Transkript
EDITORIAL
Lechts und Rinks
Vor Kurzem musste ich nach einem Sturz zum Röntgen, um abzuklären, ob im rechten Fuss etwas gebrochen ist. War es leider. So weit, so schlecht – nicht schlecht staunen musste ich freilich, als im Attest vom linken Fuss die Rede war. Als ich darauf hinwies, änderte man das flugs in den Unterlagen. Als ich nach einiger Zeit wieder zur Röntgenkontrolle kam, platzierte die Assistentin für die Aufnahme neben meinem rechten Fuss trotz allem zunächst ein grosses L als Markierung. Rechts und links zu unterscheiden ist offenbar nicht trivial. Am schönsten formulierte das sicher Ernst Jandl vor rund 50 Jahren in seinem Gedicht über «lechts und rinks», welche man bekanntermassen sehr wohl «velwechsern» könne (1). Was im Alltag allenfalls Verwirrung bei Wegbeschreibungen auslöst, kann in der Medizin verheerende Folgen haben. Aus diesem Grund ist man zum Beispiel in vielen Spitälern dazu übergegangen, die Patienten vor einer Hüft-OP selbst markieren zu lassen, welche Seite die richtige ist. Bei diesen löst das allerdings zuweilen eher Panik als Vertrauen in ein offensichtlich durchdachtes Sicherheitsmanagement aus: «Die liefern mich einem Chirurgen ans Messer, der rechts und links nicht unterscheiden kann!», so beschreibt Charles Huber in seinem launigen Buch «Das Kreuz rechts» (2) seine spontane Reaktion auf die entsprechende Aufforderung in einem Schweizer Spital. Was aber weiss man über das ärztliche Vermögen, zwischen rechts und links zu unterscheiden? In der Tat finden sich dazu einige Studien, so zum Beispiel 1973 in den «Archives of Neurology», wonach 8,8 Prozent der befragten Ärzte angaben, Probleme mit der Rechts-Links-Unterscheidung
zu haben, ebenso wie 17,5 Prozent der zugehörigen Ehefrauen (3). Dass Frauen im Durchschnitt bei Rechts-Links-Tests etwas schlechter abschneiden als Männer, hat sich übrigens in allen späteren Studien bestätigt. Wenig schmeichelhaft für Hausärzte ist das Resultat einer in der Weihnachtsausgabe 2008 des «British Medical Journal» publizierten Testreihe mit 290 Studenten (4). Demnach schneiden Studenten mit dem Berufsziel Chirurg schlechter ab als jene mit dem Berufsziel Allgemeinmediziner – aber immerhin noch besser als Studenten der Psychologie oder der Juristerei. Nun gut, derlei Studien sollte man vielleicht nicht allzu ernst nehmen. Eine dieses Jahr publizierte widmete sich nun aber einer Frage, die tatsächlich eine hohe praktische Relevanz hat: Man untersuchte den Einfluss verschiedener Ablenkungsquellen auf die Rechts-Links-Unterscheidungsfähigkeit (5). Alle 234 Probanden mussten den gleichen Test absolvieren und wurden dafür in vier Gruppen eingeteilt: Die erste Gruppe war völlig ungestört, die zweite während des Tests einer OPtypischen Geräuschkulisse ausgesetzt, die Probanden der dritten Gruppe wurden während des Tests mehrfach angesprochen, und die vierte Gruppe wurde sowohl akustisch als auch kognitiv gestört. Wie zu erwarten, schnitten die ungestörten Testpersonen am besten ab. Erstaunlicherweise hatte die Geräuschkulisse keinen wesentlichen Einfluss, nur bei den schwierigsten Testaufgaben unter gleichzeitiger kognitiver Ablenkung bewirkte der Lärm einen kleinen zusätzlich störenden Effekt. Deutlich störend war jedoch auf allen Testniveaus die kognitive Ablenkung, das Dazwischenreden. Für die Praxis heisst das zweierlei: Erstens sollte man sich wohl besser nicht ansprechen lassen, wenn man einen Bericht mit Rechts-Links-Relevanz verfasst, und zweitens die Ohren bei einer solchen Aufgabe vorsichtshalber auf Durchzug stellen.
Renate Bonifer
1. Ernst Jandl: lichtung. Gedichtband «Laut und Luise», erstmals publiziert 1966 im Walter Verlag Olten; erhältlich bei Luchterhand Literaturverlag ISBN 978-3-630-87481-4 oder als Reclam-Heft ISBN 978-3-15-009823-3.
2. Charles Huber: Das Kreuz rechts. 2010, nicht im Buchhandel erhältlich; Info: renate.bonifer@rosenfluh.ch
3. Wolff SM: Difficulties in right-left discrimination in a normal population. Arch Neurol 1973; 29(2): 128–129.
4. Gormley GJ et al.: Right-left discrimination among medical students: questionnaire and psychometric study. BMJ 2008; 337:a2826.
5. McKinley J et al.: «Sorry, I meant the patient’s left side»: impact of distraction on leftright discrimination. Med Educ 2015; 49: 427–435.
ARS MEDICI 20 I 2015
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