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BERICHT
Typ I oder Typ II?
Der wichtige Unterschied zwischen den Formen der Kardiotoxizität von Krebsmedikamenten
Bei einigen Krebstherapien gelte es, das Gleichgewicht zwischen antitumoraler Wirksamkeit und kardialer Toxizität zu finden, sagte Prof. Dr. Thomas Suter, Universitätsklinik für Kardiologie, Inselspital Bern, an der Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie.
Halid Bas
Bei der kardialen Toxizität systemischer Krebstherapien ist es wichtig, zwischen einer asymptomatischen kardialen Dysfunktion mit Reduktion der linksventrikulären Auswurffraktion (left ventricular ejection fraction, LVEF) und einer symptomatischen Herzinsuffizienz mit Anstrengungsatemnot, Orthopnoe, paroxysmaler nächtlicher Dyspnoe und Gewichtszunahme zu unterscheiden (Tabelle 1). Die nicht reversible Herzschädigung vom Typ 1 durch Anthrazykline ist gekennzeichnet durch einen prognostisch ungünstigen Verlauf mit Herzdilatation und zunehmender schwerer Herzinsuffizienz. Sie tritt typischerweise erst spät (5–7 Jahre nach Therapie) auf, wenn die Patienten oft nicht mehr in der Behandlung beim Onkologen ste-
MERKSÄTZE
O Die Kardiotoxizität vom Typ I ist mit einer Anthrazyklinbehandlung assoziiert, tritt spät auf und hat einen ungünstigen Verlauf, diejenige vom Typ II bleibt oft asymptomatisch und ist reversibel.
O Prävention und Vermeidung der Kardiotoxizität bei Krebsbehandlungen sind mit guter Kommunikation zwischen Kardiologen und Onkologen möglich.
O Hausärzte sollten immer an kardiovaskuläre Spätfolgen einer Krebsbehandlung denken.
hen, sondern vom Hausarzt betreut werden. Demgegenüber hat die kardiale Dysfunktion vom Typ 2 eine günstige Prognose mit Normalisierung der kardiovaskulären Funktion. Die Kardiotoxizität vom Typ 2 kommt bei den neueren Signalweginhibitoren in unterschiedlicher Häufigkeit vor, die Herzinsuffizienz ist demgegenüber seltener (Tabelle 2). Anzeichen einer kardialen Dysfunktion zeigen sich früh, bereits während der Krebsbehandlung. «Beim Auftreten einer Typ-2-Toxizität sollte man nicht überreagieren, wichtig ist, dass die lebensrettende Antitumortherapie durchgeführt wird», mahnte Prof. Suter, «es geht immer um die Balance zwischen Wirksamkeit und Toxizität.»
Auch nach Jahrzehnten
an Kardiotoxizität denken
An den Fortschritten in der Brustkrebstherapie haben die Signalweginhibitoren gegen HER2 wie Trastuzumab (Herceptin®) grossen Anteil gehabt (2–4). Diese Therapien bedürfen jedoch einer sehr sorgfältigen kardialen Überwachung. Diese muss vor, während und nach der potenziell kardiotoxischen Antitumorbehandlung erfolgen. Vor Therapiebeginn ist eine Risikoabschätzung vorzunehmen. Dabei fallen konventionelle Risikofaktoren ebenso ins Gewicht wie eine vorbestehende kardiale Einschränkung. Für die Anthrazyklintoxizität ist die kumulative Dosis wichtig, ferner auch eine Kombination mit anderen Chemotherapeutika oder
mit einer vorangegangenen oder gleichzeitigen mediastinalen Bestrahlung. Bei der Anti-HER2-Therapie mit Trastuzumab ist die Kardiotoxizität unter anderem abhängig von einer vorangegangenen oder gleichzeitigen Anthrazyklinbehandlung respektive dem Zeitintervall zwischen den beiden Behandlungsmodalitäten oder von einer gleichzeitigen Therapie mit Taxanen. Weitere Risikofaktoren sind eine vorbestehende linksventrikuläre Störung (LVEF < 55%), eine bekannte, behandlungsbedürftige Hypertonie oder ein hoher Body-Mass-Index sowie ein höheres Alter (> 55 Jahre). Während der Antitumorbehandlung gilt es, eine Kardiotoxizität möglichst zu vermeiden. Bei der Behandlung mit Anthrazyklinen bedeutet das Dosisbegrenzung, kontinuierliche Infusion, liposomale Freisetzungssysteme, die Wahl weniger toxischer Anthrazykline, ferner den Einsatz von Kardioprotektiva, Renin-Angiotensin-Hemmern und Betablockern. Parallel zur Senkung der Mortalität konnte die Kardioonkologie auch Fortschritte in der Therapie HER2-positiver Mammakarzinome mit einer deutlichen Senkung der Kardiotoxizität erzielen (2–4). Die