in dem sich die meisten bei der Diagnosestellung befinden. Fälschlicherweise wird dieses Stadium vielfach als «leichte» Herzschwäche bezeichnet. Ein fataler Irrtum, der dazu beitragen kann, die Diagnose hinauszuzögern, denn: «Nur die Symptomatik ist leicht – nicht aber die Erkrankung», betonte Ruschitzka. «Die chronische Herzinsuffizienz in Kombination mit einer reduzierten linksventrikulären Auswurffraktion ist eine schwerwiegende, progrediente Erkrankung, die mit häufigen Hospitalisierungen aufgrund akuter Dekompensationen und einer deutlich verkürzten Lebenserwartung einhergeht», erinnerte Prof. John McMurray, Glasgow (Grossbritannien). «Jede stationäre Behandlung ist ein Indiz dafür, dass die Erkrankung weiter fortschreitet und sich die Prognose weiter verschlechtert. Denn mit jeder Klinikaufnahme aufgrund einer akuten Dekompensation kommt es zwar zunächst zu einer Kurzzeitverbesserung der kardialen Funktion unter der stationären Behandlung. Zum Zeitpunkt der Klinikentlassung hat sich die kardiale Funktion dann auf einem niedrigeren Niveau stabilisiert (Abbildung). Weitere Dekompensationen und stationäre Behandlungen sind programmiert – die Lebensqualität des
Prof. Dr. med. Frank Ruschitzka, Universitätsspital Zürich
Patienten nimmt rapide ab. «Unser Ziel muss es sein, diese Abwärtsspirale zu stoppen», so McMurray.
Noch viel Luft nach oben
Ein Blick auf neue Registerdaten aus Europa und den Mittelmeerländern untermauert, dass es für die Verbesserung in der Versorgung von Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz noch «viel Luft nach oben» gibt: «Unsere aktuellen Daten zeigten, dass etwa ein Viertel der stationären und rund weitere 10 Prozent der ambulanten Herzinsuffizienzpatienten das nächste Jahr nicht überleben», so Dr. Marisa Crespo Leiro, La Coruña, Spanien. Die Kardiologin leitet das EURObservational Research Programme (EORP) Heart Failure Long-Term Registry, eine prospektive, multizentrische Erhebung in Europa und den Mittelmeerländern (Nahost, Nordafrika). «Das erste Jahr nach der Diagnose ist erfahrungsgemäss besonders kritisch», erinnerte Crespo Leiro. «Dies wurde durch die aktuelle Auswertung erneut bestätigt.» Crespo Leiro stellte eine Auswertung der Daten von 12 440 Patienten vor, die
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aufgrund einer chronischen Herzinsuffizienz stationär (40%) oder ambulant (50%) in einem der 29 Teilnehmerländer in einem Herzzentrum behandelt wurden. Von den hospitalisierten Patienten verstarben 24 Prozent innerhalb von 12 Monaten mit einer besonders hohen Sterberate in den ersten 3 Monaten, 19 Prozent mussten erneut stationär behandelt werden. Das Risiko, innerhalb eines Jahres zu versterben oder erneut hospitalisiert zu werden, betrug 36 Prozent. Bei den ambulanten Patienten betrug die 1-Jahres-Mortalität 7 Prozent, die 1-Jahres-HospitalisierungsRate 10 Prozent und das Risiko, dass in den nächsten 12 Monaten eines der beiden Ereignisse eintritt, lag bei 15 Prozent. Hohes Lebensalter und niedriger systolischer Blutdruck erhöhten in beiden Gruppen die Wahrscheinlichkeit, in den nächsten 12 Monaten zu versterben. «Unser Ziel ist es, die Langzeitprognose dieser schwer kranken Patienten zu verbessern, das heisst die Hospitalisierungsraten und die Mortalität zu senken», betonte Crespo Leiro. «Die Teilnahme an diesem Register gibt jedem Land die Chance, seine Schwachstellen in der Herzinsuffizienzversorgung zu erkennen und entsprechend zu intervenieren.»
OPERA-HF: Fünffach höheres
Sterberisiko bei Depression
Besteht bei Herzinsuffizienz auch eine Depression, verschlechtert dies dramatisch die Prognose: «Das Sterberisiko steigt auf das Fünffache», betonte Prof. John Cleland, London, Grossbritannien. Zu diesem Ergebnis kam eine erste Auswertung der OPERA-HF-Studie (Observational Study to Predict Readmission for Heart Failure Patients). In der noch laufenden, retrospektiven, nicht interventionellen Studie werden
zurzeit mehr als 300 Patienten beobachtet, die wegen einer Herzinsuffizienz stationär behandelt worden waren. Gesucht wird nach Faktoren, die mit der hohen Sterberate im ersten Jahr nach der Hospitalisierung assoziiert sind. Bisher beendeten 154 Patienten (mittleres Alter 71 Jahre) den Nachbeobachtungszeitraum von 12 Monaten. Ihre linksventrikuläre Auswurffraktion lag bei maximal 40 Prozent. Die Patienten wiesen einen vergrösserten linken Vorhof auf und/oder ein erhöhtes NTproBNP. Bei Studieneinschluss wurden Komorbiditäten mithilfe validierter Fragebögen erfasst und quantifiziert.