Überwachung der Ventrikelfunktion geschieht idealerweise mittels 3-D-Echografie in Kombination mit Biomarkern (Tropinine). Als «normal» gilt eine LVEF von 55 Prozent oder mehr. Eine kardiale Dysfunktion ist definiert durch eine LVEF-Abnahme um mehr als 10 Prozent auf weniger als 50 Prozent. Bei asymptomatischen Patienten mit kardialer Dysfunktion kann die antitumorale Behandlung fortgesetzt werden. Das erfordert eine Wiederholung der Herzuntersuchung nach drei Wochen. Bei Krebsüberlebenden besteht ein erhöhtes Risiko für kardiale Todesfälle und Herzinsuffizienz. Ein ungünstiges Remodelling des Herzens kann durch eine frühzeitige Therapie der Herzinsuffizienz verhütet werden. Kinder sind für die Kardiotoxizität einer Krebsbehandlung wesentlich empfindlicher. Rund 30 Prozent der Überlebenden entwickeln später Zeichen einer kardiovaskulären Störung. Diese tritt erst dann auf, wenn die ehemaligen Patienten aus der onkologischen Nachsorge entlassen und auch nicht mehr in der Obhut ihres Kinderarztes sind. Wesentlich sind die individuelle Anamnese
ARS MEDICI 21 I 2015
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BERICHT
Tabelle 1:
Die beiden Typen der kardialen Toxizität von Krebsmedikamenten (nach [1])
Pathophysiologie
Nicht reversible Schädigung (Typ I) durch Anthrazykline
Zellverlust (Apoptose, Nekrose)
Symptomatik
Kardiomyopathie/Herzinsuffizienz; Myokardinfarkt; Thrombose
Reversible Dysfunktion (Typ II) durch Nichtanthrazykline
zelluläre Dysfunktion (mitochondrial, Proteindysfunktion)
temporäre kontraktile Dysfunktion; vasospastische Angina; arterielle Hypertonie
Diagnostik
Freisetzung von Schädigungsmarkern; progressive kontraktile Dysfunktion; kardiales Remodelling
keine Freisetzung von Schädigungsmarkern; reversible kontraktile Dysfunktion; reversible arterielle Hypertonie
Prognose/Verlauf
Entwicklung einer progressiven kardiovaskulären Erkrankung
Normalisierung der kardiovaskulären Funktion
Risikofaktoren (vorbestehende Herzerkrankung, Hypertonie, Alter) und andere Krebstherapien können die Expression beider Schädigungsformen beeinflussen. Eine kardiovaskuläre Therapie kann das Auftreten einer kardiovaskulären Dysfunktion verzögern oder verhindern.
Tabelle 2:
Kardiale Toxizität bei systemischer Krebstherapie
Wirkstoffe
Chemotherapeutika Anthrazykline: O Doxorubicin (Caelyx® oder Generika) O Epirubicin (Farmorubicin® oder Generika)
Cyclophosphamid (Endoxan®)
Signalweginhibitoren gegen HER2: O Trastuzumab (Herceptin®) O Lapatinib (Tyverb®) O Pertuzumab (Perjeta®)
gegen VEGF: O Bevacizumab (Avastin®) O Sunitinib (Sutent®) O Sorafenib (Nexavar®) O Pazopanib (Votrient®)
Gegen Tyrosinkinaseaktivität von BCR-ABL (breakpoint Cluster region-Abelson): Imatinib (Glivec®)
Kardiale Dysfunktion
3–18% 10% 3–18% 3–10% 8–15% 7% 2%
HER2: human epidermal growth factor receptor 2; VEGF: vascular endothelial growth factor
Herzinsuffizienz
2–12% 4–15% 1%
4% 2% 0–2% (9%)
2–4% 10% 1% 1%
< 1%
und das Bewusstsein für die erhöhte
kardiale Gefährdung bei Krebsüberle-
benden.
O
Halid Bas
Quelle: «Cancer-drug induced heart failure», Workshop an der Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie, 11. Juni 2015 in Zürich.
Referenzen: 1. Suter TM et al.: Cancer drugs and the heart: importance
and management. Eur Heart J 2013; 34(15): 1102–1111. 2. Slamon DJ et al.: Use of chemotherapy plus a monoclo-
nal antibody against HER2 for metastatic breast cancer that overexpresses HER2. N Engl J Med 2001; 344(11): 783–792. 3. Romond EH et al.: Trastuzumab plus adjuvant chemotherapy for operable HER2-positive breast cancer. N Engl J Med 2005; 353(16): 1673–1684.
4. Piccart-Gebhart MJ et al.: First results from the phase III ALTTO trial (BIG 2-06; NCCTG [Alliance] N063D) comparing one year of anti-HER2 therapy with lapatinib alone (L), trastuzumab alone (T), their sequence (T >L), or their combination (T+L) in the adjuvant treatment of HER2-positive early breast cancer (EBC). J Clin Oncol 32: 5s, 2014 (suppl; abstr LBA4).
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