Ein Drittel der Patienten mit
depressiver Symptomatik
Als starker Prädiktor einer schlechten Prognose erwies sich eine Depression: 24 der 154 Patienten wiesen eine moderate bis schwere Depression und weitere 27 eine leichte Depression auf. Dies korrelierte eng mit der Sterblichkeit: Nur jeder zweite moderat bis schwer depressive Patient mit Herzinsuffizienz überlebte den 12-Monats-Follow-up. Von den Herzinsuffizienzpatienten mit leichter Depression verstarb während des Nachbeobachtungszeitraums etwa jeder Fünfte (22,2%), von den Patienten ohne Depression 8,7 Prozent. Damit hatten die Patienten mit Depression ein etwa fünffach erhöhtes Risiko, im Jahr nach der Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz zu versterben (Hazard Ratio [HR] 5,2; 95%-Konfidenzintervall [95%-KI] 2,4–10,9; p < 0,001). Dieser Zusammenhang blieb auch nach Adjustierung für Alter, Geschlecht, Bluthochdruck und Schwere der Herzinsuffizienz sowie nach zusätzlicher Adjustierung für Komorbiditäten erhalten.
MOOD-HF: Antidepressiva können
die Prognose nicht verbessern
Der Griff zu Antidepressiva kann die Prognose dieser Patienten nicht verbessern, so das Ergebnis der MOOD-HFStudie. Die doppelblinde, plazebokontrollierte Multicenterstudie schloss 385 Studienteilnehmer mit Herzinsuffizienz und Depression ein, die einmal täglich entweder den selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) Escitalopram (n = 185) oder Plazebo (n = 187) erhielten. Primärer Studienendpunkt waren Tod oder Krankenhauseinwei-
sung, ein wichtiger Sekundärendpunkt war die antidepressive Wirksamkeit. Die mittlere Dosis des SSRI betrug 13,7 mg/Tag. Der Studienzeitraum betrug 24 Monate. Escitalopram hatte keinen Effekt auf Tod oder Hospitalisierung (63 vs. 64% unter Plazebo). Die depressive Symptomatik wurde durch Escitalopram versus Plazebo ebenfalls nicht beeinflusst. Interessanterweise hatten sich jedoch nach zwölf Wochen Therapie in beiden Studienarmen sowohl die kardiale Situation als auch die Depressivität der Patienten verbessert. Nach den Worten von Studienleiterin Prof. Christiane Angermann, Würzburg, sprechen diese Befunde dafür, dass einer «üblichen» Depression und einer Depression bei Herzinsuffizienz unterschiedliche Pathomechanismen zugrunde liegen. Das Fazit von Angermann: «Eine antidepressive Therapie kann nach diesen Ergebnissen nicht empfohlen werden; stattdessen sollte die kardiale Therapie optimiert werden. Dies bessert dann auch die Depression.»
PARADIGM-HF:
Hoffnung am Horizont
Als neuer Hoffnungsträger für Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz gilt LCZ696 – ein Angiotensin-RezeptorNeprilysin-Inhibitor (ARNI), der sich aus Valsartan und Sacubitril zusammensetzt und vor Kurzem von Swissmedic unter dem Namen Entresto® zugelassen wurde. Die Substanz stellte in der PARADIGMHF-Studie bei 8440 Patienten mit reduzierter linksventrikulärer Funktion (Heart Failure with reduced Ejection Fraction, HFrEF) seine Wirksamkeit im Vergleich zum Standard Enalapril unter Beweis: Sie reduzierte die kardiovaskuläre Sterberate um 20 Prozent (p = 0,00004) und das Risiko einer herzinsuffizienzbedingten Hospitalisierung um 21 Prozent (p < 0,001). «Selbst die Gesamtmortalität wurde um 16 Prozent reduziert – gegenüber einer aktiven Behandlung, für die eine Mortalitätsreduktion bei Herzinsuffizienz belegt ist», erinnerte Studienleiter McMurray.
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Kirsten Westphal
Poster und Vorträge im Rahmen der «Heart Failure 2015», Sevilla (Spanien), 23. bis 26. Mai 2015.
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